Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Freitag, 6. September 2013

Und wieder ein Hitler-Vergleich

In gänzlicher Ermangelung haltbarer Gründe für einen Krieg, den man führen möchte, ist die Versuchung sehr groß, die Hitler-Karte zu ziehen.  Milosevic ein Hitler, also wären völkerrechtswidrige Luftangriffe moralisch geboten, alles andere Appeasement;   Saddam Hussein ein Hitler, also...

Nun also ist es auch für Assad so weit:

http://nypost.com/2013/09/02/assad-is-like-hitler-kerry/

Dass die Erinnerung an die schlimmsten Verbrechen der Menschheit, davon die meisten im Krieg begangen, nicht mehr als Mahnung zum Frieden, zur Besonnenheit, zur Vernunft taugt, sondern allein als Legitimationsmasche für den Krieg, ist beschämend.  Natürlich kann man alle Männer, die einen Schnurrbart tragen, in dieser Hinsicht mit Hitler vergleichen. Das tertium comparationis ist bei Kerry der Gebrauch chemischer Waffen.

“Bashar al-Assad now joins the list of Adolf Hitler and Saddam Hussein who have used these weapons in time of war,”

Nun war de facto auch Agent Orange eine chemische Waffe, und wer hat sie benutzt? Wer hat je Atomwaffen im Kriege benutzt (und _nicht_ "gegen Hitler", sondern gegen den ohnehin kapitulationsreif geschossenen Teno)?  Mit dieser Art, eine Hitler-Liste aufzumachen, stünden also die jeweiligen Präsidenten der USA mit drauf. Nein, so wird das nichts. 

Kerrys Vergleich gibt vor,  sich auf eine Eigenschaft zu ziehen ("Gebrauch solcher Waffen"), versucht aber dann doch - implizit, aber offensichtlich - den "ganzen Hitler" zur Propaganda für die Notwendigkeit eines Krieges zu nehmen. Wollte Kerry aber wirklich den "ganzen Assad" mit dem "ganzen Hitler", also jenes Regime mit diesem, vergleichen, so bliebe nichts übrig. Nur ein Revisionist, der die Nazi-Verbrechen auf ein kleineres Maß zurechtlügen möchte, kann in diesem Sinne Assad zu 'einem Hitler' machen.


Die Hitler-Karte ist hier wie meist ein äußerst vulgärer Versuch der moralischen Erpressung und weiter nichts. Wer sie benutzt, den sollte nie mehr jemand ernst nehmen.  Kerry? Ein Hampelmann.



Siehe auch_

http://www.counterpunch.org/2013/09/05/when-in-doubt-say-hitler/

2 Kommentare:

Klemperer hat gesagt…

Immerhin, im Gegensatz zu Joschka Fischers Milosevic-Hitler-Vergleich mehren sich bei Kerry kritische Stimmen.
Siehe auch, hier werden weitere absurde Vergleiche genannt: http://swampland.time.com/2013/09/05/going-hitler-the-importance-of-john-kerrys-nazi-reference/

Assad ist - Assad. Rumsfeld oder Fischer oder Enzensberger (für ihn war Hussein Hitler), Kerry... man fragt sich, was sie zu gewinnen glaubten.

Anonym hat gesagt…

...inzwischen gibt es zahllose weitere Hitler-Vergleiche.
Juli 2016 kam der nächste. In einem fast schon gewohnt schwachen, arroganten Artikel schreibt Schlachtenlenker Droste in der Jungen Welt, Juli 2016, über Erdogan als Hitler.

Milosevic, Hussein, Gaddafi, Assad, Putin, Erdogan, das waren oder sind: Milosevic, Hussein, Gaddafi, Assad, Putin, Erdogan. Nicht Hitler, Hitler, Hitler, Hitler, Hitler und Hitler. Hitler war Hitler. Meine Ersatzoma wußte mehr darüber als all die Enzensbergers, Hillary Clintons oder Wiglaf Drostes.

Droste schreibt seinen Artikel vor allem, um zu zeigen, wie toll Droste wäre ( die Bedeutung von "pikiert" kannte sein Gesprächspartner nicht, benutzte es aber, als Droste Erdogan mit Hitler verglich - da war Droste gleich pikiert). Es gäbe Zeiten, in denen Gespräche über die Angemessenheit von Hitler-Vergleichen unsinnig wären. Was Droste wünscht, wäre ein Churchill, es gäbe aber nur Chamberlains.

Über Churchill gäbe es viel zu sagen. Neben erfolgreichem Kampf (den führte ein anderer "Hitler", Stalin, auch, es war grauenhaft für sein Land) gegen die deutschen Drecksnazis sprach er über die Hungersnot 1943 in Indien, die sein Land verschuldet hatte, ekelerregend zynisch. Gandhi wollte er gleich umbringen.

Zitat zu Mahatma Gandhi: “[he] ought to be lain bound hand and foot at the gates of Delhi, and then trampled on by an enormous elephant with the new Viceroy seated on its back. Gandhi-ism and everything it stands for will have to be grappled with and crushed.” (counterpunch, ixquicke Churchill counterpunch, dem ersten link Stand 2016 wurde das Zitat entnommen; der Artikel enthält auch Stellen, die ich nicht so sehe, also verlinke ich nicht^^).

Zur vom british Empire zumindest mitverschuldeten fürchterlichen Hungersnot in Bengalen, Millionen starben, sagte Churchill:

“If food is scarce, why isn’t Gandhi dead yet?”

Och je, lassen wir doch ein paar Millionen verrecken...noch ein Witzchen zu Gandhi...

Meine Familie, die, die das Nazireich überlebten, waren froh über Churchill (und froh, daß die Sowjetunion Auschwitz befreit hatte, leider zu spät). Vermutlich wußten sie nichts von der grausamen Seite Churchills.

Für heutige ZeitungsschreiberInnen, ob nun in BILD, in der taz oder als besserwisserischer, aber leicht pikierter Feuilletonist, wäre Churchill, er müßte nur auf der falschen Seite sein, für seine Sätze zur furchtbaren Hungersnot oder zu Gandhi natürlich: Hitler! Hitlerchurchill hätte damit gegen Hitler gekämpft. Diese Volte fehlt noch.

Statt all diesen Hitler-Vergleichen könnten Zeitungen die Seiten leer lassen. Warum liest man Artikel, in denen korrupte Politiker, mörderische Politiker alle "Hitler" sind? Man kann ja nicht zurückreisen in der Zeit und sagen, den Mist lese ich nicht.