Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 24. April 2018

Gift 2, noch ein Nachtrag

Dass der Westen das Völkerrecht nur bemüht, um Militäreinsätze und Sanktionen zu rechtfertigen, ansonsten aber das in erster Linie zur Verhinderung von Kriegen geeignete Völkerrecht ignoriert, wurde hier in den letzten Beiträgen dargestellt. Und doch, spreche ich mit freundlichen, gebildeten, aber politisch nicht besonders interessierten Kollegen, wird diese Behauptung mit einem skeptischen Lächeln beantwortet und anschließend beispielsweise von Russland angefangen, das ja das Völkerrecht mir der Annexion der Krim gebrochen habe etc. Darauf ich, in der Krim sei immerhin kein Schuss gefallen, auch sei das nachträgliche Votum für den Anschluss an Russland vermutlich sogar korrekt zustande gekommen, so dass dieser Verstoß vielleicht sogar als geheilt gelten könne. Im Gegensatz dazu stürben bei völkerrechtlichen Bombardements eben doch Menschen, es sei in viel eindeutigerer Weise völkerrechtswidrig. Erneut skeptisches Lächeln. Außerdem rechtfertige ein Völkerrechtsverstoß nicht einen anderen ("keine Gleichheit im Unrecht"; "aber der Peter hat doch auch ein Fenster kaputtgemacht".) Augenbrauen hoch. So ist er, unser Kleiner, er regt sich gern auf! Zitiere ich Quellen, werden diese bezweifelt. Denn so, wie ich darüber spreche, stand es nicht in der Zeit, der FAZ, der Süddeutschen Zeitung oder Spiegel Online, obwohl auch diese großenteils nicht anders konnten als den letzten Luftangriff auf Syrien für völkerrechtswidrig zu halten, wenn sie ihn auch meistens irgendwie für richtig hielten.

Alas!

Nun kann ich immerhin noch eine Quelle angeben, die nicht so ohne weiteres lächelnd wegzubügeln ist: den wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. Ja, steht dort, die Angriffe auf Syrien seien völkerrechtswidrig gewesen, würden aber von den Staaten, die sie vertreten, politisch-moralisch legitimiert.

Erfreulicherweise wird in der Stellungnahme auch darauf hingewiesen, dass das Völkerrecht als argumentatives Instrument stumpf in der Hand derjenigen werde, die es, wo es ihnen passe, brechen.
In den völkerrechtlichen Kommentaren zur alliierten Militäroperation gegen Syrien ist in die- sem Zusammenhang darauf hingewiesen worden, dass das Einstehen für eine regelbasierte internationale Ordnung und ihre zentralen Eckpfeiler (wie insbesondere das völkerrechtliche Gewaltverbot) auch von einer entsprechenden klaren und unmissverständlichen Artikulation von Rechtsauffassungen begleitet werden müsse. Politische und rechtliche Glaubwürdigkeit hingen überdies davon ab, dass bei der völkerrechtlichen Beurteilung von Militäroperationen (Beispiele: Russische Krim-Annexion von 2014, NATO-Operation im Kosovo 1999, Militärschläge von NATO-Bündnispartnern gegen Syrien 2018) nicht mit zweierlei Maß gemessen werde.


Und dafür sei dem wissenschaftlichen Dienst Dank! Nun ist aber das Völkerrecht als ein Recht ohne zugehörige Gerichte wirklich nur ein Phantom, und wenn mächtige Staaten lange genug so oder so handeln, wird eben irgendwann eine völkerrechtliche Norm draus; denn gegen mächtige Staaten lässt sich keine Norm durchsetzen. Und so wird in der Stellungnahme auch konstatiert:
Ob sich mit den Militäreinsätzen von 2017 und 2018 gegen Chemiewaffeneinrichtungen in der Zukunft ein neuer Ausnahmetatbestand vom Gewaltverbot für Fälle von „humanitär begründeten Repressalien“ herausbilden wird, ist nicht gänzlich auszuschließen.
Wenn das Völkerrecht sich wirklich weiter aus einem zwischenstaatliche Gewalt abwendenden zu einem zwischenstaatliche Gewalt begründenden entwickelt, werde ich freilich auch unter die Völkerrechtsnihilisten gehen müssen. Im Grunde sehen wir eine weitere Varianten des schon von J. Fischer zur Rechtfertigung der völkerrechtswidrigen Angriffe auf Jugoslawien bemühten Prinzips, dass eine 'Schutzverantwortung' bestehe, in deren Namen und zur Wahrung der Menschenrechte das Völkerrecht gebrochen werden könne. Sieht man aber, mit wie vielen teilweise oder ganz erfundenen menschenrechtlichen Causis schon Militäreinsätze gerechtfertigt wurden, handelt es sich in Wahrheit um eine Abdankung des Völkerrechts. 'Menschenrechte' eignen sich perfekt dafür, die politische Öffentlichkeit mit PR-Kampagnen gegen diesen oder jenen Akteur aufzuhetzen. Sieh doch nur, die armen Kinder! Wir müssen einfach bomben! Im Falle Ex-Jugoslawiens wurde das Wirken von PR-Agenturen dankenswerterweise durch Beham/Becker untersucht, im allgemeinen kommt's nur raus, wenn jemand einen Fehler macht oder ein Whistleblower auspackt ('Cambridge-Analytics').

Es handelt sich überhaupt um eine Zeit, in dem man ungestraft 'menscheln' darf, um Gewalt zu rechtfertigen, während gleichzeitig Millionen von (auch dank uns, unsere Kriege, unsere Beiträge zur Veränderung des Klimas, dazu gewordenen) Flüchtlingen in Lagern versauern, weil die Menschlichkeit so weit eben doch nicht geht. Man kann das Wort 'Mensch' bald schon nicht mehr hören.

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