Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Samstag, 22. Oktober 2016

Lobenswerter Rainer Hermann

In der FAZ, in der ja der hier häufiger vorgeführte Berthold Kohler sein einseitiges Unwesen treibt, gibt es noch gute Autoren. Am vergangenen Montag, dem 17. Oktober 2016, war ein Leitkommentar von Rainer Hermann zu lesen "Aleppo ist aufgegeben". In trockenen Worten beschreibt Hermann den Krieg in Syrien, den Kampf um Aleppo und die diesbezüglichen Rollen Russlands und der USA. Ob ich ihm im einzelnen beipflichte, spielt keine Rolle für die Wertschätzung, die eine Darstellung jenseits von einseitigem Moralisieren verdient, eine Darstellung, die darauf verzichtet, die Guten (uns) und die Bösen auszumachen. Hermann schreibt weiter:
Erfolgversprechende Optionen bieten sich Washington in Syrien ohnehin nicht mehr. Selbst wenn Amerika den Rebellen Waffen lieferte, gäbe es keinen Weg, sie nach Aleppo zu bringen; Sanktionen gegen Moskau wegen der Kriegsverbrechen der russischen Luftwaffe und der syrischen Armee kommen schon deswegen nicht in Betracht, weil sie dann auch gegen Saudi-Arabien wegen dessen Kriegsverbrechen im Jemen verhängt werden müssten; zudem ist eine Flugverbotszone über Nordsyrien keine Option, weil Moskau den Abschuss eines russischen Flugzeugs als Kriegserklärung deuten könnte.
Chapeau! Hermann sei bedankt, diesen Satz den Lesern und Leserinnen der FAZ vorzuführen, die sonst nur zu oft die Karikaturen Kohlers oder von Altenbockums an der nämlichen Stelle lesen dürfen. Kriege gegen Aufständische, die sich zwischen Zivilisten befinden, pflegen mit Verbrechen einherzugehen, wer immer sie nun führen mag. Und auch die Aufständischen begehen üblicherweise selber welche. Durch willkürliche Fokussierung auf die einen oder anderen Verbrechen, können die USA ein treuer Verbündeter Saudi-Arabiens und ein erbitterter Gegner Syriens sein. Hermanns Satz lässt in vollendeter Schlichtheit den moralischen Schein solcher Positionen zerbröckeln.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Tatsächlich, das ist einmal ein fairer Artikel in der FAZ. Leider denkt die zukünftige Bundesregierung, die - sollte Merkels Popularität nicht nach einem ihrer wenigen guten Beschlüsse, die refugees endlich ins Land zu lassen, weiter sinken, wohl eine grüne Aussenministerin haben wird - nicht so. Anfang der Woche schrieben Özdemir im Spiegel und Göring-Eckardt in der FAZ die üblichen, grotesk einseitigen Gut-Böse-Artikel.

Auszüge

A) Özdemir, Spiegel vom 15.10.2016, "Assad und Putin bomben Syrien zurück in die Steinzeit":

SPIEGEL ONLINE: Warum protestieren die Grünen nicht gegen Russlands Bombardements in Syrien? Ist die Friedensbewegung tot?
Özdemir: Mit manchen Friedensdemos dieser Tage kann ich tatsächlich wenig anfangen, wenn sie Russland als Kriegshelfer ignorieren oder schönreden. Dabei müssen wir die Situation klar benennen: Wir haben es in Syrien mit schwersten Kriegsverbrechen zu tun. Baschar al-Assads Armee massakriert die Zivilbevölkerung, erstickt dabei auch den letzten Funken Humanität, den es in einem Krieg geben kann, nämlich das humanitäre Völkerrecht. Und Russland sorgt dafür, dass das Sterben weitergeht. Es ging Wladimir Putin nie darum, den „Islamischen Staat“ zu besiegen. Er will einen Massenverbrecher, der eigentlich vor das Weltstrafgericht in Den Haag gehört, an der Macht halten.

Und B) Göring-Eckardt, FAZ vom 16.10.2016, "Der Druck auf Assad und Putin muss wachsen":

"Der Krieg in Syrien ist die Hölle. Einerseits lassen uns Abwürfe von Fassbomben über Aleppo und russische Angriffe auf Hilfskonvois erschaudern. Andererseits macht sich ein Gefühl breit, wir könnten abstumpfen. Währenddessen: Putins Russland handelt und schafft ein neues Tschetschenien. Trotz vielfältiger diplomatischer Bemühungen stehen wir wie bei Ruanda und Srebrenica vor einem Versagen der Weltgemeinschaft.
Deutschland ist Teil dieser Weltgemeinschaft, die innerhalb der Vereinten Nationen Verantwortung trägt: Verantwortung für Humanität und Hilfe, Verantwortung zum Schutz. Uns in Deutschland verbindet mit diesem Krieg ein weiterer Aspekt. Mit mehr als 350000 syrischen Geflüchteten und Millionen Ehrenamtlichen, die ihnen hier helfen, sind wir unmittelbar mit dem Leiden in Syrien verbunden. Was dort passiert, kann uns nicht nur aus moralischen Gründen nicht egal sein.
Die Greueltaten des „Islamischen Staates“ sind unfassbar und bedrohlich – bis zu uns. Wenn wir nach Syrien schauen, sollten wir allerdings zwei Aspekte anerkennen: Assad verantwortet zusammen mit seinen Verbündeten die weit überwiegende Mehrzahl der zivilen Toten. Er und sein Regime verschärfen den Krieg und verhindern jeden Fortschritt der von den UN geleiteten Friedensverhandlungen. Und: Russland beteiligt sich mit der Bombardierung der Zivilbevölkerung in Aleppo an Kriegsverbrechen und heizt damit wie kein anderes Land den Konflikt an. Gerade deswegen ist der Druck auf Russland auch durch Sanktionen so notwendig.


Wir sind die Guten. Wir sind die Guten. Wir sind...

Leider gehört zu dieser Denkweise öfter auch Rainer Hermann selbst. Während der Krieg und der Massenmord von allen Seiten weitergeht, schrieb er im Artikel "Weniger syrische Flüchtlinge. Die Maßnahmen greifen" (FAZ vom 8.10.2016) die Vereinbarungen der Merkel-Regierung mit der Türkei schön.
"In der Türkei wird, auch dank der Finanzhilfe der EU, viel für die Flüchtlinge getan. Die Väter finden Arbeit, die Kinder gehen in die Schule, wer will, kann türkischer Staatsbürger werden. Der Druck ist genommen, weiterzuziehen." Das klingt nach Schönrednerei. Eine im Gegensatz zu Hermann kritische Sicht zu Merkels Vereinbarungen mit u.a. der Türkei findet sich etwa bei Pro Asyl: https://www.proasyl.de/news/ein-fluechtlingsbekaempfungs-deal-nach-dem-anderen-die-eu-und-ihre-migrationspartnerschaften/

Beccaria hat gesagt…

Danke für die Antwort, insbesondere auch den Hinweis, dass Hermann auch bei anderer Gelegenheit etwas geschrieben hat, das nach Schönreden des Merkel'schen Deals mit der Türkei klingt.

Inzwischen genügt mir schon, einen Artikel nicht für offensichtliche Propaganda zu halten, um micht zu freuen. Die Messlatte ist recht niedrig, gesetzt haben sie solche wie Kohler und Göring-Eckart. Wenn einer nur erwähnt, dass der Kaiser keine Stiefel hat, vergehe ich vor Dankbarkeit, auch wenn der Kaiser nackt ist.