Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Montag, 8. Dezember 2014

Sterben light

Die Afghanen haben ja einen ganz anderen Umgang mit dem Tod als wir. Für die ist das nicht so schlimm. (Reinhard Wolski, deutscher General bei der Isaf)

 

Wie man den Bellum Iustum gegen die Taliban erklärt


Wir erinnern uns oder sollten uns erinnern: Der Krieg gegen den souveränen Staat Afghanistan wurde deshalb von den USA und ihren Verbündeten beschlossen, weil das Land die Gruppe um Osama bin Laden beherbergte, der 9/11 zugeschrieben wurde. Die afghanische Regierung war bereit zu einem Prozess gegen die Gruppe in Afghanistan, nicht aber zu deren Auslieferung. Nach 9/11 wollte die amerikanische Regierung um jeden Preis handeln, auch wenn Handeln bedeutete, die falschen Leute aus den falschen Gründen zu bekämpfen. Unter dem Einfluss der schockierenden Bilder vom kollabierenden World Trade Center hatten die Staaten der westlichen Welt ihre Solidarität mit den USA in einer Weise erklärt, die für den Afghanistankrieg einen Blancoscheck darstellte.  Da nun aber gerade nicht der Staat "Afghanistan" für den Anschlag verantwortlich war, stand der Kriegsgrund zumindest auf dünnen Füßen, es bedurfte der Ergänzung durch größtmögliche Diffamierung der Taliban und speziell ihres Umgangs mit Frauen. Viele haben sich von Spindoktoren dazu missbrauchen lassen, den Krieg mit dieser Begründung zu rechtfertigen und sich zu ihrer ewigen Schande bereit gefunden, im Krieg ein vorzügliches Mittel des rechtlichen Fortschritts zu sehen.

Das gegenwärtige Afghanistan hat, was Frauenrechte betrifft, erneut eine ähnlich rückständige Gesetzgebung wie unter den Taliban. Gleiche Rechte für Frauen und Männer gab es in Afghanistan nur eine kurze Zeit, als die kommunistische, von der Sowjetunion gestützten Regierung der "Demokratischen Volkspartei" ab 1978  regierte. Jene Regierung ließen die USA bekanntlich von bewaffneten und reaktionären Islamisten bekämpfen, deren sich noch immer einige in den Reihen der "Al Qaida" befinden. Den Bürgerkrieg gewannen nach langen Jahren des Leidens die ebenfalls reaktionären "Taliban". Und doch herrschte immerhin zum ersten Mal seit zwanzig Jahren Friede, als die USA und ihre Verbündeten das Land neuerlich in die Luft sprengten. Wer die Entwicklungsmöglichkeit eines Friedens unter reaktionärer Herrschaft behauptet, wurde früher oder später mit dem 'Appeasement'-Vorwurf traktiert. Dazu mussten wiederum die Taliban verhitlert werden ('Islamofaschismus', etc.). Das aber wird vor keiner Geschichtsschreibung Bestand haben; unsympathische Reaktionäre sind noch keine Nazis. Die Taliban haben weder Vernichtungslager betrieben, noch Sympathien für die diversen Manifestationen des historischen Faschismus gezeigt, noch offensichtliches ethnisches oder rassisches Feindbild propagiert (was sie, nota bene, von westukrainischen Neonazis unterscheidet, die, das kann man beispielsweise  auf den Seiten von 'Pravi sektor Lviv' nachlesen, ein offenbar rassistisches Weltbild haben und sich als die Vertreter der 'weißen Christenheit' gegen die 'asiatischen Russen' sehen.  Einige der Gruppen sind auch offen antisemitisch. Und nein, das weiß ich nicht aus 'russischer Propaganda', sondern zumindest teilweise aus eigener Anschauung.)

Ein friedliches Gespräch mit den Taliban über alles, was wir an ihnen ablehnen, muss ausgeschlossen werden. Wir erwarten aber dennoch, dass, wer immer die Politik der BRD mit guten Gründen ablehnt, diese vorbringt, statt zu schießen. Deutsche Handelsketten sind an der entsetzlichen Ausbeutung südostasiatischer Frauen beteiligt. Das ist schon lange bekannt, wurde von internationalen Organisationen moniert, es ändert sich aber wenig bis nichts.  Daraus folgt dann wohl, dass mit der BRD nicht mehr gesprochen werden soll, sondern vielmehr geschossen.

Wie es nach dem Bellum Iustum gegen die Taliban aussieht


Üblicherweise erinnern wir uns nicht. Oder schlimmer, wir glaube uns vage an die Beteiligung an einem gerechtfertigten Krieg gegen "mittelalterliche" Gegner zu erinnern, die so schön dämonisiert wurden, dass es auf ein paar Verhackstückte mehr oder weniger nicht ankommt.  Es wurde ein Sieg erfochten für die Zivilisation und die Frauen, sofern diese nicht die Frauen  und Töchter der im Kriege ermordeten Männer bzw. selbst bedauerliche  'Kollateralschäden' waren.  Wen kümmerts, dass mehr Frauen in diesem Krieg verstümmelt oder getötet wurden, als eine besonders rückständige Auslegung der Scharia jemals verstümmelt oder getötet hätte? Wir sind die Zivilisation und spielen eine Variation des Themas von der Bürde des weißen Mannes. Und jetzt ist alles gut und Afghanistan sieht einer prächtigen Zukunft entgegen?

Im Tagesspiegel vom 1.12.2014 wurde darüber berichtet, dass große Flächen Afghanistans von Landminen und Blindgängern verseucht sind.

Mindestens 36 Menschen sind seit 2010 von Blindgänger getötet worden, die eindeutig von Nato-Truppen stammen, 86 wurden verletzt.

„Kein Militär hat jemals so viel Anstrengungen unternommen, zivile Opfer zu vermeiden wie die Nato-Schutztruppe Isaf.“ Diesen Satz hört man bei Isaf-Pressekonferenzen und Interviews mit westlichen Generälen immer wieder.

Ist das so? Der Artikel dokumentiert, dass die Minen und die Munition nicht nur nicht geräumt wurden, sondern die NATO bisher die Herausgabe einer gründlichen Dokumentation der Verteilung der verschossenen Munition schuldig bleibt, üblicherweise mit schwer nachvollziehbaren Geheimhaltungsgründen.

 Treffen mit Reinhard Wolski, dem deutschen General, der bei Isaf für die Blindgänger zuständig ist. Wir sprechen ihn auf das lange Schweigen der Nato an. Auf den Reuters-Bericht. Auf die hastig einberufene Krisensitzung. „Sie brauchen mir das alles nicht erzählen, ich war schließlich dabei“, raunzt er. „Gibt Isaf Daten über Blindgänger aus Gefechten frei?“

Wolski schweigt, sagt nur, dass Gefechtsfelder das größere Problem seien als Trainigsgelände. Ansonsten wolle er dazu nichts sagen, „und ich werde Ihnen auch nicht sagen, warum ich dazu nichts sage.“ Dann schweigt er wieder.

„Haben Sie keine Bedenken, dass es dem Ruf der Isaf-Mission schaden könnte, wenn Blindgänger Zivilisten töten?“

„Der Großteil aller zivilen Opfer in Afghanistan geht immer noch auf das Konto der Taliban“, sagt er. Und: „Die Afghanen haben ja einen ganz anderen Umgang mit dem Tod als wir. Für die ist das nicht so schlimm.“ Schlimm sei für die Afghanen, wenn man einen Koran verbrenne, nicht wenn jemand sterbe.


Nun könnte man erschüttert sein über den General und den neokolonialistischen Hochmut seiner Worte. Was Wolski sagt und tut,  tut aber auch die NATO/ISAF im Ganzen, die die Toten und Verstümmelten in Kauf nimmt. Der Gedanke, dass es nicht so genau drauf ankomme, muss der vorherrschende Gedanke in der Leitung der westlichen Truppen sein. Gewiefte Pressesprecher würden das Ganze aber in den süßen Seim von Freiheit, Menschenrechten und Sachzwängen einkleiden. Man muss Wolski letztlich danken, sich nicht als PR-Mann, sondern als Militär zu betragen, der sagt, was er denkt, und wär es noch so ekelerregend.  Es mag ihn am Ende seine Stellung kosten oder auch nicht. Unbeschadet aber werden die smarten Entscheidungsträger daraus hervorgehen, die bloß danach handeln, dass es auf ein paar tote Afghanen nicht ankommt, dies aber nie sagen würden.  -- Es gilt übrigens für die Gesamtheit der letzten Kriege, dass sie ohne diese Spielart des Kulturrelativismus nicht führbar wären.  Mindestens eine  Million durch die Invasion des Iraks gestorbene Iraker (Schätzung von 'The Lancet')  erschüttern kaum im Vergleich zu dreitausend im World Trade Center Ermordeten. Wenn den Irakern ihr Leben so lieb wäre wie uns, bliebe ihnen kaum etwas anderes übrig, als uns dafür zu hassen. Indem wir von ihnen das Gegenteil erwarten, gehen wir davon aus, dass sie die Toten gewissermaßen in anderen Maßeinheiten zählen.  Der Kulturrelativismus in Bezug aufs afghanische Sterben verträgt sich in unseren Köpfen mit der Verdammung des Kulturrelativismus, wenn es um die Rolle der afghanischen Frauen geht. Wie's halt gerade passt.


Wie geht es weiter?

 Die Nato sagt, für die Räumung der Trainingsgelände sei jede Nation selbst zuständig. Bernd Schütt war bis Juli Kommandeur im Regionalkommando Nord, dem Verantwortungsbereich der Bundeswehr. Er sagt, die Deutschen hätten alle ihre Schießbahnen geräumt, einen halben Meter tief.

Aber das ist nicht wahr. Die Bundeswehr selbst zeigt in einem Werbevideo, wie sie ihre Trainingsgelände geräumt hat. Soldaten laufen die „Westplatte“ in der Nähe von Kundus in einer Reihe im Abstand von fünf bis zehn Metern ab und lesen Munitionsreste in rote Plastikeimerchen; Munition, die nicht berührt werden darf, sprengen sie vor Ort. Unter der Erde suchen und räumen sie nicht. Am Ende stellen die Soldaten Schilder auf. Sie warnen vor Munitionsresten im Untergrund.

Diese oberflächliche Räumung ist (natürlich, wie sich selbst ein Zivilist denkt)  völlig unzureichend.


 Manche Nato-Länder haben nun zaghaft mit der Räumung begonnen. Von 284 Trainingsgeländen waren bis Ende September 82 erfasst worden – das Ergebnis: Diese ersten 82 Felder sind zusammen 600 Quadratkilometer groß, mehr verseuchte Fläche, als Afghanistan noch aus Sowjetzeiten blieb. Allein auf den ersten 60 Quadratkilometern Schießbahn fand das US-Militär mehr als 35 000 Blindgänger.

Im Auftrag der Amerikaner hat die US-Firma SDA eher zufällig auch ein Trainingsgelände der Deutschen überprüft: das Gelände „Wadi“ bei Kundus – im April 2014, sieben Monate, nachdem die Bundeswehr Kundus verlassen hatte. Das Ergebnis: Auf dem angeblich sorgfältig geräumten Schießplatz wurden fast 100 Blindgänger gefunden, allein an der Oberfläche. „Der Untergrund muss dringend von Blindgängern befreit werden“, heißt es in dem Bericht. Außerdem steht dort: Mehrere Afghanen wurden vor dem Abzug der Bundeswehr verletzt. Ein Mann verlor beide Hände, eine Frau ihr Bein unterhalb des Knies. Ein Bundeswehr-Sprecher sagt, von Unfällen auf der Schießbahn Wadi habe man keine Kenntnis – zu dem Gutachten äußert sich weder die Bundeswehr noch die Bundesregierung. In 13 Jahren habe es auf deutschen Schießbahnen nur einen einzigen Unfall gegeben.

General Reinhard Wolski hat Afghanistan im Juli verlassen. Sein Nachfolger hat angekündigt, die Nationen müssten ihre Trainingsgelände nun räumen. Die Daten zu den Gefechtsfeldern unterliegen weiter der Geheimhaltung.  Afghane, die das Land von Minen säubern wollen, werten derweil Zeitungsartikel über Gefechte aus, weil diese immer noch aussagekräftiger als das von der NATO gelieferte Material sind.

Mia saan mia

 

Nachdem wir nun das Maß unserer übergroßen Humanität vor Augen geführt bekommen haben, derjenigen unserer Soldaten und unserer Politiker, wenden wir unseren Blick auf das mediale Echo der letzten Rede Putins. Darin kommen einige eher rückständige Vokabeln von der 'heiligen Erde' vor, ein nationalkonservatives Weltbild, aber kein einziges Wort, das so krass inhuman wäre wie das eben gehörte. Und wieder sind sich alle einig, dass der Putin ein Hitler sei etc.  Die Rollen der Guten und Bösen werden ein für allemal verteilt, alle weiteren Wahrnehmungen durch diese Vorgabe gefiltert.  Was die grusligen Gestalten der neuen ukrainischen Regierung gesagt oder getan haben, wird ihnen nicht vorgerechnet; dem russischen Präsidenten wird jedes Wort feindselig ausgelegt. Äußerungen des eitlen und etwas verrückten Milizenführers 'Strelka' werden einfach 'Russland' zugeschrieben. Äußerungen eines deutschen Generals werden nicht beachtet oder, wenn sie doch Beachtung finden, einem individuellen Fehler zugeschrieben.  Merkel lehnt die Schwulenehe mit allen Rechten (Adoptionsrecht) nach wie vor ab: Sie ist halt konservativ. Unter Putins Regierung wurde ein Gesetz gegen 'Propagierung der Homosexualität bei Minderjährigen' verabschiedet: Der ist ein Faschist.  Keine kapitalistische Regierung macht sich anheischig, den so genannten Arbeitsmarkt zu reparieren/regulieren, der typische 'Frauenberufe' nach wie vor schlechter entlohnt. Kommunistische Regierungen, die diesen Missstand behoben haben, waren dennoch die Bösen.


Von Selbstgerechtigkeit zu sprechen, genügt nicht mehr. Man bräuchte  Begriffe aus der Psychopathologie, um derart verzerrte Selbst- und Fremdbilder zu verstehen.  Ich bitte kundige Leserinnen um eine Diagnose.

Montag, 10. November 2014

Der 9. November

Gestern wurde also gefeiert, gestern, am 9. November, und gleichzeitig ein bisschen der Reichspogromnacht gedacht.  Eine grinsende Moderatorin fragte einen ernsten Historiker kurz nach selbiger, der wurde noch ernster, dann ging die Feier weiter.

Nun ist der Fall einer Mauer ja allemal eine Feier wert. Aber wieso die Selbstbeweihräucherung? Die Bundesrepublik Deutschland ist seit dem Fall der Mauer nicht nur an mehreren Kriegen beteiligt gewesen, sondern pikanterweise auch an der Abschottung der EU-Außengrenze gegen Flüchtlinge. Von denen sind nach Schätzungen von 'pro asyl' seit dem Jahr 2000 über 23000 gestorben, die meisten davon im Mittelmeer. In einigen Fällen haben EU-Grenzschützer die Menschen, die verstarben, mit Gewalt von dem Zaun vertrieben, den sie überklettern wollten (Ceuta), so dass selbige versuchten, durch eine Bucht zu schwimmen und dabei ertranken.

Ach ja, vielleicht sind sie ihnen die Zahlen der Toten an der innerdeutschen Grenze  entgangen: Es waren weit unter Tausend.  Allein 2014 verstarben mehr Menschen beim Versuch, die Grenze zur EU zu überwinden. Geschossen wurde nicht, man überließ die Arbeit den Fischen und Krebsen.  Die Rechtfertigung klingt so: Wir haben die Flüchtlinge nicht dazu aufgefordert, sich aufs Meer zu wagen; üble Schlepper haben sie dazu gebracht.  Helle Aufregung dagegen über den Zynismus von noch lebenden Vertretern der DDR, die sagen, niemand habe die an der Mauer Erschossenen dazu gezwungen, zu versuchen, sie illegal zu überqueren.   Eine ähnliche Logik, nur dass sie im Fall der gegenwärtigen EU wesentlich mehr Opfer gefordert. Nichts davon wird in der großen Selbstbeweihräucherung des gestrigen Tages erwähnt. Biermann hackt selbstgefällig auf die Linkspartei ein; die nun eben nicht die SED ist. Der Vorwurf  an Linke-Politiker, die alt genug sind, in der DDR schon erwachsen gewesen zu sein,  besteht in Wahrheit darin, nicht vollends mit dem 'S' der SED gebrochen zu haben, während Biermann Leuten nichts vorwirft, die sich Karriere halber gut mit der DDR arrangiert hatten, wie Merkel, Gauck und Wanka, um in der BRD erneut wunderbar gewendet die Karriere fortzusetzen.  Biermann übersiedelte 1953 freiwillig in die DDR und wurde 1976 ausgebürgert. Diese Ausbürgungung - durch engstirnige Behörden - war die schlimmste Repressalie, die er persönlich in der DDR erfuhr, wo er ansonsten  studierte, Theater und Musik machte. (Dissidenz wurde üblicherweise dadurch bezahlt, nicht studieren zu können.) Seit er wieder in der BRD wohnt, wuchert er mit dem Kapital seiner DDR-Dissidenz.

Er hat sich inzwischen ex post in ein polares Weltbild eingeschossen, dessen Feind es nicht mehr gibt.  In der  BRD gibt er sich staatstragend, keine Spur von Dissidenz. Die oben erwähnten Zehntausende ertrunkener Flüchtlinge, für die -- ja, ja! -- auch unsere Regierung die Verantwortung trägt, kein Wort. Lieber sich im Glanze der längst gefallenen Mauer suhlen. Er ein "Drachentöter", die Linkspartei "Drachenbrut".  Wahrlich, ein  Riesenzwerg.  Die Linkspartei stellt immer wieder lehrreiche Anfragen an die Regierung, darunter auch eine Anfrage zur Zahl der toten Flüchtlinge.

Biermann bedauerte, dass die BRD nicht am letzten Irak-Krieg teilnahm, denn dann, so seine These, hätte Saddam Hussein vorher aufgegeben. Oder eben nicht, dann wären wir  halt dabei gewesen bei diesem großen Morden, das  einen disfunktionalen Staat produziert hat, um dessen Zerfallsprodukte bis auf weiteres Krieg geführt wird, und unzählige Flüchtlinge, von denen manche dann im Mittelmeer enden.  Der Krieg ist gewiss der größte Drache, der sich von Menschenblut nährt, und Biermann doch inzwischen eher selbst ein kleiner Drache.  Oberst Klein ließ in Afghanistan auf einen Schlag annähernd so viele Leute töten wie an der Berliner Mauer 1961-89 erschossen wurden.  Oberst Klein wurde inzwischen befördert.  Biermann umarmt Merkel, Biermann umarmt Gauck. Alles ist in bester Ordnung. Wir feiern.  Biermann besoffen von so viel Anerkennung, endlich angekommen in der Bejahung.


(Übergibt sich.)

Samstag, 30. August 2014

Eine Meldung ist keine Meldung

Was der ukrainische Präsident behauptete,  nämlich eine russische Invasion, wurde durch ein unscharfes Satellitenbild belegt. Viele Medien berichteten von einer Invasion, als hätte es nicht bloß jemand gesagt, der wie alle Beteiligten gelegentlich ein Interesse daran haben könnte, zu lügen. Immerhin hat derselbe Poroschenko anlässlich des russischen Hilfskonvois schon von einer Invasion gesprochen. Aber er ist einer von uns und darf noch lange lügen, bis es jemanden stört.  (Die Meldung versickerte dann schnell, da es nun einmal keine Invasion gegeben hat, nur irgendwelche Einmischung, die übrigens auf allen Seiten.)

Er darf übrigens auch noch lange morden lassen.  Ein Staatsoberhaupt oder Regierungschef kann wohl nicht gründlicher delegitimiert werden, als wenn er den Widerstand eigener Staatsbürger militärisch brechen lässt.   Zu recht wurde Janukowitsch der Einsatz von Gewalt gegen Proteste -- auch wenn im einzelnen noch nicht klar ist, wer alles in der Zeit des so genannten  "Euro-Maidan" geschossen hat --  vorgehalten. Um ukrainische Proteste gegen ukrainische Missstände handelte es sich tatsächlich, obwohl bekanntlich die USA mit Geld und logistischer Unterstützung ebenso daran beteiligt waren wie die BRD in Gestalt der Konrad-Adenauer-Stiftung.  Die Ukrainer hatten (und haben) ja auch allen Grund zum Protestieren, etwa gegen desolate wirtschaftliche Verhältnisse und Korruption auf allen Ebenen.

 Nun handelt es sich aber im Osten der Ukraine ebenfalls um Proteste von Ukrainern gegen ihre Regierung, wie immer es mit der Einmischung Russlands stehen mag , und diese Proteste werden  von der ukrainischen Regierung nicht etwa mit Verhandlungen sondern mit Waffengewalt angegangen. Die neue Regierung hat dabei inzwischen zwanzig mal so viele Morde auf dem Gewissen wie die alte. Und müsste damit von Rechts wegen inzwischen als noch viel illegitimer gelten als die alte je war -- zumal das, was die Ukrainer aller Couleurs gehofft hätten, eine Überwindung der korrupten Oligarchenherrschaft offenbar ausgeblieben ist.

Und noch immer klatscht die BRD, klatscht die NATO, klatschen die USA Beifall -- und viele einzelne Publizisten und öffentliche Personen mit ihnen.

Gestern stand in der Washington Post  -- in einem insgesamt keineswegs 'prorussischen' Artikel  --

In a response Friday, Russia’s Foreign Ministry again accused the United States of hypocrisy — this time for what it called U.S. disregard for civilians in eastern Ukraine.
“In any other conflict, whether in the Middle East, Africa or anywhere else, the West has consistently opposed actions causing harm to civilians,” the ministry said on its Web site. “It is only in relation to southeastern Ukraine that it holds a diametrically opposite line, in gross violation of international humanitarian law.”
Die Autoren des Artikels sind so fair, dieses Zitat stehen zu lassen, und mancher Leser wird nolens-volens nicken.  Im selben Artikel wird auch die Einschätzung des stellvertretenden Generalsekräters für Menschenrechtsfragen der Vereinten Nationen Simonovic:
A total of 2,593 people, including civilians, have been killed in the fighting in eastern Ukraine since mid-April, a senior U.N. human rights official said Friday.
“The trend is clear and alarming,” Ivan Simonovic, U.N. assistant secretary general for human rights, told journalists in Kiev. “There is a significant increase in the death toll in the east.”
Simonovic said the number would be close to 3,000 if the 298 victims of downed Malaysia Airlines Flight 17 were counted. Civilian casualties would continue to rise “as each side increases its strength, through mobilization, better organization, or the deployment of new fighters and more sophisticated weapons and support from outside,” he said.
Simonovic had sharp words for both sides.
“Armed groups continue to commit abductions, physical and psychological torture,” he said of the separatists, whose tactics he said were aimed at terrorizing the population under their control. But he added that the United Nations has also heard “disturbing reports of violations committed by battalions under government control.”
Russia’s Foreign Ministry criticized the U.N. official as repeating “fabrications against the militia forces of Donetsk and Luhansk” but commended him for addressing “the criminal actions of the Ukrainian army” — although the ministry maintained that his report did not go far enough.
“The mission was forced to admit the obvious,” Foreign Ministry spokesman Alexander Lukashevich said.
Auch hier könnte die Leserin stutzen über den 'Burgfrieden', den die USA und ihr Pudel, die EU, mit der ukrainischen Regierung geschlossen haben. Und auch hier muss man der Washington Post danken, dass sie es ihren Lesern zumindest ermöglicht, sich ein Urteil zu bilden, das sich von der redaktionellen Leitlinie unterscheidet.

Über den Fall des Grünen Fücks  war hier schon einmal die Rede, nun hat der jungeWelt-Autor Reinhard Lauterbach sich Fücks gewidmet, und sehr schön freigelegt, wie dieser zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet und vor allem eines: parteiisch ist.

Die Dichte und Unaufrichtigkeit der Propaganda gleicht dem oder übersteigt das, was man von Diktaturen gewohnt ist. Hier aber gibt es keinen Masterplan, nur Akteure, die Einfluss ausüben und andere Akteure, die sich aus Opportunismus selbst gleichschalten. Denn derselbe Wunsch, der Menschen in Neukölln dazu treibt, sich den Bart so oder so nach der Mode zu stutzen, um als Individuum anerkannt zu werden, treibt allenthalben Politiker und Journalisten, aber auch Künstler und Schriftsteller dazu, noch einen Anti-Putin-Satz draufzusetzen.  Hübsch an diesem Opportunismus ist der Geruch der Widerständigkeit, der ja für eine Weile auch der jeweils neuesten Barttracht anhaftet, vom in selbiger zurückbleibenden Geruch nach Rührei mit Schnittlauch einmal abgesehen.

Während Bärte aber unschuldig sind, ist das opportunistische Schönreden der ukrainischen Regierung  tödlich, jeden Tag. Die russische Regierung hat der Ukraine und den Aufständischen einen sofortigen Waffenstillstand vorgeschlagen, den die ukrainische Regierung alsbald abgelehnt hat.
  
Wer ist der Böse? Der Russ, na klar.  Der Geschichtsrevisionismus, der unter der Überschrift "Totalitarismustheorie" half, die deutschen Verbrechen durch die sowjetischen zu relativieren, spielt unterirdisch mit:  "Ist nicht Russland noch viel näher am Stalinismus als wir am Nationalsozialismus?". Einer der Fücks'schen Sätze, die Lauterbach zitiert, ist zu schön dumm, um ihn hier auszulassen:

Fücks mahnt in der FAZ vom 23. August dazu sich, auch wenn es teuer und gefährlich ist, an die Seite der Ukraine zu stellen durch Sanktionen, etc. Das sei eine besondere Verpflichtung der Deutschen da -- taramatatam : --

die Ukraine unter der deutschen Besatzung gelitten (hat), wie kaum ein anderes Land.

... abgesehen von, da war doch was, Russland!  von den über zwanzig Millionen Sowjetbürgern, die Deutschland ermordet hat, waren die meisten Russen. Und der von großen Teilen der neuen ukrainischen Regierung verehrte Bandera wurde zwar vorübergehend von den Nazis gefangengehalten, dann aber wieder von diesen zum Kampf gegen die Sowjetunion freigelassen. Bandera hat auch große Verbrechen an Polen und Juden mit zu verantworten. Dass er unbestreitbar vor allem von ukrainischem Nationalismus getrieben war, soll dies alles legitimieren?  Das mindeste wäre also doch wohl, einen Schulterschluss mit der Ukraine 1. vom Ende der Kampfhandlungen, 2. von einer Abwendung von nationalistischen, revisionistischen oder gar faschistischen Parolen abhängig zu machen.   I wo.  Fücks  nennt das "Kreml-Propaganda", man kann's aber großenteils auf den Webseiten dieser Parteien nachlesen; nicht nur des rechten Sektors.  Wenn der Russe darauf hinweist, muss es falsch sein?   Monsieur Fücks: So gut wie jede Quelle in einem Konflikt ist 'Propagande', das entscheidet aber doch nicht über deren Wahrheit oder Unwahrheit.  So töricht können Sie trotz Ihrer maoistischen Vergangenheit kaum sein, ein Argumentum ad hominem für etwas anderes als einen rhetorischen Trick zu halten.  Anders gesagt: Da es mir nicht möglich ist, Sie für so dumm zu halten, bleibt mir nur, ihnen mauvaise foi zu unterstellen.


Wenn dereinst wie alle Sterblichen der Fücks
den letzten Blick getan und er den Styx
gequert, vielleicht ja werden ihn die Schatten plagen
derer, die in Donezks Trümmern lagen.


Was tun?  Völlig ratlos über so viel Propaganda, Einseitigkeit, Verblödung, die sich für freiheitlich, demokratisch und wahrhaftig hält, will ich eigentlich nur noch Kaffee und Zitronenwasser trinken, irgendwo, nur nicht hier.

Freitag, 18. April 2014

Was bedeutet eigentlich 'deeskalieren' ?

Wer darauf hinweist, dass beim Sturz der Regierung in Kiew Nationalisten an die Macht gekommen sind, von denen nicht wenige sich ihre Sporen mit antirussischen Reden verdient haben, und von denen einige (Swoboda) auch nachweislich rassistische, insbesondere auch antisemitische Reden gehalten haben, wird dafür in unseren Medien regelmäßig kritisiert, denn so gehe man der russischen Propaganda auf den Leim, was im Stil besten Schmierenjournalismus personalisiert wird: Putin auf den Leim.  Von der Rolle des 'rechten Sektors' beim 'Euromaidan' zu sprechen, ist ebenso unfein, und irgendwie verbietet es sich auch, zu lesen, was für unappetitliches Zeug auf den Internetseiten dieser Organisation steht. Wenn die Bürger der Ukraine, die russische Muttersprachler sind und auch sonst mit Russland verbunden, von dieser Regierung nichts Gutes erwarten, muss natürlich, na?, klar: 'Putin' dahinter stehen.   Dass die verschiedenen ehemaligen Oppositions- und jetzt Regierungsgruppen vom Westen aufgepäppelt wurden, ist kein Geheimnis, vieles ist nicht nur durch abgehörte Telefongespräche bekannt. Die US-Regierung hat sich ihrer finanziellen Unterstützung für die ehemalige Opposition gerühmt, die Open Society Foundation, die Konrad-Adenauer-Stiftung und andere haben sich um die eine oder den anderen gekümmert.  Es wäre sicher eine primitive Verkürzung, zu sagen, hinter den Ereignissen in Kiew stehe 'Obama' o. ä.;  keiner schämt sich aber des ewigen 'Putin', der hinter allem stehe, was uns nicht passt.

Wer durch die Ukraine gereist ist, wundert sich  nicht wirklich, dass in der Ostukraine Proteste gegen eine antirussische Regierung aufkommen, ohne dass dabei Russland Regie führen müsste. Dahinter kann aber nur 'Putin' stehen.

Wenn in Genf eine Vereinbarung getroffen wird, derzufolge alle paramilitärischen Verbände entwaffnet werden sollen, so steht einen Tag später in allen Zeitungen, Russland habe seinen Teil der Vereinbarung gebrochen, weil es seine Leute nicht zurückgepfiffen habe -- ohne auch nur zu erwägen, dass nicht zurückpfeifen kann, wer nicht herbeigefpiffen hat.  Gleichzeitig schickt die Regierung die Armee nach Osten, von der Entwaffnung antirussischer Milizen ist weiter nicht die Rede.

Als die OSZE-Beobachtermission beschlossen wurde, musste Russland ertrotzen, dass auch in der Westukraine beobachtet wird, denn die westlichen Verhandlungspartner wollten natürlich vor allem die russischen Machenschaften im östlichen Landesteil beobachtet wissen. Der Westen könnte durch eine vollumfängliche Ablehnung von Nationalismus und Antirussischem in der neuen Regierung bei gleichzeitiger Ablehnung russischer Einmischung deeskalieren, das will er aber gar nicht. Es ist gar zu schön, auf den Sündenbock eindreschen zu können. Die russische Regierung weiß, dass kalter Krieg herrscht, und verhält sich spiegelbildlich. Es ist realitätsfern zu behaupten, sie habe damit angefangen. Behauptet wird's doch. Russland (und andere) wurde mit der Resolution zum Libyen-Krieg übertölpelt.  Alles steht im Zeichen der Unipolarität. Sind auch Libyen, der Irak, Kosovo zerrüttete Staaten, wir haben eben doch immer recht gegen den "Iwan". Passenderweise hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vor einigen Wochen auch ein altes Plakat aus der Adenauer-Zeit aus der Mottenkiste geholt, auf dem ein fies blickender Russe über den Rand lugt.  Die Zeichner hatten ihr Handwerk sichtlich vor dem Kriege gelernt.

Der "steindumme" Grüne Werner Schulz sagte:
Nur eine Gegenstimme gab es in der Duma zur Annexion der Krim. Das ist wie 1914, als Karl Liebknecht der einzige war, der gegen die Kriegskredite des Kaisers gestimmt hat.

Ja, da kann moch doch eigentlich nur einen Burgfrieden halten und: Jeder Schuss ein Russ, jeder Tritt ein Brit, Serbien muss sterbien?

Fährt man von Berlin zur Oder, kommt man an vielen sowjetischen Soldatenfriedhöfen vorbei. Heute besuchte ich einen Freund in Beeskow, dort liegen etwa Hundert tote Sowjetbürger, die meisten 20, 21, 22 Jahre alt. Auf dem Weg von der Oder bis nach Berlin mussten noch etwa 100000 Soldaten der roten Armee ihr Leben lassen.  Insgesamt sind bekanntlich ca . 25 Millionen Sowjetbürgen vom nationalsozialistischen Deutschland ermordet worden.  Die Sowjetunion hat durch ihre Opfer ihre Existenz gerettet - ein Ziel Hitlers war die Versklavung der 'slawischen Untermenschen' - und mehr als die anderen Allierten zur Niederlage des Dritten Reichs beigetragen.  Wenn nun in Berlin Ehrenfriedhöfe an diese unbeschreiblichen Opfer der angegriffenen, sich bloß verteidigenden Sowjetunion erinnern, und die Bildzeitung beim gerade üblichen 'Putin'-Bashing diese Denkmäler und zwei T34-Panzer moniert, die an einem Ehrenmal stehen, so ist das geschichtsvergessen, ja revisionistisch und mies. Es gibt vielleicht keinen Unterschied zwischen den Toten, es sollte aber einen Unterschied zwischen Denkmälern und Friedhöfen für Angreifer und Angegriffene geben.   Quelle honte! Gegen die Russen darf man, greifen Sie zu.

Es ist wirklich eine Hetze, wenige andere Stimmen kommen zwar zu Wort (Gabriele Krone-Schmalz, Eppler), gehen aber im allgemeinen Gebrüll unter. Eine ähnlich richtig bombige Stimmung herrschte zu Beginn des ersten Weltkriegs. Dieselbe Einseitigkeit und moralische Überheblichkeit bei gleichzeiten ernsten Bedenken für die Wirtschaft und den Fremdenverkehr. Wäre nicht Russland  noch eine hochgerüstete Militärmacht -- es müsste sich fürchten, vor uns, ja vor uns. Eskaliert wird in diesem Konflikt auf jeden Fall vom Westen, was immer auch von russischer Seite geschieht.   Nun ist aber die Heimatfront noch nicht ganz geschlossen, ja viel mehr einfache Bürger als Journalisten und Politiker sehen hier einseitige Propaganda am Werk. Ulrich Greiner von der Zeit beschwert sich daher über das Volk. Es ist aber wirklich zu ärgerlich.

Als Pazifist muss ich mich sehr über mich wundern: Ich möchte mir T-Shirts mit dem T34 anfertigen, die den Sieg der roten Armee über die Nazis feiern. Russland bekommt von Staaten, die nun mehrfach das Völkerrecht gebrochen haben, Völkerrechtsnihilismus und Imperialismus vorgeworfen. Wer aber in den letzten beiden Dekaden unentwegt auf dem Vormarsch war, auch doktrinär, war die NATO, nicht Russland.  Wenn kümmert's. Mia saan mia. Und klar, wer in Kultur macht, Historiker, Schriftsteller oder Philosoph ist, bläst fein mit ins Horn, wenn auch mit meist erlesenerem Vokabular. Selbiges hat ja Karl Kraus in Weltgericht vorzüglich dokumentiert.  Die Dichter sagen das, was die Politiker sagen, mitunter noch plumper, mitunter um einige Nuancen reicher.  Nun müsste sie ja, qua Dichter, gar nichts dazu sagen, und wenn sie was sagten, könnte es was eigenes sein, aber dazu müssten's halt, gell, was eigenes haben. Kaum einer, der spricht, wird dafür bezahlt, aber es hagelt schrecklich viel Anerkennung, und das ist ja nun eine recht harte Währung für weiches Geschäft.


Kerry wurde ein anscheinend gefälschtes Dokument über den Anführer der Pro-Russischen Proteste in Donezk zugespielt, das diesen als Antisemiten anschwärzt. Er hat es prompt verlesen, so etwas muss ja wahr sein. Die über Jahre belegten antisemitischen Äußerungen von Swoboda-Mitgliedern spielen dagegen keine Rolle.  Bei den einen reicht der Verdacht (übrigens auch: 'Massaker von Hula', 'Massaker von Racak', 'Hufeisenplan','Weapons of Mass Destruction', weinende Kuwaitische Mutter, die gar nicht in Kuwait war,...), beim anderen kann man den unwiderlegbaren Beweis -- ignorieren.

Für die Welt entsteht daraus nicht Gutes. Die Botschaft ist, dass Fairness ohnehin nicht zu erwarten ist, demgemäß allein Macht zählt. Bauen die Amerikaner einen Raketenschutzschirm, brauchen die anderen auch einen. Die Summen, die die Welt für Rüstung ausgibt werden bis auf weiteres den Gesamtetat ganz Afrikas übersteigen, und wer dagegen appelliert, muss sich als Phantast beschimpfen lassen, teilweise zu recht.  Der Friedensnobelpreis wurde an einen Präsidenten vergeben, der sich seitdem nicht nur mit Drohnenangriffen, sondern auch mit Beteiligung an Kriegen, Anheizung von Konflikten, Nichtauflösung des Guantanamo-Gefängnisses, etc. dieses Preises unwürdig gezeigt hat. Wer ist der Böse? Die richtige Antwort lautet wie immer: Putin. 

Ja, wollen Sie denn sagen, Putin sei der Gute? Ach wo; aber in den gegenwärtigen Geschehnissen ist Russland mehr getrieben als Akteur. Und wenn Sie das nicht sehen, lassen Sie sich doch bitte ausstopfen.

Vergißt man schon [...], daß die Entente die Mörder des Erzherzogs Franz Ferdinand schützt? Wie kurz ist das Gedächtnis der Welt! Als ich heute den Obersthofmeister meines verewigten Freundes, Baron Rumerskirch, sah, seit jenen Konopischter Frühlingstagen zum ersten Mal, da kam es mir wieder ganz stark zu Bewusstsein: Über unseren Feinden liegt doch von Anfang an der Schatten des Verbrechens! [Wilhelm II, zitiert aus: Karl Kraus, Weltgericht.] 

Und deswegen sind auch die, die mit den "von uns" an die syrische Opposition gelieferten Waffen Getöten nicht so tot wie die von der syrischen Regierung mit "russischen Waffen" Getöten.  Der Schatten des Verbrechens!  Wenn man so richtig gut ist, kann  man gar nicht bös werden, was man auch tut. Und vice versa natürlich.  Gebt mir mein Emetikum, schnell!

Mittwoch, 19. März 2014

Parteigeist, Meinung, Wahrheit

Wer schreibt?


Wenn ich mich zu den Geschehnissen in der Ukraine äußere, so habe ich eine Meinung. Dass ich weder der neuen ukrainischen Regierung, noch der alten, noch der EU, noch den USA, noch Russland zur Folgsamkeit verpflichtet bin, garantiert selbstverständlich nicht, dass meine Meinung der Wahrheit entspricht. Und wäre ich Partei, hätte ich deshalb längst noch nicht Unrecht. Es ist aber dennoch wichtig, von einem Sprecher oder Schreiber zu wissen, ob er bloß eine Meinung hat oder selbst Partei ist.

Andreas Umland schreibt seit längerem über die Ukraine. Er selbst ist DAAD-Lektor an der Kiew-Mohyla-Akadamie, die 1992 auf Initiative von US-Bürgen, die aus der Ukraine stammen, gegründet wurde, wobei es zum Programm gehört, dieser neuen Universität den namen einer alten Akademie zu geben, die in sowjetischer Zeit nicht existierte. Diese Universität, die 1994 wieder den Rang einer staatlichen Universität erhielt, und die unter anderem auch von George Soros' Open Society Foundations unterstützt wird, war ein zentraler Ausgangspunkt der orangenen Revolution und ist auch mit den neuerlichen Ereignissen verbunden. Ihr Präsident Serhij Mironowytsch Kwit ist  Bildungsminister im neuen Kabinett. Victor Juschtschenko ist Ehrendoktor der Universität. Heißt das nun, Umland sei Partei? ich weiß nicht. Eingebettet in eine Hochburg der bis-dato-Opposition die Ereignisse zu erleben, verbürgt jedenfalls nicht Neutralität. Anderseits hat er natürlich viel mehr Gelegenheit eigene Beobachtungen zu machen als einer, der nur wenig Zeit in der Ukraine verbracht hat und ansonsten auf die Synopse verschiedener Quellen angewiesen ist.


Indizien für eine merkwürdige Sicht


Einige Zeit nach der orangenen Revolution war ich in der Ukraine und sah die ungeheure Ernüchterung und Enttäuschung derjenigen, die wirklich an eine Revolution geglaubt hatten. Juschtschenko und Timoschenko haben dem ukrainischen Nationalismus gehuldigt, das mag einigen gefallen haben, am Grundübel der Korruption hat sich dadurch nichts geändert, nur wurden vorübergehend die Kleptokraten ausgetauscht. Janukowitsch wurde wiedergewählt, was nur geschehen konnte, weil die neue Regierung sich in kurzer Zeit noch verhasster als die alte gemacht hatte. Geliebt wurde keine. Solche Enttäuschungen beschädigen Demokratien längerfristig, umso erstaunter war ich, dass Umland 2009 (Ukraine-Analysen 65, "Die orangene Revolution als postsowjetischer Scheideweg") die Enttäuschung zwar konstatiert, aber behauptet, diese habe einen Demokratisierungsschub in den Medien und der Zivilgesellschaft bewirkt. Wenn ich an die traurigen Gesichter einiger Bewohner der ukrainischen Kleinstadt Burshtyn 2005 denke, kommt mir der Versuch, deren velorenes Jahrzehnt und missbrauchte Energie durch (zweifelhafte) Strukturanalysen schönzureden, unfair vor. Auch fehlt in der Analyse das anderweitig analysierte Phänomen, dass gerade derartige Enttäuschungen das Erstarken von Protestparteien, auch faschistoiden, fördern.  Umlands Kollegen Bredies und Segert haben übrigens Umlands Einschätzung kritisiert, dessen Erwiderung auf die Kritik finde ich letztlich unverständlich.
[...] Ich bin mit Bredies einverstanden, dass Sozialwissenschaft, zumal Demokratieforschung, immer auch kritische Wissenschaft sein sollte und dass die politische Ordnung der post-orangen Ukraine viel Kritik verdient. Allerdings darf man den geschichtlichen Kontext und die sich hieraus ergebenden besonderen Herausforderungen der ukrainischen Demokratisierung nicht aus den Augen verlieren. [...]
Ich bin mit Bredies einverstanden, dass Sozialwissenschaft, zumal Demokratieforschung, immer auch kritische Wissenschaft sein sollte und dass die politische Ordnung der post-orangen Ukraine viel Kritik verdient. Allerdings darf man den geschichtlichen Kontext und die sich hieraus ergebenden besonderen Herausforderungen der ukrainischen Demokratisierung nicht aus den Augen verlieren.
Herkunft: http://ukraine-nachrichten.de/andreas-umland-ukrainische-protodemokratie-zeitgeschichtlichen-kontext_2144_meinungen-analysen
Besuchen Sie auch unser Forum: http://forum.ukraine-nachrichten.de
Ich bin mit Bredies einverstanden, dass Sozialwissenschaft, zumal Demokratieforschung, immer auch kritische Wissenschaft sein sollte und dass die politische Ordnung der post-orangen Ukraine viel Kritik verdient. Allerdings darf man den geschichtlichen Kontext und die sich hieraus ergebenden besonderen Herausforderungen der ukrainischen Demokratisierung nicht aus den Augen verlieren.
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Anschließend führt Umland die Leiden des Landes unter des Sowjetunion an, die die bürgerlichen, zivilgesellschaftlichen Strukturen weitaus gründlicher zerstört habe als in den erst später dem "Rand es Sowjetimperiums" einverleibten Staaten wie Polen.  Das Bürgertum, das sich zwischen den Kriegen gerne auch hinter die  jeweiligen Faschismen stellte (Polen, Ungarn, Slowakei), als Vorläufer der von den gegenwärtigen Debatten so geliebten Zivilgesellschaft zu sehen, ist mindestens unhistorisch. Auch taugt es nicht zur Rechtfertigung einer positiven Bewertung von etwas, was von der überwiegenden Mehrheit der Ukrainer nur als negativ hat erfahren werden können.


Der Autor als Leserkommentarschreiber



Umland hat sich  sich als Leser an der Kommentierung eines Artikels in der Zeit beteiligt, der das Befremden von Lesern über russlandfreundliche Kommentare aufgreift. Dort hat er solche Leser als 'Trolle' bezeichnet, die immerhin viel weniger schlimm seien als die entsprechenden auf gewissen russischen Seiten. Nun gibt es manche Kommentare, die mag man wirklich nicht lesen; umgekehrt habe ich aber auch viele derart unlesbaren Kommentare für den ukrainischen Umsturz gefunden, nationalisisch so gut wie alle, antirussisch die meisten, antisemitisch einige.

Die Webseiten von Swoboda und Pravi Sektor sind eine "Fundgrube an völkischer Ideologie", wie gestern der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günther Verheugen im Deutschlandfunk festgestellt hat. Ich selbst habe ein wenig auf den Seiten des Prawi Sektor gelesen, bis mir schlecht wurde. Und der Reisende muss in der Westukraine wirklich nicht lange nach Nationalismus und Geschichtsrevisionismus suchen.

(Kleine Bemerkung: Es gibt auch 'russischen Nationalismus' und russische Gruppierungen mit faschistischen Ideen. Wenn 'wir' die Russen unentwegt loben würden, würde ich es als Korrektiv auffassen, auch darüber zu schreiben. Da es sich aber so verhält, dass am ukrainischen Umsturz zunächst nahezu alles schön geredet, am russischen Verhalten nahezu alles dämonisiert wurde, interessiert mich gerade diese Seite der Medaille mehr.)

Diesen Nationalismus zu benennen und abzulehnen ist geradezu eine Voraussetzung dafür, den anständigen Teil der bisherigen ukrainischen Opposition anzuerkennen. Die allermeisten Ukrainer, im Westen wie im Osten der Ukraine, wollen vermutlich eine funktionierende Wirtschaft in einem Staat, dessen Repräsentanten sich nicht bereichern. Das aber steht mit der neuen Regierung so wenig zu erwarten wie mit der alten.  Vielleicht wird die neue Regierung eine größere Annhäherung an die EU erreichen; was das dem durchschnittlichen Ukrainer bringt, bleibt abzuwarten.

Wer Russland kritisiert und Swoboda nicht, wer ist das?


Dieser Blog stößt sich an zweierlei Maß, Einseitigkeit. Umland ist einer von vielen, die in den Medien zur Ukraine gehört werden. Über die Rolle von Rechtsextremen/Faschisten bei den jüngsten Ereignissen gehen sie nonchalant hinweg: alles nur russische Propaganda. Nun ist aber die Präsenz der Gruppen auf dem Majdan ebenso belegt wie die Teilnahme von Swoboda an der Regierung. Die raschen Gesetzesänderung, nachdem der demokratisch gewählte Präsident geflohen war, werden allgemein als voll demokratisch legimiert dargestellt, die Abstimmung auf der Krim dagegen als bloße Machinationen Moskaus, usw.  (Darin ist etwa Ralf Fücks, der Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, deutlich einseitiger noch als Umland.) Alle diese Leute haben auch die orangene Revolution bejubelt und eine Analyse von deren Ergebnissen schlicht verweigert. Der Geschichtsrevisionismus (Ehrung Banderas und der UPA) war auch Programm der Regierung Juschtschenko/Timoschenko. Einiges davon hat Janukowitsch völlig zurecht zurückgenommen, wie auch sein Sprachengesetz den Minderheitensprachen den Status als Verwaltungssprache gab,  den die europäische Konvention zu Minderheitensprachen verlangt (auch wenn das Gesetz noch hinter dieser zurückblieb.) Dass im Rahmen des Umsturzes das Parlament dieses Sprachengesetz aufgehoben hat,  wird von Umland, Fücks et al. mit dem Argument beiseite gefegt, dass der Übergangspräsident sich geweigert hat, diese Aufhebung zu unterzeichnen. Die 'Rada' hat es aber nun einmal beschlossen. Welches Signal gab dieses Verhalten der russischsprachigen Bevölkerung? Es ist sehr zu bezweifeln, dass starke russische Einflussnahme überhaupt nötig war für die Entwicklung auf der Krim. Fücks, Umland, unsere Regierungen wären glaubwürdiger, wenn sie sich deutlicher von solchen Kräften distanzieren würden.

Und inmitten von soviel Einmischung und Einseitigkeit könnte man vielleicht mit weniger spitzen Fingern auf Russland zeigen.

Aber vielleicht kommt trotzdem was Gutes raus?

 Ja, das wäre schön.  Lauter neue Leute, die was neues versuchen. Aber huch, gar nicht so wenige der Gesichter im Übergangskabinett haben auch unter Janukowitsch gedient.  Die einzigen wirklich neuen Gesichter sind eben die der Rechtsextremen, und was wäre von denen zu hoffen?

Ja, aber jetzt gibt es doch noch neue Kräfte der Zivilgesellschaft, nicht wahr?

Es gibt im Kabinett diverse Parteilose mit anderem Hintergrund; wer weiß, vielleicht stehen sie ja für einen anderen Regierungsstil. Der bereits erwähnten Universitätspräsident und Minister Serhij Kwit hat 2012 eine Ausstellung des zur Kiew-Mohyla-Akademie gehörigen Zentrums für audiovisuelle Kultur besucht und diese anschließend schließen lassen.  Eine Petition des Zentrums für audiovisuelle Kultur formulierte das so:

Am 10. Februar 2012 hat der Präsident der Kiew-Mohyla-Akademie (NaUKMA) Serhij Kwit, die in der Akademie stattfindene Ausstellung „Ukrainischer Körper“ geschlossen, die von dem dort ansässigen Zentrum für visuelle Kultur organisiert wurde. Die Ausstellung setzte sich mit der Problematik der Körperlichkeit in der ukrainischen Gesellschaft auseinander. Die Schließung der Ausstellung wurde von Serhij Kwit auf folgende Weise erklärt: „Das ist keine Ausstellung. Das ist Scheiße“. Nach diesem Akt der Zensur, der sowohl in den ukrainischen als auch in den internationalen Medien eine breite Diskussion auslöste, initiierte Serhij Kwit eine Reihe von bürokratischen Sanktionen gegen die Organisatoren - das Zentrum für visuelle Kultur. Am 23. Februar verabschiedete
schließlich der Wissenschaftsrat der Universität unter der Leitung von Serhij Kwit den Beschluss, die Arbeit des Zentrums einstellen zu lassen. Am 12. März wurden alle Veranstaltungen in den Räumen des alten, akademischen Gebäudes, in dem das Zentrum seit 2008 aktiv arbeitete, vom Präsidenten der NaUKMA mit der Erklärung
verboten, die Räume seien in einem „gefährlichen Zustand“. Trotz dieser „Gefahr“ ist geplant, in dem Gebäude ein Bibliotheksarchiv einzurichten.

Zuerst wurde also die Ausstellung „Ukrainischer Körper“ geschlossen, dann das Zentrum selbst und schließlich das ganze Gebäude, in dem das Zentrum für visuelle Kultur seine Veranstaltungen durchführt. Solche Handlungen halten wir für eine unzulässige Zensur, die eine kritische Analyse wichtiger sozialer und politischer Probleme gezielt aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Die jetzigen Sanktionen der Universitätsverwaltung blockieren gegenwärtige und zukünftige Veranstaltungen des Zentrums für visuelle Kultur.

Das klingt nach einem x-beliebigen Spießer mit autokratischem Stil. Zumindest klingt so etwas nicht nach Neuanfang.

Und dennoch kann man natürlich hoffen, denn es gibt ja sicher viele vernünftige Leute ohne politisches Amt. Ich habe ukrainische Publizisten gefunden, die den ukrainischen Nationalismus analysieren, ohne ihn zu beschönigen, die aber auch in der russischen Politik der letzten zehn Jahre faschistoide Tendenzen sehen. Leider ist mein Ukrainisch zu schlecht, um mir das alles durchlesen zu können, aber es ist doch Anlass zu hoffen, dass irgendwann auch Leute, die nicht bloß Partei sind, etwas zu sagen haben werden.

Donnerstag, 13. März 2014

Kohlers Welt

Berthold Kohler ist eingemauert in ein polares Weltbild, eine Fortsetzung des kalten Krieges. Er hat sich heute in der FAZ geäußert, so gestanzt, einseitig und eigentlich merkwürdig, dass dieser Blogeintrag sich als eine Art Museum von etwas versteht, das für ausgestorben zu halten angenehm wäre:

Wenn Putin interessierte, was im Westen über ihn gedacht und gesagt wird, dann hätte es sich für ihn gelohnt, der Bundestagsdebatte über die Krim-Krise zuzuhören. Das deutsche Parlament ist bekanntlich alles andere als eine Versammlung von außenpolitischen Scharfmachern. Wenn dort ein anderer Staat gescholten werden soll, dann wendet sich inzwischen nicht mehr nur die Linkspartei lieber Amerika als Russland zu.
Wer deutschen Debatten der letzten Jahre folgt, kann wohl kaum den Eindruck gewonnen haben, dass es lieber gegen Amerika als gegen Russland geht. Das Gegenteil ist offensichtlich der Fall, und das obwohl die die BRD in den letzten Jahren besondere Hühnchen mit seinen Verbündeten zu rupfen hatte.  Kohlers Behauptung, die sich durch eine leichte Zählung widerlegen ließe, soll implizieren, dass eine seltene Kritik an Russland deshalb auch Hand und Fuß haben müsse.

Doch auch die Linken kamen nach dem üblichen Abarbeiten an Washington und Nato nicht umhin, das Vorgehen des Kremls auf der Krim zu verurteilen. Putins Lügen, Scheinbegründungen und Täuschungsmanöver ziehen selbst bei ihnen nicht mehr. Freilich ist die Linkspartei auch die Kraft, der es am wenigsten darauf ankommt, dass für die deutsche Wirtschaft weiter der Rubel rollt.
Insofern sich Russland in innere Angelegenheiten der Ukraine einmischt, sind völkerrechtliche Prinzipien verletzt, die auch linke Politiker (und im Hinblick auf Irak, Kosovo eigentlich nur diese) einfordern.  Insbesondere wird durch völkerrechtliche Abstraktion auch die vorherige Einmischung Europas und der USA in den ukrainischen Umsturz ebenso fraglich, worauf linke Politiker hingewiesen haben. Schließlich ist die letzte Aussage des Absatzes sehr hübsch und erinnert an den seligen FJS.  "Wo ich schon einmal dabei bin", kann ich, obwohl es thematisch hier nicht hingehört, noch einmal darauf hinweisen, dass die Linken der deutschen Wirtschaft schaden wollen.  Nun redet die Linkspartei aber davon, dass der Rubel, wenn er denn rollt, auch für die Ärmeren rollen sollte.  Wenn es nun so wäre, dass mehr Gerechtigkeit automatisch weniger Wettbewerbsfähigkeit bedeutete, so wäre die vorbehaltlose Bejahung letzterer durch Kohler doch wohl problematisch; ist es aber nicht so, so ist die Aussage Kohlers falsch. Auch ist bei den so genannten 'Reformern' in der Linkspartei, die spätestens bei einer Koalition mit der SPD auch zu Verrätern würden, sowieso die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Wege zur heiligen Kuh.

Die Kanzlerin dagegen muss auch diesen Aspekt bedenken. Dennoch hält sie mit allem Recht an ihrer Linie fest, dass der Westen nicht tatenlos zusehen kann, wie Moskau sich über die Regeln des Völkerrechts und die lange Zeit auch von Russland respektierten Prinzipien der politischen Ordnung in Europa hinwegsetzt. Ginge der Westen nach einer solchen massiven Grenzüberschreitung mit abnehmendem Murren zum Tagesgeschäft über, wäre der russischen Reconquista Tür und Tor geöffnet. 
"Die Kanzlerin" (man sieht förmlich den servilen Kratzfuß) und die anderen deutschen Politiker bedenken in der Tat unentwegt "diesen Aspekt", indem sie gerne moralisieren, aber ungern ein gigantisches Handelsvolumen mit Russland aufs Spiel setzen; auch im übrigen von Krieg und Konflikten letztlich nur Sorgen erwarten, zu Recht.  Von einer russischen Reconquista kann wohl kaum die Rede sein, vielmehr frisst sich die NATO von allen Seiten an Russlands Grenzen.  Und ob nun die Rechte der russischsprachigen Minderheit in der Ukraine ein Vorwand für Russland waren oder nicht, es ist dennoch wahr, dass die ersten Akte der neuen Regierung uneingeschränkt feindselige Signale an diese Bevölkerung aussendeten. Das 'Revolutionsziel', die Oligarchen zu entmachten, dem auch die Ostukraine mit Freuden zustimmen hätte können, wurde durch bloßen Austausch von Oligarchen ebenfalls sogleich verraten. Was Russland tut, dient vermutlich Russlands Interessen; Reconquista sieht anders aus.

Diejenigen Staaten, die 1989 dem sowjetischen Joch entkamen, würden sich unter wachsender Verunsicherung fragen, ob die Beistandsversprechen von Nato und EU auch so viel wert seien wie das Budapester Memorandum von 1994, in dem sich Russland, Großbritannien und Amerika verpflichteten, die territoriale Integrität der Ukraine zu respektieren. Kiew hatte damals im Gegenzug auf die in seinen Grenzen stationierten Atomraketen verzichtet. Putins Griff nach der Krim wird den Staaten mit nuklearen Ambitionen als weiteres Beispiel dafür dienen, dass man sich in Fragen der nationalen Sicherheit nur auf sich selbst und die eigene Atombombe verlassen kann.

Oho, "Joch", schön, dich wieder mal zu lesen!  Seit dem Budapester Memorandum hat sich die NATO weitergefressen und haben NATO-Mitglieder bei mindestens zwei eindeutig völkerrechtswidrigen Kriegen (Kosovo, Irak) mitgemacht.  Gerade der letztere Krieg konnte tatsächlich als Signal verstanden werden, dass nur nukleare Bewaffnung vor Invasion schützt. Nun hat aber Russland im Fall der Krim keine Invasion durchgeführt, sondern einen teilweise legitimen, teilweise illegitimen, von westlichen Mächten beinflussten Sturz der Regierung in Kiev durch einen teilweise legitimen, teilweise illegitimen, von Russland beeinflussten Schritt der Krim beantwortet.  Sich nun zur Verhinderung dieses Schritts die Ukraine nuklear bewaffnet zu wünschen, ist, gegeben das verhältnismäßig geringe Gewaltniveau und die verhältnismäßig große Legitimierung, well, gaga.

Denn sosehr sich der Westen auch solidarisch mit Kiew erklärt: militärisch geht er nicht gegen die Einverleibung der Krim vor. Er hat sie bereits abgeschrieben. Die bisherigen „Sanktionen“ sind Symbolpolitik, mit der die westliche Welt dem Kreml für die Zukunft zeigen will, dass es für sie Werte und Prinzipien gibt, die ihr noch mehr bedeuten als Gas und Profit. Ob Putin das den westlichen Demokratien abnimmt, wird sich schon im Osten der Ukraine weisen.

Ja, natürlich geht niemand militärisch gegen "die Einverleibung der Krim vor"; soweit herrscht eben Vernunft. Das bestreitet wohl auch Kohler nicht, obwohl  er die ganze Zeit sich zu wünschen scheint, es Russland mit Gewalt zu zeigen.  Die unsrigen für ihr tatenloses Gerede zu rügen, scheut er sich aber auch, der kleine Tiger: Werte, Prinzipien!  Da wiederum wird es wieder dünn, denn die Einflussnahme des Westens in der Ukraine hat nun ebenfalls sehr viel mit Interessen, eventuell auch mit Werten zu tun.
Dass Schweigen des Westens zu den inakzeptablen Teilen der Maidan-Bewegung (ja, es gab und gibt dabei Faschisten, eine Minderheit zwar, aber eine gewalttätige) zeigt die Wertevergessenheit der Werte predigenden Bande und gab überhaupt Russland erst die Chance, in seiner Darstellung die Opposition en gros als Faschisten darzustellen. Dass die Triebkraft der Proteste in der Westukraine unter anderem ein großes antirussisches (und zwar rassistisches) Ressentiment ist, kann jeder bestätigen, der dort schon gereist ist: Das ist keine russische Propaganda, und es könnte einem Land, in dem der Nationalsozialismus  über 20 Millionen Menschen getötet hat, durchaus zuzubilligen sein, die Bekämpfung von antirussischem Nationalismus mit Werten zu rechtfertigen.

Den Russen nur Interessen, nie aber Werte zuzutrauen, ist das rassistische Weltbild in seiner Kontinuität vom Nationalsozialismus über den kalten Krieg bis heute. Kohlers Welt ist alt und ranzig, aber in einem Museum sollte sie nicht fehlen.  Könnte Kohler, wie er schreibt, wäre er eine größere Gefahr für den Frieden als Putin. Aber er kann nicht.

Dienstag, 25. Februar 2014

Was tut das ukrainische Parlament?

Dieses fasst zur Zeit im Minutentakt Beschlüsse (s. http://iportal.rada.gov.ua/news/zak/page/1#)

Am Sonntag, den 23. Februar wurde um 13:06 das Gesetz "Über die Grundlagen der staatlichen Sprachenpolitik" aufgehoben, das jeder Sprache in den Regionen, in denen sie Muttersprache von mindestens 10 Prozent der Bevölkerung ist, den Status einer Regionalsprache gab, die auch in der Verwaltung, vor Gerichten, etc. verwendet werden kann. Nach dem Beschluss dieses Gesetzes im September vergangenen Jahres brach eine große Kampagne der ukrainischen Nationalisten gegen das Gesetz an. Jetzt also haben sie vorläufig gewonnen, da Ukrainisch wieder die einzige zulässige Verwaltungssprache in der ganzen Ukraine ist.

So much for 'Demokraten gegen Despoten'. Vor Jahren, als ich nach der orangenen Revolution mit dem Fahrrad quer durch die Ukraine fuhr, unterhielt ich mich mit jungen Ukrainern in Katerstimmung.  Ich kann mich an Sergeij erinnern, der für die Proteste nach Kiew gefahren war und kurz an allgemeine Verbesserung der Verhältnisse geglaubt hatte und mit einem Austausch der maßgeblichen Oligarchen aufgewacht war. Ich kann mich übrigens nicht erinnern, ob seine Muttersprache Russisch oder Ukrainisch war.  Er jedenfalls hatte Öl- und Gasexploration in der Ukraine studiert, dann aber nur eine Stelle in Sibirien gefunden. Er fuhr jeweils für ein bis zwei Monate nach Sibirien und verbrachte dann einen in Burshtyn. In gleicher Weise im Westen Arbeit zu suchen wäre kaum möglich gewesen, da Visen schwer zu bekommen waren und sind. -- Man beachte die feinen Unterschiede einer europäisch-amerikanischen Rhetorik, die immer wieder beschwört, die Ukraine zähle irgendwie zum Westen oder zu Europa, aber um Himmels Willen keine ukrainischen Arbeiter auf dem europäischen Markt haben will. Es geht den Geopolitikern offenbar nicht um die Ukrainer, sondern um die Ukraine. Den meisten Ukrainern ist mit dem Austausch von Kleptokraten oder etwas mehr oder weniger Nationalismus natürlich nicht gedient, wäre diese Veränderung auch noch so schön verpackt in
Silberpapier, Freedom-Gedöns und Marschmusik; sie würden nur gerne unter würdigen Umständen arbeiten und leben.

Die auf zerrütteten Verhältnissen parasitierenden nationalistischen und rassistischen Ideologien bleiben widerlich, auch wenn man die Mechanismen erkennt, die sie begünstigen. Ich kann mich an ukranische (übrigens auch polnische, litauische) Nationalisten erinnern, die erklärten, sie seien Europäer, im Gegensatz zu denen, den Russen, den Asiaten. Und erinnern kann ich mich auch an Gedenktafeln, die die Taten von Nazikollaborateuren priesen, zwischen Lwiw, Lwow, Lwów, Lemberg und der Grenze zu Rumänien.

Die westliche Berichterstattung war von einer so unreflektierten Einseitigkeit, dass, da Verschwörungstheorien mir nicht einleuchten, nur Dummheit, Eitelkeit und mangelnde Sprachkenntnisse als Erklärung dienen können. Gemischt natürlich mit Relikten eines Weltbilds des Kalten Krieges. Die Dummheit besteht nicht darin, Janukowitsch aus diesen oder jenen Gründen abzulehnen, sondern in der Befürwortung von Janukowitschs Gegnern.  Vor wenigen Tagen haben zeitgleich das ZDF und die FAZ eine Erwiderung auf den zumindest bei einem Teil der 'Majdan'-Bewegung nachweisbaren Antisemitismus (Swoboda, Rechter Sektor) veröffentlicht. Das mit dem Antisemitismus sei ja viel besser geworden in den letzten Jahren, so die Bilanz. Antirussisch ist ja sowieso in Ordnung, und der Antisemitismus anscheinend in einem gewissen Ausmaß bei Gruppen, die einem genehm sind, auch.

Nun wird das Gesetz über die Sprachenpolitik, das unter Janukowitsch beschlossen wurde, vom Parlament für ungültig erklärt.  Der Entwurf für ein Nachfolgegesetz soll ausgerechnet von Swoboda ausgehandelt werden.  Europa beklatscht munter die Opposition, während diese ein der  Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen zumindest halbwechs konformes Gesetz kippt.  Seltsam, wirr, dumm.  Wer hat nun in der Vergangenheit wie zu besagtem Gesetz Stellung genommen?  Nun, neben einem Großteil der Gruppen, die die Proteste angeführt haben etwa auch ThinkTanks wie "Freedom House":

Thus Ukraine suffered a decline for a second year due to the politically motivated imprisonment of opposition leaders, flawed legislative elections, and a new law favoring the Russian-speaking portion of the population (Freedom in the World 2013).
Wer steht dahinter? Die Frage muss man stellen, da die Aussage mehrfach falsch ist: Offensichtlich verstößt es gegen so ziemlich alle Ideen von Freiheit etc., der Muttersprache der nahezu halben Bevölkerung eines Landes keinen verfassungsmäßigen Status zu geben. Darüber hinaus wird die 'Russian-speaking population' keineswegs bevorzugt, indem man ihnen Rechte gibt, die die ukrainischsprachige Bevölkerung selbstverständlich genießt. Nur vor einem Verständnis, das Russland in der Rolle des Bösewichts und die russischsprachigen Bevölkerung in der  Rolle des Handlangers sieht, kann so ein Satz einen Sinn haben.  -- Hinter Freedom House stehen unter anderem die Regierung der USA und George Soros als Geldgeber.

Zurück zur Fahrradtour, die mich anschließen durch Moldavien, nach Transnistrien und zurück in die Ukraine führte. Im Falle Moldaviens hat die 'internationale Gemeinschaft' des Westens ebenso die Nationalisten zur Diskriminierung des russischsprachigen Landesteils beglückwünscht, der sich darauf selbständig machte.  Bis heute wird Transnistrien vom Westen nicht anerkannt, Moldavien sehr wohl, dabei war Chișinăus Sprachpolitik in krassem Widerspruch zu den Werten, die der Westen angeblich hochhält und gerade nach "unseren" angeblichen Kriterien die Sezession von Transnistrien nur zu verständlich. 

Es bleibt festzuhalten, dass, wer Werte nur eben so, wo sie nützlich sind, als Propagandainstrument verwendet, sonst aber nicht beachtet, keine Werte hat. "Kiev is free!" Ja, passt schon.