Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Donnerstag, 17. August 2017

Ich finde zwar alles gut, bin aber soooo kritisch.

oder:

Wahlwerbung als Meinung.

Die unten stehende Email von Georg Fries hat mich gestern erreicht. Sie kommentiert den bei Bento unter der Rubrik "Meinung" erschienen Artikel "Ich bin 'Generation Merkel', und das ist auch gut so." von Britt-Marie Lakämper.

Unten steht: "Die Autorin ist Mitglied der CDU", das stand aber ursprünglich nicht da. Dadurch wurde den Lesern und Leserinnen die Möglichkeit vorenthalten, den vermeintlichen Meinungstext unter dem berechtigten Verdacht auf Wahlwerbung zu lesen. Klammheimlich nur wurde die Parteizugehörigkeit ergänzt. Die Redaktion nahm dazu Stellung -- "es wäre noch schöner gewesen, hätten wir gleich geschrieben...". Und noch schöner als noch schöner wäre es gewesen, zu schreiben, dass diese Information auf Nachfragen von Lesern ergänzt wurde. Das würde nämlich den Lesern nicht nur erleichtern, sich ein Urteil über Lakämper zu bilden, sondern auch über Bento.

Britt-Marie schreibt also ihre "Meinung", unter anderem über Sachverhalte. Jemandem wissentlich einen Sachverhalt falsch darzustellen heißt Lüge . Eine falsche Meinung über einen Sachverhalt ist -- halt eine Meinung. Durch "Meinung" ist gedeckt, irgendwelche Behauptungen über "ihre Generation" aufzustellen, ohne sich um empirische Belege zu scheren. "Ich kenn mich ja, also kenn ich meine Generation." Was immer sich über selbige Generation verallgemeinernd sagen ließe, sie ist jedenfalls nicht mehrheitlich in der CDU. Wer unter den ungefragt Mitgemeinten sich wohl das freche "wir" gefallen lässt? Lesen sie selbst, wie eine moderne Reaktionärin zwar einerseits kenntnis- und empathiefrei die Verhältnisse schönlügen kann, aber doch unbedingt als kritisch gelten möchte.



Guten Morgen,

da ich mich seit ungefähr 20 Jahren mit der damals ungefähr einsetzenden neuen Art, über Politik zu reden, beschäftige, hier eine kleine Analyse eines solchen Beitrags. Was taz ungefähr ab 1993-5, das gruselig schwache postmoderne Feuilleton der Frankfurter Rundschau ab 1997, Kultur- und Sozialwissenschaften und auch grade die Literatur- und Theaterszenen begannen, kommt hier an ein eher lächerliches, aber wohl immer noch wirksames Ende.


*

Ich bin "Generation Merkel" - und das ist auch gut so!

Dieses Jahr geht die "Generation Merkel" das erste Mal zur Wahl. Junge Erwachsene also, die sich bewusst nur an Angela Merkel als Bundeskanzlerin erinnern können.
"Die Zeit" nennt sie von nun an "Generation Raute". Hört sich gleich viel cooler an.



Methode 1: name-dropping. Die ZEIT, sicher kein Magazin für jugendliche ErstwählerInnen, findet Merkel schonmal „cool“. Erstmal Ellbogen raus, und schablonisieren. „Generation Merkel“. Zahlen, wie viele junge Leute CDU wählen? Nix da. Vergleiche – auch 2005 gab es sehr viele konservativer ErstwählerInnen, CDU, FDP, SPD oder Grüne wählend, von denen nun ja manche schon Eltern sind...






Auch ich gehöre zu dieser Gruppe. Und natürlich prägt es mein Verhältnis zur Politik, dass ich nichts anderes kenne als Merkel. Deswegen finde ich es auch nicht schlimm so oder anders betitelt zu werden.
Methode 2: Ich = alle. Wieso die Dame nur Merkel kennt (Keine Opposition gibt es doch nur im bösen Russland?) verrät sie nicht. Aber – nudge nudge – hey da sollen mich doch diese Bösen Merkel-Generation nennen. (recht primitive Anschleimerei).



Schlimmer finde ich es, dafür verurteilt zu werden, dass sich die Mehrheit der Erstwähler Merkel wieder als Kanzlerin wünscht. (Welt)
? Selbstwiderspruch. Die „Generation Merkel“ will Merkel – was sollte daran „verurteilenswert“ sein, wenn es die Dame nicht stört, als „Generation Merkel“ bezeichnet zu werden? „Ich bin Generation Merkel, wähle aber Corbyn?“ Aufbausch-Journalismus.






Das wird der Generation Merkel – und somit auch mir – nämlich mal wieder zum Vorwurf gemacht. Von Journalisten jenseits der 50. Und vielen anderen in der Generation meiner Eltern.
Weil wir uns keine Veränderung wünschen, seien wir unpolitisch, gesättigt und hätten keine Haltung.
Jaja, früher war natürlich auch die Jugend besser!

[GIF von einem, der die Augen verdreht.]

Das ist vollkommener Unsinn.

Methode 3: Alte Klamotte, der gesamte BR2-Zuendfunk, Spex, FR-Feuilleton usw basieren zu großen Teilen nur darauf. Wir sind jung und cool, Ihr seid scheisse und wollt uns nur belehren. Der verständliche Anteil daran ist, daß oft Eltern ihre Kinder belehren. Wie wir aber gleich sehen werden, stimmt selbst das nicht hier… Es bleibt: armseliges Cool-Gehabe.



Es tut mir sehr leid, der Generation meiner Eltern das mal sagen zu müssen, aber:
Subtext: Ich freue mich riesig, diese uralte Phrase anwenden zu können, denn mir tut nix leid, ich will euch ja vollscheissen. (öffentlicher Subtext: argumentfrei lächerlich machen.)



Ein Weiter-So ist auch eine Haltung.

Stimmt. Die Haltung großer Teile der Bevölkerung, von 18-95. um 90% werden CDU/CSU, SPD, Grüne oder FDP wählen, die für weiter so stehen. Sogar erste konservative Linkspartei-Leute, die Wagenknecht lieber heute als morgen absetzen wollen, gehören inzwischen in diese Kategorie.



Nur, weil ihr eure Meinung mit Protest auf der Straße zum Ausdruck gebracht habt, heißt das nicht, dass wir keine haben, wenn wir nicht auf der Straße sind. Das wäre ein logischer Fehlschluss.
Und wer glaubt, Zufriedenheit sei ein anderes Wort für Politikverdrossenheit oder Gleichgültigkeit, der irrt sich.
Da hat sie recht. Ist aber nicht neu. Die Theaterchefin von kampnagel Hamburg, Deuflhard, redete schon 2005/06 die damals sehr konservative Jugend schön, kaum hatte mal jemand sie unpolitisch genannt. Und „zufrieden“ darf man sein, wobei es dann dazugehört, das Morden durch unsere Kriege, die Klimazerstörung durch den Westen, die im Mittelmeer sterbenden refugees zu ignorieren. Gleichgültigkeit gehört dazu, aber sonst – klar kann sie „zufrieden“ sein als persönlich nicht arme Westlerin.



Meine Generation hat das außergewöhnliche Glück, in einer Phase des Friedens aufgewachsen zu sein. In einer stabilen Demokratie und mit einer Fülle an Möglichkeiten, die manchmal sogar überfordert.
Methode 4: Dummfrechheit. „Meine“ Generation lebt klimazerstörend, wie die Generationen vorher, seit 2001 bombardieren wir und zerstören Staaten, und die Möglichkeiten, die „manchmal sogar überfordern“, haben zwar Damen wie diese Journalistin, aber nicht die unteren 30% der Jugendlichen oder Älteren.









"Unfuck the world": CDU, SPD & Co. haben ihre Playlists vorgestellt
Das hören die Parteien im Wahlkampf



Lustige Werbeeinblendung. Unfuck the world :)
Um uns herum geht Einiges schief. Ob Russland, Polen oder Amerika: Wir nehmen wahr, dass es uns vergleichsweise gut geht.
Lustiger Selbstwiderspruch. Amerika zählt für die Dame auch erst seit Trump – Merkel und Clinton hätten ähnliche Politik gemacht, in der Ukraine wollte Merkel den Putsch mit Klitschko, Clinton und Obama mit „Yats“ - so what.

Warum sollte man sich nicht wünschen, dass es so weitergeht?

Na vielleicht, weil du oben gesagt hast, vieles laufe schief?



Das macht uns nicht gleich dumm, faul und unmündig – sondern vernünftig. Sicherheit und stabile Verhältnisse sind etwas, nach dem viele Menschen streben.
Den Trick kennen wir alle – Mama Papa haltets Maul. Mit 13-15 würde das zu einer gesunden Pubertät gehören – diese Britt-Marie verschweigt uns nur, daß genau das niemals weniger vorkam – man shoppt in der „Generation Merkel“, so es die gibt, seit längerem, auch die jetzt 30-35 jährigen taten das, mit Mami und Papi, fliegt gemeinsam in Urlaube, die die Mittelklasse-Eltern bezahlen, die Eltern sind stolz, selbst „cool“ die gleiche Musik wie ihre Kinder zu hören… Der Satz ist weinerlich und verlogen, und wirkt doch immer. Jung ist cool! Merkel ist cool!












Vielleicht ist die Generation Merkel eine Generation der neuen Spießer – so what? Für unsere Eltern mag es ein Schimpfwort gewesen sein. Für uns, eine Generation, die sehr wohl bemerkt, dass die Welt im Umbruch ist, klingt Stabilität eben eher verlockend.
Siehe oben. Freche Lüge. Die Eltern selbst sehen sich als Spießer. Es gab mal eine Werbung, die jede Menge um 40-50 klasse fanden – Vadder mit Tochter vor einem Haus oder was immer, Vadder: „Spießer“ - Tochter: „wenn ich groß bin, will ich auch Spießer sein“ - zoom auf das Werbeprodukt, Haus, Auto, egal. Da jauchzten die Eltern! Die „Generation schwarz-grün-gelb-SPD“ hat Eltern der Generation „schwarz-grün-gelb-SPD“… Aber dann könnte Britt-Marie Lakämper nicht ihren inhaltsarmen Artikel schreiben, und Linken in die Fresse hauen.



Und während Mama und Papa stolz auf Demos Plakate mit "Atomkraft, nein Danke" und "Make love, not war" vor sich her tragen konnten, ahnen wir, dass die Welt längst zu komplex geworden ist für simple Slogans und Ideologien.
Wiederholung. Hier wird’s dazu lächerlich. Make love not war ist Opa-Oma-Zeit, und „Atomkraft nein danke“ ist inzwischen, nachdem sie bis Fukushima pro Atomkraft war, Slogan ihrer Heldin Merkel… Dazu der übliche fade Trick – ihr seid dumm und „monokausal“ (Postmoderne geiferte so) oder „simpel“. Wir dagegen...die Generation Merkel...boah, wir sind komplex...



Das sieht man auch in diesem Wahlkampf-Quiz – man kann manchmal kaum erkennen, welcher Slogan zu welcher Partei gehört.
Etwas Eigenwerbung für den schwächelnden Spiegel-Ableger bento, für den Britt Marie schreibt – na und, Generation Merkel-grün-FDP-SPD...nicht wahr?
Das kann natürlich manchmal lähmend wirken:
Wenn ich heute für ein vereintes Europa und gegen das Abdriften der osteuropäischen Staaten demonstrieren will, liegen die Ursachen bei der EU, der Flüchtlingskrise und Russland.
Das vereinte – neoliberale – Europa, unter Merkels orders...Wer vorher den bösen Omas und Opas, „Eltern“ genannt, vorwirft, simpel zu sein, hui...




Es gibt eben nicht mehr die eine Antwort auf politische Fragen.
Die Zeit der einfachen Lösungen ist vorbei und wahrscheinlich gab es sie auch nie.
Aber klar doch. Mami und Papi hatten einfache Lösungen! Sagte Britt-Marie Lakämper das nicht soeben?


Aber auch dafür steht Merkel: eine grundsätzliche ideologische Haltung überdenken können. Ergebnis davon sind beispielsweise die Energiewende und die Abstimmung über die Ehe für Alle.
Hübscher Versuch, Merkels Opportunismus (nur bei marktkonformer Demokratie, also Marktradikalismus, ist sie unbeugsam) schönzureden. Wenn das aber die bösen Eltern, mit denen ihre Generation shoppen und fliegen geht, täten...

Unter Merkel ist eine Generation in einem stabilen, sich trotzdem wandelnden Land aufgewachsen.
Natürlich hat ihr vieles geholfen, zum Beispiel wurde Deutschlands wirtschaftlicher Aufschwung durch die SPD-Arbeitsmarktreformen und den für Deutschland erfreulich schwachen Euro wahrscheinlich erst möglich.
Der Dank der Generation Merkel geht an die rot-grüne Koalition 1998-2005 (gewählt von den Eltern), die Hartz 4, Leiharbeit brachten und soziale Ungleichheit verstärkten, auf daß die reicheren 60% der jetzigen Generation Merkel unglaublich reich sein kann. Scheiß auf die andern.



Aber so ist das nun mal - Politiker steuern ihr Land durch eine bestimmte Zeit. Und ich glaube, niemand würde behaupten, diese Zeit sei insgesamt betrachtet eine leichte gewesen.
Es fällt mir schwer, solche Phrasen als die einer jungen Generation-Merkel-Journalistin zu lesen. Hatten wir es nicht alle schwer? Lag der Zentner nicht auf unseren gebeugten, schwer arbeitenden Schultern? War es im Westen 2005-2017 nicht so, daß es mehrere Hungersnöte gab, während in Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, Iran, Pakistan, Jemen rauschende Feste gefeiert wurden? Ja, diese Zeit war nicht leicht, Britt-Marie Lakämper. (Also wirklich...)
Deshalb ist sie eine Symbolfigur für die Stabilität.
Haltet mich. Das könnte von Helmut Kohl oder Joachim Gauck sein. Schleimiger geht’s nicht mehr, Britt-Marie Lakämper.



Selbstverständlich ist auch unter Merkel nicht alles toll: Frauen verdienen im Schnitt immer noch weniger als Männer, das Bafög ist zu niedrig (bento), und das Steuersystem ist hochkompliziert.
Böse Kritik an der Göttin. (Aber verurteilen wir sie nicht, Kunstszenen und ganze Unis vergötterten genau so Foucault, wie diese marktradikale Journalistin ihre Merkel). Und Steuersystem? Kirchhof, 25% für alle! Dann sind noch ein paar zusätzliche USA- und Lateinamerika-Afrika-Flüge zum Wohl der 6,5 Milliarden außerhalb des Westens drin.



Und dann gibt es ja noch das wichtigste Thema für uns, die Erstwähler: Generationengerechtigkeit. Wir werden nicht gehört, nicht ernst genommen, und unsere Zukunft wird aufs Spiel gesetzt - Hauptsache die Renten unserer Eltern sind sicher. Natürlich macht mich das wütend.
Ohne Worte. Die Generation Merkel, woher soll heut abend das Essen kommen, klagt über die Renten der Eltern. Nie Pispers gesehen, oder „zu einfach“ gefunden? ZDF-Anstalt? Eine absurde Schreiberei.
Aber: Ich sehe momentan keine wirklichen Alternativangebote. Noch ist kein Spitzenkandidat mit der Forderung nach einer Jungen-Quote in den Wahlkampf gezogen, damit die Zukunft dieses Landes sich überhaupt Gehör verschaffen kann.
Aber wir haben doch Merkel! Hat Britt-Marie Lakämper ausführlich erklärt. Merkel kann frei wählen – Göring-Eckardt/Özdemir, die Wunschpartnerpartei – oder doch FDP, SPD… Reine Phrase. Alles ist prima außer daß die Eltern zuviel Rente kriegen, und dann Alternativen?



Ich weiß allerdings auch: Keine Partei wird jemals hundert Prozent meine Vorstellungen vertreten und durchsetzen – da sind wir wieder beim ach so schlimmen Pragmatismus der "Generation Raute."
Ich habe es ja immer bewundert – Linke „Gutmenschen“ nennen, und gleichzeitig inhaltsfrei auf coolness setzen und selbst jammern, was diese bösen starken Eltern (= Omas Opas, damit Britt-Marie Lakämper weiter verschleiern kann, daß sie wie ihre Elterngeneration Merkel liebt und wählt) immer so büse sagen. Diese Phrasenmischung benutzen bis in die Kultur seit 25 Jahren Leute. Ralf Fücks ist ein feines Beispiel dafür – grün sein wollen, für Vielflieger, und wer nachfragt, ist „Öko-Calvinist“ und ganz böse.



Doch in einer Zeit, in der Tweets zur außenpolitischen Eskalation führen können und Systeme von heute auf morgen umstürzen, ist es für mich völlig natürlich, den Wunsch nach Kontinuität und Berechenbarkeit über vieles andere zu stellen.
Aus dem Archiv der älteren JournalistInnen: Merkel als lupenreine Demokratin, die die Weltdemokratie (?) rettet.



Deshalb, liebe Eltern und ältere Redakteure: Hört auf, euch so eitel für eure eigene Haltung auf die Schulter zu klopfen.
Alte Schule. Siehe oben, FR, taz, postmoderne Unis – Schema exakt gleich. Selbst arrogant und eitel schreiben, aber Mami und Papi hier „eitel“ und arrogant nennen. Das ist ein Verfall jedes Journalismus, aber weit verbreitet.
Und macht es der Generation Merkel nicht zum Vorwurf, wenn wir CDU wählen. Das heißt nämlich, dass wir etwas wollen - und wahrscheinlich, dass eure Renten sicher sind.
Prima. Sie meint die Renten der GewinnerInnen der Merkel-Jahre, und Linke vergessen oft, die gibt es natürlich, die reicheren 50-60% verlieren nicht oder gewinnen, auf Kosten der von Britt-Marie Lakämper unterschlagenen Menschen… Dennoch jammern die Reicheren am lautesten, fordern „endlich Steuersenkungen“ und „einfaches Steuersystem“ (während sie jeden Trick im umfangreichen jetzigen System vom Steuerberater nutzen lassen…). Ein Hohn, dieser Artikel!



Viele Grüße, Georg

Montag, 19. Juni 2017

Tony Blair doesn't get it

In a piece for the Guardian Tony Blair wrote about Jeremy Corbyn, who had been recently elected leader of the Labour Party (2015):

The Corbyn thing is part of a trend. So Donald Trump leads the field of Republican candidates with thousands at his meetings, despite remarks about women and Mexicans that you might think would be a disqualification in a nation where half the voters are women and Latinos, the fastest growing group of voters.

Bernie Sanders is wowing the Democrats on a platform that wouldn’t carry more than a handful of states. The SNP win a landslide in Scotland after the collapse of the oil price means that the course they advised the Scottish people to take last year would have landed the country in the economic trauma unit.

The former Greek prime minister led in the polls on a bailout programme significantly harsher than that of the government he put out of office precisely on the issue of the bailout. Marine Le Pen rides high in France advocating an extreme nationalism combined with a quasi-socialist economic policy, with small business appeal, when, let us say, the historical precedents for such a combination aren’t exactly comforting.

There is a politics of parallel reality going on, in which reason is an irritation, evidence a distraction, emotional impact is king and the only thing that counts is feeling good about it all.

So when people like me come forward and say elect Jeremy Corbyn as leader and it will be an electoral disaster, his enthusiastic new supporters roll their eyes. Neil Kinnock, Gordon Brown and I have collectively around 150 years of Labour party membership. We’re very different. We disagree on certain things. But on this we’re agreed.
Well, on connait la chanson: Left is right, and being somewhere slightly right of the centre is the new left.  The sheer arrogance of the equation is stunning: All the 'populists' who respond to the discontent of the population are charlatans, providing a 'parallel reality', voters of Le Pen and Corbyn follow the same illusions, and Le Pen and Corbyn fish in the same lake? This attitude is good tidings for the likes of Le Pen.

The social democratic parties, thoroughly at work for their self-destruction all over Europe, have joined the (other) centrist parties long ago and have been claiming since that "there is no alternative" to what they are doing. Consequently, the ungrateful populace has decide that there is an alternative to having social democrats destroy what is left of our social legislation: Have the conservatives do it or try out the neo-fascists.  Renzi, Schröder, Blair, Hollande have made their parties redundant.  The disappointment was perhaps deepest in Germany where Schröder followed a Christian Democratic goverment (Kohl) that was reluctant to cut the welfare state and to touch the long established compromises between capitalism and workers' interests in the Wirtschaftswunderland. Whereas in GB, after Margret Thatcher, Blair necessarily would appear the Saviour, and would need many years to spoil this advantage.

In the Alice in Wonderland world this parallel reality has created, it is we who are backward looking for pointing out that the Corbyn programme is exactly what we fought and lost on 30 years ago, not him for having it.
So apparently Ed Miliband lost in May not because he was too left wing but because he was not too anything. Thus the public wasn’t “inspired” and so voted Tory. This again is absolutely familiar to students of Labour’s past (oops, there I go again).

I have analysed all the different published polling and focus group evidence about Labour’s defeat, most recently the one by the BBC’s Newsnight and the one by Jon Cruddas. They all say the same. Labour lost because it was considered anti-business and too left; because people feared Ed in Downing Street with SNP support; and because he didn’t have a credible deficit reduction plan. They didn’t vote Tory because they thought he was “austerity-lite” but on the contrary because he didn’t seem committed enough to tough economic decisions.
 Please observe the sudden shift of motives. The "reason" invoked in the first part is like "reason" in "reasonable politics" but the second like "ratio" in "rational choice of programme in order to attract voters." Blair oscillates between "We do this because it is best." and "We do this because that's what people want to hear"; this lack of clearness justifies suspicion.

Blair, of course, implies, that both motives are identical. However reality proves him wrong as to the popularity of "tough economic decisions".  In fact, they were never popular, but with obvious traitors in the Labour Party and Conservatives and Liberals equally commited to the sacred cause of capital, there was nothing to vote for for a critic of austerity.  Some workers, of course, have been bullied into believing that "only the toughest measures will save my job", and there indeed, reason is superseded by fear-mongering. Blair continues:

The explanation for this parallel reality is something to do with people feeling empowered by their ability through it, to “fight back” against “the system”, the traditional ways of thinking about politics with all its compromises, hard decisions and gradual increments. It is the clarity of full-throated opposition versus the chin-stroking nuance of: “What would we do if we were in government?”
It’s a revolution but within a hermetically sealed bubble – not the Westminster one they despise, but one just as remote from actual reality. Those in this bubble feel good about what they’re doing. They’re making all those “in authority” feel their anger and their power. There is a sense of real change because of course the impact on politics is indeed real. The Labour party is now effectively a changed political party over the space of three months.
However, it doesn’t alter the “real” reality. It provides a refuge from it. Because Trump and Sanders aren’t going to be president; Scotland did vote No and even if it votes Yes in the future, the pain of separation for all of us will be acute; Syriza may win but only by switching realities; and Jeremy Corbyn is not going to be prime minister of the UK. And Le Pen as French president? Let us hope not because that collision with “real” reality will be brutal for all of Europe.

So the voters of Corbyn (and Corbyn) are driven by pure Ressentment? And out of touch with reality?  Blair has to claim this. He has besmirched his reputation before history with participation in illegal wars and failing to rebuild the social fabric from the ruins left by Margret Thatcher.  And we hope that the books to be written will tell how wrong he was on the wishes of the voters.

Unfortunately, there is little chance to disprove the first part of his statement in a practical way.  Austerity is going to be continued under May, Merkel, Macron.  The fact that their actions do not have much of a theory to back them does not help. An alternative policy remains a phantom until realised. Even if Corbyn became PM, he would still have little chances to do what he promised, as long as his enemies are strong in the Labour Party. These enemies have much to lose if the Labour Party succeeds in changing the country for the better: It would definitely prove them 1. wrong, 2. liers, 3. traitors.   (Blair recommended strategical votes for the Conservatives in constituencies where the Conservative candidate is pro-EU: He very much wanted Labour/Corbyn to lose.)

When politicians die, obituaries use to be mild - de mortuis...  Kohl wasn't the "father of reunification", but happened to be chancellor when it came. He bore responsibility for how it happened. Giving away the property of the GDR and allowing large parts of the industrial landscape to fall waste is part of his legacy.  Remember to remember Blair the way he deserves it, when the time cometh.

Sonntag, 15. Januar 2017

Nachtrag zu "Neues Jahr..."

Wer  etwas behauptet, macht zugleich deutlich, dass er das Behauptete für "wahr" hält.  Nun sind aber Behauptungen, die sich auf Krieg und Frieden, Syrien und Afghanistan und ähnlich Unübersichtliches beziehen, nicht so leicht zu stützen, daher auch die Vertreter der jeweils gegenteiligen Behauptung die Wahrheit beanspruchen.  Oder etwa nicht?

Im letzten Beitrag erwähnte ich den Beschluss der Bundesregierung, Flüchtlinge nach Afghanistan abzuschieben. Die begründende Behauptung, Afghanistan sei ein "sicheres Land", halte ich für falsch, wie auch ProAsyl und eigentlich alle Experten.  Beanspruchen diejenigen, die das behaupten, tatsächlich die Wahrheit?  Das ist nicht möglich, weil zu viele von denselben Personen nicht bestrittene Fakten dem widersprechen. Es muss sich um eine wirkliche Lüge oder einen Fall von "mauvaise foi" handeln. Die Behauptung wird bloß vorgebracht, um etwas politisch Opportunes zu rechtfertigen. Wer so spricht, schafft es entweder, alles zu ignorieren, das der Aussage widerspricht, oder kreuzt die Finger hinterm Rücken.  Dann ist's nicht gelogen vor dem Herrn.

Ein Maßstab für Wahrheit und Falschheit ist Konsistenz. Inkonsistente Meinungen müssen an irgendeiner Stelle falsch sein.  Es ist möglich, dass sich eine große Mehrheit der Gesellschaft für eine gewisse Zeit auf ein widersprüchliches System einigt. Früher oder später aber bricht Inkonsistenz auf, sie trägt anders als die isolierte Lüge den Keim ihrer Überwindung in sich selbst.

Einige Bundesländer fangen damit an, sich zu weigern, nach Afghanistan abzuschieben.  Sie begründen diese Weigerung mit dem Gegenteil dessen, was die Bundesregierung behauptet hat.  Diesmal hat es also nicht lange gedauert, bis auch von Regierungen der Widersprüchlichkeit einer Regierung widersprochen wurde.  Wenn es immer noch opportun ist, die afghanischen Flüchtlinge abzuschieben, werden die Regierungsparteien wohl die Demontage des Asylrechts noch  etwas weiter treiben müssen.  Wir können in Länder abschieben, die sicher sind, und in solche, für die wir die Abschiebung eigens vorsehen.  Im Sprachgebrauch der Asylpakete heißen solche Länder "sicher".

Noch eine kleine Bemerkung: Die Konjunktur des Wortes "postfaktisch" ist einigermaßen peinlich. Es ist doch nichts Neues daran, dass in der politischen und öffentlichen Sphäre sich widersprechende Behauptungen miteinander streiten, und dass von diesen viele unwahr sind, sei es aus Lüge, sei es durch Unwissenheit oder aus "mauvaise foi".  Die Lügen werden bunt durcheinander von einzelnen, Gruppen, Parteien oder Regierungen vorgetragen.  Es lohnt sich, nach besonderen neuen Eigenschaften des gerade erstarkenden Rechtspopulismus zu suchen; das Verhältnis zur Wahrheit ist keine davon.   Und wer behauptet, wir hätten jetzt auf einmal ein postfaktisches Zeitalter, tja, der spricht die Wahrheit nicht, denn wir hatten es immer schon.


Nachtrag zum Nachtrag, im Juni 2017

Vorübergehend sind die Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt, es ging nämlich eine Bombe in der Nähe der deutschen Botschaft hoch. Als Erklärung für die vorübergehende Aussetzung wird natürlich nicht das Leben, bzw. die Sicherheitslage in Afghanistan herangezogen, sondern die vorübergehend in ihrer Arbeit behinderte Botschaftsbürokratie. 

Schwer fällt es, nicht zu denken, die Aussetzung wolle vor allem vermeiden, dass die Bevölkerung die Abschiebungen und die ganzen Lügengeschichte über das auch dank "unserem" Einsatz wieder sicher gewordenen Afghanistan womöglich in Frage stellt. Die afghanischen Anschläge schaffen es für gewöhnlich nicht bis zur bewussten Wahrnehmung durchs deutsche Publikum. Sobald es aber bei der deutschen Botschaft rumst, werden die Ohren aufgestellt. Jetzt könnten die unangenehmen Fragen von unserer leider lammfrommen Presse gestellt worden. Also wird vorübergehend nicht abgeschoben, bis so viel Gras über die Sache gewachsen ist, dass nach der Abschieberei wieder kein Hahn mehr kräht.

Samstag, 7. Januar 2017

Neues Jahr, alter Käse

Zur Kenntnis

Angriffe auf Asylbewerber

Im Jahr 2016 wurden bis zum 27. Dezember laut Auskunft des BKA 921 Delikte gegen Asylbewerberunterkünfte verübt, davon mehr als 150 Gewalttaten, wozu 66 Brandstiftunten und 4 Sprengstoffexplosionen gehören. Die Amadeu-Antonio-Stiftung unterhält eine eigene Statistik , in der 1839 Angriffe auf Geflüchtete oder ihre Unterkünfte gezählt werden, davon 104 Brandanschläge und 349 Körperverletzungen. Ein großer Mangel der BKA-Statistik wird hier behoben, nämlich die Zahl der Verletzten nicht zu erheben: Es handelt sich um 458 Verletzte.  Dass es bei den Brandstiftungen nicht zu Todesfällen kam, ist ein glücklicher Zufall. Es wäre zu viel des guten Willens, den Rassisten zu unterstellen, sie hätten Opfer vermeiden wollen. Eher wohl vermute ich, dass sie nach dem siebten und vor dem achten Bier so große Mühe hatten, sich nicht zu bepissen, dass sie es besser nicht mehr hinbekamen.

Abschieben, Abweisen

2016 wurden 20000 Einreisen verweigert, es gab 55000 freiwillige Ausreisen und 25000 Abschiebungen. Wieviele der Abgewiesenen oder Abgeschobenen inzwischen zugrundegegangen sind, ist unbekannt. Bei der Überfahrt nach Europa starben 2016 mindestens 5000 Menschen.(Auf die Verantwortung, die die EU dafür tägt, wurde hier schon hingewiesen.)

Eine Bemerkung

Eine Abschiebung ist staatliche, politisch sanktionierte Gewalt, die sich gegen die Flüchtlinge als Flüchtlinge richtet. Bei den Anschlägen handelt es sich um rassistisch oder politisch motivierte Taten von einzelnen oder Banden gegen Flüchtlinge als Flüchtlinge.

Die rechte Mitte dieser Gesellschaft findet das mitunter wenig empörend und stellt gern die Straftaten dagegen, die von einem gewissen Teil der Flüchtlinge begangen werden.  Dabei werden Beispiele gewöhnlicher Kriminalität in einer Weise angeführt, als rechtfertigten diese politische Gewalt gegen die ganze Gruppe. (Es handelt sich bei Straftaten von Flüchtlingen weit überwiegend um gewöhnliche, unpolitische Kriminalität, die mit den Mitteln des Strafrechts verfolgt wird. Wieso sollte sie mit anderen Mitteln verfolgt werden?)

Noch jeder Rassismus ließe sich so rechtfertigen: "Weil unter euch einige Kriminelle existieren, können wir euch in eurer Gesamtheit ablehnen."

Es ist  außerdem nicht so klar, wie hoch diese Straffälligkeit im Vergleich zur  Straffälligkeit der sonstigen Bevölkerung ist.  Ein einziger Fall von politisch motivierter Gewalt durch einen Flüchtling wird nun zu einer großen Bedrohung aufgeblasen, einige scheinen nur auf so etwas gewartet zu haben:

Das Attentat/der Amoklauf  vom Breitscheidplatz: 12 Tote, 45 Verletzte.

Man kann nichts verrechnen

Die Nebeneinanderstellung solcher Daten möchte keine Verrechnung suggerieren, keine Rechtfertigung, keine Verhältnismäßigkeit. Sie wendet sich nur gegen die Isolierung eines Faktums, auf dem sich anschließend herumtrommeln lässt.  Es gab 458 durch Rassisten verletzte Flüchtlinge, deren Tod etwa durch Verbrennen in vielen Fällen wohl in Kauf genommen wurde, es gab zigtausend Abschiebungen, es gab 12 Tote und 45 verletzte Besucher auf dem Weihnachtsmarkt vom Breitscheidplatz. All das gab es; wer nur von einem und nicht von anderem spricht, der findet die einen Opfer wohl wichtiger als die anderen.  Wer nur von einem spricht, der macht sich der Verrechnung von Gewaltopfern schuldig. (Der Vorwurf wird ja meist umgekehrt gegen diejenigen vorgebracht, die Opferzahlen gegeneinander halten. Verdient haben ihn nur die, die die einen Opfer durch die anderen rechtfertigen. Noch infamer ist, die einen Opfer gar nicht zu erwähnen.)

Ein Beispiel für derlei Einseitigkeit?

Jasper von Altenbockum kommentiert in der FAZ vom 5.1.2017 die Stellungnahmen der Behörden zu der Tatsache, dass Anis Amri zwar als Gefährder galt, aber es -- im Rahmen rechtsstaatlichen Vorgehens -- nicht für eine Verhaftung reichte:
[...] Es ist schön, in Zeiten, in denen Grenzen etwas Böses sind und Deutschland offen sein soll wie ein Scheunentor, von den Grenzen des Rechtsstaats zu hören. Man fragt sich dann allerdings angesichts all dieser Nachrichten: Setzt sich dieser Rechtsstaat seine Grenzen noch selbst? Beginnt er nicht wenigstens dort, wo sich jemand weigert, seine Herkunft preiszugeben? Wo Sozialbetrug und Asylmissbrauch zur Tagesordnung gehören? Wenn sich der deutsche Rechtsstaat, wie es 2015 und auch 2016 noch geschehen ist, derart auf der Nase herumtanzen lässt, liegt seine Grenze nicht dort, wo Unrecht beginnt, sondern wo er sich für dumm verkaufen lässt.
Wir wären demnach viel zu gut? Dass Flüchtlinge bisweilen ohne Ausweise fliehen müssen, ist eine Sache, dass nicht wenige ihre Ausweise wegwerfen, um nicht abgeschoben zu werden, eine andere. Die Abschiebepraxis ist bei den allermeisten, die das tun, der unmittelbare Grund für das Verschleiern der Herkunft.

Daraus folgt aber keineswegs, dass es sich dabei um Asylmissbrauch handelt. Denn wer nicht in das "sichere" Bürgerkriegsland Afghanistan abgeschoben werden will und seinen afghanischen Pass verbrennt, der wäre ja wohl kein Betrüger, wohl aber triebe ihn unser Staat, der eine Abschiebung nach Afghanistan für rechtens erklärt, in formalen Betrug.

[Die Berichte von Menschenrechtsorganisationen, die Lagebeschreibungen der afghanischen Armee und ihrer Verbündeten (über 5000 Tote bis September 2016, Taliban auf dem Vormarsch) und die Statistik der terroristischen Anschläge sprechen eine eindeutige Sprache: Nicht der Asylbewerber betrügt, sondern die Abschiebebefürworter in der BRD lügen. Nur zu den Anschlägen, weil es so leicht ist, derlei zu ignorieren: 19. 12., Kundus (1 Toter, 22 Verletzte), 25. November, Jalalbad (6 Tote, 27 Verletzte,), 21. November, Kabul (27 Tote, 35 Verletzte), 16. November, Kabul 4 Tote, 11 Verletzte, 12. November, Provinz Parwan (4 Tote, 18 Verletzte), 10. November, Mazar-e-Sharif (8 Tote, 120 Verletzte), 4. November, Provinz Faryab (12 Tote, 30 Verletzte), 1. November, Provinz Parwan (7 Tote). Der September war ruhiger, aber 5. September, Kabul (24 Tote, 90 Verletzte). Es ist ermüdend, nicht wahr. Nun nur noch die Allergrößten: 23. Juli, Kabul (80 Tote, mind. 231 Verletzte), 30. Juni, Kabul (30 Tote, 40 Verletzte), 19. April, Kabul (64 Tote, 340 Verletzte). (Quelle: Wikipedia , dort auch Belege. Liste vermutlich nicht vollständig.) So sieht ein sicheres Herkunftsland aus. Und das waren nur die Anschläge. Gewalt gegen Frauen, ethnische und religiöse Minderheiten, Erpressung und Zwangsrekrutierung ließen sich noch recherchieren. Aber wer möchte das schon, wenn die Bundeswehr "uns" "am Hindukusch verteidigt" hat, und dort jetzt nichts besser ist als vor unserem glorreichen "Einsatz für die Menschenrechte"?]

Anständig bleiben?

Statt auf Reaktionäre vom Schlage Altenbockums zu hören, wäre unsere Gesellschaft gut beraten, anständig zu bleiben. Die Gründe, aus denen das Asylrecht ins Grundgesetz Eingang fand, bestehen weiter. Die meisten Flüchtlinge fliehen nachweislich vor Gewalt (siehe: Anerkennungsquoten). Und diejenigen, die "nur" vor niederschmetternder Armut oder kompletter Chancenlosigkeit in korrupten Diktaturen fliehen, wollen auch nichts weiter, als sich hier ein Leben aufbauen. Ein Satz wie dieser (wieder Altenbockum, 7.1.2017)
Um welche Schwachstelle geht es? Das Asylrecht ist zum Einfallstor für Kriminalität geworden – am Beispiel nordafrikanischer Bewerber wird jetzt deutlich, wie groß das Ausmaß ist und wie groß über Jahre auf der politischen Bühne die Bereitschaft war, das Problem zu ignorieren.
kann nur als Brandstiftung bezeichnet werden. Trotz aller gegenteiligen Kassandra-Rufe hat Deutschland verhältnismäßig wenig Kriminalität, auch unter Flüchtlingen ist sie nicht hoch.

Was nun "tun" gegen politisch (oder rassistisch oder religiös) motivierte Gewalt?

Ideologisch motivierte Gewalttaten gegen Personen sollten  - wie andere auch - durch die Justiz geahndet werden (und dabei handelt es sich hierzulande vor allem um rechtsextreme Taten.)

Gegen die ideologische Vorbereitung (rechtsextrem; islamistisch; was auch immer) von Straftaten ist vermutlich kein einfaches und vor allem kein schnell wirkendes Kraut gewachsen. Es könnte aber schon helfen, sich mit einer Gesellschaft, die niemanden ausschließt, Mühe zu geben und nicht von offizieller Stelle Ressentiments anzuheizen. (Beachten Sie den lautesten Ruf von staatlichen Stellen und Parteien: mehr Geheimdienste! mehr Befugnisse für Polizei und Geheimdienste!  Der ertönte nicht nach Hunderten von Anschlägen auf Asylunterkünfte, sondern nach einem Attentat/Amoklauf. Nicht nur deswegen ist dieser Ruf verworren. Der Attentäter Amri war ja sogar geheimdienstlich erfasst, nur  war die Beurteilung der von ihm ausgehenden Gefahr falsch.  Das Gespenst großer islamistischer Netzwerke, die Anschläge planen, hat sich in Europa bisher nicht verwirklicht, sondern die Taten wurden einigermaßen privat geplant.  Wieviel Geheimdienst soll es denn sein, um Taten vorherzusagen, die Hans oder Ahmed in ihrem Wohnzimmer ausbrüten?)

Und außerdem sollten Kriege und Bürgerkriege in anderen Ländern nach Möglichkeit nicht angeheizt werden. Das Zerbomben Libyens und des Iraks hat IS und an andere radikale Gruppen hervorgebracht. Und die scheinheilige Unterstützung der syrischen Aufständischen bei gleichzeitiger Dämonisierung der syrischen Regierung (und der russischen) mag sich auch einmal rächen, denn auch dort haben "wir" den Krieg befeuert. Kriege ziehen Berufsgewalttäter heran und senken allgemein -- auch an anderen Orten -- die Schwellen der Gewalt, das gilt auch für Kriege, die unter "Freemanmoxy"-Rufen vom Zaun gebrochen werden. Menschenrechtsdiskurse, die auf Völkerrecht verzichten zu können glauben, machen Menschenrechte zum Mittel der Gewaltlegitimation. Damit verkehren sie diese in ihr Gegenteil, denn sie sind entstanden als Normen zur Abwehr staatlicher Gewalt, die sich demokratisch entfalten sollten. Eine künftige demokratische Entwicklung Syriens wird vorweggenommen, indem man die "richtigen" unterstützt, die sich hernach als die Falschen erweisen. Immer wieder der törichte Versuch, ein Resultat ohne die zu ihm hin führende Entwicklung zu bekommen.  Übrigens schießen deutsche Gewehre auf seiten der Islamisten mit. Die mögen sie von den Saudi-Arabien und Qatar, zwei Hauptabnehmern deutscher Waffen bekommen haben.

Gemeinplätze, Altbekanntes... ja doch, warum sollten auf ein altes Problem unbedingt neue Antworten her?

Es kann nicht angehen, dass Deutschland sich als "Opfer" geriert, seinen Ort im Gewaltzusammenhang der Welt verschweigt und sich aus dieser Opferrolle ein Argument bastelt, seinen verfassungsmäßigen und völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachzukommen, bzw. die Verfassung in Richtung auf mehr Überwachungsmöglichkeiten und weniger Hilfsverpflichtungen zu ändern.

Es geht aber an, gelle?