Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Sonntag, 15. November 2015

Nachtrag

Trauern

Auf den Monitoren in der U-Bahn stand die Meldung, dass sich gestern Abend 1000 Menschen am Brandenburger Tor versammelt haben, um an die in Paris Ermordeten zu erinnern.

Vorgestern stand niemand irgendwo in Berlin, der an die im Libanon Emordeten erinnert hätte.

Gaucken

Also sprach der Bundesp. :

Aus unserem Zorn über die Mörder müssen Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft werden. Auch dabei stehen wir an der Seite der Franzosen.
Europas Werte und Europas Freiheit sind in der Geschichte von machtvollen Feinden angegriffen worden. Dennoch ist unser Europa ein Bollwerk der Demokratie und der Menschenrechte. Auch die brutalen Angriffe islamistischer Terroristen vermögen dies nicht zu ändern.
Das Bollwerk der Menschenrechte, das -- unter Gaucks beredtem Schweigen -- Tausende ersaufen lässt. Der Zorn über die Mörder ohne die Zerknirschung über unsere Fehler ist nun leider einen Dreck wert: Aus diesem Zorn soll Entschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft werden.  Sich nicht mehr an schlechten Kriegen zu beteiligen und finsteren Diktaturen keine Waffen mehr zu liefern, dafür mehr Geld für zivile Kooperation auszugeben, das "wird nicht aus diesem Zorn".

An Schwulst kann sich Gauck mit Kohler messen, nur ist es bei ihm noch von einem pfäffisch-sanften Lächeln übergossen.

Mord und Mord

Der inzwischen zum General beförderte  Oberst Klein, der bei Kundus das Bombardement einleitete, das  - je nach Quelle, - über 70 (rotes Kreuz), über 80 (amnesty interational) oder noch mehr Zivilisten das Leben kostete, ist Soldat, nicht Terrorist. Seine Einschätzung, es handle sich ausschließlich um feindliche Kämpfer, war ein Irrtum. Sorry.

Der Mörder von Paris haben absichtlich 129 Zivilisten und sich selbst getötet.  Ob sie es vorgezogen hätten, einen Luftangriff auf ein militärisches Ziel in Frankreich zu befehlen, wenn sie das gekonnt hätten, lässt sich nicht herauszufinden. Ihnen fehlten jedenfalls die Mittel dazu.
 
Ja, wollen Sie etwa  einen Kollateralschaden mit diesem Akt der Barbarei vergleichen?

Gewiss. Aus der Perspektive der Toten, bzw. ihrer Familien handelt es sich in beiden Fällen um jähe, gezielte Tötung, der nicht zu entrinnen war.

Der mit mächtigen, modernen Waffen aus der Ferne und aus der Luft geführte Krieg tötet täglich Zivilisten. Es handelt sich in jedem Einzelfall um 'Versehen', in der Absehbarkeit solcher 'Versehen' aber insgesamt um Mord, der nie gesühnt wird. Eine statistische Verantwortung, aus der sich die Akteure in jedem Einzelfall herausreden können, unterläuft anscheind unsere moralische Urteilskraft und unsere juristischen Kategorien.

Die Mörder von Paris sind aber eindeutig das: Mörder.  Und weil das so einfach ist, können das auch schlechte Journalisten schildern.

Asymmetrische Konflikte haben immer auch diesen Zug: Die überlegenen Parteien bringen zwar mehr Leute um, meistens auch mehr Zivilisten, haben aber weniger blutige Hände.    Es ist aber sehr zweifelhaft, ob die Anschläge in Paris als Teil des Krieges  zu verstehen sind, der sich in Syrien und dem Irak abspielt, auch wenn durch das Bekennerschreiben ein Zusammenhang hergestellt wird.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wie selbstgerecht Gauck, genauso Göring-Eckardt und viele mehr zweierlei Maß gar nicht mehr bemerken. Es fragt keine Journalistin die Politikerinnen, warum sie nie etwas zu dem Terror wie etwa in Beirut oder in Syrien sagen.( Die"Anstalt" mit Max Uthoff und von Wagner von Okt. 2015 dazu ist noch online).

Wenn Jan Josef Liefers, von BILD begleitet, auf Syrienreise geht und mit "moderaten Rebellen" wie man die Krieger nannte, umherfährt, wenn Jonathan Littell erzählt, Assad wäre binnen 6 Monaten "dem Untergang geweiht" (tagesschau.de/ausland/littell102.html), glauben wir das, europaweit.

Friedensforscher warnten 2003 vor dem "war on terror". Von Leuten wie der "Achse des Guten" wurden sie verhöhnt, und nicht nur von diesen erzkonservativen Bellizisten. Auch von der Mehrheit der Medien von taz bis FAZ und SZ bis Welt.

Unsere Rolle wird nicht einmal mitgedacht. Wenn selten Hörerinnen beim DLF auf den war on terror hinweisen, antworten Moderatorinnen aggressiv mit Sätzen, die suggerieren, die Fragenden wären Pegida-Nazis oder grundsätzlich anti-amerikanisch. Und sanft wird "weiterdiskutiert" - alle sind sich einig. Jede Kritik an Kriegen soll rechtsradikal sein? Absurd! Wann waren Rechtsradikale je außer als "lip service" gegen Krieg und Massenmord?

Als Russland, nach indirektem und direktem Krieg des Westens in Syrien sah, daß ISIS ISIL stärker statt schwächer werden, und auch Luftangriffe flog und fliegt, sahen wir erstmals Opfer, arme, umgebrachte Kinder. (Die ersten Bilder, die von einer Organisation von George Soros in Syrien zu stammen schienen, waren von *vor* den russischen Luftangriffen. siehe etwa tomfernandez28.com/2015/10/02/soros-ngo-fakes-casualties-after-russia-strikes-cia-terrorists-in-syria/.)
On a sidenote: die Taz brachte darüber auch nichts. Umgekehrt hingegen berichtet man immer: taz.de/!5040336/

Plötzlich war ISIS kurz vergessen. Kurz war "Putin" schlimmer als der ISIS-Terror.
Wenn ISIS oder ISIL überall brutal morden, wie du im Artikel sagst, interessiert es uns nicht. Merkel schickt, ohne das Parlament fragen zu müssen, für Milliarden Waffen an Saudi-Arabien. Möglicherweise (ich weiß nicht, wem ich glauben kann in all dieser Rhetorik neuer kalter Kriege) unterstützt Saudi-Arabien IS-Terroristen. Umso verlogener wirkt die Einseitigkeit.
Gauck, Göring-Eckardt glaube ich die Abscheu vor brutalen Morden wie in Paris. Aber die Gleichgültigkeit gegenüber brutalen Morden der IS ständig, nur outside Europa or USA ist verräterisch.

Man muß zwischen den Zeilen lesen, um eventuell auf die Idee zu kommen, daß westlicher Krieg mehr Fanatiker zu Teorristen macht. So liest man bei CNN, die ISIS, ISIL usw. erklären: "It all started in 2004..." Nur fragt niemand im mainstream weiter.

Als Wochen nach dem Beginn von Russlands Luftangriffen auf IS am 30.September 224 Menschen im Flugzeug, das grade von Sharm el-Sheikh startete, umgebracht wurden, höhnte das "Hamburger Abendblatt", sinngemaß, "die Russen" glaubten, das wären Terroristen gewesen. Die Trauer von Göring-Eckardt, Gauck oder Kohler oder taz FAZ - gab es nicht. Ich weiß nicht, wie es war, Patrick Coburn von counterpunch geht davon aus, IS wäre verantwortlich. Das alles sind Mosaiksteine. Gaucksches Mitleid blieb aus, obwohl immerhin ein Mordanschlag nicht unmöglich ist, man untersucht noch.
Mehrere gute counterpunch-Artikel sind grade erschienen.
Bodenlos, über was alles nicht gesprochen wird. Besonders versagen erneut auch Kulturszenen und eine sich cool fühlende Mehrheit an Unis. Da klafft eine Lücke, aber es war ja so lustig&cool, Böll und andere berühmte Schriftsteller und Schriftstellerinnen zu verhöhnen. Nun mag dieser Einfluß der Kultur immer zu schwach gewesen sein - seit 20 Jahren aber ist er fast nicht existent, man findet sich selbst trotzdem "subversiv". Auch so redet man Morde schön, und findet nur Morde bei uns furchtbar.