Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 17. November 2009

Der kalte Krieg ist (nicht) vorbei

PRIMO

Der kalte Krieg, einige erinnern sich an die Schulbücher: Blaue, irgendwie beruhigende Soldaten auf der linken, viel mehr rote bedrohliche Soldaten auf der rechten Seite. Zur Vernichtung eines großen Teils der Menschheit waren beide Blöcke in der Lage. Dass der kalte Krieg nur in der dritten Welt gelegentlich heiß wurde, sonst aber kalt blieb, ist, äh, erfreulich. Dennoch muss man auch im Rückblick nicht schönlügen, wie NATO und Warschauer Pakt jeweils Weltvernichtungsmaschinen gebaut und damit die Welt aufs Spiel gesetzt haben. Si vis pacem, para bellum, schon gut. Aber was, wenn's schief gegangen wäre? Und es kann ja immer noch, Doktor Seltsam.

Beide Seiten haben aufgerüstet, immer wieder. Und beide Seiten haben behauptet, nur nachzurüsten, um die Abschreckungslücke zu stopfen. Wann sie das selbst glaubten, wann nur vorgaben, scheint noch immer unklar. Es ist recht komisch, wenn ausgerechnet in der alten Tante taz (4.11.2009) Bettina Gauss schreibt, dass manche Deutsche früher den USA die Nachrüstung übel genommen haben. Das Faktum heißet aber Aufrüstung , die Vokabel Nachrüstung ist jedoch nur eine Rechtfertigung dieses Faktums, eventuell spin. Und wer die Pershings nicht mochte, der mochte keine Aufrüstung mit furchtbaren Waffen, egal ob Nach- oder Vor-.


SECUNDO

Der Kultur-Staatsminister Bernd Neumann hat, wie die ZEIT berichtete, in einer Ausstellung über Fremde einen Text, der die Abschottung Europas gegen Flüchtlinge erwähnt durch einen Satz über die Bemühungen der Bundesbehörden um "Integration" ersetzt:

Der ursprünglich vorgesehene Text hatte mit den Sätzen geendet: »Neue Gesetze über Staatsangehörigkeit und Zuwanderung schufen erst seit der Jahrtausendwende die neuen Rechtsgrundlagen. Während innerhalb Europas die Grenzen verschwinden, schottet sich die Gemeinschaft der EU zunehmend nach außen ab. Die ›Festung Europa‹ soll Flüchtlingen verschlossen bleiben.« In der nun ausgestellten Version fehlen die letzten beiden Sätze. Stattdessen steht da nun die staatliche Bekanntmachung: »Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert seitdem staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland.«


Der selbe Bernd Neumann hat sich in einer Rede im Mai 2009 gegen die "Verharmlosung" des DDR-Unrechts vewahrt, die in der Weigerung liege, die DDR als "totalen Unrechtsstaat zu verdammen". (Das bezog sich auf die Äusserung eines Ministerpräsidenten.) Was bedeutet: Weil es in der DDR systematisches Unrecht gab, muss man sie als TOTALEN UNRECHTSSTAAT verdammen. Die merkwürdige Auffassung von der Vokabel "total" zieht leider nach sich, dass auch die BRD, wenn sich in ihr systematisches Unrecht fände, als totaler Unrechtsstaat gelten müsste; es findet sich, gewiss. Aber an das z.B. Flüchtlingen in Kettenduldung oder durch Abschiebung angetane Unrecht dachte Neumann selbstverständlich nicht, auch andere sollten nicht daran denken. Wir sind die Guten, böse aber war die DDR. Dazu nochmal die ZEIT


Besonders skandalös ist der politische Eingriff in die Arbeit des Deutschen Historischen Museums (DHM) vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Hauses. Das zu DDR-Zeiten im Zeughaus angesiedelte Museum für Deutsche Geschichte unterstand direkt dem ZK der SED. In der Gründungsphase des bundesrepublikanischen DHM hatten sich die beratenden Historiker – darunter Lothar Gall, Jürgen Kocka, Michael Stürmer und Richard Löwenthal – die Unabhängigkeit des neuen Nationalmuseums von den Einflüssen der Politik ausbedungen. Bisher hatte sich das Museum, soweit bekannt, diese Unabhängigkeit bewahren können. Nun scheint der Druck aus der Regierung zu stark gewesen zu sein. Das Bundesministerium hat mit dem Akt der Zensur nicht nur das Grundgesetz missachtet, es hat auch dem Museum geschadet. Ein Museum, dem ein Ministerium die Sicht auf die Dinge vorschreibt, kann man nicht ernst nehmen. Für Staatspropaganda, wenn man sie haben wollte, gibt es in dieser Republik das Bundespresseamt.


Die Dementis, die folgten, dementierten übrigens nicht den Vorgang, sondern seine Benennung. Es habe keine Zensur stattgefunden, sondern es seien lediglich "Anregungen dankbar aufgenommen worden." Stimmt, wo man sich kennt und sich hilft, wo Anerkennung ein wichtiges Kapital ist, braucht man gar keine Zensur.

Die Änderung war übrigens auch leicht dümmlich. Der neue Text passt nicht an diese Stelle, was schon, Wochen bevor diese kleine Zensur/Einflussnahme bekannt wurde, einer Freundin auffiel, die sich fragte, was wohl in den Erstellern dieser Tafeln vorging und welchen Vorgaben sie folgten. Jetzt wissen wir's


TERTIO

Wollte die UDSSR nicht gewaltsam in Afghanistan ein ihr genehmes Regime aufrechterhalten, das, wenngleich kommunistisch, auch in unserem Sinne moderner gewesen wäre als die Herrschaft reaktionärer Stammesführer? Es misslang, auch weil die USA die Mujaheddin mit Waffen unterstützte. Damit diese "für ihre Freiheit" kämpfen konnten. Damit kämpften sie gleichzeitig u. a. für die Scharia und ihre jeweilige Machtinteressen.

Der Erfolg des westlichen Versuchs, eine ihm genehme Regierung an der Macht zu halten, ist ebenfalls zweifelhaft.

Acht Jahre nach Beginn des internationalen Engagements in Afghanistan zog Guttenberg in Kabul eine gemischte Bilanz.


Das Zentralkomitee der KPdSU zog ebenfalls eine gemischte Bilanz. Damals, im kalten Krieg, war jedoch die UN de facto blockiert, so dass es eben keinen die Invasion nachträglich rechtfertigenden Sicherheitsratsbeschluss geben konnte. Jetzt gibt es einen (recht fahlen) Schein des Rechts.

Der eine Krieg wird aber mit dem anderen nur von "notorischen Radikalen" verglichen, ansonsten herrscht die Sprachregelung des kalten Kriegs. Der UDSSR ging es nur um Macht, uns nur um Werte. Den Gegnern der UDSSR ging's nur um die Freiheit, unseren (teilweise just denselben) nur um böses und rückständiges Zeug.

Wie ähnlich oder unähnlich sich die beiden Kriege sind, wird man erst viel später beurteilen können, wenn überhaupt. Jetzt herrscht Propaganda, immerhin hier mit einem teilweise anderen Vokabular als weiland in der Sowjetunion. Guttenberg spricht von "Benchmarks" für die Ziele des Kriegs, der nicht so genannt werden darf. Benchmarks, Controlling, Quality Management. Wow. Wird aber geschossen, werden Ärmchen abgerissen und Beinchen. Benchmark, mon cul.

1 Kommentar:

Georg hat gesagt…

Zu ergänzen wäre, daß immer mehr Medienleute gegen alle bellen, die nicht jeden Krieg, nur weil er vom Westen geführt wird, automatisch für "gerecht" (?) halten. So hat sich Theaheidegg, verzeihung, Thea Dorn im September 2009 recht vulgär in der ZEIT über die geäußert, die sie als dem "Vulgärpazifismus" verfallen ansieht. Die Dame bekam letztes Jahr auch beinahe einen FDP-Preis, verlor aber leider knapp gegen Norbert "Konsumismus" "Design der Betroffenheit" Westerwelle - verzeihung, Bolz.
Die Argumente sind immer ähnlich - überraschender ist eher, wie viele, viele Medienleute inzwischen selbstgerecht nach rechts wandern - Bolz, Dorn, Rainald Goetz, Karl Heinz Bohrer, Sloterdijk...usf. Daß in Kriegen gemordet wird, nennen Leute wie Thea Dorn nicht mal mehr "Kollateralschäden". Sie übergehen es einfach. Es scheint auch kaum noch um Fragen wie Krieg zu gehen - es ist inzwischen eine kaum verdeckte Lust, gelangweilt auf die zu hauen, die man als "links" haßt, während man ständig behauptet, es gäbe kein "links" und "rechts" mehr. Doch, doch, gibt es. Leider ist es inzwischen fast so, daß man sagen kann: rechts ist, wo Norbert Bolz, Karl-Heinz Bohrer und Thea Dorn sind (Adorno ist kein geschützter Name, auch wenn er sich vermutlich nicht freuen würde, wenn man in seinem Namen plump Kriege verherrlicht, und Kriegsgegner pauschal diffamiert.)