Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 24. November 2009

Good governance under bad conditions?

oder: Wie man Verantwortung verschleiert.

1. Spätfolgen des Kolonialismus

Eine der Modevokabeln im Diskurs über die dritte Welt, besonders Afrika, ist "good governance". Sie hat für uns etwas angenehm entlastendes. Kolonialismus, Imperialismus, unfaire Verträge über Rohstofförderung, niedrige Weltmarktpreise für Afrikas Produkte, schön und gut: Denen ginge es ja viel besser, wenn nicht die Regierungen so korrupt wären, wenn es nicht so viele Kriege gäbe etc.


Mit dem Hinweis auf die fehlende "good governance" können Vertreter ehemaliger Kolonialstaaten, während sie vergangenes Unrecht zugeben, für die Gegenwart ihre Hände in Unschuld waschen. Es klingt dann so wie in Nicolas Sarkozys berüchtigter Rede, gehalten an der Universität von Dakar am 26.7.2007: Die Verbrechen der Vergangenheit (und damit nicht unsere Verbrechen) sind bedauerlich, falsch der Sklavenhandel, falsch die Eroberung Afrikas. Die Kolonialherren haben Verbrechen begangen, aber sie haben auch manches gebracht. Lasst uns nicht über die Vergangenheit reden, sondern über die Zukunft. Ein Ausschnitt im Wortlaut

Le colonisateur est venu, il a pris, il s’est servi, il a exploité, il a pillé des ressources, des richesses qui ne lui appartenaient pas. Il a dépouillé le colonisé de sa personnalité, de sa liberté, de sa terre, du fruit de son travail.

Il a pris mais je veux dire avec respect qu’il a aussi donné. Il a construit des ponts, des routes, des hôpitaux, des dispensaires, des écoles. Il a rendu féconde des terres vierges, il a donné sa peine, son travail, son savoir. Je veux le dire ici, tous les colons n’étaient pas des voleurs, tous les colons n’étaient pas des exploiteurs.

Il y avait parmi eux des hommes mauvais mais il y avait aussi des hommes de bonne volonté, des hommes qui croyaient remplir une mission civilisatrice, des hommes qui croyaient faire le bien. Ils se trompaient mais certains étaient sincères. Ils croyaient donner la liberté, ils créaient l’aliénation. Ils croyaient briser les chaînes de l’obscurantisme, de la superstition, de la servitude. Ils forgeaient des chaînes bien plus lourdes, ils imposaient une servitude plus pesante, car c’étaient les esprits, c’étaient les âmes qui étaient asservis. Ils croyaient donner l’amour sans voir qu’ils semaient la révolte et la haine.

La colonisation n’est pas responsable de toutes les difficultés actuelles de l’Afrique. Elle n’est pas responsable des guerres sanglantes que se font les Africains entre eux. Elle n’est pas responsable des génocides. Elle n’est pas responsable des dictateurs. Elle n’est pas responsable du fanatisme. Elle n’est pas responsable de la corruption, de la prévarication. Elle n’est pas responsable des gaspillages et de la pollution.

Die Kolonisierung ist nicht für alle gegenwärtigen Probleme Afrikas veranwortlich. Sie ist nicht verantwortlich für die blutigen Kriege, die die Afrikaner miteinander kämpfen. Sie ist nicht verantwortlich für die Genozide. Sie ist nicht verantwortlich für die Dikatoren. Sie ist nicht verantwortlich für den Fanatismus. Sie ist nicht verantwortlich für die die Korruption, den Amtsmissbrauch. Sie ist nicht verantwortlich für die Verschwendung und die Umweltverschmutzung.



Mais la colonisation fut une grande faute qui fut payée par l’amertume et la souffrance de ceux qui avaient cru tout donner et qui ne comprenaient pas pourquoi on leur en voulait autant.

La colonisation fut une grande faute qui détruisit chez le colonisé l’estime de soi et fit naître dans son cœur cette haine de soi qui débouche toujours sur la haine des autres.


Dass der Kolonialismus nicht allein veranwortlich für irgendwelche Missstände ist, geschenkt, niemand behauptet das. Aber mit verantortlich ist er gerade für die Dikatoren, die Kriege, die Genozide, die Umweltverschmutzung und die Korruption. Beispiele für diese Mitschuld sind wohlbekannt...

Die Hutu und die Tutsi wurden durch europäische Kolionalherren, die etwa (die Belgier) in den Tutsi eine "überlegene Rasse" sehen wollten und mit ihrer Hilfe eine indirekte Herrschaft ausübten, langfristig regelrecht aufeinandergehetzt. Ob es "sowieso passiert" wäre, ist eine in der Geschichtsschreibung meist nicht zu beantwortende Frage. Im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi haben die Europäer (Belgier und Franzosen) eine ethnische Entgegensetzung ideologisch, ökonomisch und politisch verstärkt, das sollte für eine Mitschuld reichen. Vor Gericht in den Haag stehen nur Personen, denen eine Einzelverantwortung zugerechnet werden kann. Jene historische Verantwortung wird zwar nur von Historikern, nicht von Gerichten untersucht, Verantwortung ist es dennoch.

Und es geht nicht nur um Spätfolgen des Kolonialismus,auch nach der Unabhängigkeit der Kolonien gab es politische und ökonomische Einmischung. Bei wie vielen durch Militärputsch an die Macht gekommenen Diktatoren hatten ehemalige Kolonialherren die Finger drin? Wie viele große Konzerne haben Politiker bestochen? (Man lese sich etwa in der deutschen Wikipedia den Abschnitt Elf Aquitaine und die Politik durch.)
Ja sehen sie, wir müssen Politiker bestechen, um Geschäfte machen zu können. Das machen alle.


2. Folgen gegenwärtiger Kilmaveränderungen


Mit dem Hinweis auf "bad governance" lässt sich aber noch eine ganz andere Dimension der Verantwortung zu Brei reden. Wenn große Gebiete Afrikas durch klimatische Veränderungen weniger Menschen ernähren können, wird es zu Verteilungskämpfen und konfliktträchtigen Bevölkerungswanderungen kommen. Man muss kein Prophet für solche Aussagen sein, denn ein Zusammhang zwischen Temperaturen und blutigen Konflikten ist für die Subsahara im Zeitraum 1980-2002 belegt (s. die Meldung der BBC über die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (US) erschienene Untersuchung). Die Klimaprognosen lassen nun für die Zukunft immer mehr solcher heißen Jahre erwarten, und die Gesamtheit der uns verfügbaren Modelle besagt leider, dass die menschliche Aktivität eine Hauptursache dieses Klimawandels ist. Aus bequemen Sesseln und Klimazonen hört man immer wieder Stimmen, die aus den möglichen Mängeln der Modelle den Schluss ziehen, alles sei ganz anders, und wenn sich das Klima schon wandele, seien wir nicht verantwortlich. Dafür mögen sie einzelne Belege aus dem das Gegenteil suggerierenden Zusammenhang reißen, über's Niveau der Flat-Earth-Society kommen sie nicht hinaus. Dieses bequeme Sitzen-in-Sesseln beruht auch darauf, dass es die gemäßigten Breiten nicht so furchtbar trifft. Gefahr ist im Verzuge, aber weniger für uns als eben für Afrikaner. Wieviel "good governance" gäbe es wohl hier, wenn's Fressen knapp würde? Na, jedenfalls ist unser Interesse an Autoproduktion noch größer als unsere Angst vor dem Klimawandel. Im Vorfeld der Kopenhagener Konferenz findet denn auch ein großes Tauziehen um wirtschaftliche Interessen statt. Eine Vereinbarung wird nur dann möglich, wenn sie dem jeweiligen Wachstumscredo nicht widerspricht. Wie aber weitergewachsen werden soll, ohne die Kohlendioxidemissionen zu erhöhen, weiß bisher niemand.

Wenn das nächste besonders heiße Jahr in Darfur von größeren Gemetzeln begleitet wird, können wir wieder nur unsere weißen Hände ringen. Bad governance, fanatischer Islam. Und zuwenig Wasser.

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