Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Mittwoch, 11. Mai 2016

2016, mon amour

2016 habe ich noch nichts in diesem Blog veröffentlicht, aber nicht aus Mangel an Material, sondern im Gegenteil, weil es zum Davonlaufen viel Material gibt.

PRIMO

Während sich die Regierung Merkel vom rechten Rand der Gesellschaft...

[Intermezzo]

Hier müssen wir den Satz kurz unterbrechen, um uns zu fragen, was ein Rand ist.  Wie breit kann etwas sein, das noch Rand genannt wird ? 


Nachdem ich letzte Woche in dem kleinen hessischen Dorf war, aus dem ich komme, und dort nicht wenige sehr wohlhabende und sehr wohlgenährte Damen und Herren im Gespräch nach einiger Zeit anfingen, gegen die Flüchtlinge vom Leder zu ziehen, war mein erster Gesprächspartner zurück in Berlin ein Taxifahrer türkischer Abstammung, der erzählte, wie er Anfang der 80er noch auf Vermieter traf, die "nicht an Türken vermieteten." Danach klagte er darüber, jetzt könne man nicht mehr in Neukölln wohnen, wegen der Araber.   Rassismus ist kein Randphänomen, es sei denn man wäre bereit, in der rechten Figur der obigen Skizze von einem Rand zu sprechen.

[Ende des Intermezzos]

Während sich die Regierung Merkel vom rechten Rand der Gesellschaft als weich, ausländerfreundlich und geradezu links bezeichnen lassen muss, hat sie zwei Asylpakete durchs Parlament gebracht, die die Demontage des deutschen Asylrechts von 1993 vollenden.  Die Ankündigung, den Familiennachzug bei Flüchtlingen, die lediglich subsidiären Schutz genießen, für fünf Jahre auszusetzen, kann in direktem Zusammenhang damit stehen, dass der Anteil der Frauen und Kinder unter den im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen 2016 so hoch wie nie ist.  Wie auch immer, von dem einen Satz "Das schaffen wir " abgesehen, macht die Regierung eine widerliche Politik, während der rechte Rand bis hin zur Mitte nach widerlicher Politik ruft.  Dass dies nicht zu einer großen Versöhnung zwischen Rand und Regierung führt, liegt zur Abwechslung nicht an der Regierung, die sich ja recht offen zu der Inhumanität bekennt, besonders seit dem Deal mit der Türkei, sondern an den Wortführerinnen und Wortführern der Rechten, die ihre Bedeutung ja vor allem der Behauptung verdanken, diese Regierung "lasse sie alle rein."

SECUNDO

Der kalte Krieg gegen Russland geht weiter. Der Falke Hillary Clinton hat wohl gute Chancen, Präsidentin zu werden. Bezüglich Russland gehört sie zu denjenigen mit der schärfsten Rhetorik, bis hin zum noch jeden Quatsch rechtfertigenden vorwurf Putin-Putler sei mal wieder ein neuer Hitler.  Ein Vergleich mit dem realen Hitler zeigt, dass Clinton Unsinn redet. Zu hoffen wäre, dass sie es immerhin weiß, sonst dürfte uns Angst und Bange werden.  Derweil hat das Bundesverteidigungsministerium einen "Russland-Experten" auf seinen Seiten zu Wort kommen lassen:  Russland betreibe eine Vielzahl kremlfreundlicher Internetseiten und bediene sich vieler "Internet-Trolle", und zwar folgender Typen: Verschwörungs-Trolle, Wut-Trolle, Anhang-Trolle, Wikipedia-Trolle, Bikini-Trolle.  Klassifizieren kommt ja gewissermaßen wissenschaftlich daher.  Nun verwenden so gut wie alle staatlichen und unzählige nichtstaatliche Akteure das Internet zur Verbreitung ihrer Ansichten und zur Manipulation.  Verfolgt man die Geschichte von Wikipedia-Einträgen zu politisch wichtigen Themen, wird man bald Akteure mit einer Agenda identifizieren und üblicherweise nicht herausbekommen, wer bezahlt wird, wer in eigener Regie handelt, wer davon ein manipulierter Manipulateur ist.   Als Meldung über Russland ist die Erwähnung von Wikipedia-Trollen wertlos, aber ein Akt der Propaganda.  Die Seite des Ministeriums macht also Propaganda, indem sie etwas über Russlands Propaganda behauptet.  Ob des Ministeriums Propaganda gelingt, oder ob die einigermaßen kritischen Leser achselzuckend zu dem Schluss kommen, dass Staaten Propagandaorgane haben, alle, auch die, die sich als überaus demokratisch verstehen, sei dahingestellt.

Ach ja, was macht eigentlich die  Truppe für Operative Kommunikation (ehemals Truppe für Psychologische Kriegsführung) der Bundeswehr  ?  Im Rahmen der auf den Seiten des Ministeriums erläuterten "hybriden Kriegsführung" werden sie wohl Bundestrolle beschäftigen, die dann in Russland Prograganda machen. Vorausgesetzt, irgendwer kann dort Russisch.

TERTIO

- Wie ist denn euer Gnaden ?
- Gar nicht gut. So gewiss dumm ist mir.
- Ja man sieht Ihnen's an, völlig vernagelt schauen Sie aus.

QUARTO

Auch wenn die Wortführer/innen der AfD bürgerlich sind, sind unter den Anhängern Vertreter aller Schichten, auch arme Schlucker.  Das ist auch deswegen kurios, weil die AfD in Wirtschaftsfragen ein ultraliberales Programm hat, das fast sicher auf Kosten der armen Schlucker ginge. Der größte gemeinsame Nenner unzufriedener Unternehmerchen und unzufriedener Arbeitsloser ist die Ablehnung von Migranten.  Eine Komponente davon ist Rassismus, zweifelsohne.  Eine andere aber ist durchaus Erklärungen zugänglich: Der arme Schlucker wird unter dem Hartz-IV-Regime verwaltet, beherrscht und klein gehalten. Unter solchen Bedingungen wachsen selten Tugenden, sehr wohl aber Ressentiments gegen andere, die vermeintlich bevorzugt werden.  Die lange geduldige Arbeit,  sich um alle in einer Gesellschaft zu bemühen, wurde vernachlässigt.  Diese Analyse verweigern die Rechten, weil jene Vernachlässigung zum Programm gehört, und leider auch manche von den Linken, weil sie in einem Erklärungsversuch bereits eine Entschuldigung sehen.

Eine der Herrschaftsmaßnahmen im Rahmen des Arbeitslosengeld 2 sind die so genannten "Sanktionen". Dazu einige Stimmen aus jüngster Zeit:

Seehofer (CSU):  Sanktionen seien das "tragende Element, um Erwerbslose zum Arbeiten zu motivieren."

Tino Sorge (CDU): Zu Recht hänge das Damoklesschwert des Geldentzugs über den Erwerbslosen.

Jutta Eckenbach (CDU): Sanktionen seien "keine Strafe", sondern "Rechtsfolge". Ein solches "Anreizsystem" fördere die "Willensbildung".

Das Anreizsystem des Damoklesschwerts wirkt, da sind sie sich einig, allerdings bleibt die Frage nach der Wirkung.  Ich möchte dazu Xenophons "Erinnerungen an Sokrates" zitieren:

Denn die, welche mit Gewalt zu etwas gebracht werden, sind voller Hass, indem man ihnen gleichsam etwas weggenommen hat, die mit Güte Überzeugten aber sind voller freundschaftlicher Gesinnung, indem sie gleichsam eine Wohltat erfahren haben. Es passt aber nicht zu denen, die sich in Vernunft üben, Gewalt anzuwenden, sondern derartiges tun die, die nur von roher Gewalt ohne Einsicht beherrscht sind.

Diejenigen von den unvernünftigerweise Schikanierten, die ihren Hass auf die Flüchtlinge kippen, die nun wirklich nichts für die Politik von SPD, Gründen, CDU und FDP können, werden sich noch wundern, wenn die Geister, denen jeder Pfennig für Flüchtlinge einer zu viel ist, an die Macht kämen. Denen wäre auch jeder Pfennig für Nichtsnutze einer zu viel, und ein Nichtsnutz ist in diesem Weltbild allemal der Arbeitslose.