Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 1. April 2008

Skepsis und Vertrauen

Fürs vernünftige Handeln ist man auf Prognosen der möglichen Folgen angewiesen. Im Kleinen reicht dafür meist unser Erfahrungswissen aus. Wir kennen uns mit vielerlei Dingen, die wir schon öfter getan haben, aus und verhalten uns entsprechend. Mal bewährt sich das, mal müssen wir notgedrungen dazulernen. Dieses Erfahrungswissen hat nicht die Gestalt einer Theorie, wir müssen nicht einmal wissen, dass wir es haben. Wir haben schon verschiedentlich die Tomaten zu früh oder zu spät ins Freiland gesetzt und verhalten uns entsprechend. Im Großen, in der Politik, gibt es jedoch wenig verlässliches Erfahrungswissen. Keiner überblickt genug, um Erfahrung zu haben, was eine gewisse Steuer bewirkt, oder wie sich die Energiepolitik auf das Klima auswirkt.

Es ist unangenehm, sich bei seinen Entscheidungen auf die Aussagen von Theorien stützen zu müssen, die man nicht versteht. Das ist aber die Grundsituation politischer Entscheidungen. Sich in Generalskepsis gegen Theorien auf "seinen Bauch" zu verlassen, ist ebenso töricht wie blauäugiges Vertrauen in alles, was Theorie heißt. Es ist einerseits angemessen, "Fachleuten" zu vertrauen, wo die eigene Urteilskraft ein Ende findet. Andererseits fallen auch die Aussagen von Fachleuten zuweilen in den Bereich der eigenen Erfahrung oder des eigenen Wissens. Manchmal weiß man, dass ein Fachmann irrt, obwohl man keine seiner Theorien versteht. In anderen Fällen bietet die Person des Fachmanns Grund zum Misstrauen: Wenn er im Sold einer Interessengruppe steht, oder sich früher schon nachweislich geirrt hat. Viele Theorien legen durchaus auch Rechenschaft ab von den eigenen Grenzen, von den nicht berücksichtigten Faktoren, von den Unsicherheiten selbst im Rahmen der Theorie.

Der Bericht des IPCC (International Pannel for Climate Change) ist in dieser Hinsicht mustergültig, die gemachten Prognosen werden im Hinblick auf ihren theorieinternen Gewissheitsgrad markiert. Der ist in vielen Fällen hoch, da die wissenschaftliche Behandlung vieler Probleme nach langer Zeit einem Konsens zustrebt, der etwas ganz anderes als die Despotie willkürlicher Autorität ist. In anderen Fällen gibt es erhebliche Abweichungen verschiedener Modelle, entsprechend unsicher sind die Voraussagen. Die Theorien selbst sind zwar nur Spezialisten verständlich, aber auch ein Laie kann durchaus nachlesen, welche Größen sich messen, welche Modelle sich im Labor überprüfen lassen. Die Modellierung des Treibhauseffekts beruht hauptsächlich auf der Absorption von Strahlung durch diverse Gase, die sich sehr genau im Labor nachmessen lässt. Wenn nun einer, der die Voraussagen des IPCC bezweifeln möchten, den Fehler ausgerechnet an dieser Stelle sucht, hat das wenig von "gesunder Skepsis", viel mehr aber von Halsstarrigkeit, die einen auch behaupten lassen kann, die Erde sei eine vor sechstausendundetlichen Jahren erschaffene Scheibe. Andererseits gibt es viele Unwägbarbarkeiten in den Modellen, und die kann man, auch ohne ein Experte zu sein, benennen; sie werden auch von den Forschern ganz offen diskutiert. Etwas zu bezweifeln hat nicht bloß deshalb, weil es kritisch erscheint, schon etwas für sich. Ein guter, nicht dogmatischer Zweifel, ist fähig, sich selbst zu bezweifeln und verschiedene Grade von Gewissheit zu unterscheiden. Der Zweifel an etwas in vielen unabhängigen Experimenten von verschiedenen Leuten Nachgewiesenem ist weniger vernünftig als der Zweifel an einer Einzeldarstellung, der Zweifel an einem Zeitungsartikel vernünftiger als der Zweifel an einem wissenschaftlichen Artikel, der ein Überprüfungsverfahren hinter sich hat. Die Ergebnisse eines unabhängigen Institutes verdienen mehr Vertrauen als die eines von einer Interessengruppe bezahlten und abhängigen, und so weiter.


Nach all diesen Kriterien sind die Aussagen der Klimaforscher im Großen und Ganzen verlässlicher als die Aussagen der Makroökonomen. Die Prognoseerfolge der Makroökonomen sind nämlich bescheidener, die konkurrierenden Modelle weiter voneinander entfernt. Man weiß auch weniger von menschlichen Entscheidungen als von Strahlungsgleichgewichten.

Nach denselben Kriterien sind die Aussagen der Klimaforscher auch glaubwürdiger als die der amerikanischen Regierung, die Invasion des Irak diene dessen Demokratisierung.

Es ist demnach keine ideologische Aussage, zu behaupten, dass A und B ideologischere, theoretisch weniger abgesicherte Aussagen sind als C:

A: "Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze"

B: "Militärische Invasionen sind geeignet, Länder zu demokratisieren."

C: "Es gibt eine durch menschliche Emissionen bewirkte Erwärmung der Erde."


Wenn nun Autoren A oder B behaupten und sich gegen C mit zum Teil nachweislich falschen Argumenten als Skeptiker betätigen, dann handelt es sich womöglich gar nicht um Skeptiker, sondern um Ideologen? Ein Beispiel:

Zum Klimawandel haben sich Dirk Maxeiner und Michael Miersch wiederholt und wie sie meinen "skeptisch" geäußert. Wer sich den Briefwechsel zwischen Douglas Maraun und Maxeiner und Miersch durchliest, wird feststellen, dass die letzteren entweder gar nicht verstanden haben, was Maraun schreibt, oder nicht an argumentativem Umgang mit ihren eigenen Argumenten interessiert sind. Zwar ist Maraun mitunter beckmesserisch und macht Fehler, die sie ihm ebenso beckmesserisch unter die Nase reiben, aber auf die gültigen Einwände wird nicht eingegangen. Dieses Verhalten wäre dann nicht ganz zu verwerfen, wenn die beiden am Ende richtige pyrrhonische Skeptiker wären, die zwar die anderen Überzeugungen aufhebeln wollen, dafür aber selbst keine neuen dogmatischen Behauptungen aufstellen. Alles, was sie sagen und schreiben, wäre dann nur Werkzeug oder Redefigur, die durch Überwindung der Dogmen den Weg zur Urteilsenthaltung freimachen...

Den beiden fällt das Urteilen durchaus nicht schwer. Über die Invasion der Irak schreibt Miersch:


Dummerweise geben aber die Amis keine Ruhe. Diese Störenfriede sind seit dem 11. September 2001 der Meinung, dass die Unterdrückung des Menschen auch in islamischen Ländern beseitigt werden sollte. "Hybris!", schimpfen die, die ihre eigenen Freiheitsrechte für eine Selbstverständlichkeit halten. Aber war nicht einst der Kampf gegen Unterdrücker und Menschenschinder links? Hieß links sein nicht fortschrittsoptimistisch sein, Lust auf Veränderung haben und an ein besseres morgen glauben? Kann sich noch einer daran erinnern? Ach was soll's, dann bin ich eben rechts - wenn die neue linke Definitionsmacht es so will. Neue politische Freunde habe ich auch schon. Die wohnen in Washington, sind fortschrittsoptimistisch und wollen die Welt verändern. Sie sind der Alptraum aller Despoten - ganz wie einst die Linke.


Der Mann ist also gewiss kein Skeptiker. Er ist Skeptiker, wo es seiner Agenda nützt, und behauptet sonst fröhlich drauf los: zweierlei Maß, das wenig Vertrauen gibt, es lasse sich etwas lernen aus dem, was sie schreiben. "Net amal ignorieren" wäre da natürlich das Beste. Dafür sind sie aber zu präsent in den Medien und tausendfach verlinkt von ähnlich einseitig pseudo-skeptischen Websites.

Die pyrrhonischen Skeptiker muss man übrigens in Schutz nehmen vor solchen falschen Skeptikern. Es ist nämlich angesichts der Geschichte der menschlichen Irrtümer achtbar, alles zu bezweifeln und sich wirklich der Urteile zu enthalten, um nicht unter anderem auch schädlichen Stuss zu glauben. Nur bleibt die antike Frage an die Skeptiker, wie sie denn nun handeln wollen, auch für deren denkbare moderne Nachfahren ein Problem: Kaufen wir uns ein viel oder wenig Treibstoff verbrauchendes Auto, wenn Unrecht erleiden besser ist als Unrecht tun? Der Skeptiker kann sich zwar immer sagen, er wisse nicht, was Unrecht sei. Was kauft er denn nun?
Oder liegt er nur so da, als denkende Pflanze?

Keine Kommentare: