Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Donnerstag, 29. August 2013

Berthold Kohler (FAZ) verdient sich die Noix d'Honneur

Heute (29. August 2013) schreibt Berthold Kohler in einem der beiden Leitkommentare der FAZ über den Giftgaseinsatz in Damaskus:

Die Parteien schleichen so vorsichtig um sie herum wie um einen Blindgänger, der bei jeder Berührung in die Luft fliegen könnte, mit unabsehbaren Kollateralschäden. [...] Alle erinnern sich, dass man mit der Ablehnung eines Militärschlags mehr Stimmen gewinnen kann als mit dessen Befürwortung. Und doch erliegt, von der Linkspartei abgesehen, bisher nicht einmal die Opposition der Versuchung, damit ein paar billige Punkte zu machen. Bei Massenmord mit chemischen Waffen hört der Wahlkampf auf.

Da ist er wieder, der Ruf nach kriegerischer Pflicht und Schuldigkeit, den man von BeKo kennt. Gegen einen solchen Schlag wäre man, so Kohler, nur aus Populismus (Linkspartei!), nicht etwa aus Gründen.  Bei Massenmord mit chemischen Waffen hört das Argumentieren auf. Dann spielt es, gelle, auch schon keine Rolle mehr, wer überhaupt was getan hat.


Populist ist also in der Kohler'schen Welt, wer feststellt: dass die USA und ihre Verbündeten nur Mutmaßungen vortragen; dass sie diese Mutmaßungen in einem so unseriösen Ton der Überzeugtheit vortragen, dass eventuell vorhandenes Vertrauen unbedingt entzogen gehört; dass aber auch mehrfaches Lügen und Verfälschen derselben staatlichen Akteure bei den letzten bewaffneten Konflikten ebensowenig Vertrauen einflößt;  dass allen Seiten im syrischen Bürgerkrieg bisher Verbrechen anzulasten sind; dass Luftangriffe kein geeigneter Weg zu einer friedlichen Lösugn wären; dass die "Kollateralschäden" bei solchen Angriffen (u.a. tote Zivilisten, Kinder ohne Beinchen, Mütterchen ohne Äuglein; jaja nicht nur der böse Assad mit seinen blutigen Zähnen macht das, sondern auch das freiheitliche-demokratische Bömbchen zerfetzt wahllos menschliches Fleisch, das bei aller chirurgischen Präzision dummerweise in der Nähe steht) allein durch uns zu verantworten wären. Und dafür von der gesamten Presse und einer unbekannten Anzahl Wähler abgewatscht wird. Nicht wenige werden es nach Lesen der FAZ fertig bringen, zwar immer noch gegen den Krieg, erst recht aber gegen die Linke zu sein, weil die ja aus den falschen Gründen gegen den Krieg sei.

Kein Populist ist - secundum Kohlerem-, wer all das verschweigt, nur ja nichts gegen den Krieg sagt; der aber all das weiß und sich deswegen hütet, allzu schnell etwas für den Krieg zu sagen. Nun wäre das nicht das erste Mal, dass Kohler sich eine eigene Sprache backt, in der Opportunismus Mut und Ehrlichkeit Populismus heißt.
Das Feuerwerk geht aber weiter.

Doch wo fängt die "Entschlossenheit" an, mit der die ziviliserte Welt auf den Tabubruch in Syrien reagieren soll, wie sie auch allenthalben in Berlin gefordert wird.

Entschlossenheit mit rollendem R: Ein Wert an sich; entschlossen sein, auch wenn man weder die Sachlage kennt, noch weiß, was man zu ihrer Verbesserung sinnvollerweise tun könnte.

Anschließend wird Russland 'gebasht.'. "Doch hatten selbst die hunderttausend Toten, die schon vor dem Gasangriff zu beklagen waren, das strategische Kalkül Russlands nicht spürbar verändert."   Das unsrige ebensowenig; die USA, die Emirate, die Türkei, Saudi-Arabien, leiser flankiert von der EU unterstützen die Aufständischen, Russland die Regierung.  Beides trägt dazu bei, den bewaffneten Konflikt anzuheizen, bzw. mit Nachschub zu versorgen.  Aufs Völkerrecht, das eher Russland Recht gäbe, wird sowieso gepfiffen. Aber man macht auch in Moral, und da ist kurioserweise der eine Waffenhändler gut, der andere böse. Die Toten scheinen jedoch allen Seiten anzulasten.  Wer mit Heckler und Koch schießt, kann nur gut sein?

Doch eine Eskalation des Konflikts würde die Frage aufwerfen, ob Deutschland nur entrüstet ist über den mutmaßlichen [Huch, widerspricht das nicht dem vorigen] Giftgasmörder Assad und ob es auch selbst die Rüstung anlegen würde, um ihm das Handwerk zu legen - und nicht wieder isoliert dazustehen wie beim Einsatz gegen Gaddafi.

... der durch gnadenlose Überdehnung eines UN-Mandats das Völkerrecht beschädigt hat, indem es künftig viel schwerer ist, auch bei Übereinstimmung zu einem Mandat zu kommen, das  dann manche als Freibrief wählen. Russland hat nicht den geringsten Grund, uns zu trauen.  Nur nicht isoliert dastehen. Haltet's an Burgfriedn!

 Weiter bleibt anzumerken, dass die 'rote Linie des Chemiewaffeneinsatzes', auf die sich Obama verpflichtet hat, entweder eine Dummheit oder ein wirkungsvoller 'spin' war.  Wenn 99% der Toten in diesem Krieg konventionell gesprengt, erschlagen, erschossen, zerstückelt wurden, was ist dann eigentlich so exorbitant inhuman  an Chemiewaffen? Aber es verkauft sich gut, ohne Zweifel. 

Bei so viel Kraftmeierei fragt man sich, wieso BeKo nicht an die Front geht. Aber es gab sie halt immer, die Krieger der Feder,  die heuer vor Kraft strotzend vor ihrem Laptop hocken. Für Kriegseinsätze schreiben bleibt, weil's halt andere zerfetzt, unappetitlicher als gegen diese schreiben.  [Dass alles außer Krieg führen eine schlimmere Sünde wäre, "das hieße ja zusehen, etc.", ist eine der besonders widerlichen Lügen, mit denen solche Schreiber sich allemal auf die Seite des Guten schreiben.  Suggeriert wird ja oft, ein großes Bomben beende ein für alle mal die Gewalt.  Eskalieren für den Frieden, Putschen für die Demokratie, der liberale Diskurs übt sich oft in solchen Rechtfertigungen, die sich ebenso oft ex post als Lügen erweisen. Wenn kümmert's, dann ist was andres aktuell.]

Und für diesen auch in der ärgerlichen Presse außergewöhnlich dummen Text verleihe ich hiermit Kohler die Noix d'Honneur, auch wenn das so gut wie niemand mitbekommt.

p.s. Da die USA früh ihre Seite gwählt hat und durch Waffenlieferungen seit Mitte 2012 direkt in den Konflikt involviert ist, da aber Bewaffnung der (auch zahlenmäßig) zu schwachen Opposition nicht zu reichen scheint, ist es konsequent, nun direkt mitzukämpfen. Und es passt ja in die vor Jahren verkündete 'regime change'-Doktrin: Die USA und ihre Verbündeten führen Kriege für ihre politischen Ziele. So hübsch übersichtlich wäre die Beschreibung ohne das Moralgeseiere.  Die Regel gilt: Je stärker Sie moralische Normen verletzen, desto mehr moralisierenden Spin benötigen Sie!  Jamie Shea macht's möglich.

1 Kommentar:

Klemperer hat gesagt…

Dazu paßt gut, die Liste der vielen Journalisten zu lesen, die nicht als Beobachter (wie es für JournalistInnen wichtig wäre), sondern als zustimmende Teilnehmer etwa an der Münchner "Sicherheits"-Konferenz teilnahmen. Berthold Kohler gehört dazu....

Es gibt eine Studie dazu, von Uwe Krüger,
»Meinungsmacht. Der Einfluß von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse«.
Ich kenne sie nur aus einer Rezension, möchte sie aber lesen.

Leute, die in unseren Medien sehr einheitlich als Bellizisten schreiben, Herr Kornelius in der Süddeutschen und viele mehr, übernehmen oft fast wörtlich, was bei solchen "think tanks"-Kongressen verlautbart wird.

Wir haben immer öfter "embedded journalists". Müssen uns also große Teile der Informationen selbst, gradezu gegen die Einheitsberichte vieler überregionaler Medien, zusammensuchen.

In der Rückschau berichten viele Zeitungen dann durchaus manchmal, was sie anfangs wegließen. Aber dann ist es zu spät... Zu den Massenmorden in Syrien gibt es für alle keine "easy answer". Die Kriegsbefürworter unterschlagen unsere westliche Hilfe für all die diversen Rebellen, die das Massenmorden verstärkten. Niemand gibt zu, daß der Westen dachte, wie Jonathan Littell als embedded journalist, nach einer Reise mit "Rebellen" durch Syrien, suggerierte: In wenigen Monaten, tönte er Juli 2012, wäre "das Regime dem Untergang geweiht". Man verließ sich darauf, über Saudi-Arabien und Katar Waffen zu liefern, und schaute dem Massenmorden zu, weil "das Regime" ja bald ohnehin weg wäre. Eine grausame, nie kritisierte Sicht des Westens... Kein Wort davon bei Kornelius, Kohler und vielen mehr. Dieses "wir sind die Guten" ist - zum kotzen.

Verhandlungen verweigerte der Westen immer - weil man wie Littell vom "regime change" überzeugt war. Dann gelang es nicht, und viele, viele starben, durch Morde beider Seiten. Wir sehen nur die Morde der Assad-Diktatur.
Niemand von uns weiß, aus diesen embedded - Medien schon gar nicht, was die syrische Opposition 2011 wollte.... Wie sie sich vorstellte, eine bessere Regierung zu erreichen. Wie es wirklich in Syrien aussah. Wir werden von vielen Leuten, wie Herrn Kohler, nicht richtig informiert.