Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Samstag, 30. August 2014

Eine Meldung ist keine Meldung

Was der ukrainische Präsident behauptete,  nämlich eine russische Invasion, wurde durch ein unscharfes Satellitenbild belegt. Viele Medien berichteten von einer Invasion, als hätte es nicht bloß jemand gesagt, der wie alle Beteiligten gelegentlich ein Interesse daran haben könnte, zu lügen. Immerhin hat derselbe Poroschenko anlässlich des russischen Hilfskonvois schon von einer Invasion gesprochen. Aber er ist einer von uns und darf noch lange lügen, bis es jemanden stört.  (Die Meldung versickerte dann schnell, da es nun einmal keine Invasion gegeben hat, nur irgendwelche Einmischung, die übrigens auf allen Seiten.)

Er darf übrigens auch noch lange morden lassen.  Ein Staatsoberhaupt oder Regierungschef kann wohl nicht gründlicher delegitimiert werden, als wenn er den Widerstand eigener Staatsbürger militärisch brechen lässt.   Zu recht wurde Janukowitsch der Einsatz von Gewalt gegen Proteste -- auch wenn im einzelnen noch nicht klar ist, wer alles in der Zeit des so genannten  "Euro-Maidan" geschossen hat --  vorgehalten. Um ukrainische Proteste gegen ukrainische Missstände handelte es sich tatsächlich, obwohl bekanntlich die USA mit Geld und logistischer Unterstützung ebenso daran beteiligt waren wie die BRD in Gestalt der Konrad-Adenauer-Stiftung.  Die Ukrainer hatten (und haben) ja auch allen Grund zum Protestieren, etwa gegen desolate wirtschaftliche Verhältnisse und Korruption auf allen Ebenen.

 Nun handelt es sich aber im Osten der Ukraine ebenfalls um Proteste von Ukrainern gegen ihre Regierung, wie immer es mit der Einmischung Russlands stehen mag , und diese Proteste werden  von der ukrainischen Regierung nicht etwa mit Verhandlungen sondern mit Waffengewalt angegangen. Die neue Regierung hat dabei inzwischen zwanzig mal so viele Morde auf dem Gewissen wie die alte. Und müsste damit von Rechts wegen inzwischen als noch viel illegitimer gelten als die alte je war -- zumal das, was die Ukrainer aller Couleurs gehofft hätten, eine Überwindung der korrupten Oligarchenherrschaft offenbar ausgeblieben ist.

Und noch immer klatscht die BRD, klatscht die NATO, klatschen die USA Beifall -- und viele einzelne Publizisten und öffentliche Personen mit ihnen.

Gestern stand in der Washington Post  -- in einem insgesamt keineswegs 'prorussischen' Artikel  --

In a response Friday, Russia’s Foreign Ministry again accused the United States of hypocrisy — this time for what it called U.S. disregard for civilians in eastern Ukraine.
“In any other conflict, whether in the Middle East, Africa or anywhere else, the West has consistently opposed actions causing harm to civilians,” the ministry said on its Web site. “It is only in relation to southeastern Ukraine that it holds a diametrically opposite line, in gross violation of international humanitarian law.”
Die Autoren des Artikels sind so fair, dieses Zitat stehen zu lassen, und mancher Leser wird nolens-volens nicken.  Im selben Artikel wird auch die Einschätzung des stellvertretenden Generalsekräters für Menschenrechtsfragen der Vereinten Nationen Simonovic:
A total of 2,593 people, including civilians, have been killed in the fighting in eastern Ukraine since mid-April, a senior U.N. human rights official said Friday.
“The trend is clear and alarming,” Ivan Simonovic, U.N. assistant secretary general for human rights, told journalists in Kiev. “There is a significant increase in the death toll in the east.”
Simonovic said the number would be close to 3,000 if the 298 victims of downed Malaysia Airlines Flight 17 were counted. Civilian casualties would continue to rise “as each side increases its strength, through mobilization, better organization, or the deployment of new fighters and more sophisticated weapons and support from outside,” he said.
Simonovic had sharp words for both sides.
“Armed groups continue to commit abductions, physical and psychological torture,” he said of the separatists, whose tactics he said were aimed at terrorizing the population under their control. But he added that the United Nations has also heard “disturbing reports of violations committed by battalions under government control.”
Russia’s Foreign Ministry criticized the U.N. official as repeating “fabrications against the militia forces of Donetsk and Luhansk” but commended him for addressing “the criminal actions of the Ukrainian army” — although the ministry maintained that his report did not go far enough.
“The mission was forced to admit the obvious,” Foreign Ministry spokesman Alexander Lukashevich said.
Auch hier könnte die Leserin stutzen über den 'Burgfrieden', den die USA und ihr Pudel, die EU, mit der ukrainischen Regierung geschlossen haben. Und auch hier muss man der Washington Post danken, dass sie es ihren Lesern zumindest ermöglicht, sich ein Urteil zu bilden, das sich von der redaktionellen Leitlinie unterscheidet.

Über den Fall des Grünen Fücks  war hier schon einmal die Rede, nun hat der jungeWelt-Autor Reinhard Lauterbach sich Fücks gewidmet, und sehr schön freigelegt, wie dieser zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet und vor allem eines: parteiisch ist.

Die Dichte und Unaufrichtigkeit der Propaganda gleicht dem oder übersteigt das, was man von Diktaturen gewohnt ist. Hier aber gibt es keinen Masterplan, nur Akteure, die Einfluss ausüben und andere Akteure, die sich aus Opportunismus selbst gleichschalten. Denn derselbe Wunsch, der Menschen in Neukölln dazu treibt, sich den Bart so oder so nach der Mode zu stutzen, um als Individuum anerkannt zu werden, treibt allenthalben Politiker und Journalisten, aber auch Künstler und Schriftsteller dazu, noch einen Anti-Putin-Satz draufzusetzen.  Hübsch an diesem Opportunismus ist der Geruch der Widerständigkeit, der ja für eine Weile auch der jeweils neuesten Barttracht anhaftet, vom in selbiger zurückbleibenden Geruch nach Rührei mit Schnittlauch einmal abgesehen.

Während Bärte aber unschuldig sind, ist das opportunistische Schönreden der ukrainischen Regierung  tödlich, jeden Tag. Die russische Regierung hat der Ukraine und den Aufständischen einen sofortigen Waffenstillstand vorgeschlagen, den die ukrainische Regierung alsbald abgelehnt hat.
  
Wer ist der Böse? Der Russ, na klar.  Der Geschichtsrevisionismus, der unter der Überschrift "Totalitarismustheorie" half, die deutschen Verbrechen durch die sowjetischen zu relativieren, spielt unterirdisch mit:  "Ist nicht Russland noch viel näher am Stalinismus als wir am Nationalsozialismus?". Einer der Fücks'schen Sätze, die Lauterbach zitiert, ist zu schön dumm, um ihn hier auszulassen:

Fücks mahnt in der FAZ vom 23. August dazu sich, auch wenn es teuer und gefährlich ist, an die Seite der Ukraine zu stellen durch Sanktionen, etc. Das sei eine besondere Verpflichtung der Deutschen da -- taramatatam : --

die Ukraine unter der deutschen Besatzung gelitten (hat), wie kaum ein anderes Land.

... abgesehen von, da war doch was, Russland!  von den über zwanzig Millionen Sowjetbürgern, die Deutschland ermordet hat, waren die meisten Russen. Und der von großen Teilen der neuen ukrainischen Regierung verehrte Bandera wurde zwar vorübergehend von den Nazis gefangengehalten, dann aber wieder von diesen zum Kampf gegen die Sowjetunion freigelassen. Bandera hat auch große Verbrechen an Polen und Juden mit zu verantworten. Dass er unbestreitbar vor allem von ukrainischem Nationalismus getrieben war, soll dies alles legitimieren?  Das mindeste wäre also doch wohl, einen Schulterschluss mit der Ukraine 1. vom Ende der Kampfhandlungen, 2. von einer Abwendung von nationalistischen, revisionistischen oder gar faschistischen Parolen abhängig zu machen.   I wo.  Fücks  nennt das "Kreml-Propaganda", man kann's aber großenteils auf den Webseiten dieser Parteien nachlesen; nicht nur des rechten Sektors.  Wenn der Russe darauf hinweist, muss es falsch sein?   Monsieur Fücks: So gut wie jede Quelle in einem Konflikt ist 'Propagande', das entscheidet aber doch nicht über deren Wahrheit oder Unwahrheit.  So töricht können Sie trotz Ihrer maoistischen Vergangenheit kaum sein, ein Argumentum ad hominem für etwas anderes als einen rhetorischen Trick zu halten.  Anders gesagt: Da es mir nicht möglich ist, Sie für so dumm zu halten, bleibt mir nur, ihnen mauvaise foi zu unterstellen.


Wenn dereinst wie alle Sterblichen der Fücks
den letzten Blick getan und er den Styx
gequert, vielleicht ja werden ihn die Schatten plagen
derer, die in Donezks Trümmern lagen.


Was tun?  Völlig ratlos über so viel Propaganda, Einseitigkeit, Verblödung, die sich für freiheitlich, demokratisch und wahrhaftig hält, will ich eigentlich nur noch Kaffee und Zitronenwasser trinken, irgendwo, nur nicht hier.