Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Mittwoch, 27. Juli 2011

Die "Achse des Guten" sieht keinen Grund zur Defensive

Der Blog "Achse des Guten" will als "liberal" verstanden werden, lässt sich aber weit besser durch eine Liste von inhaltlichen Festlegungen charakterisieren: gegen die Theorie vom anthropogenen Klimawandel und deren politische Konsequenzen, gegen den Islam, für die amerikanisch-europäischen Kriege in Afghanistan und dem Irak, etc. Damit erreicht der Blog laut Werbehinweis beinahe eine Million Leser monatlich.

Nun enthält das Manifest des norwegischen Attentäters Breivik nicht nur viele Formulierungen, die an Inhalte der "Achse des Guten" erinnern, sondern (s. auch ein früherer Beitrag ) Henryk M. Broder, einer seiner Autoren, wird sogar von Breivik zitert. Broder tat das mit einem Witzchen ab. Die "Achse des Guten" bemüht sich (wie Georg Paul Hefty in der FAZ und Eric Gujer in der NZZ), jeden Zusammenhang zwischen der Verbreitung von antimuslimischen Thesen und deren Gebrauch durch Breivik abzustreiten. Bernd Zeller etwa schreibt dort unter der Überschrift "Kein Grund zur Defensive":

Dass sich die Islamkritiker des Verdachtes erwehren, die geistigen Verursacher des Osloer Massakers zu sein, liegt nicht an mangelnder Selbstkritik. An den Unterstellungen ist aus einem offenliegenden Grunde nichts dran, denn: man betrachte die Tat. Die Tat kann nicht als extreme Konsequenz islamkritischer Texte angesehen werden, beim schlimmsten Willen nicht. Diese Deutung erfährt sie erst durch das sogenannte Manifest, genauer gesagt dadurch, dass sich viele diesen Zusammenhang wünschen und ihn durch die Verweise bestätigt sehen. Der Täter hat aber nicht einmal sein eigenes Manifest umgesetzt, geschweige denn die Aussagen oder Tendenzen oder unterschwelligen Anliegen der bösen Blogger. Wir haben einen Sprengstoffanschlag in Oslo und einen Massenmord an Jugendlichen. Den Kausalzusammenhang zu bösen soziologischen Arbeiten und schlimmen Internetforen muss man bitte darlegen, es reicht nicht, dass beides politisch inkorrekt ist. Dass man beides in der Vorstellung nebeneinander hat, ist keine Kausalität, das ist magisches Denken.

Zeller behauptet viel, argumentiert aber schlecht oder gar nicht. "An den Unterstellungen ist aus einem offenliegenden Grunde nichts dran, denn: man betrachte die Tat. Die Tat kann nicht als extreme Konsequenz..." Kann nicht, wieso denn nicht? Und wieso ist die Tat ein offenliegender Grund? (- übrigens ist das ein Sprachmurks sonder gleichen -)

Insofern die mit "Islamkritik" bezeichneten Beiträge eine Kritik wären, könnten sie wirklich auf Unschuld pochen, insofern sie aber tatsächlich auf die Abwertung einer oder mehrerer Gruppen hinauslaufen, sieht es anders aus. Und dass beispielsweise der auch in der Achse des Guten meist gegen seine Kritiker verteidigte Sarrazin in abwertender Weise über muslimische Migranten gesprochen hat (erblich dumm, die Muslime und die Armen als demographische Bedrohung, und, ja, er hat es gesagt : "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert." etc.), ist eben unbestreitbar, auch wenn er die Grenze zur Straftat noch nicht überschritten haben mag. Solche Äußerungen wurden in vielen Medien zurechtgelogen zur "Aufforderung zum Dialog"; die Verweigerung der Anerkennung ist aber dessen Ende. Ähnlich steht es mit der Behauptung genetisch bestimmter minderer Intelligenz gewisser Einwanderergruppen, deren übergroße Vermehrung ergo volkswirtschaftlichen Schaden anrichte. Auch darin liegt kein Angebot an die Gemeinten, sie kommen nur als "unser" Problem vor; als genetisches und wirtschaftliches Material werden sie gewogen, gewogen und für zu leicht befunden.

Urteile dieser Art, die verbreitet werden und sich als 'die Wahrheit' ausgeben, deren Kritik wiederum als 'verlogene Korrektheit' beschimpft wird, nisten sich in vielen Hirnen, nicht nur dem Breiviks ein, wenn sie aus der 'Mitte' und von bekannten Personen des öffentlichen Lebens vorgetragen werden. Wieso kann diese Straftat nichts damit zu tun haben? Ist die Verweigerung der Anerkennung nicht eine Voraussetzung von Gewalt? Zeller gibt keine Antwort.

Ein Argumentum ad hominem ist eingestreut: Nur "...dass viele diesen Zusammenhang wünschen..." stelle einen nicht bestehenden Zusammenhang her. Die Motivation derer, die auf einen Zusammenhang hinweisen, hat allerdings, werter Zeller, nichts mit dem Status der so getroffenen Aussagen zu tun. Zellers Text ist nicht etwa deshalb inhaltsarm und schlecht, weil ich ihn mit dieser Erwartung gelesen hätte, denn der Befund lässt sich belegen.

Schließlich konstatiert Zeller, mit Kausalität habe ein solcher Zusammenhang nichts zu tun, sondern mit magischem Denken. Offensichtlich hat Zeller wenig über Kausalität nachgedacht: Prüfen wir gängige Auffassungen von Kausalität: Dass der ideologische Hintergrund der Verunglimpfung des Islam, die sich Kritik nennt, eine notwendige Bedingung für dieses Verbrechen in einem ganzen Satz von Bedingungen darstellt, die zusammen erst hinreichend sind, kann man nur dann abstreiten, wenn man jeden Zusammenhang zwischen der Ideologie von Tätern und ihren Taten abstreitet. Das wird im Ernst niemand tun. Oder nehmen wir die kontrafaktische Auffassung von Kausalität: Hätte es ohne diesen Hintergrund zu dieser Tat kommen können? Sehr voll nimmt den Mund, wer wie Zeller derart apodiktisch verneint. -- Prüfen wir die kausale Hypothese noch einmal anders auf Plausibilität. Fragen Sie sich selbst: Wenn Sie der Fortschrittspartei, Sarrazin, et al. glauben, dass die Muslime sich bedrohlich stark vermehren, noch dazu dumm und integrationsunwillig seien, dass außerdem unsere Gesellschaft verlernt habe, sich zu wehren ("Hurra, wir kapitulieren", Broder), wenn sie das glauben, könnten Sie dann nicht denken "Ich muss etwas dagegen tun!" ? Zur Erklärung von Breiviks Verhalten braucht es freilich noch viel mehr.

In der FAZ weist ein Artikel von Sebastian Balzter darauf hin, dass die norwegischen Wähler diesen Zusammenhang sehen könnten, den Zeller und kommentierende Leser der FAZ so kategorisch abstreiten. Manche Verteidiger der gegen die Migranten gerichteten Strömungen weisen auf deren demokratische Legitimation hin, müssten also auch deren demokratische Deligitimierung bei den nächsten Wahlen als Hinweis akzeptieren, dass etwas nicht in Ordnung war. Balzter schließt mit einem Zitat:

„Verschwörungstheorie und Islamophobie, das ist das Grundgerüst im Weltbild des Terroristen“, sagte Politologe Marsdal am Dienstag dieser Zeitung. „Man darf Handlung und Haltung zwar nicht gleichsetzen. Aber nicht jede Haltung ist unschuldig.“

1 Kommentar:

Georg hat gesagt…

Ein meisterlicher Artikel. Traurig nur, daß die "Achse des Guten", die von den unsäglichen Maxeiner/Miersch, einst Alan Posener, Ackermann, Broder und anderen als eine Art "Kampf gegen die Gutmenschen" geführt wird, nicht nur selbst frei von Argumenten ist. Auch die allermeisten Leser - Fans finden sich überall, grade in diversen Kulturszenen, Miersch z.B. ist Berater von Cicero (gewesen?), dort schreibt auch manchmal Rainald Goetz - achten nicht auf Argumente. Wenn also der rechtsradikale norwegische Attentäter Breivik, den man in den ersten Stunden bizarrerweise zum "Islamisten" erklärt hatte, Gedanken gut findet, die Maxeiner/Miersch, Sarrazin, Broder gut finden, wie reagieren die Kulturspacken? Sie grinsen. Leider wieder ein Beweis mehr, wie hohl, von innen heraus, die Floskel "ich erfinde mich eben neu" ist. Man grinst, und "erfindet sich neu" - das will sagen, man schert sich nur um style und Pose. Vielleicht haben doch die recht, die sagen, besser, man beachte "politically incorrect" oder "achgut.de" erst gar nicht. Auch bei den "Anti"deutschen a la bahamas.org oder jungle world ging es kaum um Argumente, noch weniger um die Welt. Es ging und geht um Gehabe.

Ich hatte nach den Attentaten Breiviks in der ARD im blog einen Zusammenhang zu Maxeiner/Mierschs achgut beschrieben. Es stellte sich raus, daß die meisten gar nicht wußten, wer die sind. Na immerhin.