Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Freitag, 13. April 2018

Gift 2

Kaum ließ Obama verlautbaren, der Einsatz chemischer Waffen durch Assad sei die rote Linie, bei deren Überschreiten die USA in den Krieg eintreten werden, wurde von Oppositionellen bei zwei Gelegenheiten eben das behauptet. Die russische Regierung vermittelte damals die Aushändigung und Vernichtung der chemischen Waffen, die sich im Besitz der syrischen Armee befanden. Um die chemischen Angriffe, die stattgefunden haben sollen, wurde es recht still. Russland behauptete, bei Untersuchungen eine chemische Signatur von ursprünglich in libyschem Besitz gewesenen Giften gefunden zu haben, die dann in die Hand von islamistischen Rebellen gekommen seien. Nun ist Russland ebenso Partei wie alle anderen, es gibt aber auch keinen Grund, ihnen weniger als den anderen zu glauben.

Jetzt also steht die syrische Regierung kurz vor der Rückeroberung des Siedlungsgebiets um Damaskus. Ausgerechnet jetzt also soll sie Chlorgas verwendet haben, und zwar in völlig irrationaler Weise nicht für einen Massenmord, sondern in sehr viel kleinerem Umfang, der sich auch mit konventionellen Waffen erreichen lässt. Es passt nicht recht zusammen, zumindest das 'cui bono' weist eher auf die Aufständischen oder die diese unterstützenden Mächte als auf Damaskus. Die Berichte über den Angriff stammen aus zwei Quellen, die beide Partei sind, auch wenn sie im Gewand einer NGO kommen. Es wäre also auch in diesem Fall ratsam, mit Urteilen vorsichtig zu sein. Es mag sein, dass unter den gegenwärtigen Bedingungen eine unabhängige Untersuchung -- durch die OPCW -- schwierig ist, aber so sähe nun einmal das einzige gegen reine Propaganda gefeite Protokoll aus. Wir dürfen uns an erfundene Weapons of Mass Destruction im Irak erinnern, wir dürfen uns an falsche kuwaitische Opfer erinnern, an den erfundenen Hufeisenplan und an einen Jamie Shea, der durch die Welt reiste mit seinem Vortrag "How to Sell a War". Diese Erinnerung bedeutet, dass an einem größeren Militäreinsatz der USA in Syrien interessierte Parteien selbstverständlich auch an der Fabrikation eines Casus Belli interessiert sind, dass solche Fabrikationen vorkamen und auch diesmal der Fall sein können.

Eine weitere Erinnerung wäre angebracht: Massenvernichtunswaffen können Kriege entscheiden, Sadam Husseins Einsatz von Giftgas in Halabja und gegen den Iran war skrupellos, aber nicht irrational. Diese Einsätze wurden damals vom Westen übrigens gebilligt oder beschwiegen, denn da war Hussein noch 'unser' Tyrann. Die Einsätze, die in Syrien behauptet wurden, sind allesamt so klein, dass sie keine 'sinnvollen' Anwendungsfälle für Giftgas darstellen.

Das alles bedeutet nun nicht, dass ein Einsatz solcher Waffen durch die syrische Armee unmöglich wäre. Aber er ist nicht sehr wahrscheinlich, und keiner derjenigen, die jetzt zum Krieg trommeln, weiß wohl Genaueres, weil weder Frankreich (Macron), noch GB (May), noch die USA (Trump) eigene Geheimdienstleute in der Ost-Ghuta vor Ort haben, und weil die Berichte und Belege der Weißhelme und der Syrian American Medical Society eben keine unbezweifelbaren und unparteiischen Belege sind. Es wäre ein Mindestgebot, die Ergebnisse der OPCW abzuwarten, und wenn die keinen klaren Hinweis auf einen Angriff durch die Regierung geben, das auch zuzugeben.

Falls aber in den USA, in Frankreich und im Vereinigten Königreich schon beschlossen wurde, zum höchst moralischen Einsatz zu blasen, darf gefragt werden, wieso diese Akteure gleichzeitig Saudi-Arabien gestatten, Jemeniten zu ermorden. Und es darf bemerkt werden, dass das syrische Desaster sich auch der durchweg völkerrechtswidrigen Einmischung der USA, der Türkei, Saudi-Arabiens in Syrien und der Unterstützung diverser Milizen verdankt, von denen nicht wenige dann zu IS geworden sind. Völkerrecht wird aber nur gerne als Kriegsgrund bemüht, nicht aber, wie es sein sollte, als Kriegshinderungsgrund. Übrigens ist Russland auf Bitte der syrischen Regierung im Einsatz, und das ist, ob es uns gefällt oder nicht, völkerrechtskonform. Aus solchen Beispielen speist sich die Verachtung des Völkerrechts durch die USA, das ist sogar teilweise verständlich. Und doch verwenden sie das Völkerrecht gerne zur Ächtung anderer.

Es wäre schwer zu realisieren, gewiss, aber müsste die 'Weltgemeinschaft' nicht ermitteln, welcher Anteil der Syrer einen Frieden unter einem den Bürgerkrieg gewinnenden Assad einem fortgesetzten Bürgerkrieg vorzöge; ein demokratisches Votum der Syrer also, an dem sich ablesen ließe, ob weitere militärische Einmischungen etwas anderes sein könnten als Machtmissbrauch? Wenn die USA zu bomben anfangen, werden sie ja behaupten müssen, dass sie 'den Syrern' gegen 'Assad' beistehen. Wie viele Syrer wollen das eigentlich?

Im letzten Absatz standen nur müßige Gedanken und rhetorische Fragen. Bei moralischem Geseier, Waffenlieferungen und Bombardements geht es offensichtlich nicht darum, was die Syrer wollen, sondern darum, was die beteiligten Mächte wollen. Das gilt für Russland, aber selbstverständlich auch für die USA, die Türkei, Saudi-Arabien und die halbherzig den USA Schützenhilfe leistende europäische Union. Im Nachhinein wird sich vielleicht einmal feststellen lassen, wessen Wirken desaströser oder weniger desaströs für Syrien war. Der Irakkrieg empfiehlt die USA jedenfalls nicht als Kandidaten für segensreiche Interventionen.

Die deutsche Regierung hat immerhin die Beteiligung an einem Militärschlag in Syrien ausgeschlossen, gleichzeitig aber erklärt, sie sehe Syrien in der Verantwortung.

Huch!
Während ich schreibe, erfahre ich, dass der Militärschlag stattgefunden hat, ohne Untersuchung, ohne Beweise. Die deutsche Regierung erklärt aber doch den Schlag für angemessen. Die Medien reagieren verhalten, während sie doch andererseits seit Trumps Wahl gerne ausführlich auf dessen Unverantwortlichkeit und Unberechenbarkeit eingehen. Es finden sich auch vorsichtige Formulierungen, aber doch so gut wie keine fundamentale Kritik und kein ernsthafter Versuch, dahinter zu kommen, was Spin und Propaganda, was Wahrheit ist. Es zählt offensichtlich kein Recht, keine völkerrechtliche Prozedur, sondern allein die Macht zu handeln. Wenn Russland nun eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats fordert und mit der UN die Relikte des Völkerrechts ins Spiel bringen will, so ist es vollkommen im Recht und "wir" vollkommen im Unrecht. Seltsamerweise ist die politische Kultur so weit verkommen, dass diese Einschätzung es allenfalls in kleine Zeitungen mit wenig Verbreitung schafft. Wie kann der Russe es wagen, gegen uns völkerrechtliche Argumente vorzubringen! Ha!

Das vermutlich schlimmste an dem gegenwärtigen Geschehen ist die Auswirkung auf alle Mächte, die voraussehen können, in Konflikte mit den USA und ihren Verbündeten zu kommen. Sie erkennen, dass nur Rüstung, Schrecken, Gewaltdrohung sie wird schützen können, da es kein Völkerrecht mehr gibt. Sie werden entsprechend handeln und Mittel, die für Nützliches verwendet werden können, in Rüstung versenken. Bisher stehend die USA alleine für fast die Hälfte der Rüstungsaufgaben. Durch die Verwendung, die sie von ihren Gewaltmitteln machen, treiben sie andere in die nämliche Barbarei.

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