Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 31. August 2010

Entrüsten sei schlecht, so manche

Natürlich geht es mit dem Entrüsten manchmal allzu leicht. Und es ist auch nicht recht, sich über einzelne Wörter aufzuregen, die jemand gesagt hat.

Bei Sarrazin ist es aber nicht diese oder jene Vokabel, sondern der Inhalt seiner Reden, über die sich jeder, der beispielsweise das Grundgesetz ernst nimmt, aufregen sollte. Genetische Einflüsse auf dieses oder jenes sind ein interessanter Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, können aber nicht Grundlage eines politischen 'Controllings' sein, denn dann würden Träger verschiedener Gene verschieden 'behandelt'. Ebenso können Sozialarbeiter und Soziologen sich den Kopf darüber zerbrechen, welche Einflüsse welche Verhaltensweisen begünstigen, und welche Rolle dabei die Religion spielt, selbstverständlich! Oder es findet eine Debatte zwischen allen möglichen Leuten über alle möglichen Religionen statt. Klar doch!

Aber eine steile These 'über den Islam', die diesem negative wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen anlastet, ist doch kein sinnvoller Teil einer solchen Debatte! Und das merkt auch jeder, wenn man 'Islam' durch 'Judentum' substituiert. Vorher allerdings merken es Millionen nicht. (Zur Sensibilisierung der Wahrnehmung ist anscheinend ein spezifischer Massenmord erforderlich.) Mir sind übrigens alle Religionen suspekt, da ich fest überzeugt bin, dass es zwischen Himmel und Erde nichts gibt außer uns und der Natur. Der Sinn religiöser Toleranzgebote ist ja eben nicht, dass man die jeweiligen religiösen Lehren 'irgendwie gut' finden müsse, sondern die Anerkennung der Tatsache, dass den Religiösen ihre Religion so wichtig ist, dass eine Schmähung dieser jene erheblich beeinträchtigen würde. Und diese Toleranz ist ja gerade deshalb eine Leistung, weil uns die anderen Religionen (bzw. guten Atheisten alle Religionen) nicht passen.

Das heißt nun nicht, nicht für Rechte von Frauen, vernünftige Erziehung von Kindern usw. zu streiten. Wenn man die 'Religionen' nicht als Objekte wahrnimmt, ist doch klar, dass die Religiösen wie alle anderen gelegentlich in den Debatten dazulernen. Über den Islam wird so gern geschimpft. Sind Sie gelegentlich mal den Erziehungsvorstellungen christlicher Freikirchen begegnet, die man in den mittelhessischen Hügeln gern auch die 'Rock-Zopfs' nennt? Es handelt sich keineswegs um eine so kleine Gruppe, dass sie vernachlässigbar wäre, aber noch nicht ein einziges Mal hat einer von den Islam-als-antimodern-Beschimpfern diese Freikirchen mitgenannt, das lässt vermuten, dass es mehr Rassismus in diesen Reden gibt, als jemals einer zugibt. Richtig ist, weder 'über' die einen, noch 'über' die anderen zu schimpfen, aber sich gern mit so vielen Individuen, wie einem über den Weg laufen, zu streiten.

Das gesellschaftliche Reden 'über' ist aber die Vorstufe der 'Maßnahme'. Derlei lässt doch den Anstand vermissen. Über Unanständiges sich zu entrüsten gebietet der Anstand, ganz einfach. Anstand!

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Andererseits ließ Platzeck verlauten, die Wiedervereinigung sei ein 'Anschluss' gewesen. Da nun gibt es auch Entrüstung, diese aber gänzlich verlogen. Niemand wird mit dieser Äußerung geschmäht, allenfalls kann sich einer über das Wort 'Anschluss' und mögliche Konnotationen aufregen. Der Sache nach (Verfassung, Wirtschaft, etc.) entspricht seine Äußerung der Wahrheit. Und dass auf einen Schlag die meisten DDR-Bürger arbeitslos wurden und viele es blieben, stimmt auch. Gerade DDR-Oppositionelle wollten nicht eine abstrakte Wiedervereinigung sondern ein konkretes zugleich freieres und besseres Leben für die DDR-Bürger. Viele hatten aber dann kein gutes Leben, viele Landstriche sind buchstäblich verödet, und das war die absehbare Folge einer sehr schnellen Wirschafts- und Währungsunion, auch wenn keiner sich anzumaßen braucht, sicher zu wissen, wie's besser ging.

Hier also ist die Entrüstung nur ein 'Mia-san-mia' derer, die sich einen Dreck um das Unglück vieler ehemaliger DDR-Bürger scherten, solange nur der Kommunismus tot war.

Montag, 30. August 2010

Sarrazin doch erwähnen, Teil I

Was hilft's, die Debatte um Sarrazin wird ohnehin immer lauter, auch wenn der eine oder es vorzieht, nicht von ihm zu reden. Ich will einige Sätze dokumentieren, die dabei gesagt wurden, von Sarrazin selbst und von anderen. Es könnte einmal gut sein, darauf verweisen zu können.

Sarrazin, Interview FAZ, 20. August 2010

Es ist ja völlig unstreitig, dass Intelligenz zu fünfzig bis achtzig Prozent erblich ist.

Nein, ist es beim besten Willen nicht. Es ist noch nicht einmal unstrittig, was dieser Satz überhaupt bedeutet. Nun muss ja nicht jeder, der eine Meinung äußert, klug sein, und noch weniger muss er ein Wissenschaftler sein. Wer nun aber "völlig unstreitig" sagt, nimmt den Mund gewaltig voll und setzt damit die Latte, nach der man seine Äußerung misst, hoch. - Jeder Übersichtsartikel zeigt zunächst, dass diese Aussage modellabhängig und damit umstritten ist (1. Fehler, siehe etwa Devlin, Daniels, Roeder, Nature 1997) . Lediglich für gewisse 'Intelligenzmaße' bestehen halbwegs übereinstimmende Aussagen über den Wert der statistischen Größe 'heritability'. Nehmen wir zu Analysezwecken ruhig an, dieser Punkt wäre nicht strittig, und die 'heritability eines gewissen IQ wäre 0.66'. Was bedeutet diese Größe nun aber? Offenbar hat Sarrazin das nicht verstanden, wenn er sagt "... ist zu soundsoviel Prozent erblich" (2. Fehler). Man komme mir jetzt nicht mit Einwänden a la "Wir sin hier nich im Seminar!", als wäre das akademische Beckmesserei. 'Heritability' ist eine Größe, die außerhalb der akademischen Statistik nicht vorkommt; will man sie außerhalb dieses Kontexts verwenden, muss man sich vorsichtige Mühe geben. Dickens und Flynn (2001) haben ein Modell vorgestellt, in dem Umwelteinflüsse die Intelligenz erheblich beeinflussen und umgekehrt die Intelligenz einen Einfluss auf die Umwelt hat. Dieses Modell beschreibt Situationen, in denen eine hohe 'heritability' eines Intelligenzmaßes nachweisbar ist, in denen aber dennoch der Einfluss der Umwelt auf die Intelligenz wesentlich größer ist als von anderen (Jensen; Herrnstein und Murray) behauptet. Jensens Modell scheitert darin, zu erklären, wie in allen Industrieländern ohne nennenswerte genetische Veränderung der durchschnittliche IQ (nach einer gewissen Definition) in den letzten 50 Jahren um 10 bis zwanzig Punkte wachsen konnte. Die Interpretation von Dickens und Flynn kann jedoch diese Veränderung und Jensens 'heritability' erklären. Sarrazins Formulierung schließt diese Interpretation geradezu aus und ist damit kein lässlicher Fehler. Sie ist auch keine als solche gekennzeichnete weiter nicht begründbare Meinung, sondern kommt als ein vermeintliches Faktum daher ('unstreitig'), sicher eine der übelsten und gefährlichsten Formen der Meinungsmache. Denn wer könnte einem Faktum widersprechen?



In der selben Ausgabe der FAZ vermerkt Necla Kelek

Die von Sarrazin aufgezeigte Wechselbeziehung von Intelligenz und Demographie wird als biologistisch diffamiert. Dabei scheint schon der gesunde Menschenverstand nahezulegen, dass Ethnien wie zum Beispiel die Völker Anatoliens oder Ägyptens, die über Jahrhunderte von den Osmanen daran gehindert wurden, Lesen und Schreiben zu lernen, bei denen noch heute Mädchen nicht zur Schule gehen dürfen, andere Talente vererbt haben, als die Söhne von Johann Sebastian Bach und dass es auch bei der Intelligenz so etwas wie eine Gaußsche Normalverteilung gibt.

Der gesunde Menschenverstand, mit Verlaub, sagt gar nichts zur Populationsgenetik. Die beruht nämlich auf komplexen statistischen Modellen, die selbst dann unübersichtlich sind, wenn sie sich auf relativ simple Tierarten und überschaubar viele Faktoren beziehen. Es gibt vielleicht keinen Bereich wissenschaftlicher Modellierung, in dem der gesunde Menschenverstand so fehl am Platze ist, wie hier. (Es sei nur, unter anderem, auf die Einschätzung zufälliger genetischer Drift durch M. Kimura "The neutral theory of molecular evolution" hingewiesen.) Weiter ist die Annahme, dass Intelligenz sich etwa für anatolische Bauern nicht lohne, arg weltfremd. Die dümmsten Bauern ernten nämlich keineswegs die größten Kartoffeln. Intelligenz erschöpft sich ja keineswegs im Lesen und Schreiben. Umgekehrt ist das Schreiben dummer Sätze noch kein Zeichen erhöhter Intelligenz: Weil die politischen Umstände in Anatolien anders waren, hätte man dort andere Talente vererbt als Johann Sebastian Bach? Begnadete anatolische Musiker hätten also nicht etwa ihr Talent vererbt? Bei allem, was man über Anatolien sagen mag, wird niemand Anatolien eine lebendige, eigenständige Musikkultur absprechen können. Keleks Satz ist dumm, aber aufschlussreich. Für den Halbgedanken, den er ausdrückt, war die Erwähnung Bachs geradezu schädlich. "Johann Sebastian Bach" ist aber eine Prunkvokabel, und darauf kam's anscheinend an. (Komplex?)


Und weiter Kelek:
Fast jeder kann ein Handy benutzen, aber die dahinterstehende Technik, das sind eben über fünfhundert Jahre kumulierte europäische Geistesgeschichte und naturwissenschaftliche Forschung. Sarrazin sagt nicht, dass der Einzelne diese Entwicklung nicht nachvollziehen kann, sonder ist hier der Volkswirtschaftler, der kühl Kennzahlen bewertet. Er bezieht sich auf die amerikanischen Forscher Herrnstein und Murray und schreibt "Die Erkenntnis, dass Intelligenz zum Teil erblich ist, verträgt sich nur schwer mit Gleichheitsvorstellungen, nach denen Ursachen von Ungleichheit zwischen den Menschen möglichst weitgehend in den sozialen und politischen Verhältnissen zu suchen sind."

Herrnsteins und Murrays Studie, derzufolge die Intelligenz das Einkommen zu weiten Teilen determiniert, ist ebenfalls sehr strittig (siehe auch oben). Kelek stört es aber nickt, weil es gegen ihren Hauptfeind geht, den Islam. Und 'kühl' geht es weder bei ihr noch bei Sarrazin zu. Wer es kühl und sachlich wollte, hätte sein Buch auch kaum 'Deutschland schafft sich ab' getauft.


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Das hat man jetzt davon, damals die Hugenotten einwandern zu lassen.

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Und was folgt daraus, wenn manche 'von Geburt an dümmer', andere 'klüger' wären? Zuchtwahl? Das kommt ja in letzter Zeit immer mal wieder 'aus der Mitte der Gesellschaft'. Die gebildete Mittelschicht möge doch bitte mehr, die Einwanderer doch bitte wenige Kinder kriegen. Grausig, grausig, meine Herren. Sollen doch die Klugen dem Führer ein Kind schenken, die anderen werden sterilisiert? Sarrazins Äußerungen sind nicht nur intellektuell dumm, sondern auch moralisch dumm, daran besteht kein Zweifel. Da mögen sie alle seinen Mut loben. Mutig ist jede Hetzschrift in einem gewissen Sinn.

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Wahrscheinlich ist, dass es Sarrazin diesmal 'erwischt'. Man ließ ihm alles durchgehen, aber der Satz vom 'Gen der Juden' war einer zuviel (Er meint wohl den so genannten Cohen-Haplotyp, über den noch einiges zu sagen wäre.) Im Grunde kann's mir wurscht sein, worüber er strauchelt, ist ja alles ähnlich blöde. Er hat schon viele Sätze gesagt, die ihm zumindest einen SPD-Ausschluss hätten bescheren sollen. Nämlich keine 'Meinungen', sondern pseudo-objektive Sätze über und gegen ganze Gruppen, bar jeder Solidarität, die ja auf dem Etikett der Mogelpackung Sozialdemokratie groß geschrieben steht.


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Wichtiger Nachtrag: Ist Ihnen wohl aufgefallen, inwiefern diese Reaktion auf Sarrazin und Kelek auch Symptom derselben Krankheit ist, an der die beiden leiden? -- Die Krankheit ist eine Überschätzung der Intelligenz. Es ist zwar schön, zu zeigen, dass Sarrazin an den mit Intelligenzgeschwätz gesetzten Maßstäben bravourös scheitert. Aber das macht diese Maßstäbe noch längst nicht richtig. Selten kommt es vor, dass mir ein Kommentar im Tagesspiegel zitierenswert scheint; heute schon: Robert Leicht schreibt dort "Welche Institution ist den Nazis am schnellsten um den Hals gefallen? Die deutsche Universität! [...] Mir ist der schlichte Volksschüler und Schreiner Georg Elser, der 1939 schon erkannte, dass man versuchen müsse, den Unheilsbringer umzubringen, abertausendmal wertvoller als der promovierte Volljurist Werner Best, der seinen Scharfsinn der Gestapo und der SS zur Verfügung stellte - und danach dem erfolgreichen Versuch, bis zu seinem Tod 1989 jedem Strafurteil zu entgehen." Franchement, mir ist der Elser auch lieber. "Dass der schlichte Anstand wichtiger ist als selbst der schärfste Verstand - diese Einsicht kann man bei einfachen Gemütern oft plastischer ausgeprägt finden als bei manchen - im wahrsten Sinne des Wortes - Intelligenzbestien."

Obwohl ich Sarrazin einige Dummheiten nachweisen kann, besteht er möglicherweise eine bestimmte Form des Intelligenztests mit guten Ergebnissen. Beweist sein Erfolg nicht seine Intelligenz? Sarrazin scheint in der Intelligenz in erster Linie einen 'Standortfaktor' zu sehen, und verachtet alle, die nicht genug zum Bruttoinlandsprodukt beitragen. Gut also sind Ingenieure, die Waffen entwerfen, oder Manager, die die Löhne drücken; schlecht aber der Arbeitslose, der mit seinen Freunden einen trinkt und Witze reißt? Nee, nee. Das Gute ist eben auch das Böse, was man lässt, drum soll man sich hüten, auf all die Taugenichtse herabzusehen. Sarrazin, der alte Taugeviel, könnte in Punkto "leben und leben lassen" von meinen Arbeitslosen in der Nordneuköllner Bäckerei so manches lernen.

Es sollte klar sein, dass Intelligenz ambivalent ist, insofern sie ein Instrument zur Erreichung von Zielen ist, seien es gute oder schlechte. Vernunft beurteilt die Ziele. Mit intelligenten Leuten kann man einen funktionierenden Staat, aber auch ein Super-KZ bauen.

Freitag, 27. August 2010

Die Crux, S. nicht zu erwähnen

Ich will nämlich S. nicht erwähnen, einen bekennenden Rassisten, der nach jeder seiner Einlassungen in einer ersten Welle Kritik, in einer zweiten dagegen Unterstützung zu hören bekommt, stets nach dem gleichen Muster. Man könnte gut die alten Artikel dazu wiederverwenden.
Ich will seinen Namen nicht erwähnen, weil ich dazu beitragen könnte, dass Google alles ihn Betreffende höher bewertet. Ich will nicht zur Steigerung der Auflage seines Buches beitragen. Er soll seine Meinung ruhig sagen, aber schön, wo sich's gehört, in schäbigen Räumen, die die örtliche NPD anmietet, nicht im Haus der Kulturen der Welt. Das ganze Gift befruchtet doch keine Debatten, wo denken sie hin! Mit solchen Büchern kann man Geld verdienen. ('Es lohnt sich allemal mehr, eine peppige Hetzschrift auf den Markt zu werfen als einen Gemüseladen zu eröffnen.')


Worum geht es der zweiten Welle, der Kritikenkritik? 'Er sage ja nur, was viele dächten; er spreche Probleme an, die nun einmal bestünden.' Dass er aber von genetisch bestimmter Dummheit gewisser Einwanderergruppen spricht oder die Gefahr ihrer übergroßen Vermehrung beschwört, ganz unappetitliches Zeug also, wird in der zweiten Welle ignoriert. Man muss den Wortlaut ja auch ignorieren, wenn man den Mann schönreden will. Warum aber will man ihn schön reden?

Weil dieser Rassismus, wenn es gegen Türken und Araber geht, in der Mitte der Gesellschaft, gern auch bei dem für aufgeklärt sich haltenden Bildungsbürgertum populär ist. Beliebt auch pseudoaufklärerische Begründungen 'Der Moslem ist gegen die Frau, also bin ich gegen den Moslem.' Aus dem Nationalsozialismus haben wir demnach gelernt, dass wir gegen alle sein dürfen, die uns nicht passen. Roma, die immer mal wieder gerne mit kriminalbiologischen Thesen bedacht werden, in das Niemandsland Kosovo ausweisen? Kein Problem. Die Gefahr des Islam beschwören? Von 'Unterschichten' reden und diese verachten? Klar. Die Türken für dumm und Gemüsehändler für nutzlos erklären? Selbstverständlich.

Aber wir sind ja alle gegen Neonazis. Und wir würden auch nie mehr die Juden Europas ermorden, selbst wenn sie uns ließen.

Es wird auch gelegentlich so getan, als habe sich der moderne Antisemitismus nur aus dem Neid aufs jüdische Bürgertum gespeist. Was war aber mit den bettelarmen polnischen Juden, die, wenn sie nach Deutschland ausgewandert waren, allenfalls kleine Lädchen eröffneten, und ansonsten einen fremdartigen und altmodischen Eindruck machten? Gegen diese armen Juden, ihre Lädchen, ihre religiösen Gebräuche und ihre Kleider zu hetzen gehörte gerade so zum Antisemitismus wie die Angriffe auf Kaufhausbesitzer oder Politiker. Und dieser Teil der damaligen Hetze erinnert leider-leider an manches Heutige. Was haben sie nicht alles Wolfgang Benz an den Kopf geworden, weil der Antisemitismus-Forscher sich über die Islam-Feindschaft Sorgen machte, nicht weil er leichtfertig und großmäulig X und Y gleichsetzt, sondern weil ein an einem Hass und dessen katastrophalen Folgen geschultes Bewusstsein zwangsläufig auch bei anderen Formen des Hasses hellhörig wird. Und manchmal mag eben ein Wissenschaftler hoffen, nicht nur wie die Eule der Minerva, wenn alles vorbei ist, über die Gräber zu fliegen, sondern vorher noch etwas zu ändern.

Ein Freund hat kürzlich mit einem Araber geredet, der sich erst gewissermaßen entschuldigt hat, dass er ein Moslem sei. Nicht dass Sie mich jetzt für einen solchen Menschen halten, wie man ihn hier nicht gebrauchen kann.