Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Mittwoch, 8. Februar 2012

Was ist der syrische Nationalrat?

Um die Wahrheit zu sagen, ich habe keine Ahnung, und auch meine syrischen Bekannten steigen nicht durch. Er hat aber offenbar eine gute Werbeagentur, was noch nicht gegen ihn spricht, denn à la guerre comme à la guerre. Merkwürdiger ist dann schon, dass die Presse und die Internetpublikationen, die offenbar ebensowenig Informationen wie ich haben, so fest zu wissen glauben, dass es sich um die Guten handelt, nur weil Assad ein Böser ist.

Es mag aber komplizierter sein. Haitham Maleh, Mitglied des Exekutivkomitees des syrischen Nationalrats, gab dem Telegraph ein Interview, das heute (8.2.) veröffentlicht wurde. Darin sagt er unter anderem:

"Assad and his family will be killed in Syria, their next steps will be very bloody," he said. "Two months ago we offered him the option to leave us alone and go but instead he went for the blood of his people. The end for him will be that he is killed like Gaddafi."

So spricht der human rights activist. Es ist unklar, ob er diesen Satz bloß beschreibend sagt oder wünscht, dass es so kommen möge. Das wird im Folgenden klarer:

The 80-year old dissident rebuffed Russian attempts to broker talks with the regime to end spiralling violence. "Talks will not happen. How can we have dialogue with a criminal regime, we can't do it now," Mr Maleh, a founding member of the executive committee of the SNC, said. "The game is over. How can we talk with a person who has put a pistol to our heads. It is impossible to make dialogue with this person.

"Talks will not happen." Zumindest ist soviel sicher, dass Maleh lieber beliebig viele Tote riskiert, als einem Kompromiss zuzustimmen, der natürlich das Risiko birgt, dass sich das Regime wieder erholt - so wie ein zu Ende geführter Bürgerkrieg das Risiko birgt, dass keineswegs die Opposition gewinnt, sondern die bewaffneten Gruppen mit den besten Verbündeten. Aus Libyen erreichen uns Bilder von grinsenden Männern mit Maschinengewehren und die Nachricht von großen Kriegsverbrechen, die die libyschen Rebellen begangen haben und Verbrechen, die sie noch begehen. Die Stadt Tawergha haben sie in summarischer Bestrafung 'Dunkelhäutiger' für unterstellte Vergewaltigungen in eine Geisterstadt verwandelt. Et cetera. Die Gewalt ist also durch die Gewalt, unterstützt von Nato-Gewalt umgekommen, jetzt herrscht wieder die Gewalt. Zivilisten sind scharenweise dabei gestorben, obwohl es doch laut 'spin' allein um den Schutz von Zivilisten ging. Jetzt erst wieder kann man lesen, was die Rebellen getan haben, während des Krieges las es sich wie jetzt.

"Talks will not happen." Wunderbar, so ähnlich spricht möglicherweise Assad. Denn Leute wie Maleh "put a pistol to his head".

Was ist der Unterschied zwischen einem Bürgerkrieg und einer Revolution? (Ich bin sicher, es gibt einen.) Was ist ein Regimewechsel gegen Despoten wert, wenn sich die andere Seite auf Gewalt festlegt, statt auf Recht? "Assad wird sich vor Gericht verantworten müssen." wäre ja beispielsweise auch ein Satz gewesen.

Viele der syrischen Oppositionellen, die lange schon auf ein Ende dieses Regimes hoffen, setzen nun nolens volens auch Hoffnungen in den Syrischen Nationalrat. Sie werden, wie ich fürchte, missbraucht. Was ist eigentlich an dem russischen Einwand auszusetzen, dass eine UN-Resolution alle Seiten auffordern müsse, die Waffen niederzulegen?

Antwort: 1. Dass er nicht von uns kommt. 2. Dass "regime change" schon lange auf unserer Wunschliste steht, und was kümmern uns schließlich die dafür Sterbenden? Allenthalben wird von Russlands eigennützigen Motiven gesprochen, was zu guten Teilen stimmen mag, aber doch brechreizerregend selbstgefällig ist. Uns ginge es demnach nur um die Menschenrechte? Eine Gegenfrage sei allen Kriegstreibern gestellt: Was ist entwicklungsfähiger, Krieg oder Frieden?

Ja, kann man den aber mit solch einem Regime verhandeln? Durch Erwähnen etwa Hitlers wird klar, dass man nicht mit jedem Menschen verhandeln mag. Alle Maßstäbe wären aber zerbrochen, wenn man einen kontrollfixierten Despoten, der sicher viele Verbrechen auf sich geladen hat, mit dem König aller Massenmörder vergliche. Ja, wenn man einen friedlichen Übergang anstelle eines Bürgerkriegs bekommen könnte, dann wäre es gut zu verhandeln, auch mit Leuten, die man verabscheut.

Vielleicht gelingt Syrien eine Revolution. Wenn sich diejenigen Mitglieder des syrischen Nationalrats, die nach einer "Flugverbotszone" (obwohl weit und breit keine Flugzeuge verwendet werden) rufen, durchsetzen, wird Syrien,wie ich fürchte, um seine Revolution betrogen und stattdessen einen Bürgerkrieg haben, der irgendwen nach oben schwemmt. Kennen Sie viele Bürgerkriege, die ausgerechnet die Rechtschaffenen nach oben getragen haben?

Der syrische Nationalrat verbreitet nun auch die Meldung, die Iraner seien bei der Unterdrückung des Aufstands aktiv. Das klingt nun auch wieder sehr nach Werbeagentur. Denn wenn stimmt, was alle glauben, hat Syrien eine Nachhilfe in Sachen Militär, Polizei und Geheimdienst wohl kaum nötig.

Die fatale Entwicklung der UN vom Friedensgaranten ("ja, in Bosnien haben die Blauhelme versagt") zum Kriegslegitimierer lässt Freunden des Völkerrechts und des Friedens keine andere Wahl, als über Russland und China, unabhängig von deren Motiven, erleichtert zu sein.

Tawergha. Tawergha. Tawergha.

Haben Sie auch schon Artikel gelesen, die keinen Zweifel daran lassen, was das Richtige in Syrien ist und die dann schließen mit der Bemerkung, dass sich die Angaben der Opposition nicht überprüfen lassen? Nichts von dem hier gesagten lässt sich überprüfen. Nichts von dem, was sie sonst lesen, lässt sich überprüfen. In Syrien sagte vor zwei Jahren ein Bekannter: Ihr im Westen glaubt ja alles, was in den Zeitungen steht, wir hingegen glauben grundsätzlich nichts. Von Syrien lernen.

Samstag, 4. Februar 2012

Kriegführen leider schwer

Christoph Heinemann interviewte Wolfgang Ischinger, den Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz für den Deutschlandfunk. Das Interview wurde am 3. Februar ab 7:15 ausgestrahlt. Ich ziehe es vor, um diese Zeit zu schlafen, war aber leider wach und hörte leider Radio und vernahm um 7:24 das Folgende:

Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben den Wahlkampf angesprochen. Mitt Romney hat sich geäußert, der republikanische Präsidentschaftskandidat hat sinngemäß gesagt - ich sage es jetzt in meinen Worten -, wie kann man nur so blöde sein, den Taliban, also dem Feind, den Abzugstermin mitzuteilen. Wieso wird so brüllend laut über diesen Termin nachgedacht?


Ischinger: Es ist der innenpolitische Druck bei uns allen, in Washington, in Berlin, in Paris - Paris schreitet jetzt munter voran. Natürlich ist das nicht die beste Form des Vorgehens, aber wir leben nun mal in Demokratien. Die Politik fordert - das ist jedenfalls der Eindruck in fast allen Hauptstädten -, die Politik fordert symbolische und tatsächliche Schritte hin zur Beendigung dieses Krieges. Dass es militärisch sicherlich besser wäre, den "Feind" im Unklaren, völlig im Unklaren darüber zu lassen, was die eigenen Pläne sind, das ist auch klar, das steht in jedem militärischen Lehrbuch. Aber in einer offenen, transparenten Demokratie können sie solche Dinge nicht geheim halten. Das macht das Kriegführen für Demokratien leider auch schwer.

Ja, das hat er wirklich gesagt. Das ganze Interview findet sich auf den Seiten des Deutschlandfunks hier. Der verdiente Diplomat, der die deutsche Außenpolitik, etwa in Bezug auf das Kosovo, leider mitgestaltet hat, war leider auch Mitarbeiter des UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim, der bekanntlich leider auch einen Orden des Ustascha-Regimes sein eigen nannte. Ischinger redete im Interview vorher durchaus vorsichtig über den Umgang mit dem Iran, die Möglichkeit eines 'Containments' ohne Krieg. Er ist kein scharfer Hund, kein großer Kriegstreiber, und doch mag ich ihn nach diesem Satz nicht mehr als Gastprofessor und Mitglied zahlreicher 'Think tanks' die Weltpolitik mitgestalten sehen. Wenn es so wäre, dass die taktischen und strategischen Erfordernisse eines Krieges sich nicht mit Demokratie vertragen, wenn also das Kriegführen in Demokratien schwer wäre, dann würden Demokratien weniger Kriege führen. Leider aber gibt es zahlreiche Beispiele von Krieg führenden Demokratien, die sich über diese Schwierigkeit leider durch Verheimlichen oder durch Spindoktoren hinweggeholfen haben. Zum Schutz von Zivilisten wurden ja Zehntausende jüngst in Libyen abgemurkst, bei den demokratisch legitimierten Kriegen der letzten Jahrzehnte ging es immer um Freemanmoxy (Steve Bell), so dass gute Demokraten hinter den Kriegen standen und die Kriegsgegner am Schandpfahl. Ist der Afghanistan-Krieg wirklich nur unbeliebt in den USA, weil amerikanische Leichen zurückkommen, oder könnte es auch sein, dass ein disfunktionaler afghanischer Staat die glorreichen Versprechungen der Meisterdiplomaten nach Art Ischingers Lügen straft? Was sich in diesem "auch leider" verrät, ist die Perspektive, unter der die Empfindlichkeiten des Wahlvolks als technisches Problem erscheinen.

Wir können uns auch fragen, ob dieses technische Problem überhaupt besteht. Wenn man die Taliban länger im Ungewissen über den Abzug ließe, wäre dann die afghanische Regierung weniger schwach und weniger korrupt? Ist dort überhaupt militärisch etwas zu gewinnen oder zu verlieren? Reflektierte Menschen neigen zu Entscheidungsschwäche, die großen Berater und Entscheider können sich zu viel Nachdenken gar nicht leisten, das ist die Wahrheit.

Wer bewacht die Wächter? Unsere Diplomaten, unser Militär, unsere Inlandsgeheimdienste müssen zwangsläufig denken, dass manches Nützliche in Demokratien leider schwer sei. Und werden's dann wohl leider trotzdem tun.