Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Mittwoch, 25. November 2009

Die Sonne dreht sich um die Erde: Störsignale vor Kopenhagen

GALILEI: Ich dachte mir, Sie schauen einfach durch das Fernrohr und überzeugen sich?

DER MATHEMATIKER: Gewiß, gewiß. - Es ist Ihnen natürlich bekannt, dass nach Ansicht der Alten Sterne nicht möglich sind, die um einen anderen Mittelpunkt als die Erde kreisen, noch solche Sterne, die im Himmel keine Stütze haben.

GALILEI: Wie, wenn Eure Hoheit die sowohl unmöglichen als auch unnötigen Sterne nun durch dieses Fernrohr wahrnehmen würden?

DER MATHEMATIKER: Man könnte versucht sein zu antworten, dass ihr Rohr, etwas zeigend, was nicht sein kann, ein nicht sehr verlässliches Rohr sein müsste, nicht?

(Brecht, Leben des Galilei; In der Szene wehrt sich ein tapferer geozentrischer Dissident gegen die heliozentrische Mafia, indem er sich weigert, durch das Fernrohr einen Mond des Jupiter anzuschauen, denn das geozentrische Weltbild duldet keine Jupitermonde. Ähnlich können sich Priester einer automobilen Wirtschaftswachstumsgesellschaft der These eines anthropogenen Klimawandels verweigern, indem sie einfach nicht durch das Rohr schauen. )



Rechtzeitig vor Kopenhagen haben Hacker gestohlene Emails von Klimaforschern veröffentlicht, um zu insinuieren, das von der Wissenschaft vertretene Klimaszenario beruhe auf einer Verschwörung von Fälschern.

Genau das belegen die Emails, deren Echtheit übrigens noch zu bestätigen bleibt, nicht. Sie würden schlimmstenfalls das Fehlverhalten Einzelner belegen und nicht die ganze Klimaforschung diskreditieren.


Die am häufigsten zitierte Formulierung aus einer Email von Phil Jones

I’ve just completed Mike’s Nature trick of adding in the real temps to each series for the last 20 years (ie from 1981 onwards) and from 1961 for Keith’s to hide the decline


enthält womöglich nichts, das nicht bekannt und veröffentlicht wäre, allerdings irritiert die Vokabel "hide". Es ging angeblich um die Verwendung verschiedener Schätzer für die Temperatur und darum, ab 1960 ein Schätzverfahren aus der Breite von Jahresringen nach Keith Briffa, das die Temperatur ab diesem Zeitpunkt gegenüber anderen Schätzern unterschätzt, nicht zu verwenden. Eine sehr lesbare Erklärung (mit Quellenangaben) findet sich hier. Was aber soll man mit "hide" anfangen? Auch bei Wissenschaftlern, noch dazu anhand von gestohlenen und nicht beglaubigten Emails, sollte die Unschuldsvermutung gelten. Harmlose Interpretationen sind wenigstens denkbar. (Natürlich sind solche Interpretationen, wie alle anderen auch, konstruiert, aber es sei eine als Beispiel erwähnt: In einer Situation, in der sich die "Klimawandel-Leugner" auf jedes isolierte Datum stürzen, das ihnen in den Kram passt, will man die vermutlich fehlerhaften Jahresring-Daten möglichst gar nicht verwenden und "verstecken". Es wäre nämlich voraussehbar, dass sie jemand trotz der erläuterten Fehler, gerade diese Daten zum Beleg für eine andere Klimaprognose erheben würde, obwohl isolierte Daten gerade das niemals sein können. So ein Verhalten wäre keine besonders gute wissenschaftliche Praxis, aber eben auch keine schwerer Betrug.)


Andere der veröffentlichten Fetzen zeigen Wissenschaftler, die zugleich in einer politischen Polemik stecken, ob sie wollen oder nicht, und die selbst schon etwas zu sehr Politiker geworden sind, um bei ihren Publikationen nicht schon an deren Rezeption durch 'Freunde' und 'Feinde' zu denken. So kann es dann auch zu Selbstzensur gekommen sein, um den 'Feinden' kein Futter zu geben, kleinen Akten wissenschaftlicher Unredlichkeit. Derlei ist nicht fein, macht aber keineswegs das Werk von Tausenden von Wissenschaftlern zur Fälschung (und bedeutet insbesondere kein "Watergate der Klimaforschung", wie Maxeiner schreibt, s.u.) Es ist aber auch schwer, ganz rein zu bleiben in so einer Schlammschlacht, in der einer immer wieder beliebige, auch längst widerlegte Thesen mit dem Gestus des Dissidenten in die Runde werfen kann, und wo interessierte Kreise jeden im Einzelnen begangenen Fehler sogleich zur Diskreditierung des Ganzen heranziehen UND daraus ableiten, dass kein politischer Handlungsbedarf bestehe und man weiter große Motoren bauen solle. Ein Wissenschaftler, der - aufgrund der Forschungslage - die Menschheit vor einem großen Problem sieht, fühlt sich als Weltbürger auch in der Verantwortung, zur allgemeinen Anerkennung dieser Forschung beizutragen. Das kann man verstehen, auch wenn's eine fehlerträchtige Haltung ist, die die Wissenschaft behindern kann.

Vielleicht zeigen andere Fetzen, die ich nicht gelesen habe, gröberes Fehlverhalten etwa von Phil Jones. Damit wäre, wie gesagt, nicht die Arbeit der anderen diskreditiert.

Übrigens muss sich eh noch zeigen, wieviele der Emails, die gerade durchs Netz kursieren, gefälscht sind. Unter den Reaktionen auf die Emails finden sich mancherlei ganz hirnrissige Verschwörungstheorien, etwa ein Link auf eine angebliche Mail von George Soros mit dem Titel "Socialist plan to take over the World", wo er stolz die eigenen Pläne als "climatofascism" bezeichne. Wenn's 'ne dümmere Fälschung gibt, schicke man sie mir.

In einem früheren Post habe ich eine kleine Lanze fürs Zweifeln gebrochen: Nicht jeder Zweifel an etwas, das breit berichtet wird, ist schon eine Verschwörungstheorie. Der Unterschied zwischen beiden ist nicht ganz streng, aber ungefähr zu fassen durch den Umfang der unbegründeten Hypothesen, die man benötigt. Nun sind diejenigen, die den Klimawissenschaftlern "climatofascism" unterstellen, nach diesem Kriterium selbstverständlich ganz üble Verschwörungstheoretiker, denn sie postulieren, dass Tausende von Individuen sich die ganze Zeit auf Lügen verständigen.

Es ist dagegen keine Verschwörungstheorie, sondern eine ganz einfache Hypothese, dass jemand, der es den Kopenhagener Verhandlungen noch schwerer machen möchte, als es eh schon ist, hier echte und falsche Email ins Netz wirft, um Zweifel zu produzieren. Die nervöse Blogosphäre wird's endlos vervielfältigen.

It’s obvious that the noise-generating components of the blogosphere will generate a lot of noise about this


An deutschen Blogs (Achse des Guten), wo es merkwürdigerweise als "liberal" gilt, sowohl für Amerikas Kriege als auch gegen die These vom anthropogenen Klimawandel zu sein, kann man das bereits sehen. Zwar schreibt Maxeiner dort immerhin unter "Echtheitsvorbehalt", trägt aber doch gern zur Verbreitung der Emails und seiner Urteile bei (Semper aliquid haeret?). Er sieht in den Mails - wenn sie echt sind - "das Ende der Glaubwürdigkeit der gegenwärtigen Klimaforschung". Komisch, dass einer, der in seinen Werken über die Klimadebatte lauter nachgewiesene Fehler gemacht hat, Leuten, die ab und an Fehler machen, mangelnde Glaubwürdigkeit (sc: interessegeleitetes Handeln) vorwirft.

Es wäre im übrigen gut, die widerliche Praxis, private Emails zu stehlen, breitete sich nicht aus. Wenn es aber unbedingt noch einmal geschehen muss, wären Maxeiners Emails interessant. Man sähe dann besser, was solche Menschen treibt. Das Streben nach wissenschaftlicher Wahrheit kann's jedenfalls kaum sein, sonst hätte M. ja Wissenschaftler werden können.


p.s. Vor wenigen Tagen stand in der FAZ ein Leserbrief von einem Dr. Soundso, der auch als Klima-Dissident auftrat. Er behauptete, der Meeresspiegel steige im Widerspruch zu den Voraussagen nicht. Leider aber ist er im 20. Jahrhundert um 18 Zentimeter gestiegen, in den zwei Jahrtausenden vor der industriellen Revolution (~ 1800) dagegen höchstens um 2 cm pro Jahrhundert. Das schnellere Abschmelzung der Eisschilde und Gletscher ist auch hinlänglich bestätigt. An der bisherigen Erwärmung beißt die Maus keinen Faden ab, und am Einfluss des Kohlendioxids im Strahlungsgleichgewicht der Atmosphäre ebensowenig. Unklar ist allerdings noch vieles: Weder kann man die lokalen Folgen gut voraussagen, noch weiß man, wie sich die Meeresströmungen und die Niederschlagsverteilung verändern, noch versteht man geologische Prozesse, die Gase freisetzen und binden, gut genug. Da so vieles unbekannt ist, lässt sich jede Prognose nur im Modus der Wahrscheinlichkeit vortragen: Es ist wahrscheinlich, dass sich das Klima, je nach menschlichem Verhalten, so oder so entwickelt. Und so ist es für die allermeisten Prognosen, nach denen man sich richtet. Wie auch immer, es kann doch eh nichts schaden, sparsamer mit fossilen Rohstoffen umzugehen und den Regenwald stehen zu lassen, auch aus ganz anderen Gründen. Wenn die Wissenschaft sich geirrt hätte und das, was sie für wahrscheinlich hält, nicht einträfe, hätte die Menschheit mit solcher Sparsamkeit trotzdem etwas gewonnen. Sie hätte vermutlich einen vorübergehenden Preis an verlorenem "Wirtschaftswachstum" gezahlt, aber wiegt das so schwer, dass man lieber ein großes Risiko einginge? Welcher einzelne Entscheider, der zwischen zwei Politikvarianten wählen kann, würde gerne riskieren, dass (mit "hoher" Wahrscheinlichkeit) die Erwärmung im nächsten Jahrhundert größer wird als mit einer anderen Politik, und im Zweifel die Verantwortung dafür tragen, dass Bengalen ersäuft? Ob Maxeiner et al. auf ihre alten Tage noch als tapfere Dissidenten oder vielmehr als auf Kosten anderer das wissenschaftlich leidlich gut Belegte leugnende Zyniker erscheinen werden, wird sich zeigen.

p.p.s. Etwas Gutes hat der kleine "Skandal" aber doch, wenn er hilft, einen Mangel zu beheben: Alle wissenschaftlichen Primärdaten sollten öffentlich verfügbar sein, damit jeder sie analysieren kann oder mit anderen Messungen nachprüfen kann, ob sie reproduzierbar sind. In dieser Allgemeinheit wird die Forderung nie durchgesetzt werden, da sowohl wissenschaftlicher Ehrgeiz als auch ökonomische Interessen auf Geheimhaltung von Daten aus sind. Aber bei Fragen von allgemeiner politischer Relevanz - wie dem Klimawandel - sollte so viel Transparenz demnächst möglich sein. Diese nötigt außerdem allen Arbeitsgruppen eine saubere Dokumentation der eigenen Daten auf und vermindert so Fehler. (Jeder, der schon mit großen Mengen empirischer Daten gearbeitet hat, weiß, wie leicht man sich mit privaten Datenformaten die Festplatte zumüllt. Und wie aussichtslos es schon nach einem Jahr sein kann, genau zu rekonstruieren was man getan hat. Außer man nötigt sich zu genauen Protokollen und nachvollziehbaren Konventionen...)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich wollte nur noch kurz ergänzen, dass Halbwahrheiten über das Thema, die alle das Ziel haben, das Leute wie Maxeiner/Miersch seit 20 Jahren gewinnbringend verfolgen - eind Art Nebel machen, damit man sagen kann: s'ist alles gar nicht so, das sind nur linke Spinner, die das behaupten - recht bald auf Seite 3 in der "WELT" standen. Erstaunlich, aber das wirkt, seit spätestens 1988/1992 nun. Man stelle sich vor, zu Themen, die Maxeiner/Miersch seit Jahrzehnten vertreten, stünde jedesmal so ein Nebelgebräu - dann würden unsere Verfechter der Wahrheit, gerne zu Ortsverbänden der FDP eingeladen, aber loslegen... So aber freuen sich immer noch viele Leute, dass das eigene Handeln ja ganz egal sei, denn achgut, WELT oder cicero (dort ist Herr Miersch "Berater). sowie etwelche Internetseiten wissen ja, "das ist alles nur eine Verschwörung.". Ich hatte selbst einen e-mail-Wechsel mit einem Meteorologen, der standhaft behauptet, ipcc und alle Forscher seien Betrüger, und die "wahre" Meinung werde "konsequent bekämpft". Leider bin ich kein Klimaforscher, und kann deshalb fachwissenschaftlich immer wenig antworten.

Zu Maxeiner/Miersch fällt mir immer ein, dass beide sich 2003, als der Irak-Krieg begann, auf ihrer website über einen Hamburger Friedensforscher lustig machten. Der hatte gesagt, der Irak-Krieg könnte zu hunderttausenden Opfern führen. Nach den ersten bombardements listeten Maxeiner/Miersch dann auf ihrer website einige Tote auf (die Zahl hab ich vergessen, es waren unter hundert, als wäre das "nicht so schlimm") - und gossen ihre Häme aus. Wie schon Merkels euphorische Befürwortung des Irak-Kriegs 2003 werden diese Art von Fakten erstaunlich schnell vergessen...Aber das wär ein anderes Thema.