Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Montag, 7. April 2008

fundamentalistische Muslime und tief gläubige Christen (wieder keine Sprachkritik)

(Eine Fortsetzung von "berüchtigt-berühmt")

Die Perspektive, aus der etwas beschrieben oder erzählt wird, ist bereits Partei. Man kann nicht ohne Perspektive erzählen, also müsste man aus vielen Perspektiven erzählen, um unparteiisch zu sein, das aber taugt kaum für die Zeitung. Dieses Problem zeigt sich für den Journalisten und dessen Leser schon bei der Wortwahl. Der im letzten Post zitierte Joris Leuyendijk ("Wie im echten Leben", Berlin 2007) hat über seine Zeit als Nahostkorrespondent geschrieben:

Das Heilige Land war eine neue Welt, und ich nahm mir vor, auf der Hut zu sein und immer unparteiisch zu bleiben [...] -Aber ging das überhaupt, unparteiisch sein? Anfangs war ich blauäugig, denn wie hieß es so schön beim amerikanischen Nachrichtensender Fox News "We report, you decide"? [...] War das nicht der erste Grundsatz des Qualitätsjournalismus: die Fakten wiedergeben, so wie sie sind, Meinungen und Gegenmeinungen einholen? So war eine objektive Darstellung von Konflikten möglich. Dachte ich.

Doch schon bald beschlichen mich Zweifel, die in den darauffolgenden Jahren noch größer werden sollten. Das fing schon bei der Wortwahl an. In der arabischen Welt [Anm.: in der Leuyendijk schon einige Jahre als Korrespondent tätig war] hatte ich es bereits mit einer parteiischen Sprache zu tun bekommen. Muslime, die ihre politischen Überzeugungen mit ihrem Glauben begründeten, gelten als "Fundamentalisten", ein US-amerikanischer Präsident, der mit seiner Religion genauso umgeht, heißt in den westlichen Medien "evangelikal" oder "tief gläubig". Wenn dieser Amerikaner die Wahlen gewinnt, redet keiner davon, dass das Christentum "sich ausbreitet", aber wenn Muslime, die ihre politischen Ansichten aus dem Koran ableiten, sich durchsetzen, schreibt im Westen gleich jeder, der Islam sei "auf dem Vormarsch". Gerät ein arabischer Staatschef in einen Konflikt mit einer westlichen Regierung, gilt er als "antiwestlich". Westliche Regierungen werden nie als "antiarabisch" verschrien.

In Kairo hatte ich etliche Beispiele dafür gesammelt, im Heiligen Land wurde die Liste immer länger: Anhänger der Hamas sind "antiisraelisch", jüdische Siedler nicht "antipalästinensisch". Palästinenser, die gewaltsam gegen israelische Bürger vorgehen, sind "Terroristen", Israelis, die gewaltsam gegeb Palästinenser vorgehen, "Falken" oder "Hardliner". Israelische Politiker, die eine friedliche Lösung anstreben, sind "Tauben", ihre israelischen Pendants "gemäßigt" - womit impliziert wird, dass alle Palästinenser Fanatiker seien. Mit welchen unterschiedlichen Maßstäben gemessen wird, erkennt man am besten, wenn man den Spieß umdreht: "Mit seinen antiislamischen Äußerungen hat der gemäßigte Jude Schimon Peres die palästinensischen Tauben aufgeschreckt."

So war man schon parteiisch, indem man vergleichbare Dinge je nach Lager mit verschiedenen
Etiketten versah. Im Heiligen Land blieb es aber nicht bei diesem "asymmetrischen Wortgebrauch".
In arabischen Diktaturen gibt es für alles eine eindeutige Bezeichnung, was der Übersichtlichkeit zugute kommt. Aber Israel heißt auch die "zionistische Entität" und "besetztes Palästina". Waren es die "besetzten", die "umstrittenen" oder die "befreiten Gebiete", oder doch Westjordanland oder Judäa und Samaria oder die Palästinensergebiete? Lagen dort jüdische Dörfer, jüdische Siedlungen oder illegale jüdische Siedlungen? Sollte ich von Juden, Zionisten oder Israelis sprechen? Nicht alle Zionisten sind jüdisch, nicht alle Juden israelisch, und nicht alle Israelis jüdisch. Waren es Araber, Palästinenser oder Muslime? Nicht alle Araber sind palästinensische, nicht alle Palästinenser sind muslimisch, und nicht alle Muslime sind palästinensisch.

Das war im Heiligen Land - um lieber diesen Begriff zu verwenden - das erste Problem, wenn man unparteiisch war: Es gabe keine unparteiischen Wörter. Und es war natürlich nicht möglich, alle Begriffe nebeneinanderzustellen: "Heute sind in Ramallah im besetzten beziehungsweise umstrittenen beziehungsweise befreiten Westjordanland beziehungsweise in Samaria zwei Palästinenser beziehungsweise Muslime beziehungsweise arabische Neuankömmlinge beziehungsweise Terroristen bezehungsweise Freiheitskämpfer von israelischen Soldaten beziehungsweise der Israelischen Verteidigungsarmee beziehungsweise der zionistischen Besatzungstruppen getötet beziehungsweise massakriert worden..."


Wie immer, wenn man über derartiges liest, kann man gelangweilt abwinken, alles bekannt. War man sich aber wirklich der eigenen Reaktion auf diese beiden Sätze bewusst?

1. "Mit seinen antiislamischen Äußerungen hat der gemäßigte Jude Schimon Peres die palästinensischen Tauben aufgeschreckt."

2. "Mit seinen antiisraelischen Äußerungen hat der gemäßigte Palästinenser N. N. die israelischen Tauben aufgeschreckt."


An den zweiten Satz haben wir uns gewöhnt, den ersten möchte man als westlicher Leser so nicht stehen lassen, oder? Eine bekannte Parteilichkeit ist längst nicht überwunden. Was sich über lange Zeit eingeschliefen hat, kann auch nur in langer Zeit und mit vielleicht langweiligen Wiederholungen verändert werden, alas.

Für Joris Luyendijk war die Berichterstattung über Israel in gewissem Sinn komplementär zu seiner vorherigen Tätigkeit in Kairo. In den arabischen Diktaturen war einfach nicht herauszukriegen, was die Leute dachten. Die mageren Regierungsstatements bildeten die Nachrichten. In Israel, bzw. den Palästinensergebieten ließen sich dagegen viele von größeren oder kleineren Gruppen geteilte Positionen ermitteln. Ein völliger Wirrwarr war das Ergebnis, der nur dadurch nachrichtenfähig wurde, dass Redaktionen und Journalisten sich darauf beschränkten, nur über zwei Perspektiven zu berichten, die der israelischen Regierung und die der palästinensischen Autonomiebehörde. Diese Auswahl schien im Hinblick auf einen bipolar wahrgenommenen Konflikt unparteiisch, in Wahrheit gab und gibt es aber viel mehr Parteien auf beiden "Seiten". Kann man von einer vereinfachten Darstellung sprechen oder einer unkenntlichen Karikatur? Gruppen auszublenden, von denen man anschließend behaupten kann, sie hätten "den Friedensprozess sabotiert", ist Teil der Sabotage an einem denkbaren Friedensprozess. Frieden ist allemal das Ergebnis einer Vermittlung gegensätzlicher Positionen. Wer nicht an der Vermittlung Teil hat, brütet über seinen Positionen.

Freitag, 4. April 2008

berüchtigt-berühmt (keine Sprachkritik)

"Mitglieder der berüchtigten Mahdi-Miliz..." stand vor einigen Tagen im Berliner Tagesspiegel. Es wurde nicht gesagt, wofür sie denn berüchtigt ist. Deutlich wurde aber, wem sie als berüchtigt gilt.
Versuchsweise angefertigte ähnliche Bildungen:

Mitglieder der berüchtigten Regierungstruppen

Mitglieder der berüchtigten amerikanischen Streitkräfte

Artikel berüchtigter Journalisten


Anschließend kann man - ebenfalls versuchsweise - in allen Fällen "berüchtigt" durch "berühmt" ersetzen. Und gewiss ist die Mahdi-Miliz bei manchen berühmt für ihre Erfolge. Man erfährt durch diese Vokabeln etwas über das Verhältnis der Schreibenden zu ihrem Gegenstand, wenig oder nichts über diesen. "Berüchtigt" sind Feinde, berühmt "Freunde".

Solchen groben stilistischen Unsitten können Journalisten natürlich aus dem Weg gehen, begegnen dem Problem aber sogleich wieder. Wie nennen wir denn die Angehörigen der Mahdi-Miliz? Kämpfer? Widerstandskämpfer? Islamisten? Terroristen? Schiiten? Die Bezeichnungen sind eben nicht in erster Linie informativ, sondern wertend, und irgendwie muss man sie ja nennen. Es ist leider auch keine Lösung, alle möglichen Bezeichnungen hintereinander zu reihen. Und welche Ereignisse werden berichtet? Die, die wir kennen, vielleicht eine einseitige Auswahl, die manche der Akteure in ein schlechteres Licht stellt als andere. Journalisten haben oft kaum eine Wahl, als sich einer bereits etablierten Weise der Berichterstattung anzuschließen. Weder sie noch die Redaktionen riskieren damit viel. Wenn sie irren, waren es wenigstens die Irrtümer vieler. Wer an einer etablierten Beurteilung zweifelt, ist ja noch längst nicht imstande, eine andere Beurteilung gut zu begründen.

Das Problem ist, obwohl ich es an einem Wort festgemacht habe, gerade kein Sprach-, sondern ein Wahrnehmungsproblem. Nach allem, was wir so mitkriegen, hätten die meisten "berüchtigt" auch selbst ergänzen können, wenn da nur "die Mahdi-Armee" gestanden hätte. Deswegen konnte sich der Autor auch sparen, dieses Beiwort zu erklären.

Joris Luyendijk hat in seinem Buch "Wie im echten Leben" (original: "Het zijn net mensen") viele Mechanismen beschrieben, die selbst einen Journalisten, der guten Willens ist, dazu bringen, letztlich nur etablierte Bilder und Wertungen zu reproduzieren und eben nicht, wie er sich's vorher erträumt haben mag, den Dingen auf den Grund zu gehen. Eine Redaktion erfährt durch eine Nachrichtenagentur von einem Ereignis und schickt einen Reporter dorthin, der dann vorbereitete Informationspakete zu diesem Ereignis bekommt. Vielleicht spricht er sogar die Landessprache und kann noch andere Leute, die nicht direkt mit der Verbreitung besagter Information befasst sind, befragen, ohne doch jemals zu "repräsentativem" Material zu kommen.
Was nicht von den Agenturen gemeldet wird, schafft es nicht zur Nachricht. Die Aktionen der amerikanischen Armee im Irak sind großenteils geheim, die Kollateralschäden, für die diese Armee "berüchtigt" sein könnte, werden selten Gegenstand einer Nachricht. Anders die Kämpfe seitens
der Mahdi-Miliz, die folglich für "uns" tatsächlich berüchtigt ist.

In vielen Situationen wird, wie Luyendijk schildert, der Journalist unfreiwillig zur Sprechpuppe. Er sitzt "vor Ort" im Hotel, wartet und darf bei den Nachrichten diese oft merkwürdig inhaltsleeren Zeilen in die Kamera aufsagen. Ein Beispiel aus dem Buch: Das Fernsehen fragt seinen Mann in Amman, was man dort Neues über den amerikanischen Angriff auf den Irak hört. Nun, nichts anderes als irgendwo sonst, wo man Zugang zu den großen Medien hat, der Irak ist ja weit genug weg. Also spricht der Mann über die Stimmung in Amman, für's arabische Lokalkolorit reicht das. Andere Journalisten haben ein Visum für den Irak bekommen und sitzten in Baghdad im Hotel. Dort bekommen sie immerhin mit, wie die Bomben explodieren, wir erinnern uns.

Der Journalist weiß über die großen Nachrichten oft so wenig wie die, für die er schreibt.
Andererseits könnte er vieles erzählen, was die Leser nicht wissen, er könnte das normale Leben der Leute beschreiben. Das Alltägliche ist natürlich keine Nachricht wert, wohl aber brennende Fahnen, Selbstmordattentate, Raketenangriffe. Wer das eine Weile verfolgt, denkt sich, wenn er über den Orient liest, den "berüchigten Orient", das lässt sich gar nicht verhindern. Bei uns spielen Kinder, reden Leute bald Sinnvolles, bald Schwachsinn in den Cafes, regen sich über die Zeitungen auf und backen Kuchen. Im Orient dagegen wird geschossen.

Man kann die durch die Nachrichten verzerrt wiedergegebene Wirklichkeit nicht einfach "entzerren". Es ist daher ratsam, davon auszugehen, dass man nicht viel versteht von der Welt. Solange man sich für diese interessiert, solange aus dem allgemeinen Nichtwissen Gründe für Kriege geschmiedet werden, muss man sich aber immer wieder fragen, was denn richtig ist, und muss immer wieder über die "berüchtigte Mahdi-Miliz" stolpern. Damit ist allerdings wenig getan: kein Grund, sich etwas aufs kritische Lesen einzubilden, wenn man nicht auf jeden Mist reinfällt. Es bleibt genug Mist, den man unbemerkt verinnerlicht.

Dienstag, 1. April 2008

Skepsis und Vertrauen

Fürs vernünftige Handeln ist man auf Prognosen der möglichen Folgen angewiesen. Im Kleinen reicht dafür meist unser Erfahrungswissen aus. Wir kennen uns mit vielerlei Dingen, die wir schon öfter getan haben, aus und verhalten uns entsprechend. Mal bewährt sich das, mal müssen wir notgedrungen dazulernen. Dieses Erfahrungswissen hat nicht die Gestalt einer Theorie, wir müssen nicht einmal wissen, dass wir es haben. Wir haben schon verschiedentlich die Tomaten zu früh oder zu spät ins Freiland gesetzt und verhalten uns entsprechend. Im Großen, in der Politik, gibt es jedoch wenig verlässliches Erfahrungswissen. Keiner überblickt genug, um Erfahrung zu haben, was eine gewisse Steuer bewirkt, oder wie sich die Energiepolitik auf das Klima auswirkt.

Es ist unangenehm, sich bei seinen Entscheidungen auf die Aussagen von Theorien stützen zu müssen, die man nicht versteht. Das ist aber die Grundsituation politischer Entscheidungen. Sich in Generalskepsis gegen Theorien auf "seinen Bauch" zu verlassen, ist ebenso töricht wie blauäugiges Vertrauen in alles, was Theorie heißt. Es ist einerseits angemessen, "Fachleuten" zu vertrauen, wo die eigene Urteilskraft ein Ende findet. Andererseits fallen auch die Aussagen von Fachleuten zuweilen in den Bereich der eigenen Erfahrung oder des eigenen Wissens. Manchmal weiß man, dass ein Fachmann irrt, obwohl man keine seiner Theorien versteht. In anderen Fällen bietet die Person des Fachmanns Grund zum Misstrauen: Wenn er im Sold einer Interessengruppe steht, oder sich früher schon nachweislich geirrt hat. Viele Theorien legen durchaus auch Rechenschaft ab von den eigenen Grenzen, von den nicht berücksichtigten Faktoren, von den Unsicherheiten selbst im Rahmen der Theorie.

Der Bericht des IPCC (International Pannel for Climate Change) ist in dieser Hinsicht mustergültig, die gemachten Prognosen werden im Hinblick auf ihren theorieinternen Gewissheitsgrad markiert. Der ist in vielen Fällen hoch, da die wissenschaftliche Behandlung vieler Probleme nach langer Zeit einem Konsens zustrebt, der etwas ganz anderes als die Despotie willkürlicher Autorität ist. In anderen Fällen gibt es erhebliche Abweichungen verschiedener Modelle, entsprechend unsicher sind die Voraussagen. Die Theorien selbst sind zwar nur Spezialisten verständlich, aber auch ein Laie kann durchaus nachlesen, welche Größen sich messen, welche Modelle sich im Labor überprüfen lassen. Die Modellierung des Treibhauseffekts beruht hauptsächlich auf der Absorption von Strahlung durch diverse Gase, die sich sehr genau im Labor nachmessen lässt. Wenn nun einer, der die Voraussagen des IPCC bezweifeln möchten, den Fehler ausgerechnet an dieser Stelle sucht, hat das wenig von "gesunder Skepsis", viel mehr aber von Halsstarrigkeit, die einen auch behaupten lassen kann, die Erde sei eine vor sechstausendundetlichen Jahren erschaffene Scheibe. Andererseits gibt es viele Unwägbarbarkeiten in den Modellen, und die kann man, auch ohne ein Experte zu sein, benennen; sie werden auch von den Forschern ganz offen diskutiert. Etwas zu bezweifeln hat nicht bloß deshalb, weil es kritisch erscheint, schon etwas für sich. Ein guter, nicht dogmatischer Zweifel, ist fähig, sich selbst zu bezweifeln und verschiedene Grade von Gewissheit zu unterscheiden. Der Zweifel an etwas in vielen unabhängigen Experimenten von verschiedenen Leuten Nachgewiesenem ist weniger vernünftig als der Zweifel an einer Einzeldarstellung, der Zweifel an einem Zeitungsartikel vernünftiger als der Zweifel an einem wissenschaftlichen Artikel, der ein Überprüfungsverfahren hinter sich hat. Die Ergebnisse eines unabhängigen Institutes verdienen mehr Vertrauen als die eines von einer Interessengruppe bezahlten und abhängigen, und so weiter.


Nach all diesen Kriterien sind die Aussagen der Klimaforscher im Großen und Ganzen verlässlicher als die Aussagen der Makroökonomen. Die Prognoseerfolge der Makroökonomen sind nämlich bescheidener, die konkurrierenden Modelle weiter voneinander entfernt. Man weiß auch weniger von menschlichen Entscheidungen als von Strahlungsgleichgewichten.

Nach denselben Kriterien sind die Aussagen der Klimaforscher auch glaubwürdiger als die der amerikanischen Regierung, die Invasion des Irak diene dessen Demokratisierung.

Es ist demnach keine ideologische Aussage, zu behaupten, dass A und B ideologischere, theoretisch weniger abgesicherte Aussagen sind als C:

A: "Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze"

B: "Militärische Invasionen sind geeignet, Länder zu demokratisieren."

C: "Es gibt eine durch menschliche Emissionen bewirkte Erwärmung der Erde."


Wenn nun Autoren A oder B behaupten und sich gegen C mit zum Teil nachweislich falschen Argumenten als Skeptiker betätigen, dann handelt es sich womöglich gar nicht um Skeptiker, sondern um Ideologen? Ein Beispiel:

Zum Klimawandel haben sich Dirk Maxeiner und Michael Miersch wiederholt und wie sie meinen "skeptisch" geäußert. Wer sich den Briefwechsel zwischen Douglas Maraun und Maxeiner und Miersch durchliest, wird feststellen, dass die letzteren entweder gar nicht verstanden haben, was Maraun schreibt, oder nicht an argumentativem Umgang mit ihren eigenen Argumenten interessiert sind. Zwar ist Maraun mitunter beckmesserisch und macht Fehler, die sie ihm ebenso beckmesserisch unter die Nase reiben, aber auf die gültigen Einwände wird nicht eingegangen. Dieses Verhalten wäre dann nicht ganz zu verwerfen, wenn die beiden am Ende richtige pyrrhonische Skeptiker wären, die zwar die anderen Überzeugungen aufhebeln wollen, dafür aber selbst keine neuen dogmatischen Behauptungen aufstellen. Alles, was sie sagen und schreiben, wäre dann nur Werkzeug oder Redefigur, die durch Überwindung der Dogmen den Weg zur Urteilsenthaltung freimachen...

Den beiden fällt das Urteilen durchaus nicht schwer. Über die Invasion der Irak schreibt Miersch:


Dummerweise geben aber die Amis keine Ruhe. Diese Störenfriede sind seit dem 11. September 2001 der Meinung, dass die Unterdrückung des Menschen auch in islamischen Ländern beseitigt werden sollte. "Hybris!", schimpfen die, die ihre eigenen Freiheitsrechte für eine Selbstverständlichkeit halten. Aber war nicht einst der Kampf gegen Unterdrücker und Menschenschinder links? Hieß links sein nicht fortschrittsoptimistisch sein, Lust auf Veränderung haben und an ein besseres morgen glauben? Kann sich noch einer daran erinnern? Ach was soll's, dann bin ich eben rechts - wenn die neue linke Definitionsmacht es so will. Neue politische Freunde habe ich auch schon. Die wohnen in Washington, sind fortschrittsoptimistisch und wollen die Welt verändern. Sie sind der Alptraum aller Despoten - ganz wie einst die Linke.


Der Mann ist also gewiss kein Skeptiker. Er ist Skeptiker, wo es seiner Agenda nützt, und behauptet sonst fröhlich drauf los: zweierlei Maß, das wenig Vertrauen gibt, es lasse sich etwas lernen aus dem, was sie schreiben. "Net amal ignorieren" wäre da natürlich das Beste. Dafür sind sie aber zu präsent in den Medien und tausendfach verlinkt von ähnlich einseitig pseudo-skeptischen Websites.

Die pyrrhonischen Skeptiker muss man übrigens in Schutz nehmen vor solchen falschen Skeptikern. Es ist nämlich angesichts der Geschichte der menschlichen Irrtümer achtbar, alles zu bezweifeln und sich wirklich der Urteile zu enthalten, um nicht unter anderem auch schädlichen Stuss zu glauben. Nur bleibt die antike Frage an die Skeptiker, wie sie denn nun handeln wollen, auch für deren denkbare moderne Nachfahren ein Problem: Kaufen wir uns ein viel oder wenig Treibstoff verbrauchendes Auto, wenn Unrecht erleiden besser ist als Unrecht tun? Der Skeptiker kann sich zwar immer sagen, er wisse nicht, was Unrecht sei. Was kauft er denn nun?
Oder liegt er nur so da, als denkende Pflanze?