Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Freitag, 13. April 2018

Lebt Mahmoud Suleyman noch?

Zwei Jahre vor dem Beginn des syrischen Bürgerkrieges war ich zwei Monate in Aleppo. Die 'Graue' war wirklich eine graue Stadt, vor allem im Winter. Als sich der erste Vorfrühling zeigte, wollte ich einen Ausflug machen und etwas Grünes sehen. Ich suchte mir auf einer schlechten Landkarte ein Ausflugsziel für einen Tagesausflug, es sollte einen Fluss geben und nicht zu weit von Aleppo entfernt sein. So verfiel ich auf Afrin und nahm einen halsbrecherisch fahrenden Minibus von einem der Busbahnhöfe. In Afrin angekommen spazierte ich aus der Stadt in Richtung auf die Felder, die tatsächlich schon grün waren, kam zu einem Flüsschen. Da ich weiter wandern wollte, durchwatete ich das schleimige Gewässer und ging dann weiter auf einen Hügel zu. Dort waren einige Menschen mit einem Wagen und einem Traktor. Die riefen mir etwas zu, das ich nicht verstand, und winkten mich heran. Ich ging also zu ihnen, und wir kommunizierten in meinem bruchstückhaften Arabisch und ihrem bruchstückhaften Englisch. Es war schwierig, aber ich verstand, dass es sich um kurdische Bauern handelte, die gerade Nevroz feierten. Sie luden mich zu sich nach Hause ein. Obwohl ich nicht vorgehabt hatte, irgendwo zu übernachten und auch kein Gepäck dabei hatte, ging ich mit ihnen.
Mein Gastgeber, Mahmoud Suleyman aus Kafr-Schil, besaß etwa fünfhundert Olivenbäume und eine eigene Ölpresse. Aus den Pressrückständen machte er Holzkohle zum Schischa-Rauchen. Wir redeten weiter mit Händen und Füßen, dann gingen wir die Berühmtheit des Dorfs besuchen, einen Künstler, der große Betonskulpturen herstellt, aber vor allem dafür berühmt ist, vor Jahren auf einem Motorrad um die Welt gefahren zu sein. Auch konnte der Mann Englisch. Dann gingen wir zurück zum Bauernhof, wo die Vorbereitungen für das abendliche Fest im Gange waren. Es wurde gegrillt und viel gegessen. Es kamen allerlei Verwandte und auch ein paar Bekannte. Einer war Jeside, wie sie mir erklärten, die anderen Sunniten, aber es spiele keine Rolle, sie seien alle Kurden. Über Politik haben wir, da die Verständigung schwierig war, kaum unterhalten. Etwas mehr über Landwirtschaft, da mein Vater Bauer war und es mich wirklich interessiert.
Ich kann mich an viele Details des Tages erinnern, bekomme aber die Reihenfolge nicht mehr zusammen. Irgendwann saß ich mit Mahmoud, seiner Frau, den Kindern und ein paar Verwandten in einem großen Raum auf flachen Sitzkissen, die rundum liefen. Dort gab es auch einen Fernseher, in dem vorübergehend eine kurdische Sendung lief.
Irgendwann ging ich ins Bett, ich hatte einen Raum für mich und schlief gut, nachdem ich die laut tickende Wanduhr unter einer Decke begraben hatte. Am morgen vergaß ich die Wanduhr wieder auszupacken und frage mich immer noch, was sie sich gedacht haben, als sie sie fanden, denn sie schienen viel bessere Nerven als ich zu haben und konnten sich vielleicht nicht vorstellen, dass einen das Ticken verrückt macht.
Am morgen dann gab es zum Frühstück Fladenbrot, Olivenöl, Gewürze, Oliven, Käse. Zum Abschied schenkte mir Mahmoud Suleyman noch eine Flasche Olivenöl. Das Olivenöl war köstlich, ja das beste, das ich je gekostet habe. In Italien könnte Mahmoud dafür Höchstpreise erzielen.
Ich weiß nicht ob Mahmoud noch lebt. Ich war ganz erleichtert, als die Kurden Afrins ihr Territorium zu kontrollieren begannen. Sie wollten nichts erobern und nicht vom allgemeinen Chaos und islamistischen Gruppen erobert werden. Unter den vielen Akteuren im syrischen Bürgerkrieg zählen die Kurden Afrins für mich zu den vernünftigsten. Bis vor kurzem durfte ich daher denken, dass Mahmoud noch lebt. Nach der türkischen Invasion haben die türkische Armee und irgendwelche Milizen von ihren Gnaden in Afrin das Sagen. Was Mahmoud betrifft, bin ich inzwischen weniger optimistisch. Die türkische Aktion wurde von den USA, von der NATO, von der EU, von Deutschland letztlich abgenickt. Der Westen, der sich noch bei jedem Unrecht, an dem er beteiligt ist, auf die Menschenrechte beruft, steht völlig nackt da, nichts verdeckt Lüge, Heuchelei und Komplizenschaft mit Verbrechen. Welch eine Schande.

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