Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Freitag, 27. November 2015

Der angegeketteten Ente zuhören

Le Canard Enchainé, 18 Novembre 2015

Jetzt ist wieder was passiert! Da muss sofort gehandelt werden, und das heißt: aufmarschiert, gedroht und geschossen, im Inneren und nach Außen. George W. Bush hat im Anschluss an 9/11 unter anderem die Weltgegend in Brand gesetzt,  der sich das gegenwärtige Aufflammen von sich auf den Islam berufenden Terrorismus verdankt.  Und da darf Frankreich keineswegs durch überbordende Vernunft zurückstehen. Handeln ist in solchen Momenten gut, wäre es noch so dumm und planlos. Es ist ein Vergnügen, inmitten des Gebrülls die französische Satirezeitung Le Canard Enchainé zu lesen.
Le droit dans tous ses états

Après un violent traumatisme, les psychiatres conseillent toujours à leurs patients de ne prendre aucune décision importante. Il faut attendre que la la raison l'emporte à nouveau sur l'émotion. Ce conseil avisé devrait être suivi par les responsable politiques. Pas seulement pour s'éviter une place de choix  dans un bêtisier, mais pout épargner de fâcheux dérapages à notre Etat de droit. [...]

Nach einem heftigen Trauma raten Psychiater stets, keine wichtigen Entscheidungen zu treffen. Es ist nötig zu warten, bis die Vernunft wieder über die Gefühle herrscht. Dieser Rat sollte von den politisch Verantwortlichen befolgt werden. Nicht nur, um  einen ausgesuchten Platz in einem Kabinett der Dummheit zu vermeiden, sondern auch, um unserem Rechtsstaat peinliche Entgleisungen zu ersparen.  [Übers. von mir, leider gibt es keine wirklich elegante Übersetzung von 'bêtisier']
Anschließend lässt Louis-Marie Horeau die angedrohten oder geplanten oder schon durchgeführten Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit seit dem 13. November Revue passieren.

In der Ausgabe finden sich neben Karikaturen von Terroristen Karikaturen der Regierung und anderer Politiker, die leider von sich reden machen (Villepin, Sarkozy). Es finden sich Danksagungen des Terrors an George W. Bush und Zitatesammlungen des 'in gerechtem Zorn' aufschäumenden Frankreich, sowie Torheiten aus aller Welt.  Vorschläge, alle, die irgendwie verdächtig sind, einzusperren, kommen aus Sarkozys Partei 'Les Républicains' und dem Front National. Besonders schön aber ist ein Zitat von Donald Trump, der es ja durchaus zum republikanischen Präsidentschaftskandiadaten schaffen könnte, das im Original so lautet:
When you look at Paris -- you know the toughest gun laws in the world, Paris -- nobody had guns but the bad guys. Nobody had guns. Nobody. They were just shooting them one by one and then they (security forces) broke in and had a big shootout and ultimately killed the terrorists. And I tell you what: You can say what you want, but if they had guns, if our people had guns, if they were allowed to carry -- it would've been a much, much different situation.
Der Canard kommentiert: Le port de la kalachnikov pour chacun et la nation sera sauvée.  Ein technischer Kommentar von mir: Wenn es schwer ist, an Waffen zu kommen, ist es auch für Terroristen schwerer.  Für Sprengstoffe gilt das offenbar auch. Der Sprengstoff, den die Täter von Paris mitführten, war wieder mal der dümmste, ungeeignetste Sprengstoff, den jedes Kind herstellen kann (und den ich auch als Kind hergestellt habe, man muss wirklich nicht viel von Chemie verstehen. Nur entzündet er sich bei der kleinsten Erschütterung von selbst, so dass die Chance für die Terroristen, schon vor dem geplanten Anschlag  zu ihren Vätern versammelt zu werden, groß ist.)  Unter der reißerischen Überschrift "Die grausame Professionalität der Attentäter" berichtet das der Spiegel, obwohl doch gerade diese Wahl des Sprengstoffs ausgesprochen unprofessionell ist.

Sonst finden sich in der Ausgabe natürlich die üblichen wöchentlichen Rubriken, darunter die Filmempfehlungen: Filme, die man sehen  kann, Filme die man zur Not sehen kann und Filme, die man nicht sehen kann (genauer: die nicht zu sehen möglich ist.)

Der Canard Enchainé ist eine Zeitung, die man lesen kann.

Montag, 16. November 2015

Im Krieg ?

Blutige Anschläge, begangen von französischen Staatsbürgern in Frankreich, die sich zum IS bekennen. Manuel Valls nennt das Krieg, so wie G. W. Bush nach 9/11 von Krieg sprach. Es war aber ein Anschlag, kein Krieg.

Der Feind im Inneren: Sarkozy schlägt vor, allen Franzosen, die verdächtigt werden, mit Islamisten zu sympathisieren oder in Kontakt zu stehen, elektronische Fußfesseln zu verpassen.

Derselbe Sarkozy hat, als einmal nach einer Polizeiaktion die Vorstädte brannten, deren Jugendliche als 'racaille' bezeichnet, als Abschaum, Gesindel.

Wie kommt es, dass französische Staatsbürger, die in den Genuss der in den letzten Tagen ständig zitierten Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gekommen sind, zu einer solchen Tat des Hasses fähig sind? Sarkozys Vorschlag impliziert, man habe sie noch nicht genug kriminalisiert.  Andererseits bestätigen französische Soziologen, dass die französische Gesellschaft und der französische Staat es versäumt haben, die 'exclusion' allzu vieler zu überwinden. An vielen wurden die Versprechen von Brüderlichkeit und Gleichheit nicht eingelöst. Die französische Polizei wurde mancherort als feindliche Macht erfahren. Dieses Problem werden Fußfesseln ebensowenig lösen wie Kriege mit anderen Ländern.

Selbstverständlich kann man alles auf die 'Verbreitung einer mörderischen Ideologie reduzieren' und daraus eine Legitimierung für Fußfesseln im Inneren und Luftangriffe im Äußeren basteln.  Gewalt in verschiedenen Formen wäre demnach der angemessene Umgang mit einer gewalttätigen Ideologie.

Anders Behring Breivik hat sich bei seinem Anschlag unter anderem bei Argumenten bedient, die in dem bekannt-berüchtigten Blog "Achse des Guten" vorgebracht werden.  Wo soll man denn da Luftangriffe fliegen? Dortmund? Berlin?  Über die Fußfesseln für Neonazis und Neocons ließe ich gerne mit mir reden, kann aber auch daran nicht glauben.

Psychologen und Soziologen haben sich mit der Entstehung von Gewaltbereitschaft befasst -- ich habe nur wenig davon gelesen; sicher kennen die, die nach Gewalt gegen Gewalt rufen, noch weniger davon.  Denn es scheint kaum zu bezweifeln, dass Gewalterfahrungen zu Gewalt prädisponieren.

Und obwohl es sich von selbst versteht: Auch das ist keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung der Taten, auch nichts in der Art.  Der vulgäre Kategorienfehler, Erklärungsversuche als Entschuldigung zu beschimpfen, ist eigentlich nur ein rhetorischer Trick der Scharfmacher.  Geschieht etwas Schlimmes, ist eine ursächliche Erklärung allemal hilfreicher als moralisches Geseier. Ansonsten hat sich das Strafrecht mit den Tätern, soweit sie noch leben, zu befassen. Das ist die Reaktion eines Rechtsstaats auf Verbrechen.  Oder wünschen viele sich gar keinen Rechtsstaat, sondern würden lieber von den Fesseln des Rechts befreit draufschlagen, wo angeblich das Übel wächst?  Das Übel, das ja gerade darin besteht, von den Fesseln des Rechts befreit draufzuschlagen.

Sonntag, 15. November 2015

Nachtrag

Trauern

Auf den Monitoren in der U-Bahn stand die Meldung, dass sich gestern Abend 1000 Menschen am Brandenburger Tor versammelt haben, um an die in Paris Ermordeten zu erinnern.

Vorgestern stand niemand irgendwo in Berlin, der an die im Libanon Emordeten erinnert hätte.

Gaucken

Also sprach der Bundesp. :

Aus unserem Zorn über die Mörder müssen Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft werden. Auch dabei stehen wir an der Seite der Franzosen.
Europas Werte und Europas Freiheit sind in der Geschichte von machtvollen Feinden angegriffen worden. Dennoch ist unser Europa ein Bollwerk der Demokratie und der Menschenrechte. Auch die brutalen Angriffe islamistischer Terroristen vermögen dies nicht zu ändern.
Das Bollwerk der Menschenrechte, das -- unter Gaucks beredtem Schweigen -- Tausende ersaufen lässt. Der Zorn über die Mörder ohne die Zerknirschung über unsere Fehler ist nun leider einen Dreck wert: Aus diesem Zorn soll Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft werden.  Sich nicht mehr an schlechten Kriegen zu beteiligen und finsteren Diktaturen keine Waffen mehr zu liefern, dafür mehr Geld für zivile Kooperation auszugeben, das "wird nicht aus diesem Zorn".

An Schwulst kann sich Gauck mit Kohler messen, nur ist es bei ihm noch von einem pfäffisch-sanften Lächeln übergossen.

Mord und Mord

Der inzwischen zum General beförderte  Oberst Klein, der bei Kundus das Bombardement einleitete, das  - je nach Quelle, - über 70 (rotes Kreuz), über 80 (amnesty interational) oder noch mehr Zivilisten das Leben kostete, ist Soldat, nicht Terrorist. Seine Einschätzung, es handle sich ausschließlich um feindliche Kämpfer, war ein Irrtum. Sorry.

Der Mörder von Paris haben absichtlich 129 Zivilisten und sich selbst getötet.  Ob sie es vorgezogen hätten, einen Luftangriff auf ein militärisches Ziel in Frankreich zu befehlen, wenn sie das gekonnt hätten, lässt sich nicht herauszufinden. Ihnen fehlten jedenfalls die Mittel dazu.
 
Ja, wollen Sie etwa  einen Kollateralschaden mit diesem Akt der Barbarei vergleichen?

Gewiss. Aus der Perspektive der Toten, bzw. ihrer Familien handelt es sich in beiden Fällen um jähe, gezielte Tötung, der nicht zu entrinnen war.

Der mit mächtigen, modernen Waffen aus der Ferne und aus der Luft geführte Krieg tötet täglich Zivilisten. Es handelt sich in jedem Einzelfall um 'Versehen', in der Absehbarkeit solcher 'Versehen' aber insgesamt um Mord, der nie gesühnt wird. Eine statistische Verantwortung, aus der sich die Akteure in jedem Einzelfall herausreden können, unterläuft anscheind unsere moralische Urteilskraft und unsere juristischen Kategorien.

Die Mörder von Paris sind aber eindeutig das: Mörder.  Und weil das so einfach ist, können das auch schlechte Journalisten schildern.

Asymmetrische Konflikte haben immer auch diesen Zug: Die überlegenen Parteien bringen zwar mehr Leute um, meistens auch mehr Zivilisten, haben aber weniger blutige Hände.    Es ist aber sehr zweifelhaft, ob die Anschläge in Paris als Teil des Krieges  zu verstehen sind, der sich in Syrien und dem Irak abspielt, auch wenn durch das Bekennerschreiben ein Zusammenhang hergestellt wird.

Unschuldige sterben

Wieder Paris, wieder ein Anschlag auf die ganze freie Welt. Nur zehn Monate nach dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ erschüttert eine noch blutigere Tat die französische Hauptstadt und die übrige Menschheit, jedenfalls den Teil von ihr, den man zivilisiert nennen kann. Der  "11. September Frankreichs" wird der konzertierte Terrorangriff mit seinen vielen Toten und Verletzten genannt. (Berthold Kohler, FAZ, "Im Weltkrieg", 15.11.2015).

Ein Verbrechen in seinem Zusammenhang


Eines Vorweg:  Es ist eine Tugend des Verstands, Handlungen und Situtationen auf Ursachen und Wirkungen zu untersuchen.  Das entgegengesetzte Laster ist an Gestalten wie Berthold Kohler (FAZ) und Seehofer (CSU) zu sehen.  Wer das Verhältnis von Ursache und Wirkung nicht bedenkt, wird immer wieder dazu beitragen, genau das anzurichten, was angeblich vermieden werden soll.
Eine Tugend der Urteilskraft wiederum ist, "das rechte Maß" beim Handeln und beim Urteilen zu finden. Diese Tugend aber kann nicht am einzelnen Gegenstand ausgebildet werden, sondern nur am Ganzen. Wer sie nicht hat oder nicht haben will, kann bald das eine Verbrechen oder die eine gute Tat grotesk überhöhen, bald achselzuckend über andere, größere Taten hinweggehen.

Es gab nun also terroristische Anschläge in Paris, durch die mindestens 129 Menschen ums Leben gekommen sind. Dazu bekannt hat sich der IS, dessen Existenz sich nachweislich den westlichen Kriegen und Einmischungen im Irak, Libyen und Syrien verdankt.  In Syrien wurden noch bis vor kurzem die Vorläufergruppierungen des IS von den USA und ihren Verbündeten unterstützt (siehe zum Beispiel die Zusammenfassung im Guardian.) Der Krieg im Irak hat, je nach Schätzung einige Hunderttausend bis über eine Million Menschen das Leben gekostet, davon viele, sogar die meisten, Zivilisten, bzw. "Unschuldige".  Und selbiger  Krieg hat einen gescheiterten Staat produziert, in dem 2015 wöchentlich mehr Menschen (auch Unschuldige) sterben als  vorgestern in Paris gestorben sind. Die desolaten Verhältnisse begünstigen nicht nur den (möglicherweise recht dünnen) ideologischen Hintergrund des IS, sondern vor allem die Bereitschaft von Männern, die seit Jahren im Krieg leben, sich wenigstens für Krieg bezahlen zu lassen, und zwar durch den IS.

Der Bürgerkrieg in Syrien ist auch nicht ohne Waffenhandel zu erklären. Es ist bekannt, dass auch deutsche Waffen ihren Weg in diesen Krieg gefunden haben --  auf Fotos wurden immer wieder Gewehre von Heckler & Koch identifiziert. Die BRD beliefert unter anderem Quatar und Saudi-Arabien, die nun ihrerseits diverse islamistische Gruppen in Syrien bewaffnet haben. Unter Gabriel hat die Bundesregierung mehr Waffenexportgenehmigungen erteilt als je zuvor. 

Unschuldige sterben auch jede Woche dort, wo die USA mit Hilfe von völkerrechtlich ganz inakzeptablen Drohnenangriffen "gegen den Terror" kämpfen.

Und nicht zuletzt lässt die EU jedes Jahr einige Tausend Menschen im Mittelmeer ersaufen, die vor just den Konflikten, für die wir Mitverantwortung tragen, fliehen.  Es handelt sich hier, wie der oberste Bundesrichter Thomas Fischer in einer Kolumne für die Zeit aufgedröselt hat, um irgendwas zwischen Mord durch Unterlassung und unterlassene Hilfeleistung. Die EU könnte ja Visen vergeben. Und sie hätte "Mare Nostrum" verlängern können.

Kurzum, das Unrecht, das in Gestalt der Attentate von Paris begangen wurde, steht in einem Kontext globalen Unrechts, zu dessen Akteuren auch "wir" gehören.  Der Zweck dieser Einbettung ist nicht der einer Rechtfertigung (die kann es weder für das durch IS begangene Unrecht, noch für das durch uns begangene Unrecht geben), sondern ein Beurteilungsrahmen für die Angemessenheit der möglichen Reaktionen. Diese Attentate gehören strafrechtlich verfolgt, soweit sich die Verantwortlichen nicht bereits selbst in die Luft gesprengt haben. Als Antwort die wahnhafte Reaktion der USA nach 9/11 zu wiederholen ("war on terror") und etwa ein weiteres Land in die Luft zu sprengen, wird verlässlich die Wahrscheinlichkeit solcher Anschläge erhöhen.

Auch das voraussehbare Argument, die Gefahr für uns liege ja nicht in der Brutalisierung halber Kontinente, sondern nur in der Einwanderung der solchermaßen Brutalisierten, mithin müsse die Einwanderungen aus Sicherheitsgründen schleunigst begrenzt werden, das nicht nur Rechtsextreme, sondern auch Söder, Seehofer (CSU) oder Reinhard Müller (FAZ) vorbringen, ist erstens falsch und zweitens widerwärtig.  Erstens kann niemand die Grenzen so dicht machen, dass Leute, die kämen, um ein Attentat zu begehen, aufzuhalten wären.  Die meisten kommen aber zweitens, um ihr Leben zu retten bzw. sich ein neues Leben aufzubauen. Diese Menschen abzuweisen bedeutet einen massiven Verstoß gegen die Werte, die wir angeblich haben, und ist auch wieder eine Kollektivstrafe gegen Hunderttausende, die nichts für die Attentate können. Die Attentäter wiederum haben eine Kollektivstrafe an mindestens 129 Menschen, die nichts dafür können, vollstreckt. Kollektivstrafen sind auf allen Seiten widerwärtig. 

Vorhang auf für Berthold Kohler


Die Engführung der Logik der Terroristen mit der Logik der westlichen Staaten, Gesellschaften, Parteien ist beabsichtigt.   In den Reihen der Terroristen müssen wir uns  Redner vorstellen, die so klingen wie Berthold Kohler (Kommentar "Im Weltkrieg", 15.11), nur auf arabisch und mit jeweils umgedrehten Vorzeichen. Jeder einzelne Satz von Kohlers jüngstem Kommentar beleidigt die Intelligenz und die Humanität.  Eigentlich erübrigt sich eine ausführliche Kommentierung. Es müsste genügen, zu sagen: Lesen Sie und speien Sie.  Ich kommentiere aber doch, für die Akten:

Wieder Paris, wieder ein Anschlag auf die ganze freie Welt.

Schon dieser erste Satz ist ein Popanz. Wieder ein Anschlag auf verschiedene Orte in Paris. "Die ganze freie Welt", so sah auch der willkürlich den Gegenstandsbereich aufblähende Propagandabegriff aus, der zur Rechtfertigung des Irakkrieges angeführt wurde, und zu dessen Ergebnissen auch dieser Anschlag gehört (im Sinne von Kausalität, "kontrafaktische Definition": IS, und damit diesen Anschlag, gäbe es fast sicher nicht, hätte es diesen Krieg nicht gegeben).

Die Botschaft der Anschläge auf Amerika war: Der islamistische Terrorismus hat dem Westen den Krieg erklärt – und er ist dazu fähig, ihn in die Herzen der westlichen Metropolen zu tragen. Die blutige Mitteilung von Paris lautet: Ihr könnt uns auch anderthalb Jahrzehnte danach immer noch nicht daran hindern. Eure Mühen und Opfer im „Krieg gegen den Terror“, ob auf fremder oder eigener Erde, waren vergebens.

Alle Achtung, unsere Mühen und Opfer waren vergebens.  Da aber doch der IS unter anderem die Frucht dieser Mühen und Opfer ist, verdankt sich zumindest dieser Anschlag unseren Mühen und Opfern und ja, wenn auch in klitzekleinem Format, Berthold Kohler, der in diesem Ton die Kriege propagierte, ohne die die Toten von Paris wahrscheinlich noch lebendig wäre.  Hier, wie meist: Sprich von der Veantwortung der anderen, nicht von der eigenen. Ignoriere die Kausalität, wo du selbst zu den Ursachen von etwas Bösem gehörst,   und reite auf ihr herum, wo die anderen etwas verursacht haben. Die Grenzen von "wir" und die "anderen" zieht jeder Hetzer anders, bei Kohler ist wir "USA -- NATO -- Deutschland", und das nennt er halt die "freie Welt."

In der muslimischen Welt ist ein Ungeheuer herangewachsen, das seine Tentakel um die ganze Welt schlingen möchte. Man kann kontrovers darüber diskutieren, aus welchem Schoß es kroch, wer es gezeugt hat und wer es immer noch füttert. Doch sollte man nicht glauben, es zöge sich friedlich zurück in seine Höhle, wenn man es nur nicht mehr reizte – es also nicht mehr mit Waffengewalt daran zu hindern suchte, ganze Volksgruppen zu massakrieren, Städte zu zerstören und Kulturen auszulöschen.

Man kann kontrovers diskutieren ... gewiss.  Selbst Kohler kann nicht abstreiten, dass es den IS ohne den Irak-Krieg nicht gäbe.  Aber die Ursache spielt ja keine Rolle, wenn das Ungeheuer nun einmal da ist und nun mit Waffen bekämpft werden muss.  Kohler ist eigentlich immer für die jeweiligen Kriege des Westens, sogar für die, die der Westen mit guten Gründen nicht führt.   Um das "Ungeheuer Saddam" zu töten wird ein Land zu Klumpen geschossen. Daraus erwächst das nächste Ungeheuer, jetzt kann man nur weiterschießen, so die Logik.   "Man kann kontrovers diskutieren" ist aber doch sehr mager als Selbstreflektion, und beim Weiterschießen ist nun die Frage, wie und auf wen.   Russland etwa betreibt die Stärkung der syrischen Regierung gegen alle Rebellen, von denen die meisten Islamisten und viele bei IS sind.  Die USA, ihre Verbündeten und auch ihr geliebter Kohler wollen das aber auch nicht.  Der IS ist das Böse, und Russland ist das Böse, auch wenn Russland eines der wenigen Länder ist, die schlüssig in der Logik handeln, den IS zu bekämpfen. Der Autor dieser Zeilen kennt Syrien zumindest aus längerer eigener Anschauung, und damit besser als Kohler, würde einen schlechten Frieden für Syrien einem guten Krieg vorziehen.  Das eigentlich Böse an allen bisherigen Einmischungen in Syrien war, den Krieg in die Länge zu ziehen.  Und wenn es so wäre, dass die gegenwärtigen Machtverhältnisse einen Frieden nur unter Assad  möglich machen, dann wäre es eben ein Frieden unter Assad.   Eine Umfrage der Washington Post zeigt, dass die überwiegende Mehrheit der Syrer das so sieht.

Erfreut über den russischen Anteil am Krieg kann ich aber nicht sein; allerdings müsste Kohler es sein, stünde ihm nicht ein doppeltes Feindbild im Wege.  Er sieht nur "die freie Welt im Krieg gegen das Böse".

Wie wird der Terror von Paris in Ländern wirken, die eher der Ansicht zuneigen, wer selbst nicht bombardiere, werde auch nicht bombardiert?

Nun, dass Attentate des IS sich gegen Länder richten, die sich an den Bombardements gegen den IS beteiligen, ist doch wohl die Logik des Krieges (und des Terrorismus), der ja gerade Kohler das Wort redet. Vermutlich erwischt es Russlands als nächstes Land; was wohl Kohler dann schreibt ?  Einstweilen fürchtet er jedoch, dass die Kampfkraft des Westens beschädigt werde -- ohne doch den Nachweis antreten zu können, diese sei bisher für etwas gut gewesen.

Mehr denn je kommt es jetzt auf die Geschlossenheit des Westens an. Und darauf, dass er seinen Willen und seine Fähigkeit demonstriert, seine Werte zu schützen. Das wird angesichts des Ausmaßes der Bedrohung und der Asymmetrien des Konflikts nicht gänzlich ohne Einschränkungen der Freiheiten möglich sein, die es zu verteidigen gilt, gegebenenfalls auch mit eigenen Truppen in Syrien. Ohne Opfer wird dieser epochale Kampf nicht zu bestehen sein. Obsiegen kann in der Konfrontation mit dem Terrorismus nur, wer sich von ihm nicht einschüchtern und erpressen lässt.

Seine Werte. Soso. Wertemäßig stellen die Kriege in Irak/Afghanistan/Libyen ein Desaster da. Die Lüge zur Förderung von Kriegen hat noch immer gerne zum Schwulst gegriffen: "epochaler Kampf","obsiegen", man findet derlei in Karl Kraus' Dokumentation der österreichischen und deutschen Propaganda für den ersten Weltkrieg.   Die Nichterwähnung Russlands, das ja genau das tut (IS bekämpfen), was Kohler will, ist auch hier auffällig.

Der Flüchtling als potentieller Feind


Am Schluss kommt die befürchtete Volte:  Dass die Einwanderung uns gefährde. Kohler endet so:
Doch kam auch mit diesen Zügen schon eine Angst ins Land: dass Deutschland sich bei dem Versuch, fremde Kulturen und Konflikte zu integrieren, hoffnungslos übernimmt und danach nicht mehr so sein kann, wie es sein will. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (auch Solidarität mit den Armen und Verfolgten der Welt) sind längst auch deutsche Ideale. Doch noch ein vierter Wert gehört dazu, ohne den alles andere nichts ist – Sicherheit. Die Deutschen haben nichts gegen ein freundliches Gesicht an der Spitze ihrer Regierung. In solchen Zeiten aber wollen und müssen sie ein anderes sehen: ein hartes.
 Oh ja, es kracht hier nur so vor Brüderlichkeit. Dieser Absatz ist in einem Maße verlogen, dass doch bitte die Götter selbst Kohler strafen mögen.  Wir lassen weiter die Flüchtlinge im Mittelmeer ersaufen, betreiben die Abschiebung möglichst vieler (Kosovo, Serbien, Afghanistan), lassen seit Jahrzehnten wieder eine Armutsschicht in Deutschland entstehen, und sollen jetzt "Härte" zeigen gegen Flüchtlinge, an deren Fluchtursachen wir mit Schuld sind. 

Selbst wenn "das Ungeheuer IS" nur noch militärisch zu beseitigen wäre (woran ich zweifle), wären Akteure mit der unreflektierten Selbstgerechtigkeit eines Kohler so gefährlich wie das Ungeheuer selbst, ja Fleisch von selben Fleische.  Da Kohler die Handlungen, die zur Entstehung des IS geführt haben, mit ähnlich wilhelminischem Vokabular gerechtfertigt hat, trägt er sein Quentchen Mitschuld an den Toten von Paris. Könnten die Toten noch sprechen, würden sie wohl davon abraten, auf Kohler zu hören. Kohler hätte wohl gerne eine Weltkrieg, so klingt's. Wenn dann Millionen in ihrem Blut ersaufen, sind die Toten von Paris gerächt, bravo, kleiner Mann!

Die Toten soll man beklagen und begraben, die Täter strafrechtlich zur Verantwortung ziehen. Wer sich aber aus den Toten Argumente backt, um künftig noch viel mehr Menschen und Staaten in den Orkus zu ziehen, der ist ein schlechter Mensch.

Und noch eine letzte Bemerkung:  Einen Tag vor den Anschlägen in Paris kostete ein Anschlag in Beirut mehr als vierzig Menschen das Leben. Wie groß war die Reaktion unserer Presse?   Vierzig tote Menschen im Libanon und 129 tote Menschen in Frankreich kann man eben nicht vergleichen.  Meines Wissens hat Kohler darüber kein Wort verloren. Bei der Gelegenheit wurde also nicht "die ganze freie Welt" angegriffen?  Der Libanon hat im Vergleich zu seiner Größe viel mehr Flüchtlinge aufgenommen als wir, aber dadurch wird man ja noch nicht Mitglied unserer Wertegemeinschaft.

Mittwoch, 4. November 2015

Fremdenfreundliche Übergriffe

Bei einer Initiative, die Hilfsangebote für Flüchtlinge entgegennimmt, meldet sich ein bürgerliches Ehepaar, das bereit ist, mit vier syrischen Flüchtlingskindern am ... von ... bis ... in den Zoo zu gehen.  Vier Stück, ohne die Eltern selbstverständlich.

Diejenige, die den Anruf entgegennimmt, erklärt, dass auch Flüchtlinge nicht ohne weiteres wildfremden Menschen ihre Kinder zum Gebrauch überlassen. Die Anrufer dürften aber gerne das Geld für Eintrittskarten in den Zoo spenden. Erbost wird aufgelegt: Da will man helfen, und jetzt das!

[Quelle: Mitarbeiter besagter Initiative.]


Ganz anders ist diese Geschichte:  In Hamburg wurde Suppe an Flüchtlinge verteilt. Zwei Mädchen kamen mit ihren Schalen zurück: Die Suppe schmecke ihnen nicht, ob es Schokolade gebe ?  Ob das nicht wunderschön sei, schrieb mir ein Freund aus Hamburg, der dabei war, dass diese Kinder noch nicht so zerknautscht und in falsche Demut hineingepresst sind, sondern etwas möchten, das ihnen schmeckt.  Da hat er recht. Wie das wohl der Bundespfaff fände?

[Quelle: Der Hamburger Freund.]

Da kann man erwarten

Thomas de Maizière hat letzte Woche festgestellt, Afghanistan stehe "im laufenden Monat und auch im Verlauf des ganzen Jahres inzwischen auf Platz zwei der Herkunftsländer. Das ist inakzeptabel."

"Wir sind uns einig mit der afghanischen Regierung: Das wollen wir nicht."

Schließlich helfe Deutschland seit Jahren (durch Militär, Polizei, und, klar!, Brunnenbauen, ein blühendes Land voller Brunnen ist's inzwischen). "Da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben."

Wie idiotisch diese Sätze angesichts der Verhältnisse in Afghanistan ist, wurde in den Medien schon kommentiert. Da nun aber durch das wunderbare Internet nicht zählt, ob etwas gesagt wurde, sondern vor allem, ob es häufiger als etwas anderes gesagt wurde und bei Google oben steht, sei es hier noch mal gesagt:

Thomas de Maizière ist offenbar verblödet oder hält uns dafür. Berichte wie der Länderbericht 2015  von Amnesty International zu Afghanistan schildern eindeutig ein desolates Land, aus dem zu fliehen es viele gute und asylrechtlich relevante Gründe gibt.  Deutschland hat zur Legitimierung des Krieges gegen/in Afghanistan, an dem es beteiligt war, gerne die Berichte über die Menschenrechtssituation unter den Taliban herangezogen. Für viele, auch viele Frauen ist das Leben jetzt weder besser noch sicherer.

Was ist der Sinn dieser offenbar falschen Sätze? Nun, in der gegenwärtigen Good-Cop-Bad-Cop-Arbeitsteilung muss Merkel ein wenig Humanität mümmeln und de Maizière den immer schon bräunlichen rechten Rand der CDU/CSU-Wähler beruhigen. 

Vor einigen Tagen wurde das Mahnmal zur Erinnerung an die von den Nazionalsozialisten ermordeten Sinti und Roma durch Beschmieren mit einem Hakenkreuz geschändet.  Alle diejenigen, die die Abschiebung der 'Flüchtlinge aus dem Westbalkan' betreiben, von denen, wie jeder weiß aber bei dieser Gelegenheit unerwähnt lässt, viele Roma sind, haben dann brav gegen diesen Akt der Barbarei protestiert.

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Asylrechtsverschärfung als Akt der Humanität

Kastrieren wir unser 1993 (damals ebenfalls von CDU/CSU und SPD) schon erheblich beschnittenes Asylrech nicht, so können wir es nicht schaffen. Indem wir es aber kastrieren, schaffen wir es. So also die Sprachregelung von SPD und CDU, auf die sich die Grünen zumindest halb einlassen. Sie wollen die Stimme der Moral sein und andererseits arg gerne mit der CDU/CSU regieren. (Wie sie ja einst, schweren Herzens den ersten deutschen Auslandsmilitäreinsatz nach dem zweiten Weltkrieg befohlen haben, oder ebenfalls mit Bauchgrimmen die Elbe bei Hamburg nun doch vertiefen haben lassen. Flexible Moralisten und mutige Stilisten, die Grünen.)

Die Karte, die ich 1993 an die SPD schickte, um dieser mir vorher nicht vollends unanständig vorkommenden Partei mitzuteilen, sie sei nun leider einen Verrat zu weit gegangen, um noch wählbar zu sein, blieb unbeantwortet. Auf mich als Wähler glaubte sie verzichten zu können. Und nähert sich seitdem einem Stimmenanteil von 20 Prozent.

Die Grünen sind seitdem so grundsätzlich widerwärtig geworden, dass auch Postkarten sich erübrigen.

Freundlicher- und demokratischerweise erlaubt die Website des Bundestages, das Abstimmungsverhalten bei namentlichen Abtstimmungen anzuzeigen. Voilà:

Die Grünen zwingt ihre Moral, von der sie strotzen und reden, dazu, sich zu ... enthalten. Weil die Kommunen entlastet werden! Dass manche, die in den Kosovo abgeschoben werden werden, daselbst frühzeitig (an Mangelernährung, an Gewalt, an fehlender medizinischer Versorgung) sterben werden, wurde durchaus begriffen und angedeutet. Dass Sachmittel statt Geldzahlung vor allem Flüchtlinge abschrecken soll, während das Gesetz ja sich selbst als besondere Willkommenskultur verkauft, auch. Also: Enthalten. (Applaus, Gelächter, Schenkelklopfen, Vorhang.)

Nun wollen's gewiss wissen, wer der abtrünnige rote Punkt bei der SPD ist:

Cansel Kiziltepe, gelobt sei sie.

Und wer nun ist der Falke der Grünen, der dafür stimmte?

Valerie Wilms, Zahnweh soll sie kriegen.

Und wer nun sind die Grünen, die immerhin konsistent genug sind, mit Nein zu stimmen:

Volker Beck, Agnieszka Brugger, Sven-Christian Kindler, Stephan Kühn, Monika Lazar, Peter Meiwald, Corinna Rüffer, Hans-Christian Ströbele, Jürgen Trittin, Julia Verlinden. Hier mag mir aber 'gelobt seien sie' nicht über die Lippen kommen. Einige, vielleicht Ströbele, mögen aus Überzeugung 'Nein' gestimmt haben, andere vielleicht auch, weil sie wissen, das irgendwo Leute sitzen, die das Abstimmungsverhalten studieren und verbreiten, wer weiß?

Im übrigen ist die einzelne Nein-Stimme in einer ansonsten durch Fraktionsabsprachen abgekarteten Abstimmung dann eben doch nicht so lobenswert wie sie es in einer geheimen Wahl wäre, bei der ja auch einmal Gewissensentscheidungen Fraktionsabsprachen zu Fall bringen könnten. Theoretisch. Also, wenn viele Leute werktags dächten, was sie sonntags sagen. Also eigentlich doch nie. Vergessen Sie's.

Die Lüge, dass diese Einschränkung des Asylrechts erst die Aufnahme der übrigen Flüchtlinge ermögliche, ist natürlich auch ein Zugeständnis an diejenigen, die von der Regierung Abschottung erwarten und denen schon das 'wir schaffen das' zu weit ging. In Wahrheit muss dazu eine Infrastruktur geschaffen werden, darüber hinaus öffentlicher Wohnungsbau und am besten ein öffentlicher Beschäftigungssektor, durch Steuern finanziert, die nicht die ärmeren, sondern die reicheren zu zahlen hätten, auf das der geflüchtete arme Schlucker nicht der Feind des deutschen armen Schluckers sei.

p.s. Ebenfalls auf den Seiten des Bundestags findet man Informationen zur Anhörung von Experten über die Einschätzung der Länder des 'Westbalkans' als sichere Herkunftsländer:

Das Vorhaben der Bundesregierungsvorhaben, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina asylrechtlich als sichere Herkunftsländer einzustufen, wird von einer Reihe von Experten unterstützt. Andere Sachverständigen kritisierten dagegen vergangene Woche in einer Anhörung des Innenausschusses das Regierungsvorhaben. Der Runde lag neben dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/1528) auch ein Antrag der Fraktion Die Linke (18/1616) vor, die geplante Einstufung nicht weiter zu verfolgen. Sie ziele vor allem auf Roma-Flüchtlinge ab, denn mehrheitlich seien die Asylsuchenden aus diesen Ländern Roma.

Wie die Regierung in ihrer Vorlage ausführt, ist seit der Aufhebung der Visumpflicht für Mazedonien, Serbien und Bosnien-Herzegowina die Zahl der in Deutschland von Staatsangehörigen dieser Länder gestellten Asylanträge sprunghaft angestiegen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsschutz lägen jedoch nur in wenigen Einzelfällen vor.

Nur durch die angestrebte Regelung, die der Zustimmung des Bundesrates bedarf, kann der Begründung zufolge für Behörden und Gerichte verbindlich festgelegt werden, dass ein von einem Antragsteller aus den drei Staaten gestellter Asylantrag "als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist". Dadurch wird das Asylverfahren laut Regierung erheblich beschleunigt.

Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, betonte in der Anhörung, dass sein Amt seit Mai 2012 "einen rapiden Anstieg" der Zahl der Asylanträge aus dem Westbalkan-Staaten erlebe. Dabei liege die Schutzquote bei lediglich 0,2 bis 0,3 Prozent. Angesichts der "aussichtslosen Fälle" sei sein Amt nicht in der Lage, sich um die Fälle zu kümmern, "die tatsächlich Schutz bedürfen".

Hans-Eckhard Sommer vom bayerischen Innenministerium sagte, der Anstieg der Asylbewerberzahlen aus den drei Westbalkan-Staaten sei "eindeutig" nicht durch verfolgungsrelevante Ereignisse bedingt. Der Konstanzer Professor Daniel Thym konzedierte, dass die Situation der Roma in diesen Ländern verbessert werden müsse. Das Asylrecht sei jedoch "nicht der Ort, um die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Herkunftsstaaten zu lösen".

Die Sachverständige Karin Waringo warf dagegen der Bundesregierung vor, die gesellschaftliche Diskriminierung der Roma werde "einfach ignoriert oder verharmlost". Der Rechtsanwalt Reinhard Marx aus Frankfurt am Main sah "erhebliche Fragezeichen", ob man die drei Westbalkan-Staaten "als sicher listen kann".

Suchen wir uns einfach die Experten, die uns recht geben, und ignorieren die anderen. Einer sagt, 13 ist eine Primzahl, einer ist dagegen. Such ich mir's aus.

Dienstag, 22. September 2015

Mogherini unverbindlich

Federica Mogherini, EU-Außenbeauftragte, sagte Anfang August, als wieder einmal 200 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken waren:
Schon ein einziges verlorenes Leben ist eines zuviel.

Wirklich schön. Das rechte Wort zur rechten Zeit. Und was tut die EU? Nichts, außer eine Militäraktion gegen Schlepper planen. Seitdem sind mindestens 700, vermutlich aber mehr Flüchtlinge ertrunken. Bekämen sie Visen, wäre keiner ertrunken. Was hat Mogherini nur gemeint?

Sie verkauft halt die (grässliche) Außenpolitik der EU, wie Catherine Ashton es vor ihr getan hat. And now she has the deplorably difficult and ungrateful task to sell a policy that entails and accepts the drowning of scores of refugees.

Nein! So geht es nicht weiter. Das hört man nach jeder "menschlichen Tragödie". Und solcherlei "Nein!" sieht viel besser und freundlicher aus als ein zustimmend-gleichgültiges "Ist mir Wurst."

Es handelt sich aber, das ist der Trick!, um NEIN LIGHT, eine unverbindliche Negation, die nichts kostet!

Flüchtlinge und Dialektik

Flucht und Vertreibung, I

"Wir streiten uns nicht über Definitionen und Begriffe." Es wird über Flüchtlinge gestritten, darüber, wer sie aufnimmt, welche Flüchtlinge welche Rechte in Anspruch nehmen können. Ein politischer Flüchtling, der der Anspruch auf Asyl hat, sei einer, der vor politischer Verfolgung geflohen ist, ein Wirtschaftsflüchtling sei einer, der vor Armut geflohen ist.

Die große Armut, unter der die Roma des Westbalkans mehr als der Rest der Bevölkerung leiden, hat als eine Bedingung den allgegenwärtigen Rassismus; dieser wiederum hat politische Bedingungen. Syrer fliehen vor dem Krieg. Sie fürchten für Leib und Leben, gerade auch eine Mittelschicht, der es unter Assad recht gut ging, die aber nichts Gutes oder gar den Tod von den anderen Mächten zu erwarten hat, wenn diese gewinnen. Es treibt sie aber auch, dass es in der ruinierten Wirtschaft keine Perspektiven für sie gibt. Es mag ihnen teilweise immer noch besser gehen als den Roma im Kosovo.

Das Recht braucht Definitionen, gewiss; aber nur wer sich künstlich dumm stellt kann stehen bleiben bei dem Begriff, der sich aus der Definition ergibt. Eine Definition versucht, eine minimale Zahl von Bestimmungsstücken zusammenzubringen. Sie kann deswegen den Beziehungen, die ihr Gegenstand zu anderen Gegenständen hat, nicht Rechnung tragen. Das aber tut die Reflexion.

Eine Definition, die es erleichtert, die Reflexion zu verweigern, ist falsch, ja böse. Der Flüchtling etwa flieht vor etwas, das entstanden ist, im Falle Syriens mit direktem Einfluss der USA, Saudi-Arabiens, der Türkei, Russlands und mit indirektem der vor der USA kuschenden Bundesregierung. (-- IS sind zum Beispiel ein Geschöpf und die Folge des Irakkriegs, in dem die BRD zwar nicht mittat, aber für den sie die USA auch nicht anklagte und ebensowenig die Nutzung der in Deutschland befindlichen Infrastruktur verweigerte. --) Man könnte diese Flüchtlinge mit einigem Recht auch als Vertriebene bezeichnen, auch durch uns Vertriebene. Das Wort ist aber reserviert für die deutschsprachigen Bewohner Polens und Tschechiens, von denen viele so am Nationalsozialismus beteiligt waren, dass sie sich selbst zu Feinden der Polen oder Tschechen gemacht haben, und die sich selbst also auch als zu Recht Bestrafte und nicht nur als zu Unrecht Vertriebene hätten verstehen können. Es ist falsch, sich bei Flüchtlingen nichts weiter zu denken, als dass sie geflohen seien, wie es falsch ist, bei Vertriebenen an nichts weiter als an die Vertreibung zu denken.

Nicht das Ganze in den Blick nehmen zu wollen ist die Bereitschaft zur Lüge. Es geht aber nicht um kosmetische Korrektur von Wörtern. (Nebenbei: Die Flüchtlinge "Geflüchtete" zu nennen ist ein eigentlich recht eitler Vorschlag. "Seht, wie korrekt ich bin." Es ist, wie mit Bibelsprüchen verzierte Blumengebinde aufs Schafott zu legen, "Kreuzroserei". Vorgebracht wird er von ansonsten erfreulich engagierten Personen, die sich leider sehr gerne über andere möglicherweise engagierte Personen erheben.)

Flucht und Vertreibung, II

Ein anderer Begriff ist der des Staatsangehörigen. Wer ein deutscher Staatsangehöriger ist, hat ein Recht, sich in Deutschland und der EU aufzuhalten. Wer hat ein Recht, deutscher Staatsangehöriger zu werden? Die Antwort darauf ist kompliziert, aber auch nach der Novelle des StAG ist eine Abstammungskomponente, die Spätaussiedlern dieses Recht gibt, nicht völlig entfallen. Von 1950 bis 2005 sind nach der alten und der neuen Version des Gesetzes 4.481.882 Personen auf der Grundlage ihrere deutschen Volkszugehörigkeit nach Deutschland gekommen, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Das Bundersvertriebenengesetz definiert die Volkszugehörigkeit:

(1) Deutscher Volkszugehöriger im Sinne dieses Gesetzes ist, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. (2) Wer nach dem 31. Dezember 1923 geboren worden ist, ist deutscher Volkszugehöriger, wenn er von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden. Das Bekenntnis zum deutschen Volkstum muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Aufnahmeantrag, in Fällen des § 27 Absatz 2 im Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich dieses Gesetzes, zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder wegen einer Behinderung im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch nicht besitzen. Ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wird unterstellt, wenn es unterblieben ist, weil es mit Gefahr für Leib und Leben oder schwerwiegenden beruflichen oder wirtschaftlichen Nachteilen verbunden war, jedoch auf Grund der Gesamtumstände der Wille unzweifelhaft ist, der deutschen Volksgruppe und keiner anderen anzugehören.

Durch eine Staatsangehörigkeit hat einer das Recht, sich in einem durch Kriege, Verträge und Bündnisse bestimmten Territorium aufzuhalten. Der in Jugoslawien geborene Rom konnte durch seine Staatsangehörigkeit an die Adria und bis in die Alpen reisen und dort wohnen. Ohne sein Tun wurden die Grenzen verändert. Jetzt kann er beispielsweise nicht ohne weiteres aus Serbien heraus. Der Zerfall Jugoslawiens war teilweise auch eine Zerschlagung. Die u. a. über Genscher vermittelte Komplizenschaft Deutschlands mit dem kroatischen Separatismus, die daran eine Anteil hatte, ist bekannt. Die Lebensverhältniss des Rom haben sich durch diese politische Veränderung drastisch verschlechtert, sein Lebensraum wurde verengt. Es ist ihm als Zwang widerfahren und er hat weniger dazu getan als Angehörige der syrischen Mittelschicht zum Bürgerkrieg beigetragen haben.

Auch der in Kasachstan geborene Volksdeutsche hat gewissermaßen Glück gegenüber dem in Serbien geborenen Rom. Der Rom wird sicher verstehen, dass er nicht willkommen ist, weil er erstens kein Volksdeutscher, zweitens schlecht ausgebildet und drittens am Verhungern ist.

Wirtschaft und Humanität

An das Wort Wirschaftsflüchtling klammert sich die deutsche politische Führung, weil es eine Abschiebung mit humanem Anschein ermöglicht. Wir sind human gegen die syrischen Flüchtlinge und gerecht gegen die aus dem Westbalkan. Alle beschwören, dass Deutschland human sei. Gauck lobt das "helle Deutschland" gegen das "Dunkeldeutschland". GEmeint waren freiwillige Helfer auf der einen und Neonazis auf der anderen Seite. "Deutschland" wird hier metonymisch für zwei kleine Gruppen verwendet. Ohne Rhetorik wäre mit Deutschland zumeist der deutsche Staat gemeint. Und der hat, als jährlich mindestens 2000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertranken, keine Anstalten gemacht, Visen in den Botschaften auszustellen, die ihnen eine menschenwürdige und ungefährliche Anreise ermöglicht hätten. Stattdessen werden die, die den Verzweifelten den einzigen Ausweg ermöglichten, zum Buhmann, die "Schlepper".

Jetzt, wo zehnmal so viele ertrinken mögen, wird über die Möglichkeit solcher Visen immerhin gesprochen, noch aber nichts getan. An den Einzelfällen hat sich nichts geändert. Das Inkaufnehmen des großen Fütterns war Dunkeldeutschland und und Dunkeleuropa par excellence; tödlicher als alle Neonazis zusammen. Direkt verantwortlich auch unserer Regierung; davon aber schweigt der Bundespfaff.

Ändert sich jetzt etwas, so kann Humanität nicht der Grund sein, da ja nichts außer der Zahl sich geändert hat. Schlechte Presse gab es in letzter Zeit, die den Schein der eigenen Humanität bedrohte. Wie bei Gauck geht es bei den Reden der Regierungsmitglieder oft um Behauptungen über "Deutschland", die bei jährlich 100000 Flüchtlingen aufrechtzuerhalten waren, ohne an der üblichen Flüchtlingsbürokratie etwas zu ändern; die aber jetzt bei gesteigerter Aufmerksamkeit bröckeln, da jetzt erst viele bemerken wie inhuman das immer gleiche und stets als human Dargestellte ist.

Die Syrer also nehmen wir "unbürokratisch" auf -- die Flüchtlinge vom Westbalkan sollen "schnelle Verfahren" bekommen und schnell abgeschoben werden. Gerne wird gesagt, dass Deutschland die gut ausgebildeten syrischen Flüchtlinge zur Besetzung freier Stellen gebrauchen könne. Nicht ausdrücklich gesagt wird, dass Deutschland die "schlecht ausgebildeten Zigeuner" vom Westbalkan nicht gebrauchen könne. Bei der Frage welche politischen Flüchtlinge aufzunehmen seien, ist viel von Wirtschaft die Rede. Bei uns sind selbstverständlich die wirtschaftliche Nützlichkeit und die politische Akzeptanz von Flüchtlingen eng verknüpft.

Die Flüchtlinge aber kommen sauber getrennt nach Gründen, wirtschaftlichen oder politischen. Die Grünen dürfen rein, die Roten müssen gehen. Viele von denen, die "selbstverständlich kein Asyl bekommen", dürfen gleichwohl, wenn sich ein Anwalt dahinterklemmt, nicht abgeschoben werden, weil sich nämlich begründen lässt, dass die solchermaßen Unverfolgten bei Rückkehr doch für Leib und und Leben fürchten müssen. Nun werden die wenigsten gute Anwälte haben, so dass das Gros -- hui! -- ins "sichere Herkunftsland" zurückgeschickt wird, um dort zumeist zu vegetieren.

Großzügigkeit und Kleinlichkeit: Über Rassismus, Asylrecht und Wirtschaftsegoismus

Seit kurzem erst gibt es in Berlin, das ja aufs vorbildliche Holocausterinnern so stolz ist, ein Denkmal für die von den Nazis aus rassistischen Gründen ermordeten Sinti und Roma. Die Bild-Zeitung hat im vergangenen Jahrzehnt gerne und viel über "Bettel-Roma" etc. berichtet; ältere Polizisten durften bis ca. 1980 an deutschen Poizeischulen etwas von "Kriminalbiologie" lernen, einer von den Nazis gehegten Disziplin, derzufolge "Zigeuner und Juden besonders zu Kriminalität neigen". Selbstverständlich wurde 1949ff nur der Teil gelehrt, der sich auf die "Zigeuner" bezog.

Wenn wir sie heute am liebsten alle abschieben, so nicht aus rassistischen, sondern nur aus formalen Gründen, sicher. Sicher? Wir sind ja offenbar keine Rassisten, siehe: Syrer! Uns sind die Syrer immer noch lieber als die "Zigeuner". Auch bei den Syrern gibt es übrigens viele Kassandrarufe (Moslems! Islamisten gar!). Bertold Kohler (FAZ) und Henryk Broder (Welt) warnen davor und vor den "Gutmenschen", die das nicht sehen wollen. Viele Leser der besagten Journaille scheinen's zu goutieren. Bei dem einen wie dem anderen erscheint die Aufnahme von Flüchtlingen, die ein verfassungsmäßiges Recht in Anspruch nehmen, nicht als eine diesem Recht entsprechende Pflicht, sondern als Großzügigkeit.

Das Asylrecht wird also zunehmend als Sphäre des politischen und wirtschaftlichen Handelns beschrieben. Es finden sich jederzeit Mehrheiten es weiter (nach 1993) zu kastrieren, damals geschah das zur größten Schande der auch ansonsten mit nicht wenig Schande befleckten SPD mit deren Stimmen. Und es werden sich immer wieder Sonntagsredner à la Gauck finden, die betonen, wie wichtig doch unser "großzügiges Asylrecht" sei.

Dabei ist sein Geburtsfehler offenbar gerade die Kleinlichkeit, die Flüchtlinge, die mit Nichts vor der Tür stehen, nach Gründen sortieren zu wollen. Es genügt nicht, vor der Not zu fliehen. Wir behalten uns die definitorische Hoheit vor, zu entscheiden, welche Not politischer Verfolgung entspringt. In der Antike, im Mittelalter war der Fremdling am neuen Ort zunächst zwar rechtlos, hatter aber meistens eine Chance, zu bleiben und Rechte zu erwerben. Der Fremdling musste keine Formulare zur Deklaration seiner Gründe ausfüllen. Heute sind die Rechte der legalisierten Fremden klarer und reichen weiter. Zugleich aber sind Hürden errichtet worden, die erlauben, rechtens diese Rechte zu verweigern und den Fremdling, der ja schon da ist, nicht aufzunehmen.

Er ist aber schon da, und es ist häufig nicht möglich, ihn abzuschieben, weil sein Herkunftsland etwa nicht bekannt ist oder aus --ja!-- humanitären Gründen, die doch für eine Aufnahme nicht ausreichen. Das nun produziert in Europa Hunderttausende, vielleicht auch Millionen Illegaler, die keine Arbeitserlaubnis haben und daher jede Arbeit zu jeglichen Bedingungen annehmen. Wer pflückt in Spanien die Tomaten? Marokkaner. Wer auf Kreta? Pakistanis. Sie müssen ihren Ausbeutern dankbar sein, weil sie sont nicht leben könnten. Sie müssen ihren Schleppern dankbar sein, weil sie sonst nicht gekommen wären. Unsere Politik macht mal die Schlepper, mal die illegalen Arbeitgeber zu Buhmännern, erzwingt aber die Existenz von beiden.

Die Klandestinen sind in Teilen Europas inzwischen unverzichtbare Arbeitskräfte, weil sie klandestin sind. Die Regierungen, die ja nicht der Wirtschaft schaden wollen, werden sich hüten, den Zwischenzustand abzuschaffen. Es ist optimal, bei Wirtschaftszweigen, die ihre Produktion nicht in Länder mit niedrigen Lohnkosten verlagern können, ein inneres Ausland zu haben: wirtschafltich drinnen, politisch draußen.

Die Schlepper sind die Bösen! Wir sind die Guten!

Und die Schlepper? Seetüchtige Schiffe mit Flüchtlingen werden, wenn sie von den Küstenwachen oder Frontex erwischt werden, zur Umkehr gezwungen. Es ist also nicht der "Zynismus der Schlepper", sondern die Logik unserer Abwehr, die nur sinkende Schiffe rettet, die die Flüchtlinge auf sinkende Schiffe verweist. Die Flüchtlinge beschädigen die Boote, wenn sie Rettungskräfte in der Nähe glauben: es ist ihre einzige Chance; viele aber enden bei den Fischen.

Sie sollen nicht herkommen. Und wenn sie da sind, sollen sie gemäß Dublin oder gemäß Quote verteilt werden. Merkel hat es verstanden, als Trägerin einer "menschlichen" Botschaft darzustehen, während de Maizière an einer Verschärfung der Gesetze arbeitet, die die Abschiebung und Abschreckung erleichtert. Beides gehört schon immer zusammen, nur ist es diesmal auf good cop - bad cop - Rollen verteilt.

Mentre il lavoro sporco lo lascia fare al ministro degli interni la canceliera Angela Merkel continuare a coltivare l'immagine de la Germania più accogliente. (J. Rosatelli, Il manifesto, 18.9.2015

Jeder im Ausland, der genau hinhört, bemerkt das natürlich. Aber es ist die peinliche Zusammenarbeit von Bild und ZDF, die ausgerechnet in Deutschland das Bild unserer eigenen Güte aufrechterhält. Währenddessen nörgeln FAZ und Welt, darin immerhin ehrlicher, wenn auch noch unsympathischer. Dort gibt es den lauten Ton (Kohler, Broder) und den leiseren, z.B. Reinhard Müller in der FAZ von gestern (21.9.): "Ohne Grenzen keine Würde".

Doch auch dem Staat [...] sind Grenzen gesetzt. Nicht nur Landesgrenzen [...]. Das Land hat auch Kapazitätsgrenzen -- Obergrenzen. [...]
Auch nach Ansicht der Staatengemeinschaft ist es [das Asylrecht] kein unabdingbares Menschenrecht. [...]
DAs Bundesverfassungsgericht hielt diesen Asylkompromiss [von 1993] für Grundgesetzkonform mit einer Begründung, die heute ganz vergessen wird: Das Grundrecht auf Asyl könnte durch Verfassungsänderung auch ganz abgeschafft werden. [...]
Aber schon die Durchsetzung des geltenden Asylrechts heißt: wer auf dem Landweg Deutschland erreicht, muss gar nicht erst ins Land gelassen werden. Denn er ist schon in Sicherheit. [...]
Die fehlende Obergrenze wäre auch gar kein Problem, wenn das Asylgrundrecht angewendet würde, wie die Volksvertretung das beschlossen hat.[...]
Was folgt aus alledem? Schon wird in der Bundesregierung gefordert, unsere Standards -- auch der Menschenwürde -- zu senken. Klar: Der Kuchen wird kleiner. [...]
Die Entscheidung darüber, wen wir aufnehmen wollen -- und wir sollten viele aufnehmen, die sich und uns bereichern können -- wird durch die jetzige Lage aber unmöglich gemacht. Deutschland nimmt sich und vielen Menschen damit Chancen und Würde.

Anders als die Krawallschachtel Bertold Kohler, die sogar den bürgerlichen Lesern der FAZ überwiegend peinlich sein dürfte, trifft Müller den hohen Ton und sagt -- in gedecktem Tweed -- dasselbe:

  • Wir müssen sie nicht nehmen.
  • Wir können uns aussuchen, wen wir nehmen.
  • Wir können nicht alle nehmen.
  • Wir können und sollten viele? die meisten? zurückschicken in ihr Dublin-Ankunftsland oder ihr Herkunftsland.
Nichts ist so explizit wie bei Kohler, Broder, aber wer liest etwas anderes als das, dass wir die gut Ausgebildeten gebrauchen können, weil sie "sich und uns bereichern" und nicht das von Broder beschworene künftige Subproletariat?

Feiner Mob, schlechtes Rechnen und doch wieder Rassismus

"Wir sollten viele aufnehmen, die sich und uns bereichern können." So einen Satz würde der brandschatzende Mob nie sagen; folglich ist Müller ein ehrenwerter Mann. Der doch damit die Ideologie für weitergehende Abschottung und Abschiebung allerfreundlichst liefert, die zu Gesetzen wird und sich auf der untersten Ebene treulich im Mob spiegelt.

Für die Akten: Es gibt auch Mob im Tweed.

Der Kuchen wird kleiner, sagt Müller. Wenn wir in diesem Jahr 800000 Menschen aufnähmen (1 Prozent der Bevölkerung) und gleichzeitig die Wirtschaft um 1 Prozent wächst, wie verändert sich dann der Kuchen-pro-Kopf? Richtig, er verändert sich nicht, wenn eine gerechte Verteilung erreicht wird. Tatsächlich aber ist die Aufnahme von 800000 Menschen in einem System kapitalistischer Bereicherung, das zahlreiche mehr oder minder arme Schlucker hervorbringt, durchaus mit Lasten verbunden, vermutlich fast ausschließlich für die Ärmeren. Wenn ein kapitalistischer Staat, der sich immerhin noch als Sozialstaat versteht, es nicht schafft, einen Zuwachs von einem Prozent der Bevölkerung zu tragen, dann erklärt er sich doch für unfähig und gescheitert. Die meisten Flüchtlinge aus dem Irak, Syrien, Afghanistan sind in ihre Nachbarländer geflohen. Würden die zehn reichsten Staaten der EU im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung genau so viele Flüchtlinge aufnehmen, so wären es über 40 Millionen. (Ich habe mir die Quelle, einen Artikel in 'il manifesto' von letzter Woche, leider nicht notiert.) Die Unfähigkeit ist nur ein Vorwand: Es handelt sich um Unwillen. Es wurden viereinhalb Millionen 'volksdeutsche Spätaussiedler' und viele Millionen 'Vertriebene' bewältigt, die letzteren zumindest in für Deutschland schwierigeren Zeiten. Ohne eine zumindest teilweise rassistische Wahrnehmung lässt sich das ganze Geschrei nicht verstehen.

Der Wille der anderen

Eine Quote, gerechte Verteilung der Lasten! Flüchtlinge, also Lasten, werden verteilt werden, nach einem Schlüssel, zur Not auch in ein beinahe faschistisches Land wie Ungarn oder in ein wirtschaftlich darnierderliegendes Land wie Griechenland. Schwierig ist die Frage ohnehin, was eine gerechte Verteilung ist. Ginge es nach dem Außenhandelsüberschuss, müsste Deutschland, dessen gewaltiger Außenhandelüberschuss etwa auf Kosten der Wirtschaften Südeuropas geht, sie so ziemlich alle nehmen.

Kann man denn Flüchtlinge, die in ein Land wollen, etwa nach Deutschland oder auch nach Belgien, nehmen und verteilen ? Der Wille der Flüchtlinge scheint, sobald sie sich in die Hand unserer kleinlichen Großzügigkeit begeben haben, keine Rolle mehr spielen. Die Flüchtlinge fliehen aber nicht nur vor etwas, sondern wollen auch in ein neues Leben hinein. Und deshalb streben sie bestimmte Länder an und andere nicht.

Das Gespenst der "nicht integrierten Fremden" wird oft beschworen. Die, die kommen, wollen ein Leben. Wenn man es ihnen von Beginn an schwer macht, sie herumschubst und gleich Paketen verschickt, will es mir möglich erscheinen, dass die eine oder der andere nicht in Dankbarkeit vor dem 'Gastland' zerfließt, sondern sich in ein Ressentiment einschließt. Menschen so zu behandeln, wie wir behandelt zu werden wünschen, wäre ein besserer Anfang.

Wer zahlt?

Wir, "der Steuerzahler", und das ist, wie schon gesagt, kein Problem.
Wir, die Mitverursacher der Flucht.
Wir, die charakterlosen Verbündeten der Hauptverursacher der Flucht. Es wäre aber auch begründbar, eine größere Rechnung an die USA zu schicken, dessen Kriege ja dieselben Broder und Kohler beklatscht haben, die jetzt vor den zumeist durch diese Kriege bewirkten Flüchtlingen Angst machen. Wäre es nach Kohlers markigen Kampfansagen gegen Russland gegangen, hätten wir jetzt vielleicht noch ein paar Kriege und ein paar Millionen Flüchtlinge mehr.

Die unheilvollen Konsequenzen der allesamt verfehlten Kriege (Afghanistan, Irak, Libyen) werden wir noch eine Weile tragen. Waren die USA und ihre Verbündeten bereit, unzählige Milliarden in den Kriegen zu versenken, soll bitte jetzt niemand wimmern, wenn die Folgen auch etwas kosten. Was nun Kohler et al. betrifft, die sollte wirklich niemand mehr lesen.

Freitag, 26. Juni 2015

Die Institutionen als Schulhofschläger

Wer erinnert sich nicht an diejenigen, die über eine Ecke des Schulhofs herrschten und zur Aufrechterhaltung ihrer Autorität von Zeit zu Zeit jemanden verprügeln mussten. Die Institutionen, d.h. die Regierungen Deutschlands und Frankreichs, der IWF und die Europäische Zentralbank haben in ihren Verhandlungen mit der griechischen Regierung nie einen Kompromiss gewollt, sondern immer ihre Forderungen (Privatisierungen, Senkung der Staatsausgaben, Erhöhung des Rentenalters, Erhöhung der Mehrwertsteuer) wiederholt und auf jeden Kompromissvorschlag seitens Griechenland gesagt, es "sei nicht genug." Die Löhne, die seit Beginn der 'Krise' in Griechenland um 40 Prozent und damit häufig auf oder unter das Niveau vor Beginn des Euro-Booms gesunken sind, könnten ein Argument dafür sein, gerade die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen, sondern beispielsweise Unternehmenssteuer und Vermögenssteuer. Im letzten Angebot Griechenlands steht eine Erhöhung der Unternehmenssteuer, die aber von "den Institutionen" rot angestrichen wurde, weil Sie die Konjunktur behindere. Die Erhöhung des Renteneintrittsalters in einem Land mit so hoher Arbeitslosigkeit heißt wiederum nur eine massive Senkung der Renten. Es stellt sich die Frage: Was verstehen "die Institutionen" von Konjunktur? Darauf lässt sich eine präzise Antwort geben. In einem ansonsten neutral gehaltenen Artikel in der FAZ wurde auf eine Stellungnahme des Nobelpreisträgers Paul Krugman verwiesen. Das sei ausdrücklich honoriert, da die FAZ ansonsten ja "auf Kurs" ist. Krugman beginnt seinen Beitrag mit der folgenden Graphik:
Demnach versteht zumindest der IWF nicht viel von Konjunktur. Und Schäuble, der nicht müde wird, die Erfolge des Austeritätsprogramms in Griechenland, aber auch in Portugal und Spanien zu loben, auch nicht. Viel zu häufig wird vergessen, dass Schäuble ein Parteisoldat ist, der als Generalsekretär, als Innenminister und als Finanzminister gedient hat. Er ist vermutlich fleißig, aber alles andere als ein Gelehrter und alles andere als fähig, sich von einmal aufgestellten Dogmen zu lösen. Dennoch schaffen es die deutschen Medien, ihn gut und Varoufakis schlecht aussehen zu lassen. Nun ja, vielleicht wartet ja die jenseitige Hölle auf sie. Im Diesseits packen die qualifizierten Griechen seit geraumer Zeit ihre Sachen und emigrieren, die dagebliebenen haben Syriza gewählt, um den Leiden ein Ende zu machen. Tsipras und Varoufakis haben immer wieder erklärt, dass ein solcher demokratischer Beschluss ein Gewicht hat, das nicht einfach durch Schuldendienst ausgehebelt werden kann, wollte man sich nicht offen gegen das Demokratieprinzip stellen. Das will man aber offenbar. Krugman schließt so:
Talk to IMF people and they will go on about the impossibility of dealing with Syriza, their annoyance at the grandstanding, and so on. But we’re not in high school here. And right now it’s the creditors, much more than the Greeks, who keep moving the goalposts. So what is happening? Is the goal to break Syriza? Is it to force Greece into a presumably disastrous default, to encourage the others? At this point it’s time to stop talking about “Graccident”; if Grexit happens it will be because the creditors, or at least the IMF, wanted it to happen.
Die Instititutionen und mittendrin die deutsche Regierung wollen offenbar Syriza fertigmachen. Die Schulhofschläger müssten sonst fürchten, dass auch Portugal und Spanien die Autorität ihrer Schulhofseckenherrschaft brechen. So sieht weder europäische Solidarität noch Demokratie aus. Es ist eine Schande, die auf ewig an den Merkel, Schäuble, Hollande, Lagarde, Dijsselbloem hängen sollte. Un jour nous allons crâcher sur vos tombes. Und dass Griechenland unbezahlte Kriegsschulden bei Griechenland hat, wovor sich auch oberste Moralisten wie Gauck schön drücken, machte die Schande für den deutschen Part noch größer. Vermutlich werden die meisten der besagten Personen hochbetagt und hochgeehrt sterben; vielleicht aber auch werden irgendwann, wenn die Politik nicht länger den Interessen des Investmentkapitals dienen wird, Studien allgemeine Verbreitung finden, die klar zeigen, wie lange die herrschten und Staaten entmündigten im Namen des Wachstums, die nicht einmal eine einigermaßen verlässliche Wachstumsprognose für drei Jahre abgeben konnten; Schufte und Scharlatane, von Toren immer wieder gewählt.

Montag, 9. März 2015

Sankt Boris - der mortuis vivisque nil nisi veritatem

Auf den Seiten der "Propagandaschau" wurde analysiert, was sich gestern bei Günther Jauch abgespielt hat. Ich habe mir das Ganze - auf Rücksicht auf mein Herz und meine Verdauung - nicht angesehen, habe dann aber das Presseecho auf die Sendung überflogen.   Lauter Vorverurteilungen, "der Putin hat den Nemzow auf dem Gewissen", egal wer letzteren aus welchen Gründen umgebracht hat. Wer's anders sieht (Platzeck), wird ad hominem abgewatscht. 

Nun ist bei Debatten über rechtliche, politische, wirtschaftliche Fragen eigentlich von ad hominem-Argumenten abzusehen. Ob die Erhöhung des Diskontsatzes die Exporte stärkt oder schwächt, hängt nun einmal nicht vom Charakter der obersten Bankiers ab. Und ebensowenig kann eine Putin-Dämonologie darüber Aufschluss geben, wer Nemzow ermordet hat.  

Dass in der postsowjetischen Gesellschaft zu viel Gewalt, zu viel Korruption, zu viel Rechtsbeugung zu beobachten ist, bezweifle ich nicht. Nur waren an dieser Verlotterung Jelzin und sein damaliger Famulus Nemzow mehr als Putin beteiligt.  Nemzow hat sich im selben Oligarchen-Sumpf bewegt wie die übrigen. Ultraliberale Wirschaftsansichten machen ihn nicht zum Demokraten. Die von ihm mitgegründete Partei 'Union rechter Kräfte' (aus der er kurz vor deren Auflösung 2008 ausgetreten ist) erreichte bei der Wahl zur Staatsduma 2007 weniger als 1 Prozent. (So sähe demnach der (Jauch) 'bedeutendste Oppositionelle' aus.  Nun hat in der BRD etwa die MLPD einen größeren Stimmenanteil, aber zugegebenermaßen  hatte Nemzow vor über zehn Jahren viel Zuspruch, der sich durch die Misere Russlands, an der er und die seinigen mitschuldig waren, verlor.)  Die 'Union rechter Kräfte' wurde unter anderem von Khodorkovsky finanziert, der nun eine  weitere Gallionsfigur dessen ist, was viele westliche Medien als 'die Opposition' beschreiben, der aber doch ganz offensichtlich einer der Diebe waren, die es in wenigen Jahren zum Multimilliardär brachten und die damit die Oligarchie an Stelle einer doch möglichen Demokratie setzten.   So weit spricht nichts für Sankt Boris, aber auch nichts für eine Verteufelung.  Im Grau-in-grau der russischen Wirklichkeit ließe sich aufdröseln, was an den einzelnen Gestalten Gutes oder Schlechtes ist bzw. war; wenn man es denn wollte.

Ad hominem-Attacken gehen aber gerne so:

Fünf Tatverdächtige im Fall Nemzow wurden jetzt verhaftet, einer davon beruft sich mantramäßig auf den Propheten. Schnell ist der russische Journalist Kondratiev bei der These, dass Nemzows Äußerungen zu den „Charlie Hebdo“-Hinrichtungen ihn in Lebensgefahr brachten. Allah ist groß, der böse Moslem schnell da. Vergiss Putin und seinen mächtigen Oberkörper – das meinte er wohl.
 (Focus, 9.3.2015)

Fein! Da hat man gleichzeitig den Kondratiev abgewatscht und nochmal auf das 'Putin-der-Macho'-Bild angespielt. Nun muss sich Putin, wenn er sich mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd ablichten lässt, gefallen lassen, dass man daran erinnert.  Ebenso darf man aber daran erinnern, dass Nemzow in seiner Autobiographie "Beichte eines Rebellen" sich ebenfalls als Macho, nur anders portraitiert, wenn er von einem Abspeck-Aufenthalt in einer süddeutschen Klinik berichtet, den er mit einem Freund unternahm.


Мы приехали в клинику с одним известным бизнесменом и двумя девушками.Первый вопрос немецкого доктора:– Цель поездки?– Мы будем худеть, – ответил я.– Похвально, – сказал он. – А зачем девушек взяли? Я сначала не понял глубины вопроса и говорю:– Так ведь скучно одним-то.– Это грубая ошибка, – сказал доктор. – Девушки тоже хотят худеть?На что девушки хором закричали:– Нет, что вы, у нас все нормально.
Wir kamen mit einem wichtigen Geschäftsmann und zwei Mädchen in die Klinik. Die erste Frage des deutschen Arztes: "Was ist der Zweck Ihres Aufenthalts?" "Wir werden abnehmen", antwortete ich. "Das lobe ich", sagte er, "Aber warum habt ihr die Mädchen mitgebracht?" Anfangs habe ich die tiefere Bedeutung der Frage nicht verstanden und sagte: "Falls jemandem langweilig wird. " "Das ist ein großer Fehler", sagte der Doktor. "Wollen die Mädchen auch abspecken?". Worauf die Mädchen laut aufschrieen "Nein, nur ihr, bei uns ist alles normal." (Übersetzung von mir und möglicherweise schlecht; Korrekturen willkommen.)

Die Mädchen seien so 'sadistisch' gewesen, fein essen zu gehen, während er und der Freund ja Diät machen mussten. Nach ein paar Tagen hatten sie gar keine Lust mehr auf die Mädchen.
По ведение людей определяют два базовых инстинкта: инстинкт самосохранения, который упреждает людей от движения по встречной полосе и прыгания с десятого этажа, и инстинкт продолжения рода. Мне когда-то казалось, что инстинкт продолжения рода сильнее, чем инстинкт самосохранения. Это ошибка. В немецкой клинике нам доказал и, что отсутствие еды приводит к тому, что второй инстинкт исчезает. Кстати, милы й доктор рассказывал, что когда голодают женщины, то у них возникают прямо проти воположные ощущения. Голодные женщины очень хотят секса.
Das menschliche Verhalten wird von zwei Grundtrieben gesteuert: dem Selbsterhaltungstrieb, der die Leute davon abhält, auf der falschen Seite zu fahren oder aus dem zehnten Stock zu springen, und dem Fortpflanzungstrieb. Ich war einmal der Meinung, der Fortpflanzungstrieb sei stärker als der Selbsterhaltungstrieb. Das ist falsch. In der deutschen Klinik haben sie uns vorgeführt, dass Nahrungsmangel den zweiten Trieb zum verschwinden bringt. Übrigens erzählte uns der liebe Herr Doktor, dass den Frauen, die hungern, das Umgekehrte wiederfährt. Hungrige Frauen wollen dringend Sex. (Übersetzung von mir, s.o.)
Das ist jetzt nicht furchtbar schlimm. Und je nach persönlichen Abneigungen und Vorlieben mögen die Leserin oder der Leser den mit entblöster Brust reitenden Putin oder die Reflexion über die Potenz ekliger finden.

Beides würde nicht in eine vernünftige Debatte gehören: Weder die klebrigen Anekdötchen, noch das Reiten zu Pferde. Wenn aber das eine, en passant, vom Focus und vielen anderen immer wieder erwähnt wird, dann sei immerhin das andere auch erwähnt.

Ansonsten kümmert Konsistenz den Focus einen Dreck: Den "bösen Moslem" hat er ja bei anderen Gelegenheiten gerne bemüht.

In der Jelzin-Ära, an deren Gestaltung Nemzow mitwirkte, sind Millionen von russischen Rentnern an Unterversorgung (mit Nahrung, mit Medizin) vorzeitig gestorben. Das -- und nicht nur die böse böse Propaganda des reitenden Putin -- könnte ein Grund dafür sein, warum Nemzows Partei im Vergleich zu Putins Partei lächerlich wenig Stimmen bekam. Nemzow versprach ja bürgerliche Freiheiten nur im Bündel mit Wirtschaftliberalismus, der als Doktrin zur Transformation kommunistischer Staatswirtschaften nur für den taugt, den die, die dabei untergehen, nicht stören.

Wer Nemzow umgebracht hat, weiß ich nicht; und Jauch weiß es nicht; und Kasparov weiß es ebensowenig (begnadetes Schachspiel befähigt keineswegs zur Hellseherei). Wenn die russische Justiz ermittelt, scheint mir das immer noch sachnäher als Ferndiagnosen von Jauch und Co. Dass die russische Justiz ihrerseits etwas vertuscht, ist natürlich auch möglich. Und zwar nicht nur, weil "Putin" intervenieren, sondern weil auch irgendwer sonst sie bestechen könnte. Das nimmt in einem Land, in dem der (nicht korrupte) Beamte ein vergleichsweise armer Schlucker ist, und in dem es einige Hundert Multimillionäre und -milliardäre gibt, nicht wunder. Wer nun wirklich an Rechtsstaatlichkeit in Russland interessiert wäre, müsste die Oligarchen loswerden. Als Khodorkovsky verurteilt wurde, wurde die Frage, ob er das verdient haben könnte, kaum gestellt. Auch der wurde heilig gesprochen, gegen alle Informationen. Besser wäre es doch gewesen, Putin dafür zu kritisieren, dass er die anderen Oligarchen, mit denen er sich verbündet hat, laufen lässt.

Wer mit Oligarchen gegen die russische Regierung ist, der mag seine Gründe haben. "Förderung der Demokratie" gehört nicht dazu. Gegen die russische Regierung und gegen die Oligarchie zu sein, wäre zumindest eine Nummer schlüssiger. Da aber diese Schlüssigkeit sich nirgends findet, bleibt dann doch der Verdacht, dass hinter der ganzen Fassade aus 'Freemanmoxy' (Bell) und Moralappellen doch nur ein ganz schnöder Interessenkonflikt liegt.

Freitag, 20. Februar 2015

Die Totengräber der EU

[Nachtrag vom 21. 2.: Der unten stehende Artikel war zu pessimistisch, da er die Verhandlungen zwischen der 'Eurogroup' und Griechenland schon scheitern sah. Eben aber habe ich erfahren, dass sich Griechenland und die EU  in letzter Sekunde doch noch auf eine 4-monatige Verlängerung geeinigt haben (unter Bedingungen, die  ich mir noch nicht angesehen habe.) Ich ändere trotz der falschen Prämisse nichts am nachstehenden Artikel, da ich die darin gemachten unerfreulichen Beobachtungen weiterhin für richtig halte, leider.  Sollte mich die Zukunft widerlegen, köpfe ich eine Flasche Champagner.]

Harmlos wirken heißt nicht harmlos sein. Einer der Totengräber der EU ist Schäuble. Griechenland hat eine neue Regierung gewählt; selbst wer vorgibt, die dahinter stehenden Gründe nicht zu verstehen, müsste so viel zugeben. Ansonsten ist es nicht so furchtbar kompliziert, zu verstehen, dass die von der Troika verordnete 'Rosskur' nicht der einzig mögliche Weg ist. Unsere Regierung wäre längst mit Schanden verjagt, wenn sie Deutschland zumuten würde, worüber sich die Griechen nicht beschweren sollen. Zwar haben die deutschen Duckmäuser Hartz IV, zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit und einen allmählichen Übergang zur 'Zweiklassenmedizin' mit wenig Murren hingenommen und betrachten einen spät eingeführten, niedrig angesetzten und von Ausnahmen durchlöcherten Mindestlohn schon als große Errungenschaft. So weit aber, das Gesundheitssystem für hoi polloi zusammenbrechen zu lassen, würde man hier einstweilen nicht gehen. In Griechenland wurde genau das verlangt; es war kein Ergebnis irgendwelcher Misswirtschaft sondern eine direkte Folge der Umsetzung aller Kürzungsmaßnahmen, die die Troika verlangt hat. Aber stellen wir uns ruhig jemanden vor, der zu bigott wäre, das zuzugeben; es bliebe doch eine demokratisch gewählte Regierung mit einem Auftrag.

Die Stellungnahmen Varoufakis' gegenüber der 'Eurogroup' liegen als TRANSSKRIPT vor. Es finden sich Argumente, Statistiken, Vorschläge für einen anderen Schuldendienst, andere Modalitäten. Diese Vorträge sind darauf ausgelegt, den Boden für einen Kompromiss zu bereiten. In dem Transskript findet sich auch eine Stellungnahme, in der dargelegt wird, dass ein den Griechen angetragenes Kompromissangebot des Franzosen Moscovici kurz vor der anberaumten Unterzeichnung durch ein anderes Dokument ersetzt wurde, das bloß die Forderungen der Troika mit leicht aufgeweichter Wortwahl wiederholte. So geht man nicht mit Leuten um, die man respektiert, nicht wahr? Griechenland soll sich beugen, uns, Schäuble; die griechische Wahlentscheidung, die schon vor der Wahl nicht akzeptiert wurde, spielt keine Rolle. In der Pressekonferenz, die sich an das Eurogroup-Treffen vom 16. Februar 2015 anschloss, gab es noch weitere bemerkenswerte Stellungnahmen Varofakis', darunter diese [meine eigene Transskription]:
Let me simply say that in the history of European Union nothing good has ever come out of ultimatum. We proceed, as [?] had said, from crisis to crisis, and this is how we improve it. If have no doubt that in the next few days any notion of an ultimatum is going to be withdrawn and in a spirit of collegiality there will be... -- After all, what are we referring to? We are asking for a phrase that allows both sides an honourable means by which to commence the exploration of common ground. Our government respects that there is a current programme and that we have a commitment to it, as the Greek state like every state has a continuity. This is an important principle and we fully subscribe to it. And at the same time there is another important principle, and that is that democracy changes the facts on the ground. And we are in a government that has a critique of the current programme. Now what is democracy? Democracy is all about blending seemingly contradictory principles. This is the whole point of our democracy. Europe is a democracy, a splendid democracy, it's a big [?] for the rest of humanity. To proceed on the basis of ultimatum and to prioritise one principle against the other, and the especially when the other principle is a principle that democracy can change, a contract between partners and this government, that would be, I think, quite a negative repercussion for the whole of the European project.
Und da ich diese Passage, die man sich auf Youtube anhören kann, nirgends als Transskript gefunden habe, hier noch eine deutsche Version (ohne Gewähr):
Lassen Sie es mich einfach so sagen: In der Geschichte der Europäischen Union hat ein Ultimatum nie etwas Gutes bewirkt. Wir schreiten, wie [?] gesagt hat, von Krise zu Krise, und auf diese Weise verbessern wir es. Ich zweifle nicht, dass wir jede Idee eines Ultimatums in den nächsten Tagen vom Tisch kommt und es in kollegialem Geist zu... -- Worum geht es eigentlich? Wir bitten um einen Satz, der beiden Seiten einen ehrenhaften Weg zum Beginn der Suche nach Gemeinsamkeiten ermöglicht. Unsere Regierung anerkennt, dass es ein laufendes Programm gibt und das wir in diesem Verpflichtungen haben, da der griechische Staat wie jeder andere Staat in einer Kontinuität steht. Das ist ein wichtiges Prinzip, dem wir voll zustimmen. Gleichzeitig gibt es ein anderes Prinzip, nämlich, dass Demokratie die Sachlage ändert. Wir sind in einer Regierung die das laufende Programm kritisiert. Was ist nun Demokratie? Es geht darum, scheinbar widersprüchliche Prinzipien zu vereinen. Darum geht es in unserer Demokratie. Europa ist ein Demokratie, eine prachvolle Demokratie, sie ist ein großes [?] für den Rest der Menschheit. Auf der Grundlage eine Ultimatums weiterzumachen und das eine Prinzip über das andere zu stellen, besonders wenn das andere, an den Rand gedrängte Prinzip durch Demokratie verändert werden kann, ein Vertrag zwischen Partnern und dieser Regierung, das wäre, wie ich denke, ein ziemlicher Rückschlag für das europäische Projekt.
Tja so ist's. Und der (Zwangs-)Optimismus dieser Worte scheint durch die Engstirnigkeit Schäubles, der sicher nicht ohne Rückendeckung Merkels handelt, leider bereits widerlegt. Demokratie kümmert uns im Großen keinen Pfifferling, das ist die Wahrheit. Schäuble fertigt die griechische Regierung einfach so ab. Sich mit Argumente auch nur abzugeben, I wo. Die Presse raunt von persönlicher Abneigung Schäubles gegen Varoufakis; das mag Geschwätz sein. Es bleibt aber dabei, dass eine neue Regierung mit guten Argumenten etwas vorschlägt, das sie vorschlagen muss, wenn Demokratie eine Bedeutung hat, und man sie einfach so abblitzen lässt.  Es zieht sich eine Irritation durch viele Kommentare: Man ärgert sich, dass Varoufakis nicht demütig ist. Man ärgert sich wohl auch, dass er intelligenter wirkt als sein Gesprächspartner. Die Intelligenten fertigzumachen ließ sich in Deutschland immer schon ganz gut verkaufen. Einige Zeitungen frohlocken, dass der verkniffene Schwabe es dem stolzen Varoufakis zeigt. Gerne wird ad personam geschrieben, ein besonders blöder Kommentar von Jurek Skrobala im Spiegel arbeitet sich an Varoufakis' Lederjacke ab, die deplaziert sei. Wow! Tolle Analyse!

Schäuble ist einer der Totengräber der Europäischen Union, das ist kein falscher Satz, wenn das Demokratieprinzip derart unter ökonomische Prinzipien gestellt wird. Die ganzen forschen Hetzer gegen Russland sind die anderen Totengräber, weil sie aus einem kollaborativen Projekt  einen "Block gegen den Feind" machen. Das auswärtige Amt hat eine Handreichung an die Abgeordneten des Bundestags verschickt, die alles, was der ukrainischen Regierung zur Last gelegt werden kann, für russische Propaganda erklärt. Die Handreichung lässt alles aus, was ihr nicht passt, oder dreht's so, wie es ihr passt. Dass das von der Rada verabschiedete Gesetz, das dem Russischen den offiziellen Status als Minderheitensprache nahm, nicht in Kraft trat, wird als Argument dafür benutzt, eine Reaktion auf dieses Gesetz sei unverständlich und unnötig. Dabei ließe sich an diesem Gesetz auch ablesen, wes Geistes Kinder die sind, die es verabschiedet haben. Ein entsprechendes Gesetz gegen das Flämische würde in Belgien  zuverlässig zum Bürgerkrieg führen, was ist daran so unverständlich? "Die Russen sind schuld. Basta."  Wen kümmert's dann noch, dass die Kiewer Regierung derart rabiat auf eigene Bürger schießt  -- was sie nicht müsste -- und rechtsextreme Freiwilligenbataillon unterhält -- was vielfach belegt ist, aber in dem Schriftstück keine Erwähnung findet. Paragraph für Paragraph könnte man das Schreiben zerpflücken. Das aber wäre verlorene Liebesmüh: Der Sinn des Schreibens ist ja bloß, denjenigen, die ohnehin auf Burgfrieden eingeschworen ist, eine kanonische Formulierung vorzuschlagen.  Überaus demokratisch.

Dass wir nur Recht, und die nur Unrecht haben, propagiert der Text des Auswärtigen Amts wie auch der größere Teile unserer Presse, unserer Publizisten, unserer Dichter. Schulterschluss, Burgfrieden allenthalben.  Es ist aber bei Konflikten generell weiser, anzunehmen, dass beide Seiten in irgendwas Recht haben könnten. Dann aber müsste man ja ernsthaft nach Lösungen suchen,  das genau wollen die Akteure aber, wie im Fall Griechenlands, nicht, sondern sie wollen herrschen. Der Vorschlag einer Föderalisierung der Ukraine entspricht allgemeinen Grundsätzen der EU, hat auch beispielsweise Belgien vor dem Zerbrechen bewahrt, aber so richtig will keiner davon reden, da ihn der Russe gemacht hat.

Es konnte nicht ausbleiben, dass diese beiden Arten, das zu verraten, was die EU des Friedensnobelpreises würdig gemacht hätte, einen Claqueur finden, der sie verschmilzt:  Irgendwie gehören Griechenland und Russland zusammen; also schrieb's dem Sinn nach Bittner, einer der dümmsten unter den sich für Großjournalisten haltenden Schreibern der Zeit. Eine Schande das Ganze.   Die Uneinsichtigkeit der Mächtigen ist das eigentlich schlimme. Besonders widerwärtig ist aber  die Journaille, die vor der Macht kriecht und sie rechtfertigt, wie es Karl Kraus so schön für den Ersten Weltkrieg dokumentiert hat.   Wird der Bittner wohl bald wieder einen Preis kriegen. Alla.