Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Mittwoch, 26. Oktober 2016

Gibt es Grenzen?

Ich zitiere einen Korrespondenten:

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Es gibt doch Grenzen.


Am 19.10.2016 strahlte Deutschlandfunk-Radio-Kultur in der Kindersendung folgenden Text aus:
[…] „Der russische Präsident Putin führt derzeit zwei Kriege. Einen in der Ukraine und einen in Syrien. Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande wollen Putin dazu bewegen mit beiden Kriegen aufzuhören. Das wird wahrscheinlich nicht funktionieren, weil Putin sich nicht an internationale Regeln hält. Er ist der Ansicht, dass er den russische Einfluss in der Welt vergrößern muss und das auch mit Krieg. Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande haben mehrfach gesagt, dass Putin in Syrien schwere Menschenrechtsverletzungen begeht. Die russische Luftwaffe bombardiert Krankenhäuser und Hilfskonvois der Vereinten Nationen. Deshalb fliehen viele Syrer mit ihren Familien nach Deutschland. Auch in der Ukraine kämpfen trotz eines Abkommens russische Soldaten. Wie man Putin davon abhalten kann, ist aber nicht klar. Man könnte ihn unter Druck setzen, in dem man Russland bestimmte Waren nicht mehr verkauft. Das nennt man Sanktionen. Aber dafür müssten sich alle Europäer einig sein und das sind sie zur Zeit nicht.“
Quelle: Deutschlandfunk – von Minute 0:50 bis 1:55
http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2016/10/19/kakadu_nachrichten_vom_19102016_drk_20161019_1500_eb3ea93a.mp3


Das scheint mir noch übler als Kohlers Berthold, und so hetzt man Kinder auf.
Widerlich.

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 Ja, das ist noch übler.  Ob die Länder, auf dir wie mit dem Finger als Despotien zeigen, eine so gute Kinderpropagandaabteilung in ihrem Staatssender haben?

Vielleicht müssen wir mal eine "Sendung mit der Maus" über die Propagandabteilung machen.

Das ist die Propagandabteilung, die will, dass die Leute etwas bestimmtes denken und nichts anderes denken. Und das ist die Frau, die aus allen Nachrichten die Hälfte wegschneidet, die zu falschen Gedanken verleiten könnte. Und das ist der Mann, der die Nachrichten spricht. Und das ist der Studiogast, Frau Göring-Eckart. Die kriegt keinen zurechtgeschnittenen Text, sondern kann ihn selber. Und das sind die Bilder von Zivilisten, die die ukrainische Armee, bzw. die türkische Armee, die US-Luftwaffe und die die mit ihr verbündeten Aufständischen zerstückelt haben. Und das sind die Bilder von Zivilisten, die die russische Luftwaffe  zerstückelt hat. Huch, jetzt habe ich doch glatt die beiden Bilderhaufen verwechselt. Naja, macht nichts, sehen ja auch gleich aus.  Das ist jedenfalls der Mann, der einen der beiden Stapel wegschmeißt. So. Und jetzt sind nur noch Bilder der russischen Verbrechen da.  Liebe Kinder, tschüs!

Samstag, 22. Oktober 2016

Lobenswerter Rainer Hermann

In der FAZ, in der ja der hier häufiger vorgeführte Berthold Kohler sein einseitiges Unwesen treibt, gibt es noch gute Autoren. Am vergangenen Montag, dem 17. Oktober 2016, war ein Leitkommentar von Rainer Hermann zu lesen "Aleppo ist aufgegeben". In trockenen Worten beschreibt Hermann den Krieg in Syrien, den Kampf um Aleppo und die diesbezüglichen Rollen Russlands und der USA. Ob ich ihm im einzelnen beipflichte, spielt keine Rolle für die Wertschätzung, die eine Darstellung jenseits von einseitigem Moralisieren verdient, eine Darstellung, die darauf verzichtet, die Guten (uns) und die Bösen auszumachen. Hermann schreibt weiter:
Erfolgversprechende Optionen bieten sich Washington in Syrien ohnehin nicht mehr. Selbst wenn Amerika den Rebellen Waffen lieferte, gäbe es keinen Weg, sie nach Aleppo zu bringen; Sanktionen gegen Moskau wegen der Kriegsverbrechen der russischen Luftwaffe und der syrischen Armee kommen schon deswegen nicht in Betracht, weil sie dann auch gegen Saudi-Arabien wegen dessen Kriegsverbrechen im Jemen verhängt werden müssten; zudem ist eine Flugverbotszone über Nordsyrien keine Option, weil Moskau den Abschuss eines russischen Flugzeugs als Kriegserklärung deuten könnte.
Chapeau! Hermann sei bedankt, diesen Satz den Lesern und Leserinnen der FAZ vorzuführen, die sonst nur zu oft die Karikaturen Kohlers oder von Altenbockums an der nämlichen Stelle lesen dürfen. Kriege gegen Aufständische, die sich zwischen Zivilisten befinden, pflegen mit Verbrechen einherzugehen, wer immer sie nun führen mag. Und auch die Aufständischen begehen üblicherweise selber welche. Durch willkürliche Fokussierung auf die einen oder anderen Verbrechen, können die USA ein treuer Verbündeter Saudi-Arabiens und ein erbitterter Gegner Syriens sein. Hermanns Satz lässt in vollendeter Schlichtheit den moralischen Schein solcher Positionen zerbröckeln.

Samstag, 17. September 2016

Qualitätsmedien

Nun ja, die Hersteller und Abonnenten der noch verbliebenen “großen” Zeitungen sind sich über ideologische Gräben hinweg darüber einig, dass die Qualität, die eine Zeitung für Bildungsbürger genießbar mache, sich an Genauigkeit, Gründlichkeit, Stil und Gestaltung festmachen lasse. Solche Überzeugungen überleben -- wie übrigens alle -- die Gründe ihrer Entstehung.

Der Verdacht, es verhalte sich längst nicht mehr so, könnte an der schon teilweise vulgären Aufmachung des Internet-Auftritts der großen Zeitungen genährt werden. Lesen ist aber allemal besser, um festzustellen, dass oft nicht mehr viel dahinter ist.

Die Verteidiger des Kapitalismus haben sich sehr über Pikettys Buch “Das Kapital im 21. Jahrhundert” geärgert, weil es nicht von einem der üblichen durch Abwinken zu erledigenden Linksradikalen stammt, sondern von einem Wirtschaftswissenschaftler aus der Mitte des Establishments. Das Buch ist ausgesprochen datenlastig, kaum zu bestreiten der Befund, dass die Ungleichheit der Vermögen und Einkommen in den Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg einen einmaligen Tiefstand erreicht hatte und seit Ende der 70er wieder angestiegen ist, um inzwischen großenteils wieder auf dem Stand zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu sein.

Das aber haben die meisten ohnehin vermutet, nur dass eben manche Strömungen solche Ungleichheiten für richtig halten. Je nachdem, wie es begründet wird, lässt sich darüber streiten oder nicht einmal das. Positionen, die zugleich der so genannten Leistungsgerechtigkeit das Wort reden und die zum größten Teil durch Erbschaft weitergebenen Vermögen rechtfertigen, sind so offensichtlich widersprüchlich, dass ihre Vertreter offenbar niemanden überzeugen wollen. Da sie die tatsächlichen Verhältnisse auf ihrer Seite haben, können sie gut darauf verzichten. Niemand kann bestreiten, dass das Demokratieprinzip von Individuen, denen Zeitungs- und Fernsehkonzerne zu Gebote stehen, beschädigt wird, aber es lässt sich natürlich behaupten, dass die Maßnahmen, die diese Beschädigung verhindern würden, selbst viel mehr beschädigen würden. Ultraliberale Positionen wünschen sich einen Staat, der gerade so viel Steuern erhebt, wie für eine ordentlich Polizei benötigt werden, und ansonsten alles dem Markt überlässt. Das wird (etwa bei Nozick) aus ursprünglichen Freiheitsrechten abgeleitet, doch wird, wie Gerald Cohen bemerkt hat, gerade von den reinen Freiheitsadvokaten vorausgesetzt, dass Privateigentum noch vor Freiheit kommt, denn sonst hätte jeder auch die Freiheit, sich von den großen akkumulierten Vermögen jederzeit etwas zu nehmen. Ich darf aber nicht Mr. Morgans Yacht nehmen, selbst wenn er sie gerade nicht braucht.

So richtig Mühe scheinen sich die Vertreter der "neoliberalen" Ideologie nicht zu geben, Kritik an Ungleichheit aus dem Weg zu räumen. Sie ist ja eigentlich ungefährlich, solange zugleich die bestehenden Verhältnisse als unvermeidlich empfunden werden und keine von größeren Menschenmengen gutgeheißenen Änderungsvorschläge mehr im Spiel sind. Das Ärgerliche an Piketty war nun, dass er auch eine Analyse der Ursachen der Ungleichheit versucht hat und massive Veränderungsmöglichkeiten in der Anwendung bisher verpönter Steuern sieht. Da hört der Spaß auf. Sofort nach der Publikation fingen die Erwiderungen an, die versuchten, Piketty Fehler nachzuweisen. Am Datenmaterial ließ sich nicht viel flicken, also musste seine Theorie her. Das Buch ist aber mit Theorie sparsam, und die vorkommende Theorie macht wenig Voraussetzungen. Wenn die Kapitalrendite r über dem Wirtschaftswachstum g liegt, dann werden die sich vermehrenden Reichtümer stärker in die Hände der Kapitalbesitzer gehen. Dieses Prinzip hat Piketty nicht statistisch getestet, aber im Rahmen seiner Daten bestätigt gefunden. Da hatten die Gegner ihren Kasus! Vor einigen Monaten wurde nun eine vom IMF ausgehende Studie publiziert, die für eine gewisse Zahl von Staaten Daten aus dreißig Jahren untersucht und in diesem Zeitraum keine direkt messbaren Effekte des Verhältnisses r/g auf die Ungleichheit ausmachen zu können glaubt. Großes Geschrei! Ha! Die Autoren der Studie bestreiten übrigens nicht die zunehmende Ungleicheit, sie bestreiten nur die Behauptung, dass ein hohes r/g die Ungleichheit erhöhe. Sie gestehen selbst zu, dass der Zeitraum ihrer Daten für langfristige Entwicklungen möglicherweise zu kurz ist. Sie legen ihre Methode offen, in die sehr viele Modellannahmen eingehen.

Wenige wissenschaftliche Studien schaffen es in die Medien. Diese wurde durch die Internetmedien und die Zeitungen geschleift, was das Zeug hielt. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden: eine Studie zu zitieren, deren Ergebnis den eigenen politischen Vorstellungen entspricht. Diese Studie aber als Studie zu zitieren, ihren Inhalt, ihre Voraussetzungen, ihre Methode wiederzugeben, wäre ein Gebot intellektuellen Anstands, gerade für Zeitungen, die sich als bildungsbürgerlich verstehen. Und damit wären wir beim Anfangsthema. Der Wirtschaftsredakteur Patrick Bernau in der FAZ hat sich frohlockend auf die Studie gestürzt. Die Überschrift seines Artikels “ Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Was für ein Unsinn. ” war bereits falsch, denn sie suggerierte, die Ungleichheit nehme doch nicht zu, das aber behaupten die Autoren gerade nicht. Weiterhin behauptet Bernau, Piketty sage "jetzt auf einmal", seine Aussagen seien streng genommen nur für die Zeit vor dem ersten Weltkrieg gültig. Die Formulierung ist ausgesprochen hämisch. Hat der Kerl jetzt erst kapiert oder zugegeben, wovon seine Daten handeln! Um sich einen hämischen Ton erlauben zu dürfen, sollte man sauber arbeiten. Das halbe Buch Pikettys handelt aber von der "normalen Periode" des Kapitalismus vor dem ersten Weltkrieg, erst danach war vorübergehend sowohl die Ungleichheit kleiner als auch r/g. Wie ausgesprochen unredlich von Bernau, so zu tun, als hätte Piketty das verschwiegen oder peinlicherweise übersehen. Die Funktion ist offenbar, nicht das Buch, sondern den Mann zu treffen: So einer ist das! Nun ist aber der FAZ-Schreiber, ja -Schreiberling, doch!, einer, der Bücher, über die er schreibt, offenbar nicht richtig liest, und der Artikel, die er zusammenfasst, weder richtig liest noch versteht.

Der Autor ist ein schlechter Journalist, was nicht weiter erwähnenswert ist. Dass aber die FAZ einen so schlechten Journalisten an diese Stelle setzt, besagt doch etwas über eine Zeitung, die von einem Ruf lebt, den sie längst nicht mehr verdient. In anderen Redaktionsbereichen der FAZ gibt es durchaus noch achtenswerte Journalisten, wenige Tage später wurde im Feuilleton eine Monographie von Atkinson über das Messen von Ungleichheit sorgfältig besprochen und im übrigen gelobt. Die Wirtschaftsredaktion aber dient offenbar - um den Preis der Niveaulosigkeit - der Ideologieproduktion. Gut zu wissen.

Sonntag, 26. Juni 2016

Krokodile weinen

Großes Geschrei: Der Brexit.

Ich hatte das Haus verlassen, um an einen See zu fahren, und nichts mitbekommen vom Ergebnis der Abstimmung. Im Zug war eine englischsprachige Reisegruppe, der Reiseführer ein in Berlin lebender Brite mit perfekt gestutztem Bart.

Der junge Brite war aufrichtig entsetzt.  Im kurzen Gespräch, das folgte, wurde allerdings klar, dass er zu denjenigen gehört, die sich nicht die Mühe gemacht haben, übertriebene Wirtschaftsorientierung, mangelnde Solidarität und unzureichende Demokratie der EU zu beklagen.  Die Kommission winkt CETA durch? Griechenlands demokratische Entscheidung wird ignoriert, Deutschland vor allen anderen verlangt von den Griechen Opfer, die keine deutsche Regierung überstehen würde? Die Sozialstandards in Europa stehen in einem Wettbewerb nach unten, jetzt bekommen die Franzosen ihren Schröder?  Nichts davon sagt ihm was,  ihm fällt nur der sicher vielfach abgeschriebene Satz ein, die britische Entscheidung können ja nichts mit mangelnder Demokratie in Europa zu tun haben, schließlich habe das UK, haha, ein nicht gewähltes House of Lords.

Und so sieht es bei vielen der schockierten modernen Leute aus, die nicht nur im oberen Drittel der Fresspyramide leben -- das allein ist noch kein Vorwurf, da lebe ich auch, weiter unten wird's sehr ungemütlich -- sondern das nicht wissen und darüber hinaus auch so außerordentlich selbstgefällig und beschränkt sind, nicht zu bemerken, dass dieses Europa seine großen Rechtsversprechen seit geraumer Zeit bricht, und dass darunter vor allem die ärmsten Mitgliedsstaaten nund in allen Mitgliedsstaaten das ärmste Drittel der Bevölkerung leidet.

Der junge Mann ist bestürzt: Das hat die britische AfD (UKIP) oder die britische Pegida vollbracht. So Leute wie Orban und Putin.  Glaubt er nun wirklich, dass die 52% sich nach diesem Schema erklären lassen?

Er glaubt, was für ihn bequem ist.  Die Schuld der Lauwarmen, die die EU achselzuckend vor die Hunde gehen lassen, will er nicht sehen. Er erklärt das Ergebnis durch Ressentiment und absolute Unvernunft.  Es könnte doch alles so schön sein, wären die Leute nicht so blöd.   Passenderweise akzeptiert er auch meine folgende Bemerkung nicht, die Tories hätten sei eh und je antieuropäische Bälle gespielt, so dass ihre Kampagne für den Verbleib in der EU einigermaßen unglaubwürdig war. "Die Tories waren gespalten", sagt er. Ja, zuletzt, und früher recht einig darin, einen britischen Sonderweg zu beschwören.  Diese Zurückweisung ist aber ebensowenig erstaunlich: Es kennzeichnet den inkonsequent liberalen, schicken, relativ wohlhabenden Stadtbewohner, Kritik an der bürgerlichen Rechten zu widersprechen, ja die Unterscheidung zwischen "links und rechts" für überholt zu halten. Und das ist am Ende vor allem eines: rechts. So rechts wie das Europa, das neben seinen schon angedeuteten wirtschaftspolitischen Sünden auch in der Außenpolitik -- oh Friedensnobelpreisträger! -- zum Arm einer keineswegs friedlichen NATO wird. (In dem Assoziationsabkommen mit der Ukraine, das nicht unterzeichnet zu haben Janukowitsch sein Amt kostete, stand nicht nur etwas von Freiheit-Demokratie-Handel, sondern auch verstärkte militärische Zusammenarbeit. Das Abkommen bezeugt einen Geist, der nicht in erster Linie einen zivilen Annäherungsprozess wünscht, sondern in politischen und militärischen Blöcken denkt.  Und folgerichtig haben sich dann die Blockstrukturen wieder verschärft; irgendwem wird's nützen, mir nicht.)
So rechts wie das Europa, das an seinen Außengrenzen Flüchtlinge ersaufen lässt, bzw. mit obskuren Abmachungen in Drittstaaten abschiebt.

Nun haben viele Befürworter des EU-Austritts unter anderem auch Stimmung gegen Flüchtlinge gemacht. Manchen war die EU in in ihrer heuchlerische verbrämten Inhumanität noch zu human.  Diese Befürworter sind abzulehnen, aus demselben Grund wie die AfD, Pegida und nicht unerhebliche Teile unserer Regierungsparteien (die ja etwa, um uns vor zu vielen Flüchtlingen zu schützen, Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten erklären, die es nicht sind.)

Durch diesen Aspekt des Brexit wird noch längst nicht die Kitsch-Geschichte war, nach der die Ach-so-Gute-EU-und-mit-ihr-ich-wohlfrisierter-Mittelschichtspross-Vielflieger-und-Grünenwähler nur durch Rechtspopulisten beschädigt wurde.  Hätte die EU ernsthaft versucht, möglichst demokratisch und innen wie außen solidarisch zu sein, und wäre dann GB ausgetreten, ja dann könnte was dran sein.

Wie wär's denn, wir fingen jetzt damit an, die EU zu demokratisieren, statt die Beleidigten zu spielen?   Und versuchten ernsthaft, so zu handeln, dass von den vernünftigen Argumenten gegen die EU keines übrig bliebe?  Um die unvernünftigen müssten wir uns dann noch kümmern.    Eine solche Wandlung ist mit Merkel-Schäuble-Draghi-Hollande-Dijsselbloem-Juncker wahrscheinlich nicht zu haben.  Die Totengräber der EU sollen  Fanatiker vom rechten Rand sein?  Nein; in der politischen Mitte und im Machtzentrum sitzen sie, und deswegen können sie auch so ungestört das Werk von Jahrzehnten zerstören. In der Mitte Europas sitzen die, die nicht an "Europa" als ein vielschichtiges Vereinigungs- und Fortschrittsprojekt, sondern letztlich nur an den Erfolg europäischer Unternehmen auf dem Weltmarkt "glauben". Wertfrei erfolgsorientiertes Pack, das doch die Wertvokabel so gerne benutzt.

Ach ja, die anfangs erwähnte Reisegruppe fuhr sich das KZ Oranienburg ansehen.  Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, darüber sind sich ja alle einig. Wir müssen aber unbedingt die neue Ukraine bewaffnen, die fleißig Denkmäler für Faschisten baut.  (Es liest zwar niemand diesen Blog; sollte es aber anders sein, wäre es bald so weit, mich als Putin-Troll zu identifizieren. Nun war ich aber nach der orangenen Revolution in der Westukraine und fand manches Bandera-Denkmal und in den Zeitungen finster-nationalistisches Geschwurbel vom damals durch den Westen so gelobten Juschtschenko. Schon bei der orangenen Revolution ging es darum, Janukowitsch, "den Mann Russlands", loszuwerden, der doch bei der nächsten oder übernächsten Wahl wieder gewählt wurde, keineswegs enthusiastisch, sondern von desillusionierten Ukrainern als geringeres Übel, nachdem sie zu spät erkannt hatten, dass die Orangene Revolution nicht ihre eigene war, sondern ein Mechanismus, eine korrupte Clique durch eine andere zu ersetzen.  Jahre später dann der Maidan, teilweise die selben Akteure. Wieder die Soros-Stiftung, wieder die Vertreter von EU und USA, wieder Demokratiekitsch und wieder viel zu viel antirussisches Ressentiment und faschistophiler Historismus.  -- Nein, nein. Wir sind die Guten, der Poroschenko ist ein Guter, der Jazeniuk war ein Guter, der Putin ein böser, böse auch Großbritannien, wir machen alles richtig, aber der Putin. Der ist eigentlich am Austritt Großbritanniens schuld. Stand so ähnlich in seriösen Medien geschrieben, echt jetzt, ohne Scheiß.)

 ------- Mak. Blatt

 Es ist recht, sich selbst ins Wort zu fallen: Der Vorschlag, jetzt anzufangen, die EU zu demokratisieren und zu solidarisieren, ist doch eigentlich idealistischer Quatsch. Wenn es die ganze Zeit nicht danach aussah, warum sollte so etwas ausgerechnet jetzt geschehen? Ja, wohl wahr, ich habe Unsinn geredet. Bis auf weiteres wird die EU vor allem ein Vehikel gewisser wirtschaftlichen Interessen sein.  Und in dem Maße, wie das so ist, werden sich noch mehr Mitgliedsstaaten fragen dürfen, ob sie draußen besser dran sind.  Es gibt wird keinen großen Neuanfang geben, sondern ein allmähliches Zerbröckeln, von dem ein Kern vermutlich nicht betroffen sein wird.  Nun, was dann?

Dann wird es möglichst weitgehende bilaterale Verträge zwischen der EU und den abgesplitterten Staaten geben.  In allen Lobreden wird ja hervorgehoben, mit der EU hätten die europäischen Staaten aufgehört, sich in Kriegen zu zerfleischen.  Dasselbe lässt sich aber auch mit anderen Vertragswerken erreichen.  Stabile rechtliche Beziehungen sind auf Dauer das beste Mittel gegen die Kriegsgefahr.  Eine zu eng gefasste Beziehung dagegen kann mit Austrittswünschen auch Ressentiments füttern.  Vielleicht ist eine kleine geschriebene 'eu', die sich nur als  'negatives Surrogat der positiven Idee' eines Weltstaats verstünde,  bei den nach wie vor wirksamen nationalen Egoismen realistischer, gesünder und auf Dauer auch friedlicher. Und in einem gestaffelten System bilateraler Verträge hätten auch die USA und  Russland ihren Platz.  Wir müssen nicht am Bau einer geopolitschen Zone arbeiten, wenn wir es gar nicht können. Wir müssen nicht Souveränität an schwer durchschaubare Handelsabkommen (CETA; TTIP) abgeben, die ja erneut auf Blockbildung hinauslaufen, nur in der wirtschaftlichen Sphäre.  Lieber kleine Verträge, die sich erweitern lassen, wenn sie nicht reichen.  Das ist vielleicht nicht so mitreißend wie mein Märchen vom solidarischen Europa, aber es ist auch keine Katastrophe.

Für die Debatte, wie wir uns Flüchtlingen gegenüber verhalten sollen, ändert sich wenig:  Schon jetzt besteht sie aus lauter nationalen Debatten. Wenn die Auffassung, es handle sich um ein "Europäisches Problem", niemandem, vor allem nicht den Flüchtlingen genutzt hat, vielleicht wären ja sich als souveräner verstehende Staaten eher bereit,  Flüchtlinge großzügig willkommen zu heißen?  (Man könnte sich dann etwa ein Beispiel an Schweden nehmen, das pro Kopf ein Mehrfaches an Flüchtlingen aufgenommen hat als etwa Deutschland, statt mit dem Finger auf ärmere Staaten Europas zu zeigen, weil diese kaum Flüchtlinge aufnehmen wollen. Fragt man die Flüchtlinge, so wollen sie übrigens auch nicht in diese Länder, auf deren desolaten Arbeitsmärkten sie keine Chancen haben.)
Und das Ende des Schengenraums (bedauerlich) wäre zugleich auch das Ende der Dublin-Vereinbarung (erfreulich).

Diese beruhigende Entdramatisierung des Dramas sollte aber nicht vergessen lassen, wer die EU  verraten hat: nicht in erster Linie GB.

Je vais crâcher sur vos tombes!


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p.s.  Die BBC berichtet gerade auf ihrer Website davon, dass einige Labour-Politiker/innen Jeremy Corbyn beschuldigen, am Ergebnis eine Schuld zu tragen, weil er als Kritiker des neoliberalen Europas die Kampagne für den Verbleib in der EU zu glanzlos geführt habe. Ich weiß nun nicht, ob es sich um Blairisten handelt, die die Gelegenheit nutzen wollen, den verhältnismäßig linken Corbyn zu limogieren, aber es könnte schon passen. Im übrigen glaube ich, dass die Pro-Europa-Kampagna eines Kritikers der europäischen Misstände allemal glaubwürdiger war als eine rein positive und damit notwendigerweise verlogene Kampagne gewesen wäre.  Die Werbeweisheit, dass negative Formulierungen dem Verkauf des Produkts  schaden, muss nicht immer stimmen. (Wenn Demokratie nicht reines Manipulationsgeschehen ist, können Wähler auch durch Nachdenken zum Schluss kommen, dass man grinsenden Schleimern, die offensichtlich einen Teil der Wahrheit verschweigen, den anderen Teil nicht unbedingt abnehmen sollte.) Könnten doch empirische Sozialforscher  herausfinden, ob das Ergebnis durch Corbyn knapper ausgefallen ist als es sonst ausgefallen wäre!    --  Die Labour-Party arbeitet so wie die SPD und der PS fleißig daran, die Sozialdemokratie vollends überflüssig zu machen. 

Dienstag, 21. Juni 2016

Der große Kohler

Um darzustellen, dass Berthold Kohler - wie üblich - Unsinn überzeugt vorträgt, genügt es zum Glück, ihn zu zitieren. Vorgestern schrieb er in der FAZ:

Hatte Putin vielleicht Geburtstag und es fehlte noch das Geschenk? Man muss sich wirklich die Augen reiben. Es ist nicht der russische Außenminister, der dem westlichen Verteidigungsbündnis wegen dessen Manöver auf dem Gebiet der östlichen Nato-Staaten „lautes Säbelrasseln“, „Kriegsgeheul“ und das „Anheizen“ der Lage vorwirft, sondern der deutsche. Mit solchen Beschuldigungen garnieren üblicherweise Moskauer Propagandaschmieden die Behauptung, an der Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen sei die Nato schuld.

Nun genügt ein Blick auf die Statistik, um zu sehen, dass die NATO seit Ende des Warschauer Paktes Schritt für Schritt Russland mit Militärbasen umstellt, gegebene Versprechungen dabei schlicht ignorierend.  Kohler begründet sein vertrautes "Wir haben Recht, der Russe nicht" mit der Annexion der Krim.  Auch dabei verschweigt er die vorherige Einmischung des Westens in innere Angelegenheiten der Ukraine - nein, es war nicht nur eine Demokratiebewegung -- , so dass der völlig unblutige, aber vermutlich völkerrechtswidrige Akt auf der Krim nicht nur des Russen Werk, sondern auch Folge anderer mindestens fragwürdige, jedenfalls agressiv gegen Russland gerichteter Akte war.  Was kümmert's den Kohler?

Steinmeier moniert also das Säbelrasseln im größten aller Manöver vor der russischen Grenze. Da muss Kohler natürlich protestieren, da Säbelrasseln zu seinen Plaisirchen gehört (wenn auch am fernen Redaktions-/Stammtisch).

Die Nato-Verbände und ihre Manöver haben einen politischen Zweck: Sie signalisieren Moskau, dass der Westen sich nicht noch einmal von einem Handstreich wie auf der Krim überraschen ließe. Und dass die Nato einen Angriff auf eines ihrer Mitglieder als Angriff auf alle betrachten würde.
Ist es wahr, dass Russland seine Nachbarn bedroht und mit Drohungen in seine Schranken gewiesen werden muss? Als der Westen mehr oder minder die Ukraine  aus einer engen Verbindung mit Russland heraustrennen wollte, hat Russland reagiert, darüber denke jeder, was er will. Aber seinen Machtbereich ausdehnen? Woher denn, er schrumpft von Jahr zu Jahr. Der Westen verbündet sich mit politischen Kräften in den Anreiner-Staaten, auch wenn sie korrupt, gefährlich und rassistisch wären, etwa Saakaschwili in Georgien. Der hat nachweislich einen kleinen Krieg gegen Russland um Südossetien vom Zaun gebrochen,  offenbar in der Hoffnung, die NATO würde mitmachen. Voraussehbar war in der hiesigen Presse zunächst monatelang der Russe der Böse, bis unabhängige Kommissionen die russische Version des Hergangs bestätigten. Über diese wurde dann 'ferner liefen' berichtet, so dass das Durchschnittsbewusstsein von Leuten, die einem Kohler Beifall klatschen, das Ereignis unter "Agressionen Russlands" verbucht haben dürfte. Der aus dem eigenen Land wegen Korruption und  systematischer Verfolgung der Opposition angeklagte Saakashwili setzte sich in die USA ab. Und von dort durfte er kommen, die Ukraine beraten.

Kurzum, es ist nicht wahr, dass Russland irgendwen bedroht. Im geopolitischen Gerangel hat Russland seit 1990 den Kürzeren gezogen. Putin wird u. a. deswegen zur Hassfigur stilisiert, weil er für den Versuch steht, dem Einhalt zu gebieten. Dazu gehören auch Drohgesten, die aber nur unter böswilligem Ignorieren der jüngeren Geschichte als Angriffsdrohung zu verstehen wären.

Kohler wäre sicher froh, wenn's kracht.

Und wir wären froh, wenn Kohler irgendwann als Witzfigur dasteht.  Dazu bräuchte man sich nur deutlich genug an das zu erinnern, was er geschrieben hat.

Mittwoch, 11. Mai 2016

2016, mon amour

2016 habe ich noch nichts in diesem Blog veröffentlicht, aber nicht aus Mangel an Material, sondern im Gegenteil, weil es zum Davonlaufen viel Material gibt.

PRIMO

Während sich die Regierung Merkel vom rechten Rand der Gesellschaft...

[Intermezzo]

Hier müssen wir den Satz kurz unterbrechen, um uns zu fragen, was ein Rand ist.  Wie breit kann etwas sein, das noch Rand genannt wird ? 


Nachdem ich letzte Woche in dem kleinen hessischen Dorf war, aus dem ich komme, und dort nicht wenige sehr wohlhabende und sehr wohlgenährte Damen und Herren im Gespräch nach einiger Zeit anfingen, gegen die Flüchtlinge vom Leder zu ziehen, war mein erster Gesprächspartner zurück in Berlin ein Taxifahrer türkischer Abstammung, der erzählte, wie er Anfang der 80er noch auf Vermieter traf, die "nicht an Türken vermieteten." Danach klagte er darüber, jetzt könne man nicht mehr in Neukölln wohnen, wegen der Araber.   Rassismus ist kein Randphänomen, es sei denn man wäre bereit, in der rechten Figur der obigen Skizze von einem Rand zu sprechen.

[Ende des Intermezzos]

Während sich die Regierung Merkel vom rechten Rand der Gesellschaft als weich, ausländerfreundlich und geradezu links bezeichnen lassen muss, hat sie zwei Asylpakete durchs Parlament gebracht, die die Demontage des deutschen Asylrechts von 1993 vollenden.  Die Ankündigung, den Familiennachzug bei Flüchtlingen, die lediglich subsidiären Schutz genießen, für fünf Jahre auszusetzen, kann in direktem Zusammenhang damit stehen, dass der Anteil der Frauen und Kinder unter den im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen 2016 so hoch wie nie ist.  Wie auch immer, von dem einen Satz "Das schaffen wir " abgesehen, macht die Regierung eine widerliche Politik, während der rechte Rand bis hin zur Mitte nach widerlicher Politik ruft.  Dass dies nicht zu einer großen Versöhnung zwischen Rand und Regierung führt, liegt zur Abwechslung nicht an der Regierung, die sich ja recht offen zu der Inhumanität bekennt, besonders seit dem Deal mit der Türkei, sondern an den Wortführerinnen und Wortführern der Rechten, die ihre Bedeutung ja vor allem der Behauptung verdanken, diese Regierung "lasse sie alle rein."

SECUNDO

Der kalte Krieg gegen Russland geht weiter. Der Falke Hillary Clinton hat wohl gute Chancen, Präsidentin zu werden. Bezüglich Russland gehört sie zu denjenigen mit der schärfsten Rhetorik, bis hin zum noch jeden Quatsch rechtfertigenden vorwurf Putin-Putler sei mal wieder ein neuer Hitler.  Ein Vergleich mit dem realen Hitler zeigt, dass Clinton Unsinn redet. Zu hoffen wäre, dass sie es immerhin weiß, sonst dürfte uns Angst und Bange werden.  Derweil hat das Bundesverteidigungsministerium einen "Russland-Experten" auf seinen Seiten zu Wort kommen lassen:  Russland betreibe eine Vielzahl kremlfreundlicher Internetseiten und bediene sich vieler "Internet-Trolle", und zwar folgender Typen: Verschwörungs-Trolle, Wut-Trolle, Anhang-Trolle, Wikipedia-Trolle, Bikini-Trolle.  Klassifizieren kommt ja gewissermaßen wissenschaftlich daher.  Nun verwenden so gut wie alle staatlichen und unzählige nichtstaatliche Akteure das Internet zur Verbreitung ihrer Ansichten und zur Manipulation.  Verfolgt man die Geschichte von Wikipedia-Einträgen zu politisch wichtigen Themen, wird man bald Akteure mit einer Agenda identifizieren und üblicherweise nicht herausbekommen, wer bezahlt wird, wer in eigener Regie handelt, wer davon ein manipulierter Manipulateur ist.   Als Meldung über Russland ist die Erwähnung von Wikipedia-Trollen wertlos, aber ein Akt der Propaganda.  Die Seite des Ministeriums macht also Propaganda, indem sie etwas über Russlands Propaganda behauptet.  Ob des Ministeriums Propaganda gelingt, oder ob die einigermaßen kritischen Leser achselzuckend zu dem Schluss kommen, dass Staaten Propagandaorgane haben, alle, auch die, die sich als überaus demokratisch verstehen, sei dahingestellt.

Ach ja, was macht eigentlich die  Truppe für Operative Kommunikation (ehemals Truppe für Psychologische Kriegsführung) der Bundeswehr  ?  Im Rahmen der auf den Seiten des Ministeriums erläuterten "hybriden Kriegsführung" werden sie wohl Bundestrolle beschäftigen, die dann in Russland Prograganda machen. Vorausgesetzt, irgendwer kann dort Russisch.

TERTIO

- Wie ist denn euer Gnaden ?
- Gar nicht gut. So gewiss dumm ist mir.
- Ja man sieht Ihnen's an, völlig vernagelt schauen Sie aus.

QUARTO

Auch wenn die Wortführer/innen der AfD bürgerlich sind, sind unter den Anhängern Vertreter aller Schichten, auch arme Schlucker.  Das ist auch deswegen kurios, weil die AfD in Wirtschaftsfragen ein ultraliberales Programm hat, das fast sicher auf Kosten der armen Schlucker ginge. Der größte gemeinsame Nenner unzufriedener Unternehmerchen und unzufriedener Arbeitsloser ist die Ablehnung von Migranten.  Eine Komponente davon ist Rassismus, zweifelsohne.  Eine andere aber ist durchaus Erklärungen zugänglich: Der arme Schlucker wird unter dem Hartz-IV-Regime verwaltet, beherrscht und klein gehalten. Unter solchen Bedingungen wachsen selten Tugenden, sehr wohl aber Ressentiments gegen andere, die vermeintlich bevorzugt werden.  Die lange geduldige Arbeit,  sich um alle in einer Gesellschaft zu bemühen, wurde vernachlässigt.  Diese Analyse verweigern die Rechten, weil jene Vernachlässigung zum Programm gehört, und leider auch manche von den Linken, weil sie in einem Erklärungsversuch bereits eine Entschuldigung sehen.

Eine der Herrschaftsmaßnahmen im Rahmen des Arbeitslosengeld 2 sind die so genannten "Sanktionen". Dazu einige Stimmen aus jüngster Zeit:

Seehofer (CSU):  Sanktionen seien das "tragende Element, um Erwerbslose zum Arbeiten zu motivieren."

Tino Sorge (CDU): Zu Recht hänge das Damoklesschwert des Geldentzugs über den Erwerbslosen.

Jutta Eckenbach (CDU): Sanktionen seien "keine Strafe", sondern "Rechtsfolge". Ein solches "Anreizsystem" fördere die "Willensbildung".

Das Anreizsystem des Damoklesschwerts wirkt, da sind sie sich einig, allerdings bleibt die Frage nach der Wirkung.  Ich möchte dazu Xenophons "Erinnerungen an Sokrates" zitieren:

Denn die, welche mit Gewalt zu etwas gebracht werden, sind voller Hass, indem man ihnen gleichsam etwas weggenommen hat, die mit Güte Überzeugten aber sind voller freundschaftlicher Gesinnung, indem sie gleichsam eine Wohltat erfahren haben. Es passt aber nicht zu denen, die sich in Vernunft üben, Gewalt anzuwenden, sondern derartiges tun die, die nur von roher Gewalt ohne Einsicht beherrscht sind.

Diejenigen von den unvernünftigerweise Schikanierten, die ihren Hass auf die Flüchtlinge kippen, die nun wirklich nichts für die Politik von SPD, Gründen, CDU und FDP können, werden sich noch wundern, wenn die Geister, denen jeder Pfennig für Flüchtlinge einer zu viel ist, an die Macht kämen. Denen wäre auch jeder Pfennig für Nichtsnutze einer zu viel, und ein Nichtsnutz ist in diesem Weltbild allemal der Arbeitslose.