Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 21. Juni 2016

Der große Kohler

Um darzustellen, dass Berthold Kohler - wie üblich - Unsinn überzeugt vorträgt, genügt es zum Glück, ihn zu zitieren. Vorgestern schrieb er in der FAZ:

Hatte Putin vielleicht Geburtstag und es fehlte noch das Geschenk? Man muss sich wirklich die Augen reiben. Es ist nicht der russische Außenminister, der dem westlichen Verteidigungsbündnis wegen dessen Manöver auf dem Gebiet der östlichen Nato-Staaten „lautes Säbelrasseln“, „Kriegsgeheul“ und das „Anheizen“ der Lage vorwirft, sondern der deutsche. Mit solchen Beschuldigungen garnieren üblicherweise Moskauer Propagandaschmieden die Behauptung, an der Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Russland und dem Westen sei die Nato schuld.

Nun genügt ein Blick auf die Statistik, um zu sehen, dass die NATO seit Ende des Warschauer Paktes Schritt für Schritt Russland mit Militärbasen umstellt, gegebene Versprechungen dabei schlicht ignorierend.  Kohler begründet sein vertrautes "Wir haben Recht, der Russe nicht" mit der Annexion der Krim.  Auch dabei verschweigt er die vorherige Einmischung des Westens in innere Angelegenheiten der Ukraine - nein, es war nicht nur eine Demokratiebewegung -- , so dass der völlig unblutige, aber vermutlich völkerrechtswidrige Akt auf der Krim nicht nur des Russen Werk, sondern auch Folge anderer mindestens fragwürdige, jedenfalls agressiv gegen Russland gerichteter Akte war.  Was kümmert's den Kohler?

Steinmeier moniert also das Säbelrasseln im größten aller Manöver vor der russischen Grenze. Da muss Kohler natürlich protestieren, da Säbelrasseln zu seinen Plaisirchen gehört (wenn auch am fernen Redaktions-/Stammtisch).

Die Nato-Verbände und ihre Manöver haben einen politischen Zweck: Sie signalisieren Moskau, dass der Westen sich nicht noch einmal von einem Handstreich wie auf der Krim überraschen ließe. Und dass die Nato einen Angriff auf eines ihrer Mitglieder als Angriff auf alle betrachten würde.
Ist es wahr, dass Russland seine Nachbarn bedroht und mit Drohungen in seine Schranken gewiesen werden muss? Als der Westen mehr oder minder die Ukraine  aus einer engen Verbindung mit Russland heraustrennen wollte, hat Russland reagiert, darüber denke jeder, was er will. Aber seinen Machtbereich ausdehnen? Woher denn, er schrumpft von Jahr zu Jahr. Der Westen verbündet sich mit politischen Kräften in den Anreiner-Staaten, auch wenn sie korrupt, gefährlich und rassistisch wären, etwa Saakaschwili in Georgien. Der hat nachweislich einen kleinen Krieg gegen Russland um Südossetien vom Zaun gebrochen,  offenbar in der Hoffnung, die NATO würde mitmachen. Voraussehbar war in der hiesigen Presse zunächst monatelang der Russe der Böse, bis unabhängige Kommissionen die russische Version des Hergangs bestätigten. Über diese wurde dann 'ferner liefen' berichtet, so dass das Durchschnittsbewusstsein von Leuten, die einem Kohler Beifall klatschen, das Ereignis unter "Agressionen Russlands" verbucht haben dürfte. Der aus dem eigenen Land wegen Korruption und  systematischer Verfolgung der Opposition angeklagte Saakashwili setzte sich in die USA ab. Und von dort durfte er kommen, die Ukraine beraten.

Kurzum, es ist nicht wahr, dass Russland irgendwen bedroht. Im geopolitischen Gerangel hat Russland seit 1990 den Kürzeren gezogen. Putin wird u. a. deswegen zur Hassfigur stilisiert, weil er für den Versuch steht, dem Einhalt zu gebieten. Dazu gehören auch Drohgesten, die aber nur unter böswilligem Ignorieren der jüngeren Geschichte als Angriffsdrohung zu verstehen wären.

Kohler wäre sicher froh, wenn's kracht.

Und wir wären froh, wenn Kohler irgendwann als Witzfigur dasteht.  Dazu bräuchte man sich nur deutlich genug an das zu erinnern, was er geschrieben hat.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Lustig dazu auch die unzähligen Artikel in der britischen Presse zu "Putin und Brexit". Hier etwa, im Guardian, Garry Kasparovs Titel, der die Jelzin-Oligarchen-Jahre umlügt und verklärt: "Why Brexit would be the perfect gift for Vladimir Putin."
Statt Kritik an Russland kohlert und kasparovt man seit Jahren herum. Brexit? Putin ist schuld. U-Boot vor Schweden? Putin ist schuld. Kaum erwähnt, schon gar nicht in der FAZ oder in der schwedischen Presse, wurde dann die nötige Korrektur^^. Das russische U-Boot kam wohl - aus Schweden^^.