Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Samstag, 4. Februar 2012

Kriegführen leider schwer

Christoph Heinemann interviewte Wolfgang Ischinger, den Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz für den Deutschlandfunk. Das Interview wurde am 3. Februar ab 7:15 ausgestrahlt. Ich ziehe es vor, um diese Zeit zu schlafen, war aber leider wach und hörte leider Radio und vernahm um 7:24 das Folgende:

Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben den Wahlkampf angesprochen. Mitt Romney hat sich geäußert, der republikanische Präsidentschaftskandidat hat sinngemäß gesagt - ich sage es jetzt in meinen Worten -, wie kann man nur so blöde sein, den Taliban, also dem Feind, den Abzugstermin mitzuteilen. Wieso wird so brüllend laut über diesen Termin nachgedacht?


Ischinger: Es ist der innenpolitische Druck bei uns allen, in Washington, in Berlin, in Paris - Paris schreitet jetzt munter voran. Natürlich ist das nicht die beste Form des Vorgehens, aber wir leben nun mal in Demokratien. Die Politik fordert - das ist jedenfalls der Eindruck in fast allen Hauptstädten -, die Politik fordert symbolische und tatsächliche Schritte hin zur Beendigung dieses Krieges. Dass es militärisch sicherlich besser wäre, den "Feind" im Unklaren, völlig im Unklaren darüber zu lassen, was die eigenen Pläne sind, das ist auch klar, das steht in jedem militärischen Lehrbuch. Aber in einer offenen, transparenten Demokratie können sie solche Dinge nicht geheim halten. Das macht das Kriegführen für Demokratien leider auch schwer.

Ja, das hat er wirklich gesagt. Das ganze Interview findet sich auf den Seiten des Deutschlandfunks hier. Der verdiente Diplomat, der die deutsche Außenpolitik, etwa in Bezug auf das Kosovo, leider mitgestaltet hat, war leider auch Mitarbeiter des UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim, der bekanntlich leider auch einen Orden des Ustascha-Regimes sein eigen nannte. Ischinger redete im Interview vorher durchaus vorsichtig über den Umgang mit dem Iran, die Möglichkeit eines 'Containments' ohne Krieg. Er ist kein scharfer Hund, kein großer Kriegstreiber, und doch mag ich ihn nach diesem Satz nicht mehr als Gastprofessor und Mitglied zahlreicher 'Think tanks' die Weltpolitik mitgestalten sehen. Wenn es so wäre, dass die taktischen und strategischen Erfordernisse eines Krieges sich nicht mit Demokratie vertragen, wenn also das Kriegführen in Demokratien schwer wäre, dann würden Demokratien weniger Kriege führen. Leider aber gibt es zahlreiche Beispiele von Krieg führenden Demokratien, die sich über diese Schwierigkeit leider durch Verheimlichen oder durch Spindoktoren hinweggeholfen haben. Zum Schutz von Zivilisten wurden ja Zehntausende jüngst in Libyen abgemurkst, bei den demokratisch legitimierten Kriegen der letzten Jahrzehnte ging es immer um Freemanmoxy (Steve Bell), so dass gute Demokraten hinter den Kriegen standen und die Kriegsgegner am Schandpfahl. Ist der Afghanistan-Krieg wirklich nur unbeliebt in den USA, weil amerikanische Leichen zurückkommen, oder könnte es auch sein, dass ein disfunktionaler afghanischer Staat die glorreichen Versprechungen der Meisterdiplomaten nach Art Ischingers Lügen straft? Was sich in diesem "auch leider" verrät, ist die Perspektive, unter der die Empfindlichkeiten des Wahlvolks als technisches Problem erscheinen.

Wir können uns auch fragen, ob dieses technische Problem überhaupt besteht. Wenn man die Taliban länger im Ungewissen über den Abzug ließe, wäre dann die afghanische Regierung weniger schwach und weniger korrupt? Ist dort überhaupt militärisch etwas zu gewinnen oder zu verlieren? Reflektierte Menschen neigen zu Entscheidungsschwäche, die großen Berater und Entscheider können sich zu viel Nachdenken gar nicht leisten, das ist die Wahrheit.

Wer bewacht die Wächter? Unsere Diplomaten, unser Militär, unsere Inlandsgeheimdienste müssen zwangsläufig denken, dass manches Nützliche in Demokratien leider schwer sei. Und werden's dann wohl leider trotzdem tun.

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