PRIMO
Während sich die Regierung Merkel vom rechten Rand der Gesellschaft...
[Intermezzo]
Hier müssen wir den Satz kurz unterbrechen, um uns zu fragen, was ein Rand ist. Wie breit kann etwas sein, das noch Rand genannt wird ?
Nachdem ich letzte Woche in dem kleinen hessischen Dorf war, aus dem ich komme, und dort nicht wenige sehr wohlhabende und sehr wohlgenährte Damen und Herren im Gespräch nach einiger Zeit anfingen, gegen die Flüchtlinge vom Leder zu ziehen, war mein erster Gesprächspartner zurück in Berlin ein Taxifahrer türkischer Abstammung, der erzählte, wie er Anfang der 80er noch auf Vermieter traf, die "nicht an Türken vermieteten." Danach klagte er darüber, jetzt könne man nicht mehr in Neukölln wohnen, wegen der Araber. Rassismus ist kein Randphänomen, es sei denn man wäre bereit, in der rechten Figur der obigen Skizze von einem Rand zu sprechen.
[Ende des Intermezzos]
Während sich die Regierung Merkel vom rechten Rand der Gesellschaft als weich, ausländerfreundlich und geradezu links bezeichnen lassen muss, hat sie zwei Asylpakete durchs Parlament gebracht, die die Demontage des deutschen Asylrechts von 1993 vollenden. Die Ankündigung, den Familiennachzug bei Flüchtlingen, die lediglich subsidiären Schutz genießen, für fünf Jahre auszusetzen, kann in direktem Zusammenhang damit stehen, dass der Anteil der Frauen und Kinder unter den im Mittelmeer ertrinkenden Flüchtlingen 2016 so hoch wie nie ist. Wie auch immer, von dem einen Satz "Das schaffen wir " abgesehen, macht die Regierung eine widerliche Politik, während der rechte Rand bis hin zur Mitte nach widerlicher Politik ruft. Dass dies nicht zu einer großen Versöhnung zwischen Rand und Regierung führt, liegt zur Abwechslung nicht an der Regierung, die sich ja recht offen zu der Inhumanität bekennt, besonders seit dem Deal mit der Türkei, sondern an den Wortführerinnen und Wortführern der Rechten, die ihre Bedeutung ja vor allem der Behauptung verdanken, diese Regierung "lasse sie alle rein."
SECUNDO
Der kalte Krieg gegen Russland geht weiter. Der Falke Hillary Clinton hat wohl gute Chancen, Präsidentin zu werden. Bezüglich Russland gehört sie zu denjenigen mit der schärfsten Rhetorik, bis hin zum noch jeden Quatsch rechtfertigenden vorwurf Putin-Putler sei mal wieder ein neuer Hitler. Ein Vergleich mit dem realen Hitler zeigt, dass Clinton Unsinn redet. Zu hoffen wäre, dass sie es immerhin weiß, sonst dürfte uns Angst und Bange werden. Derweil hat das Bundesverteidigungsministerium einen "Russland-Experten" auf seinen Seiten zu Wort kommen lassen: Russland betreibe eine Vielzahl kremlfreundlicher Internetseiten und bediene sich vieler "Internet-Trolle", und zwar folgender Typen: Verschwörungs-Trolle, Wut-Trolle, Anhang-Trolle, Wikipedia-Trolle, Bikini-Trolle. Klassifizieren kommt ja gewissermaßen wissenschaftlich daher. Nun verwenden so gut wie alle staatlichen und unzählige nichtstaatliche Akteure das Internet zur Verbreitung ihrer Ansichten und zur Manipulation. Verfolgt man die Geschichte von Wikipedia-Einträgen zu politisch wichtigen Themen, wird man bald Akteure mit einer Agenda identifizieren und üblicherweise nicht herausbekommen, wer bezahlt wird, wer in eigener Regie handelt, wer davon ein manipulierter Manipulateur ist. Als Meldung über Russland ist die Erwähnung von Wikipedia-Trollen wertlos, aber ein Akt der Propaganda. Die Seite des Ministeriums macht also Propaganda, indem sie etwas über Russlands Propaganda behauptet. Ob des Ministeriums Propaganda gelingt, oder ob die einigermaßen kritischen Leser achselzuckend zu dem Schluss kommen, dass Staaten Propagandaorgane haben, alle, auch die, die sich als überaus demokratisch verstehen, sei dahingestellt.
Ach ja, was macht eigentlich die Truppe für Operative Kommunikation (ehemals Truppe für Psychologische Kriegsführung) der Bundeswehr ? Im Rahmen der auf den Seiten des Ministeriums erläuterten "hybriden Kriegsführung" werden sie wohl Bundestrolle beschäftigen, die dann in Russland Prograganda machen. Vorausgesetzt, irgendwer kann dort Russisch.
TERTIO
- Wie ist denn euer Gnaden ?
- Gar nicht gut. So gewiss dumm ist mir.
- Ja man sieht Ihnen's an, völlig vernagelt schauen Sie aus.
QUARTO
Auch wenn die Wortführer/innen der AfD bürgerlich sind, sind unter den Anhängern Vertreter aller Schichten, auch arme Schlucker. Das ist auch deswegen kurios, weil die AfD in Wirtschaftsfragen ein ultraliberales Programm hat, das fast sicher auf Kosten der armen Schlucker ginge. Der größte gemeinsame Nenner unzufriedener Unternehmerchen und unzufriedener Arbeitsloser ist die Ablehnung von Migranten. Eine Komponente davon ist Rassismus, zweifelsohne. Eine andere aber ist durchaus Erklärungen zugänglich: Der arme Schlucker wird unter dem Hartz-IV-Regime verwaltet, beherrscht und klein gehalten. Unter solchen Bedingungen wachsen selten Tugenden, sehr wohl aber Ressentiments gegen andere, die vermeintlich bevorzugt werden. Die lange geduldige Arbeit, sich um alle in einer Gesellschaft zu bemühen, wurde vernachlässigt. Diese Analyse verweigern die Rechten, weil jene Vernachlässigung zum Programm gehört, und leider auch manche von den Linken, weil sie in einem Erklärungsversuch bereits eine Entschuldigung sehen.
Eine der Herrschaftsmaßnahmen im Rahmen des Arbeitslosengeld 2 sind die so genannten "Sanktionen". Dazu einige Stimmen aus jüngster Zeit:
Seehofer (CSU): Sanktionen seien das "tragende Element, um Erwerbslose zum Arbeiten zu motivieren."
Tino Sorge (CDU): Zu Recht hänge das Damoklesschwert des Geldentzugs über den Erwerbslosen.
Jutta Eckenbach (CDU): Sanktionen seien "keine Strafe", sondern "Rechtsfolge". Ein solches "Anreizsystem" fördere die "Willensbildung".
Das Anreizsystem des Damoklesschwerts wirkt, da sind sie sich einig, allerdings bleibt die Frage nach der Wirkung. Ich möchte dazu Xenophons "Erinnerungen an Sokrates" zitieren:
Denn die, welche mit Gewalt zu etwas gebracht werden, sind voller Hass, indem man ihnen gleichsam etwas weggenommen hat, die mit Güte Überzeugten aber sind voller freundschaftlicher Gesinnung, indem sie gleichsam eine Wohltat erfahren haben. Es passt aber nicht zu denen, die sich in Vernunft üben, Gewalt anzuwenden, sondern derartiges tun die, die nur von roher Gewalt ohne Einsicht beherrscht sind.
Diejenigen von den unvernünftigerweise Schikanierten, die ihren Hass auf die Flüchtlinge kippen, die nun wirklich nichts für die Politik von SPD, Gründen, CDU und FDP können, werden sich noch wundern, wenn die Geister, denen jeder Pfennig für Flüchtlinge einer zu viel ist, an die Macht kämen. Denen wäre auch jeder Pfennig für Nichtsnutze einer zu viel, und ein Nichtsnutz ist in diesem Weltbild allemal der Arbeitslose.
1 Kommentar:
Tatsächlich geschieht soviel, man könnte jeden Tag einen blog-Eintrag schreiben (was mich hier sehr freuen würde). Zu PRIMO wunderte mich über die Wochen, wie Merkel plötzlich überall gesehen wurde. (Die Regierung vergaß man dabei immer, es ist nur "Merkel", wenn etwas gefällt; behagt es nicht, ist es jedesmal irgendwer, nicht aber Merkel - erstaunlich. Pispers fiel das schon vor vielen Jahren auf).
In vielen ausländischen Medien wurde sie so gefeiert, als hätte Deutschland jetzt plötzlich wirklich ein humanes Asylrecht wie vor 1993. USA, Great Britain, Schweden - man war euphorisiert, und für das nun wirklich Großgedruckte interessiert man sich bis heute nicht. So informieren Medien nicht - sie verklären, und interessieren sich grade nicht für die Wirklichkeit. Erdogan furchtbar, Merkels deal mit Erdogan wunderbar finden? Kein Problem!
Zu SECONDO vergeht einem die Lust, noch viel zu sagen. Es ist eine schwarz-weiße Sichtweise, die zementiert scheint. Jedes Schlager-ranking wird zur Wiederholung der immergleichen Sätze verwendet. In "Dagens Nyheter" in Schweden schrieb man also wieder über die Verbrechen Stalins 1944 gegen die Krimtataren. Warum auch nicht, es stimmt ja. Man geruht aber die Nazi-Vergangenheit eines gar nicht kleinen Teils der Krimtataren wie immer nicht zu erwähnen. , 1942 kämpfte wohl jeder 10. Krimtatar für die Nazis gegen "jüdische Bolschewiken", wie sie das nannten, Usw. usw. Doppelmoral.
Zu QUARTO las ich in der FAZ von Heike Göbel: "Vieles, was die AfD zusammengetragen hat, würde ernsthaft diskutiert, käme es von einer Partei, die ihre Demokratie-Festigkeit schon unter Beweis gestellt hat. Die AfD muss die Zweifel an ihren lauteren Absichten erst noch ausräumen. Das schließt aber nicht aus, ihre Ideen vorbehaltsloser daraufhin zu überprüfen, ob sie das Land voranbringen könnten."(FAZ, 29.4.2016)
Da jubelt die Frau, die GewerkschaftlerInnen immer etwa in ARD-Presse-Clubs süffisant erzählte, sie seien doch dazu da, mehr ArbeiterInnen in Arbeit zu bekommen (unterdrückter Text Göbels jeweils: die Leiharbeit auszubauen, Löhne nicht zu erhöhen, Steuern für Unternehmen noch drastischer zu senken, mehr privatisieren, usw.) - über den ihr gefallenden neoliberalen Anteil der extrem nationalistischen AfD.
Schon Januar 2015 hatte die ultraliberal Göbel einen Artikel so begonnen: "Alternative AfD?
Wie viel Marktwirtschaft steckt in der AfD? Eine klare Antwort gibt es noch nicht. Aber ein ernstzunehmendes Angebot kann dem politischen Wettbewerb nur gut tun. "
Einen guten Artikel zum "Liberalismus", der Begriff ist ja seit langem völlig ausgefranst, las ich bei counterpunch einen ganz guten Artikel: http://www.counterpunch.org/2016/05/11/its-time-for-the-left-to-abandon-liberalism-once-and-for-all/
Es fällt jedenfalls auf, während bei uns Grüne und auch die SPD weiter marktradikal und CDU-nah bleiben (derzeit stehen die Chancen der Grünen, 2017 mit der CDU die Regierung zu stellen, trotz der 13% für die widerliche AfD gut) - daß in USA Bernie Sanders, in the UK Corbyn zumindest links-sozialdemokratische Positionen vertreten.
Daß Sanders, auch wenn er chancenlos ist, so viele Stimmen bei den Vorwahlen bekommen würde, hätte vor einem Jahr kaum jemand gedacht. In den USA scheint unter sehr jungen Leuten eine neue Euphorie zu herrschen. Fragt sich nur, wie es weitergehen wird, sollte Sanders dann Clinton unterstützen...
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