Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Samstag, 13. Juli 2019

Ausmaß von Rezos Auslassung

Im letzten Eintrag wurde bemerkt, dass, so berechtigt und sachlich richtig Rezos Kritik an CDU/CSU und SPD war, doch verschwiegen wurde, in welchem Ausmaß auch die Grünen die nämliche Kritik verdienen, und zwar in Bezug auf Krieg und Frieden, Sozialpolitik und sogar Umweltpolitik.

Dass Josef Fischer die Bundeswehr forsch in die Beteiligung an einem völkerrechtswidrigen Krieg geführt hat, habe ich schon erwähnt. Als Legitimation dienten Moral, Humanität, Menschenrechte. So verkauft man heute halt Kriege, sogar vor sich selbst, wenn man an eine ehemals pazifistisch sich gebende Partei ist.

Recht passend zum Anlass haben Tobias Lindner und  und Cem Özdemir in der FAZ vom 13. Juni 2019 geschrieben: "Warum grüne Außenpolitik die Bundeswehr braucht."   Und dann kommt wieder das von damals vertraute Geseier.

Vor zwanzig Jahren ging der Kosovo-Krieg zu Ende. Die Entscheidung, diesen Nato-Einsatz als Teil der rot-grünen Bundesregierung mitzutragen, war eine der größten Zerreißproben für unsere Partei.  Unter dem Strich hat sie uns als Friedenspartei jedoch gefestigt, denn heute sagen wir klar:  Es braucht als äußerstes Mittel auch den Einsatz des Militärs, damit Deutschland und Europa ihrer humanitären Verantwortung gerecht werden können.

Tja,  Außenminister war Josef Fischer und der lauteste Befürworter dieses Krieges; das wird hier unter 'mitzutragen' gefasst.  Der behauptete serbische Hufeisenplan, die angeführten Zahlen von Vertriebenen und Ermordeten, die in der Vorbereitung des Krieges u.a. von J. Fischer vorgetragen wurden, entpuppten sich später als falsch. Die humanitäre Causa wurde bloß behauptet, und sich dabei auf die Versäumnisse von Srebrenica und 'nie wieder Auschwitz' berufen.  An die Macht gebombt wurde  die UCK, die damals schon eine Art Mafia war, und es noch ist.

So reflektiert geht es auch weiter bei Lindner/Özdemir.  Ja, früher, da waren wir gegen's Militär. Aber, nach Hitler und so

ist für uns zweifelsfrei klar,  dass wir diese Ultima Ratio brauchen.

Klar, das war ultima ratio, als die Serben die Welt erobern und die Untermenschen ausrotten wollten.  Nein, manche Menschen lernen so aus Geschichte, dass es doch besser schiene, aus Geschichte nichts zu lernen.

Anschließend geht's um den Parlamentsvorbehalt. Toll, wenn man von einer Armee totgeschossen wird, die ein legitimes Parlament und nicht etwa ein durchgeknallter Diktator geschickt hat. Da freut man sich doch. So weit, so schleimig, aber nicht schleimig genug. Weiter geht's so:

Wenn wir als Bundestagsabgeordnete die Parlamentsarmee in einen Auslandseinsatz senden, greifen wir in die Lebensplanung der Soldatinnen und Soldaten ein, schicken jemandes Mutter, Vater oder Freund in die Ferne. Vor allem aber setzen wir Leben aufs Spiel. Diese Verantwortung ist eine der schwersten, die wir Abgeordnete tragen. Egal, wie wir zu den einzelnen Einsätzen stehen: Die über 260000 Menschen, die in der Bundeswehr dienen, verdienen die Unterstützung des Parlaments.

Wie ja auch etwa der ehemalige Oberst Klein, der Hundert Zivilisten in die Luft sprengen ließ und inzwischen General ist, vom Parlament geschickt wurde.  Seltsam, an dieser Stelle nicht einmal zu erwähnen, dass man das Leben derjenigen, die dort leben, wo die Bundeswehr hingeschickt wird, ebenfalls aufs Spiel setzt. Was Lindner/Özdemir hier schreiben klingt ähnlich in vielen Ländern, wo das "Leben unserer Soldaten"  eben rhetorisch doch mehr wirkt als das Leben der anderen.

Anschließend: Distanzierung von Neonazis in der Bundeswehr. Toll! Wer etwa distanzierte sich nicht von denen? Und dann: Bekenntnis zur NATO, die auf sich mehr als die Hälfte des Weltwaffenarsenals zu ihrer  "Verteidigung" vereint und viele der militärischen Dauerbrände der Gegenwart mit angezündet hat. Immerhin Distanzierung vom 2-Prozent-Ziel, aber auch das nicht grundsätzlich, sondern mit der Perspektive auf eine europäische Armee.

Dann menschelts wieder.

Die Menschen in der Bundeswehr sind mehr als nur Waffenträger. Sie  haben Freunde, Familien und Träume, die über ihren Dienst hinausgehen.  
Diversität ... Frauenanteil ... Muslime in der Bundeswehr ... wichtiger Beitrag zur Diversität.

Lasst uns mit einer Multikulti-Armee aus Humanität all die inhumanen Länder im Osten erobern!

Das Feindbild  'Osten', speziell 'Russland', ist dabei nicht eben so unterstellt, sondern durch das Wirken prominenter Grüner (auch durch die Böll-Stiftung) belegt: Ralph Fücks, Marieluise Beck.

Vor solchen grünen Deutschen dürfte man sich fürchten.Wer seine Friedenshoffnungen in die Grünen setzt, weiß entweder nichts oder belügt sich.

Montag, 10. Juni 2019

Dies und das -- Nebel und gute Sicht

Schnipsel, I

Das Leben lässt mir gerade nur kurze Zeitschnipsel, in denen ich mich einer Sache widmen kann. Das ist natürlich keine Entschuldigung dafür, nichts Längeres mehr zustande zu bringen, aber doch eine teilweise Erklärung. Denn in den Zeitschnipseln entstehen eben Gedankenschnipsel, die zusammenzufügen ziemlich viele weitere Zeitschnipsel erfordern würde. Soll man nun Schnipsel veröffentlichen, noch dazu in einem Blog, den so gut wie niemand liest? Ja, warum denn nicht, wenn's eh schon keinen Sinn hat.

Rezo und Europawahl

Ein aufklärerisches Video und die unsachlichen Reaktionen

Vor der Europawahl gab es viel Lärm um das Video des Bloggers Rezo, den ich ebenso wie das Video selbst zumeist ignoriert habe. Der Inhalt des besagten Videos wurde gelegentlich erwähnt und schien vernünftig, nämlich unter anderem gut belegte Fakten wiederzugeben.  Aber ich hab's trotzdem weiter ignoriert. Dann fiel mir eine Ausgabe der Berliner Zeitung in die Hand,  in der der Inhalt des Videos seltsam unsachlich kritisiert wurde. Und Dr. Schäuble wurde dort interviewt, der das Video als Beispiel für unkonzentriert-unsachlichen Umgang der Jugend mit der Wirklichkeit abtat. Sie lesen halt keine Bücher mehr, die jungen Leute! Da nun aber das Sündenregister der CDU (und nicht nur der CDU) die wachsende Armut, völkerrechtswidrige Kriege der NATO und der BRD und der Klimawandel, bzw. unser Versagen in der Klimapolitik allesamt im Buchmaßstab nachlesbar sind, war diese Äußerung des Dr. Schäuble offensichtlich blöd und unsachlich. Es schien zu besagen: Wer sich nur richtig mit den Dingen befasst, wird uns Recht geben. Weit gefehlt. Als mir dann noch ein Freund das Video empfahl, gab ich endlich nach und schaute es mir an. Und sieh da, es war aufklärerisch. Dass ein aufklärerisches Video heute viel mehr Leute erreicht als eine aufklärerische Flugschrift, ist nun einmal so, aber daraus ein 'O tempora, o mores!' zu machen, verrät Engstirnigkeit oder einfach nur Parteiischkeit. Rezo stellt ein Sündenregister der Bundesregierungen der letzten Jahrzehnte zusammen und belegt es mit lauter wissenschaftlichen und behördlich-offiziellen Quellen.  Es sind auch Bücher dabei. Nun mag Rezo die Quellen nicht alle gründlich studiert haben, aber es sind die richtigen Quellen. Zum Klimawandel etwa ist es u.a. der IPCC-Bericht, eine Metaquelle, die den Forschungsstand und damit Tausende von wissenschaftlichen Arbeiten von Tausenden von Menschen zusammen. Auch quantifiziert der Bericht jeweils die eigenen Irrtumswahrscheinlichkeiten.  Und doch kann ein Schäuble das als unsachlich abtun, ohne dass ihm diese Unsachlichkeit wirklich um die Ohren flöge. Allerdings werden sich auch bald die Pforten des Hades hinter im schließen, so dass auch keine Rolle mehr spielt, was ihm um die Ohren fliegt oder auch nicht.  Es ist aber ein Symptom, dass sich seine eigene Partei nicht schleunigst von solcher verlogener Hilfe distanziert.

Fängt man einmal an, das Ignorieren aufzugeben, stößt man auf immer mehr. Zum Beispiel auf eine Phönix-Runde, in der  unter anderem Thilo Jung von 'jung und naiv' befragt wurde, was denn seiner Meinung nach die richtige Reaktion der CDU auf dieses Video gewesen wäre. Er meinte, die einzig richtige Reaktion wäre gewesen, 'ja, stimmt!' zu sagen.  Darauf kam dann der Historiker Andreas Rödder aus Mainz zu Wort und sah in dieser Aussage einen Verfall der demokratischen Kultur. Man könne ja den anderen nicht vorschreiben, was sie denken müssen.  Leider gelang es Jung nicht, an dieser Stelle einzuhaken und  klar zu machen, dass der allergrößte Teil des besagten Videos nun eben wissenschaftlich belegte Tatsachen zusammenfasste, die tatsächlich keine andere vernünftige Reaktion als 'ja, stimmt!' zulassen. Lediglich die Bewertungen und Meinungen müssen 'frei' sein. Zum Beispiel könnten die CDU/CSU und die mit ihr sich traurig zugrundekoalierende SPD sagen: "Die Fakten stimmen, aber wir können einfach keine Klimapolitik zum Schaden der deutschen Wirtschaft riskieren, auch wenn dann später alles vor die Hunde geht. Und wir können nichts gegen die wachsende Ungleichheit tun, ohne in die Wirtschaft stärker einzugreifen, was wir uns ja als treue Anhänger*innen des Schäuble'schen Ordo-Liberalismus verkneifen."   Und Rödder musste als Wissenschaftler ja eigentlich wissen, worauf sich Jungs Satz bezog und hat damit bewusst durch sein Scheinargument die Aussage des Gegenübers verzerrt. (Er ist halt, so leid mir's tut, nicht nur Wissenschaftler, sondern auch parteiisch, sonst landet man auch nicht im Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung.)

Die Kommentare unter dem Video schienen überwiegend positiv; interessanterweise arbeiteten die negativen Kommentare, die ich gesehen habe, sich ausgerechnet am wissenschaftliche nicht Bezweifelbaren ab (IPCC-Bericht), verwiesen auf irgendwelche halbseidenen  wissenschaftlichen Dissidenten oder schimpften einfach nur über 'diese Lügen'.

Was aber doch seltsamerweise fehlte

Wo es in dem Video um die Beteiligung der BRD an völkerrechtswidrigen Kriegen ging, wurde auch nur Unbezweifelbares behauptet (was nun wieder die Berliner Zeitung nicht kapieren wollte).

An dieser Stelle fiel aber ein Mangel auf: Dass Joschka Fischer bzw. die Grünen, bzw. die rot-grüne Koalition für den ersten dieser völkerrechtswidrigen Kriege, an denen sich die Bundeswehr beteiligte, verantwortlich zeichnete, hätte doch erwähnt gehört.  Und Hartz IV, nun ja, das haben auch die Grünen mit  getragen. Und den kalten Krieg mit Russland betreiben vorzüglich auch die Grünen, bzw. deren Stiftung und darin Gestalten wie Ralf Fücks.

Dieser Mangel ist auch deshalb bedauerlich, weil die Wähler*innen, die völlig zu Recht CDU/CSU/SPD für unwählbar hielten, scharenweise den Gründen zugelaufen sind, von denen weder friedenspolitisch (s.o.) noch sozialpolitisch
noch einwanderungspolitisch Gutes erwartet werden darf. Und wie u.a. Hamburg und Baden-Württemberg zeigen, ist es auch mit der Umweltpolitik bei den Grünen nicht so weit her, wenn wirtschaftliche und sonstige politische Interessen im Spiel sind.  Wie der Postillon titelte, seien die Wähler der Gründen meist zu jung, um sich an Rot-Grün zu erinnern.  Wie's scheint, werden die Grünen bald wieder eine größere Bühne für den Verrat bekommen, der die fehlende Erinnerung ersetzen dürfte.

Die Europawahlergebnisse geben also  Hoffnung in der Negation. Richtig abzulehnen ist ein guter Anfang. Die ideologische Misere, in der die richtigen Affirmationen fehlen, ist damit einstweilen nicht behoben. Alle Analysen, die nicht den Kapitalismus selbst angreifen, sind meines Erachtens nur Murks.

Und noch mehr seltsame Reaktionen

Es mag übrigens sein, dass das Thema Klimawandel zwar recht allgemein -- bis auf die Unverbesserlichen -- als wichtig erkannt ist, dass aber die Grünen zu wählen dafür steht, dass sich etwaige Maßnahmen nicht allzu nachteilig auf den eigenen Lebensstil auswirken werden.

Kurioserweise hat sich bald nach dem Wahldesaster und nachdem nun dem letzten klar geworden sein dürfte, dass der Ausstieg aus der Braunkohle bis 2038  viel zu spät ist, wenn die BRD irgendwelche der gegebenen Versprechen einhalten und gleiches von anderen erwarten will, in der CDU Kritik in die offenbar falsche Richtung hören lassen.

 Natürlich sei zugegeben, dass die komplette Weigerung der USA,  irgendwas zur Reduktion der Treibhausgase zu tun, eine Art Schirm bildet, hinter dem das zögerliche Halb-und-halb der europäischen Vasallen sich noch als anständig darstellen kann.  Wie auch immer, ausgerechnet jetzt haben sich in der CDU Kritiker des Kohlekompromisses zu Wort gemeldet: Er ist ihnen zu früh und von Ausgleichsmaßnahmen für die betroffenen Regionen wollen sie auch nichts hören.   In der Verlautbarung dieser steindummen Dissidenten steht unter anderem:

Es ist unsere verdammte Pflicht, mit dem sauer verdienten Geld (Hervorhebung von mir) der  Bürger und Bürgerinnen sorgsam und überlegt umzugehen.

Dass das Ansinnen vielleicht im Dienste einer Lobby überlegt, aber grob unvernünftig ist, ist sowieso klar. Wüsste man's nicht, so wäre diese Formulierung in ihrer vertrauten Verlogenheit ein Anlass, misstrauisch zu sein. Viel Geld wird nämlich keineswegs sauer, sondern durch Immobilienspekulation, Kapitalgewinne und Ausnutzung einer Marktposition verdient.  Sich als Freund des einfachen Bürgers anzuwanzen, während man doch offenbar irgendjemandes Lobbyist ist, ist schon dreist. Möge es ihnen auf den Kopf fallen.

Dienstag, 24. April 2018

Gift 2, noch ein Nachtrag

Dass der Westen das Völkerrecht nur bemüht, um Militäreinsätze und Sanktionen zu rechtfertigen, ansonsten aber das in erster Linie zur Verhinderung von Kriegen geeignete Völkerrecht ignoriert, wurde hier in den letzten Beiträgen dargestellt. Und doch, spreche ich mit freundlichen, gebildeten, aber politisch nicht besonders interessierten Kollegen, wird diese Behauptung mit einem skeptischen Lächeln beantwortet und anschließend beispielsweise von Russland angefangen, das ja das Völkerrecht mir der Annexion der Krim gebrochen habe etc. Darauf ich, in der Krim sei immerhin kein Schuss gefallen, auch sei das nachträgliche Votum für den Anschluss an Russland vermutlich sogar korrekt zustande gekommen, so dass dieser Verstoß vielleicht sogar als geheilt gelten könne. Im Gegensatz dazu stürben bei völkerrechtlichen Bombardements eben doch Menschen, es sei in viel eindeutigerer Weise völkerrechtswidrig. Erneut skeptisches Lächeln. Außerdem rechtfertige ein Völkerrechtsverstoß nicht einen anderen ("keine Gleichheit im Unrecht"; "aber der Peter hat doch auch ein Fenster kaputtgemacht".) Augenbrauen hoch. So ist er, unser Kleiner, er regt sich gern auf! Zitiere ich Quellen, werden diese bezweifelt. Denn so, wie ich darüber spreche, stand es nicht in der Zeit, der FAZ, der Süddeutschen Zeitung oder Spiegel Online, obwohl auch diese großenteils nicht anders konnten als den letzten Luftangriff auf Syrien für völkerrechtswidrig zu halten, wenn sie ihn auch meistens irgendwie für richtig hielten.

Alas!

Nun kann ich immerhin noch eine Quelle angeben, die nicht so ohne weiteres lächelnd wegzubügeln ist: den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. Ja, steht dort, die Angriffe auf Syrien seien völkerrechtswidrig gewesen, würden aber von den Staaten, die sie vertreten, politisch-moralisch legitimiert.

Erfreulicherweise wird in der Stellungnahme auch darauf hingewiesen, dass das Völkerrecht als argumentatives Instrument stumpf in der Hand derjenigen werde, die es, wo es ihnen passe, brechen.
In den völkerrechtlichen Kommentaren zur alliierten Militäroperation gegen Syrien ist in die- sem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, dass das Einstehen für eine regelbasierte internationale Ordnung und ihre zentralen Eckpfeiler (wie insbesondere das völkerrechtliche Gewaltverbot) auch von einer entsprechenden klaren und unmissverständlichen Artikulation von Rechtsauffassungen begleitet werden müsse. Politische und rechtliche Glaubwürdigkeit hingen überdies davon ab, dass bei der völkerrechtlichen Beurteilung von Militäroperationen (Beispiele: Russische Krim-Annexion von 2014, NATO-Operation im Kosovo 1999, Militärschläge von NATO-Bündnispartnern gegen Syrien 2018) nicht mit zweierlei Maß gemessen werde.


Und dafür sei dem wissenschaftlichen Dienst Dank! Nun ist aber das Völkerrecht als ein Recht ohne zugehörige Gerichte wirklich nur ein Phantom, und wenn mächtige Staaten lange genug so oder so handeln, wird eben irgendwann eine völkerrechtliche Norm draus; denn gegen mächtige Staaten lässt sich keine Norm durchsetzen. Und so wird in der Stellungnahme auch konstatiert:
Ob sich mit den Militäreinsätzen von 2017 und 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in der Zukunft ein neuer Ausnahmetatbestand vom Gewaltverbot für Fälle von „humanitär begründeten Repressalien“ herausbilden wird, ist nicht gänzlich auszuschließen.
Wenn das Völkerrecht sich wirklich weiter aus einem zwischenstaatliche Gewalt abwendenden zu einem zwischenstaatliche Gewalt begründenden entwickelt, werde ich freilich auch unter die Völkerrechtsnihilisten gehen müssen. Im Grunde sehen wir eine weitere Varianten des schon von J. Fischer zur Rechtfertigung der völkerrechtswidrigen Angriffe auf Jugoslawien bemühten Prinzips, dass eine 'Schutzverantwortung' bestehe, in deren Namen und zur Wahrung der Menschenrechte das Völkerrecht gebrochen werden könne. Sieht man aber, mit wie vielen teilweise oder ganz erfundenen menschenrechtlichen Causis schon Militäreinsätze gerechtfertigt wurden, handelt es sich in Wahrheit um eine Abdankung des Völkerrechts. 'Menschenrechte' eignen sich perfekt dafür, die politische Öffentlichkeit mit PR-Kampagnen gegen diesen oder jenen Akteur aufzuhetzen. Sieh doch nur, die armen Kinder! Wir müssen einfach bomben! Im Falle Ex-Jugoslawiens wurde das Wirken von PR-Agenturen dankenswerterweise durch Beham/Becker untersucht, im allgemeinen kommt's nur raus, wenn jemand einen Fehler macht oder ein Whistleblower auspackt ('Cambridge-Analytics').

Es handelt sich überhaupt um eine Zeit, in dem man ungestraft 'menscheln' darf, um Gewalt zu rechtfertigen, während gleichzeitig Millionen von (auch dank uns, unsere Kriege, unsere Beiträge zur Veränderung des Klimas, dazu gewordenen) Flüchtlingen in Lagern versauern, weil die Menschlichkeit so weit eben doch nicht geht. Man kann das Wort 'Mensch' bald schon nicht mehr hören.