Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Donnerstag, 26. November 2009

Bildung, Integration und so weiter

Es soll um einen Fall gehen, der daran erinnert, wie verbesserungswürdig unsere Institutionen und Gesetze sind. Zunächst aber eine

Vorrede

Unser Fall weist auf einen bestimmten Mangel des Berliner Schulgesetzes hin, der im Widerspruch zu den vielen hochtrabenden Reden über "Bildung" steht. Mit "Integration" hat unser Fall eigentlich nichts zu tun, auch wenn eine Deutsch-Türkin betroffen ist. Dieses Merkmal allein wäre dennoch ausreichend, um eine öffentliche Debatte über den Fall früher oder später auf das Thema "Integration" zu lenken. Da die Mängel des Bildungssystems sich gerade in Berlin so manifestieren, dass besonders viele 'Migranten' 'Bildungsverlierer' sind, bleibt es nicht aus, dass die Debatten immerzu beide Themen ("Bildung" und "Migration/Integration") verschränken, auch wenn sie jeweils das Thema verfehlen: Es wird zu wenig über Systemmängel geredet und zu oft Gruppen eine Schuld zugeschustert.

Bekanntlich ging man mit verblüffender Realitätsferne lange davon aus, dass die "Gastarbeiter nach Hause gehen", wenn man sie hier nicht mehr braucht, "Integration" war geradezu unerwünscht, debattiert wurde über Maßnahmen zur Förderung der Rückkehrbereitschaft. Erst in den 90ern dämmerte es der Politik, dass die meisten von denen, die ihr Arbeitsleben hier verbracht hatten, auch hier bleiben würden, und dass deren Kinder und Enkel ob mit oder ohne Staatsbürgerschaft Deutsche wären.

Auf einmal ging es also um "Integration", bzw. wurde deren Mangel beklagt. Die nicht "integrierten" Migranten/Ausländer/Gastarbeiter wurden als "Problem" geschildert. Was bei einem "Deutschen" ein individuelles Problem ist (Kriminalität, kein Schulabschluss), wird bei "Migranten" als Migrantenproblem dargestellt. Das pflegt man mehr oder minder schlecht mit Statistiken zu begründen.

Derartige Probleme häufen sich aber auch bei "deutschen" Arbeiterkindern, die am falschen Ort geboren sind. Das spiegelt sich seit kürzerem in den Debatten, in denen nicht nur Ausländer ihr Fett kriegen, sondern auch deutsche "Unterschichten". Gemeinsam werden sie oft als "bildungsferne Schichten", die dieses Land nicht in dem Maße brauche, dargestellt - so viele Klos gibt's auch nicht zu putzen.

Das deutsche Schulsystem ist wiederholt kritisiert worden, sowohl von Innen, als auch von internationalen Einrichtungen (OSZE). Es ist bekannt, dass es schlecht abschneidet, wenn es um die Chancen von Arbeiterkindern oder Migranten geht. Das Gymnasium war Distinktionsmerkmal des Bürgertums, und das ist trotz Verbreiterung der Schicht so geblieben. Ein Bildungssystem sollte es sich nicht leisten können, jemanden verloren zu geben. Unseres tut dies regelmäßig mit einem großen Teil derjenigen, die von der allgemeinen Schulpflicht erfasst werden.

Gerne wird abgewinkt: Das Problem seien nicht unsere Institutionen, sondern DIE. Seltsam, dass es in anderen Ländern anders aussieht, und zwar bei Einwanderern aus denselben Ländern. Voreingenommen sagen viele, es sei schon alles recht "bei uns", nur dass DIE ihre Bringschuld nicht bringen. Die wollen sich nicht integrieren, wollen nicht lernen, ist irgendwie deren Kultur. Manche, wie Regina Mönch von der FAZ, halten mit ihren Ressentiments nicht hinterm Berg. Jetzt kommen sie wieder mit der Hauptschule, dabei ist doch klar, dass die Türken und Araber ein Problem sind. Oder in der Art Sarrazins: Deutsche und türkische Unterschichten sind wirtschaftlicher Ballast, die kann man nur zwingen. OSZE, was kümmert das uns. Mia saan mia.

Diese Feistigkeit lässt sich zwar auch gelegentlich mit Statistiken bzw. der Kritik schlechten Gebrauchs von Statistiken erschüttern. Aber vielleicht noch wichtiger ist, an Einzelfällen zu sehen, was "bei uns" systematisch nicht stimmt, welche Bringschuld das deutsche Gemeinwesen verweigert.

Ein Fall

Es geht um D., 24 Jahre, deutsche Staatsbürgerin und in Berlin als Tochter von Einwanderern aus der Türkei geboren. - Was haben diese Eigenschaften mit D. zu tun? Was kümmert's mich, ob sie Deutsch-Türkin, türkisch-deutsch, türkischstämmige Deutsche, Migrantenkind ist? Keines dieser Wörter ist neutral, denn sie werden verwendet, weil 'Herkunft' als ein so wichtiges Merkmal angesehen wird. "Mein Zahnarzt ist auf Inlays spezialisiert. Er ist Jude." Ist ein bisschen merkwürdig, nicht? "Mein Zahnarzt ist auf Inlays spezialisiert. Er ist Türke." klingt ganz normal. Hat Deutschland wirklich seine antirassistische Lektion aus den Greueln der Nazi-Zeit gelernt? Teils-teils, möchte man sagen. Warum stört bei deutschen Straftätern die Straftat, bei 'ausländischen' Straftätern das Faktum der Herkunft? Weil DIE eigentlich nicht her gehören und dafür, dass man sie hier duldet, besonderes Wohlverhalten und besonderen Assimilationswillen an den Tag legen sollen. Als 'ethnisch Deutscher' darf ich gottlob die Assimilation verweigern und mich in Berlin weiter wie in meinem Dorf benehmen. D. ist also, um es kurz zu machen, eine normale junge Berlinerin. Der Vater war Facharbeiter, die Mutter hatte zeitweise ein Blumengeschäft. Beide waren von Anfang an auch in Vereinen engagiert und sprechen gut deutsch.

Zurück zu D.'s Geschichte:
D. ist überdurchschnittlich intelligent, will aber nach dem Erwerb der mittleren Reife nicht mehr zur Schule gehen. Sie hält sich mit Minijobs über Wasser, besucht vorübergehend eine freies Gymnasium, in dem sie sich allerdings unwohl fühlt. Sie wäre nicht die erst und nicht die letzte Heranwachsende, die vorübergehend orientierungslos ist. Auch in den Jahren des Sich-Durchwurstelns lernt sie viel. Mit ihrem Freund verbringt sie ein halbes Jahr in Syrien, lernt dort Arabisch und macht ein Praktikum beim UNHCR-flüchtlingsprogramm.

Schliesslich wird ihr klarer, was sie tun will. Sie will eine Ausbildung als Erzieherin machen, wobei sie gerade in Berlin mit ihren beiden Muttersprachen, sowie dem Arabischen viel anfangen könnte. Für eine solche Ausbildung wird ein Abitur oder mindestens drei Jahre regelmäßiger Berufstätigkeit verlangt. Aus diesem Grund und weil sie die Option auf ein späteres Studium haben möchte, will sie nun doch die allgemeine Hochschulreife erwerben. In Berlin ist das Abitur im zweiten Bildungsweg aber nur denen zugänglich, die entweder eine abgeschlossene Berufsausbildung oder aber drei Jahre regelmäßiger Berufstätigkeit nachweisen können. Erklärt ihr der Schuldirektor und steht auch im Berliner Schulgesetz. Und wie leid's ihm täte, wenn er in ihre schönen dunklen Augen schaue. Glibber, danke. Ohne Ausbildung kein Abitur, ohne Abitur keine Ausbildung? Erst kommt die Wanze und dann die Wanzenordnung, denkste. Und auf der Arbeitsagentur sagte man über eine mögliche Förderung des Abiturs: "Sie hatten ja ihre Chance und haben Sie nicht genutzt." Ja, wenn Geld dahinter wäre, wär's kein Problem, eine Privatschule zu finden. Der verlorene Sohn gutbürgerlicher Eltern kann's immer noch schaffen, D. aber bekommt erst mal eine Bildungshürde vorgesetzt. Wenn du nach drei Jahren Brötchen verkaufen immer noch Abitur machen willst und kannst, sind wir für dich da.


Eine Nachrede


Was haben wir nicht alles gehört in den letzten Jahren: Bildungsoffensive, lebenslanges Lernen, die Wissensgesellschaft. Der mangelnde Bildungswille der bildungsfernen Schichten, das war der Kern vieler Diagnosen unserer Probleme. Wir haben aber kein allgemeines bildungsförderndes System. Sondern noch immer ein Abitur, das für die (erweiterte) Bürgerschicht gedacht ist. Abitur machen mit vom Standard abweichenden Lebensläufen ist ein Luxus, den wir grosszügigerweise unter gewissen Umständen fördern, unter anderen nicht.

Man braucht, um eine Lehrstelle als Schreiner zu finden, in Berlin inzwischen einen guten Realschulabschluss oder ein Abitur. Die achtbaren und anständig bezahlten Berufe für Nicht-Abiturienten werden immer weniger. Ein Hautpschulabschluss in Berlin ist eine Option auf Arbeitslosigkeit. Es kann nicht sein, dass, wer kein Abitur schafft, aussortiert und allenfalls alimentiert wird. Die Würde des Menschen darf ja nicht von Bedingungen an Intelligenz oder den Schulabschlusses abhängig gemacht werden. Es kann aber auch nicht sein, dass man es in einer solchen Lage irgendjemandem erschwert, ein Abitur zu machen. Hurra! und Willkommen! müsste es heißen.

Wie immer es D. ergeht, sie wird ihren Teil zu den entsprechenden Statistiken beitragen. Irgendwer wird sich auf solche Statistiken stürzen und etwas über die Bildung und Erwerbsbiographien von jungen Berlinern oder Menschen mit Migrationshintergrund oder Arbeiterkindern sagen. Was hätte das mit einer jungen Frau zu tun, die als Heranwachsende mit der Schule nicht gut zurechtkam, dann aber wieder etwas werden möchte, und der man es dabei denkbar schwer macht? Wenn man diese Statistken in Einzelfälle aufdröseln könnte, wie oft wohl fände man klare Spuren eines Versagens des Staates und der Gesellschaft? Und der OSZE-Vergleich gibt Grund zur Annahme, dass unser Staat und unsere Gesellschaft in diesen Dingen öfter versagt als Staat und Gesellschaft in Skandinavien. Fürs Protokoll: Unser Staat ist verbesserungswürdig.

Mittwoch, 25. November 2009

Die Sonne dreht sich um die Erde: Störsignale vor Kopenhagen

GALILEI: Ich dachte mir, Sie schauen einfach durch das Fernrohr und überzeugen sich?

DER MATHEMATIKER: Gewiß, gewiß. - Es ist Ihnen natürlich bekannt, dass nach Ansicht der Alten Sterne nicht möglich sind, die um einen anderen Mittelpunkt als die Erde kreisen, noch solche Sterne, die im Himmel keine Stütze haben.

GALILEI: Wie, wenn Eure Hoheit die sowohl unmöglichen als auch unnötigen Sterne nun durch dieses Fernrohr wahrnehmen würden?

DER MATHEMATIKER: Man könnte versucht sein zu antworten, dass ihr Rohr, etwas zeigend, was nicht sein kann, ein nicht sehr verlässliches Rohr sein müsste, nicht?

(Brecht, Leben des Galilei; In der Szene wehrt sich ein tapferer geozentrischer Dissident gegen die heliozentrische Mafia, indem er sich weigert, durch das Fernrohr einen Mond des Jupiter anzuschauen, denn das geozentrische Weltbild duldet keine Jupitermonde. Ähnlich können sich Priester einer automobilen Wirtschaftswachstumsgesellschaft der These eines anthropogenen Klimawandels verweigern, indem sie einfach nicht durch das Rohr schauen. )



Rechtzeitig vor Kopenhagen haben Hacker gestohlene Emails von Klimaforschern veröffentlicht, um zu insinuieren, das von der Wissenschaft vertretene Klimaszenario beruhe auf einer Verschwörung von Fälschern.

Genau das belegen die Emails, deren Echtheit übrigens noch zu bestätigen bleibt, nicht. Sie würden schlimmstenfalls das Fehlverhalten Einzelner belegen und nicht die ganze Klimaforschung diskreditieren.


Die am häufigsten zitierte Formulierung aus einer Email von Phil Jones

I’ve just completed Mike’s Nature trick of adding in the real temps to each series for the last 20 years (ie from 1981 onwards) and from 1961 for Keith’s to hide the decline


enthält womöglich nichts, das nicht bekannt und veröffentlicht wäre, allerdings irritiert die Vokabel "hide". Es ging angeblich um die Verwendung verschiedener Schätzer für die Temperatur und darum, ab 1960 ein Schätzverfahren aus der Breite von Jahresringen nach Keith Briffa, das die Temperatur ab diesem Zeitpunkt gegenüber anderen Schätzern unterschätzt, nicht zu verwenden. Eine sehr lesbare Erklärung (mit Quellenangaben) findet sich hier. Was aber soll man mit "hide" anfangen? Auch bei Wissenschaftlern, noch dazu anhand von gestohlenen und nicht beglaubigten Emails, sollte die Unschuldsvermutung gelten. Harmlose Interpretationen sind wenigstens denkbar. (Natürlich sind solche Interpretationen, wie alle anderen auch, konstruiert, aber es sei eine als Beispiel erwähnt: In einer Situation, in der sich die "Klimawandel-Leugner" auf jedes isolierte Datum stürzen, das ihnen in den Kram passt, will man die vermutlich fehlerhaften Jahresring-Daten möglichst gar nicht verwenden und "verstecken". Es wäre nämlich voraussehbar, dass sie jemand trotz der erläuterten Fehler, gerade diese Daten zum Beleg für eine andere Klimaprognose erheben würde, obwohl isolierte Daten gerade das niemals sein können. So ein Verhalten wäre keine besonders gute wissenschaftliche Praxis, aber eben auch keine schwerer Betrug.)


Andere der veröffentlichten Fetzen zeigen Wissenschaftler, die zugleich in einer politischen Polemik stecken, ob sie wollen oder nicht, und die selbst schon etwas zu sehr Politiker geworden sind, um bei ihren Publikationen nicht schon an deren Rezeption durch 'Freunde' und 'Feinde' zu denken. So kann es dann auch zu Selbstzensur gekommen sein, um den 'Feinden' kein Futter zu geben, kleinen Akten wissenschaftlicher Unredlichkeit. Derlei ist nicht fein, macht aber keineswegs das Werk von Tausenden von Wissenschaftlern zur Fälschung (und bedeutet insbesondere kein "Watergate der Klimaforschung", wie Maxeiner schreibt, s.u.) Es ist aber auch schwer, ganz rein zu bleiben in so einer Schlammschlacht, in der einer immer wieder beliebige, auch längst widerlegte Thesen mit dem Gestus des Dissidenten in die Runde werfen kann, und wo interessierte Kreise jeden im Einzelnen begangenen Fehler sogleich zur Diskreditierung des Ganzen heranziehen UND daraus ableiten, dass kein politischer Handlungsbedarf bestehe und man weiter große Motoren bauen solle. Ein Wissenschaftler, der - aufgrund der Forschungslage - die Menschheit vor einem großen Problem sieht, fühlt sich als Weltbürger auch in der Verantwortung, zur allgemeinen Anerkennung dieser Forschung beizutragen. Das kann man verstehen, auch wenn's eine fehlerträchtige Haltung ist, die die Wissenschaft behindern kann.

Vielleicht zeigen andere Fetzen, die ich nicht gelesen habe, gröberes Fehlverhalten etwa von Phil Jones. Damit wäre, wie gesagt, nicht die Arbeit der anderen diskreditiert.

Übrigens muss sich eh noch zeigen, wieviele der Emails, die gerade durchs Netz kursieren, gefälscht sind. Unter den Reaktionen auf die Emails finden sich mancherlei ganz hirnrissige Verschwörungstheorien, etwa ein Link auf eine angebliche Mail von George Soros mit dem Titel "Socialist plan to take over the World", wo er stolz die eigenen Pläne als "climatofascism" bezeichne. Wenn's 'ne dümmere Fälschung gibt, schicke man sie mir.

In einem früheren Post habe ich eine kleine Lanze fürs Zweifeln gebrochen: Nicht jeder Zweifel an etwas, das breit berichtet wird, ist schon eine Verschwörungstheorie. Der Unterschied zwischen beiden ist nicht ganz streng, aber ungefähr zu fassen durch den Umfang der unbegründeten Hypothesen, die man benötigt. Nun sind diejenigen, die den Klimawissenschaftlern "climatofascism" unterstellen, nach diesem Kriterium selbstverständlich ganz üble Verschwörungstheoretiker, denn sie postulieren, dass Tausende von Individuen sich die ganze Zeit auf Lügen verständigen.

Es ist dagegen keine Verschwörungstheorie, sondern eine ganz einfache Hypothese, dass jemand, der es den Kopenhagener Verhandlungen noch schwerer machen möchte, als es eh schon ist, hier echte und falsche Email ins Netz wirft, um Zweifel zu produzieren. Die nervöse Blogosphäre wird's endlos vervielfältigen.

It’s obvious that the noise-generating components of the blogosphere will generate a lot of noise about this


An deutschen Blogs (Achse des Guten), wo es merkwürdigerweise als "liberal" gilt, sowohl für Amerikas Kriege als auch gegen die These vom anthropogenen Klimawandel zu sein, kann man das bereits sehen. Zwar schreibt Maxeiner dort immerhin unter "Echtheitsvorbehalt", trägt aber doch gern zur Verbreitung der Emails und seiner Urteile bei (Semper aliquid haeret?). Er sieht in den Mails - wenn sie echt sind - "das Ende der Glaubwürdigkeit der gegenwärtigen Klimaforschung". Komisch, dass einer, der in seinen Werken über die Klimadebatte lauter nachgewiesene Fehler gemacht hat, Leuten, die ab und an Fehler machen, mangelnde Glaubwürdigkeit (sc: interessegeleitetes Handeln) vorwirft.

Es wäre im übrigen gut, die widerliche Praxis, private Emails zu stehlen, breitete sich nicht aus. Wenn es aber unbedingt noch einmal geschehen muss, wären Maxeiners Emails interessant. Man sähe dann besser, was solche Menschen treibt. Das Streben nach wissenschaftlicher Wahrheit kann's jedenfalls kaum sein, sonst hätte M. ja Wissenschaftler werden können.


p.s. Vor wenigen Tagen stand in der FAZ ein Leserbrief von einem Dr. Soundso, der auch als Klima-Dissident auftrat. Er behauptete, der Meeresspiegel steige im Widerspruch zu den Voraussagen nicht. Leider aber ist er im 20. Jahrhundert um 18 Zentimeter gestiegen, in den zwei Jahrtausenden vor der industriellen Revolution (~ 1800) dagegen höchstens um 2 cm pro Jahrhundert. Das schnellere Abschmelzung der Eisschilde und Gletscher ist auch hinlänglich bestätigt. An der bisherigen Erwärmung beißt die Maus keinen Faden ab, und am Einfluss des Kohlendioxids im Strahlungsgleichgewicht der Atmosphäre ebensowenig. Unklar ist allerdings noch vieles: Weder kann man die lokalen Folgen gut voraussagen, noch weiß man, wie sich die Meeresströmungen und die Niederschlagsverteilung verändern, noch versteht man geologische Prozesse, die Gase freisetzen und binden, gut genug. Da so vieles unbekannt ist, lässt sich jede Prognose nur im Modus der Wahrscheinlichkeit vortragen: Es ist wahrscheinlich, dass sich das Klima, je nach menschlichem Verhalten, so oder so entwickelt. Und so ist es für die allermeisten Prognosen, nach denen man sich richtet. Wie auch immer, es kann doch eh nichts schaden, sparsamer mit fossilen Rohstoffen umzugehen und den Regenwald stehen zu lassen, auch aus ganz anderen Gründen. Wenn die Wissenschaft sich geirrt hätte und das, was sie für wahrscheinlich hält, nicht einträfe, hätte die Menschheit mit solcher Sparsamkeit trotzdem etwas gewonnen. Sie hätte vermutlich einen vorübergehenden Preis an verlorenem "Wirtschaftswachstum" gezahlt, aber wiegt das so schwer, dass man lieber ein großes Risiko einginge? Welcher einzelne Entscheider, der zwischen zwei Politikvarianten wählen kann, würde gerne riskieren, dass (mit "hoher" Wahrscheinlichkeit) die Erwärmung im nächsten Jahrhundert größer wird als mit einer anderen Politik, und im Zweifel die Verantwortung dafür tragen, dass Bengalen ersäuft? Ob Maxeiner et al. auf ihre alten Tage noch als tapfere Dissidenten oder vielmehr als auf Kosten anderer das wissenschaftlich leidlich gut Belegte leugnende Zyniker erscheinen werden, wird sich zeigen.

p.p.s. Etwas Gutes hat der kleine "Skandal" aber doch, wenn er hilft, einen Mangel zu beheben: Alle wissenschaftlichen Primärdaten sollten öffentlich verfügbar sein, damit jeder sie analysieren kann oder mit anderen Messungen nachprüfen kann, ob sie reproduzierbar sind. In dieser Allgemeinheit wird die Forderung nie durchgesetzt werden, da sowohl wissenschaftlicher Ehrgeiz als auch ökonomische Interessen auf Geheimhaltung von Daten aus sind. Aber bei Fragen von allgemeiner politischer Relevanz - wie dem Klimawandel - sollte so viel Transparenz demnächst möglich sein. Diese nötigt außerdem allen Arbeitsgruppen eine saubere Dokumentation der eigenen Daten auf und vermindert so Fehler. (Jeder, der schon mit großen Mengen empirischer Daten gearbeitet hat, weiß, wie leicht man sich mit privaten Datenformaten die Festplatte zumüllt. Und wie aussichtslos es schon nach einem Jahr sein kann, genau zu rekonstruieren was man getan hat. Außer man nötigt sich zu genauen Protokollen und nachvollziehbaren Konventionen...)

Dienstag, 24. November 2009

Good governance under bad conditions?

oder: Wie man Verantwortung verschleiert.

1. Spätfolgen des Kolonialismus

Eine der Modevokabeln im Diskurs über die dritte Welt, besonders Afrika, ist "good governance". Sie hat für uns etwas angenehm entlastendes. Kolonialismus, Imperialismus, unfaire Verträge über Rohstofförderung, niedrige Weltmarktpreise für Afrikas Produkte, schön und gut: Denen ginge es ja viel besser, wenn nicht die Regierungen so korrupt wären, wenn es nicht so viele Kriege gäbe etc.


Mit dem Hinweis auf die fehlende "good governance" können Vertreter ehemaliger Kolonialstaaten, während sie vergangenes Unrecht zugeben, für die Gegenwart ihre Hände in Unschuld waschen. Es klingt dann so wie in Nicolas Sarkozys berüchtigter Rede, gehalten an der Universität von Dakar am 26.7.2007: Die Verbrechen der Vergangenheit (und damit nicht unsere Verbrechen) sind bedauerlich, falsch der Sklavenhandel, falsch die Eroberung Afrikas. Die Kolonialherren haben Verbrechen begangen, aber sie haben auch manches gebracht. Lasst uns nicht über die Vergangenheit reden, sondern über die Zukunft. Ein Ausschnitt im Wortlaut

Le colonisateur est venu, il a pris, il s’est servi, il a exploité, il a pillé des ressources, des richesses qui ne lui appartenaient pas. Il a dépouillé le colonisé de sa personnalité, de sa liberté, de sa terre, du fruit de son travail.

Il a pris mais je veux dire avec respect qu’il a aussi donné. Il a construit des ponts, des routes, des hôpitaux, des dispensaires, des écoles. Il a rendu féconde des terres vierges, il a donné sa peine, son travail, son savoir. Je veux le dire ici, tous les colons n’étaient pas des voleurs, tous les colons n’étaient pas des exploiteurs.

Il y avait parmi eux des hommes mauvais mais il y avait aussi des hommes de bonne volonté, des hommes qui croyaient remplir une mission civilisatrice, des hommes qui croyaient faire le bien. Ils se trompaient mais certains étaient sincères. Ils croyaient donner la liberté, ils créaient l’aliénation. Ils croyaient briser les chaînes de l’obscurantisme, de la superstition, de la servitude. Ils forgeaient des chaînes bien plus lourdes, ils imposaient une servitude plus pesante, car c’étaient les esprits, c’étaient les âmes qui étaient asservis. Ils croyaient donner l’amour sans voir qu’ils semaient la révolte et la haine.

La colonisation n’est pas responsable de toutes les difficultés actuelles de l’Afrique. Elle n’est pas responsable des guerres sanglantes que se font les Africains entre eux. Elle n’est pas responsable des génocides. Elle n’est pas responsable des dictateurs. Elle n’est pas responsable du fanatisme. Elle n’est pas responsable de la corruption, de la prévarication. Elle n’est pas responsable des gaspillages et de la pollution.

Die Kolonisierung ist nicht für alle gegenwärtigen Probleme Afrikas veranwortlich. Sie ist nicht verantwortlich für die blutigen Kriege, die die Afrikaner miteinander kämpfen. Sie ist nicht verantwortlich für die Genozide. Sie ist nicht verantwortlich für die Dikatoren. Sie ist nicht verantwortlich für den Fanatismus. Sie ist nicht verantwortlich für die die Korruption, den Amtsmissbrauch. Sie ist nicht verantwortlich für die Verschwendung und die Umweltverschmutzung.



Mais la colonisation fut une grande faute qui fut payée par l’amertume et la souffrance de ceux qui avaient cru tout donner et qui ne comprenaient pas pourquoi on leur en voulait autant.

La colonisation fut une grande faute qui détruisit chez le colonisé l’estime de soi et fit naître dans son cœur cette haine de soi qui débouche toujours sur la haine des autres.


Dass der Kolonialismus nicht allein veranwortlich für irgendwelche Missstände ist, geschenkt, niemand behauptet das. Aber mit verantortlich ist er gerade für die Dikatoren, die Kriege, die Genozide, die Umweltverschmutzung und die Korruption. Beispiele für diese Mitschuld sind wohlbekannt...

Die Hutu und die Tutsi wurden durch europäische Kolionalherren, die etwa (die Belgier) in den Tutsi eine "überlegene Rasse" sehen wollten und mit ihrer Hilfe eine indirekte Herrschaft ausübten, langfristig regelrecht aufeinandergehetzt. Ob es "sowieso passiert" wäre, ist eine in der Geschichtsschreibung meist nicht zu beantwortende Frage. Im Konflikt zwischen Hutu und Tutsi haben die Europäer (Belgier und Franzosen) eine ethnische Entgegensetzung ideologisch, ökonomisch und politisch verstärkt, das sollte für eine Mitschuld reichen. Vor Gericht in den Haag stehen nur Personen, denen eine Einzelverantwortung zugerechnet werden kann. Jene historische Verantwortung wird zwar nur von Historikern, nicht von Gerichten untersucht, Verantwortung ist es dennoch.

Und es geht nicht nur um Spätfolgen des Kolonialismus,auch nach der Unabhängigkeit der Kolonien gab es politische und ökonomische Einmischung. Bei wie vielen durch Militärputsch an die Macht gekommenen Diktatoren hatten ehemalige Kolonialherren die Finger drin? Wie viele große Konzerne haben Politiker bestochen? (Man lese sich etwa in der deutschen Wikipedia den Abschnitt Elf Aquitaine und die Politik durch.)
Ja sehen sie, wir müssen Politiker bestechen, um Geschäfte machen zu können. Das machen alle.


2. Folgen gegenwärtiger Kilmaveränderungen


Mit dem Hinweis auf "bad governance" lässt sich aber noch eine ganz andere Dimension der Verantwortung zu Brei reden. Wenn große Gebiete Afrikas durch klimatische Veränderungen weniger Menschen ernähren können, wird es zu Verteilungskämpfen und konfliktträchtigen Bevölkerungswanderungen kommen. Man muss kein Prophet für solche Aussagen sein, denn ein Zusammhang zwischen Temperaturen und blutigen Konflikten ist für die Subsahara im Zeitraum 1980-2002 belegt (s. die Meldung der BBC über die in den Proceedings of the National Academy of Sciences (US) erschienene Untersuchung). Die Klimaprognosen lassen nun für die Zukunft immer mehr solcher heißen Jahre erwarten, und die Gesamtheit der uns verfügbaren Modelle besagt leider, dass die menschliche Aktivität eine Hauptursache dieses Klimawandels ist. Aus bequemen Sesseln und Klimazonen hört man immer wieder Stimmen, die aus den möglichen Mängeln der Modelle den Schluss ziehen, alles sei ganz anders, und wenn sich das Klima schon wandele, seien wir nicht verantwortlich. Dafür mögen sie einzelne Belege aus dem das Gegenteil suggerierenden Zusammenhang reißen, über's Niveau der Flat-Earth-Society kommen sie nicht hinaus. Dieses bequeme Sitzen-in-Sesseln beruht auch darauf, dass es die gemäßigten Breiten nicht so furchtbar trifft. Gefahr ist im Verzuge, aber weniger für uns als eben für Afrikaner. Wieviel "good governance" gäbe es wohl hier, wenn's Fressen knapp würde? Na, jedenfalls ist unser Interesse an Autoproduktion noch größer als unsere Angst vor dem Klimawandel. Im Vorfeld der Kopenhagener Konferenz findet denn auch ein großes Tauziehen um wirtschaftliche Interessen statt. Eine Vereinbarung wird nur dann möglich, wenn sie dem jeweiligen Wachstumscredo nicht widerspricht. Wie aber weitergewachsen werden soll, ohne die Kohlendioxidemissionen zu erhöhen, weiß bisher niemand.

Wenn das nächste besonders heiße Jahr in Darfur von größeren Gemetzeln begleitet wird, können wir wieder nur unsere weißen Hände ringen. Bad governance, fanatischer Islam. Und zuwenig Wasser.

Dienstag, 17. November 2009

Der kalte Krieg ist (nicht) vorbei

PRIMO

Der kalte Krieg, einige erinnern sich an die Schulbücher: Blaue, irgendwie beruhigende Soldaten auf der linken, viel mehr rote bedrohliche Soldaten auf der rechten Seite. Zur Vernichtung eines großen Teils der Menschheit waren beide Blöcke in der Lage. Dass der kalte Krieg nur in der dritten Welt gelegentlich heiß wurde, sonst aber kalt blieb, ist, äh, erfreulich. Dennoch muss man auch im Rückblick nicht schönlügen, wie NATO und Warschauer Pakt jeweils Weltvernichtungsmaschinen gebaut und damit die Welt aufs Spiel gesetzt haben. Si vis pacem, para bellum, schon gut. Aber was, wenn's schief gegangen wäre? Und es kann ja immer noch, Doktor Seltsam.

Beide Seiten haben aufgerüstet, immer wieder. Und beide Seiten haben behauptet, nur nachzurüsten, um die Abschreckungslücke zu stopfen. Wann sie das selbst glaubten, wann nur vorgaben, scheint noch immer unklar. Es ist recht komisch, wenn ausgerechnet in der alten Tante taz (4.11.2009) Bettina Gauss schreibt, dass manche Deutsche früher den USA die Nachrüstung übel genommen haben. Das Faktum heißet aber Aufrüstung , die Vokabel Nachrüstung ist jedoch nur eine Rechtfertigung dieses Faktums, eventuell spin. Und wer die Pershings nicht mochte, der mochte keine Aufrüstung mit furchtbaren Waffen, egal ob Nach- oder Vor-.


SECUNDO

Der Kultur-Staatsminister Bernd Neumann hat, wie die ZEIT berichtete, in einer Ausstellung über Fremde einen Text, der die Abschottung Europas gegen Flüchtlinge erwähnt durch einen Satz über die Bemühungen der Bundesbehörden um "Integration" ersetzt:

Der ursprünglich vorgesehene Text hatte mit den Sätzen geendet: »Neue Gesetze über Staatsangehörigkeit und Zuwanderung schufen erst seit der Jahrtausendwende die neuen Rechtsgrundlagen. Während innerhalb Europas die Grenzen verschwinden, schottet sich die Gemeinschaft der EU zunehmend nach außen ab. Die ›Festung Europa‹ soll Flüchtlingen verschlossen bleiben.« In der nun ausgestellten Version fehlen die letzten beiden Sätze. Stattdessen steht da nun die staatliche Bekanntmachung: »Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fördert seitdem staatlicherseits die Integration von Zuwanderern in Deutschland.«


Der selbe Bernd Neumann hat sich in einer Rede im Mai 2009 gegen die "Verharmlosung" des DDR-Unrechts vewahrt, die in der Weigerung liege, die DDR als "totalen Unrechtsstaat zu verdammen". (Das bezog sich auf die Äusserung eines Ministerpräsidenten.) Was bedeutet: Weil es in der DDR systematisches Unrecht gab, muss man sie als TOTALEN UNRECHTSSTAAT verdammen. Die merkwürdige Auffassung von der Vokabel "total" zieht leider nach sich, dass auch die BRD, wenn sich in ihr systematisches Unrecht fände, als totaler Unrechtsstaat gelten müsste; es findet sich, gewiss. Aber an das z.B. Flüchtlingen in Kettenduldung oder durch Abschiebung angetane Unrecht dachte Neumann selbstverständlich nicht, auch andere sollten nicht daran denken. Wir sind die Guten, böse aber war die DDR. Dazu nochmal die ZEIT


Besonders skandalös ist der politische Eingriff in die Arbeit des Deutschen Historischen Museums (DHM) vor dem Hintergrund der Geschichte dieses Hauses. Das zu DDR-Zeiten im Zeughaus angesiedelte Museum für Deutsche Geschichte unterstand direkt dem ZK der SED. In der Gründungsphase des bundesrepublikanischen DHM hatten sich die beratenden Historiker – darunter Lothar Gall, Jürgen Kocka, Michael Stürmer und Richard Löwenthal – die Unabhängigkeit des neuen Nationalmuseums von den Einflüssen der Politik ausbedungen. Bisher hatte sich das Museum, soweit bekannt, diese Unabhängigkeit bewahren können. Nun scheint der Druck aus der Regierung zu stark gewesen zu sein. Das Bundesministerium hat mit dem Akt der Zensur nicht nur das Grundgesetz missachtet, es hat auch dem Museum geschadet. Ein Museum, dem ein Ministerium die Sicht auf die Dinge vorschreibt, kann man nicht ernst nehmen. Für Staatspropaganda, wenn man sie haben wollte, gibt es in dieser Republik das Bundespresseamt.


Die Dementis, die folgten, dementierten übrigens nicht den Vorgang, sondern seine Benennung. Es habe keine Zensur stattgefunden, sondern es seien lediglich "Anregungen dankbar aufgenommen worden." Stimmt, wo man sich kennt und sich hilft, wo Anerkennung ein wichtiges Kapital ist, braucht man gar keine Zensur.

Die Änderung war übrigens auch leicht dümmlich. Der neue Text passt nicht an diese Stelle, was schon, Wochen bevor diese kleine Zensur/Einflussnahme bekannt wurde, einer Freundin auffiel, die sich fragte, was wohl in den Erstellern dieser Tafeln vorging und welchen Vorgaben sie folgten. Jetzt wissen wir's


TERTIO

Wollte die UDSSR nicht gewaltsam in Afghanistan ein ihr genehmes Regime aufrechterhalten, das, wenngleich kommunistisch, auch in unserem Sinne moderner gewesen wäre als die Herrschaft reaktionärer Stammesführer? Es misslang, auch weil die USA die Mujaheddin mit Waffen unterstützte. Damit diese "für ihre Freiheit" kämpfen konnten. Damit kämpften sie gleichzeitig u. a. für die Scharia und ihre jeweilige Machtinteressen.

Der Erfolg des westlichen Versuchs, eine ihm genehme Regierung an der Macht zu halten, ist ebenfalls zweifelhaft.

Acht Jahre nach Beginn des internationalen Engagements in Afghanistan zog Guttenberg in Kabul eine gemischte Bilanz.


Das Zentralkomitee der KPdSU zog ebenfalls eine gemischte Bilanz. Damals, im kalten Krieg, war jedoch die UN de facto blockiert, so dass es eben keinen die Invasion nachträglich rechtfertigenden Sicherheitsratsbeschluss geben konnte. Jetzt gibt es einen (recht fahlen) Schein des Rechts.

Der eine Krieg wird aber mit dem anderen nur von "notorischen Radikalen" verglichen, ansonsten herrscht die Sprachregelung des kalten Kriegs. Der UDSSR ging es nur um Macht, uns nur um Werte. Den Gegnern der UDSSR ging's nur um die Freiheit, unseren (teilweise just denselben) nur um böses und rückständiges Zeug.

Wie ähnlich oder unähnlich sich die beiden Kriege sind, wird man erst viel später beurteilen können, wenn überhaupt. Jetzt herrscht Propaganda, immerhin hier mit einem teilweise anderen Vokabular als weiland in der Sowjetunion. Guttenberg spricht von "Benchmarks" für die Ziele des Kriegs, der nicht so genannt werden darf. Benchmarks, Controlling, Quality Management. Wow. Wird aber geschossen, werden Ärmchen abgerissen und Beinchen. Benchmark, mon cul.

Samstag, 7. November 2009

Literaturkritikritik. Warum Felicitas von Lovenberg Claudio Magris den Friedenspreis nicht gegeben hätte.

Claudio Magris erhielt im Oktober 2009 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Felicitas von Lovenberg (FAZ) passt das nicht. Magris sei ein so verdienstvoller Autor und habe schon so lange für den Preis nahe gelegen, dass die jetzige Entscheidung für Magris "in ihrer Einfallslosigkeit schon wieder kühn anmute".

Mal geschenkt, dass diese pseudodialektischen Formulierungen à la "Die Suppe schmecke so schlecht, dass sie schon wieder gut schmecke" ganz und gar einfallslos sind, und dass mir jemand, der sich so äußert, eher einfallslos und abgeschmackt, nicht aber kühn vorkommt. Welchen Preisträger hätte sich FvL denn gewünscht? Einen "zeitgemäßeren" anscheinend, wobei die drängenden Fragen der Zeit etwa mit Iran, Israel, der Weltwirtschaftskrise zu tun hätten.

Ihre kleine Liste der Bedrohungen und Katastrophen ist aufschlussreich durch Abwesenheiten: Westliche Staaten führen Krieg in Afghanistan und dem Irak. Eine Art Kulturkampf findet statt, der Verunglimpfungen von Türken, Arabern, Muslimen salonfähig macht. Im Durchschnitt ertrinken täglich drei afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer, und diejenigen, die es lebendig nach Europa schaffen, haben kaum eine Chance, als Flüchtlinge anerkannt und aufgenommen zu werden, so dass ihnen nur die Klandestinität bleibt, in der sie erpresst und ausgebeutet werden: In der ganzen EU putzen sie Klos und ernten sie Gemüse.

Jeder macht bekanntlich andere Listen, weil nun mal jedem anderes wichtig ist. Die Lovenbergsche Liste enthält aber kein einziges Problem, das der deutschen (europäischen, westlichen) Gesellschaft ein schlechtes Gewissen bereiten müsste, die zweite dagegen ausschließlich solche Probleme. Der Stiftungsrat habe "die Chance vertan, den Friedenspreis wieder zu einer Auszeichnung zu machen, mit deren Träger sich die Leser wirklich beschäftigen", so FvL. Hätte es also ein Autor sein sollen, der dadurch Aufmerksamkeit verdient, dass er sich mit einem Thema befasst, das gerade in Mode ist und das uns in kein schlechtes Licht setzt?

Nun ist Magris kein besonders politischer Autor, aber auch nicht ganz unpolitisch. Wenn man so etwas wie ein "Thema" ausmachen würde, dann wäre es ein Leben in kultureller und sprachlicher Vielfalt, mit Toleranz und Neugierde, und eben auch dessen Bedingung, der Friede. Magris hat in seiner Dankesrede vor teilweise verkrampften Gesichtern von den vielen Kriegstoten seit dem zweiten Weltkrieg ("der dritte Weltkrieg hat stattgefunden"), von der Abwehr von Flüchtlingen, der Ausgrenzung von Einwanderern und in einer Anekdote vom neuen Antiislamismus gesprochen. Von der zweiten Liste also, nicht von der Lovenbergschen. Es war, wie nicht anders zu erwarten, eine gelehrte, zitatenreiche und teilweise langweilige, dennoch gute Rede. Dieselben Eigenschaften schätze ich an seinen Büchern, ja, auch die Langeweile, ich lese hin und wieder darin, aber nie viel auf einmal. Sicherlich wird so ein Werk nicht eine große "Aufmerksamkeit, die zur Diskussion einlädt" erhalten, aber wieso ist das ein Mangel? Die Diskussion im Talkshow-Format, die ein Thema im Zeitfenster der höchsten Aufmerksamkeit durchhechelt und danach vergisst, trägt kaum zur Humanisierung bei. Ob bei solchen Diskussionen auch literarische Werke zitiert werden, spielt keine Rolle. FvL überschätzt offenbar die Literatur, wenn sie ihr eine solche Wirkung auf Diskussionen zutraut. Andererseits unterschätzt sie die so gar nicht spektakuläre Möglichkeit, dass humane Bücher den einen oder anderen stillen Leser etwas humaner machen.

Vielleicht ist es ganz anders: FvL kann Magris Bücher nicht leiden und gönnt ihm deshalb den Preis nicht. Das wäre recht, ein mögliches Urteil. Stattdessen aber (schleimiges) Lob "Es ist besonders bitter, diese Entscheidung kritisieren zu müssen, da sie einen allseits geschätzten Autor ehrt. Claudio Magris, dieser elegante, mit seinem historischen, geographischen, soziologischen und literaturwissenschaftlichen Wissen spielende Assoziationsakrobat von der adriatischen Küste...." Was sie da lobt, ist aber gerade das bei Magris Problematische, denn so überbordende Gelehrsamkeit lässt sich nur von wenigen in großer Dosis ertragen. Mir scheint, man muss sich nicht vor so viel Wissensautorität verbeugen, um schätzen zu können, dass es auch solche Literatur gibt, die man nicht immer, aber ad ore incerte lesen mag. Die Hypothese, dass FvL Magris' Bücher eigentlich nicht leiden kann, ist noch nicht verworfen - "... eine von alteuropäischem Habitus getragene Detail- und Beobachtungsfülle, die beeindruckt, aber auch ermüdet".

Beinahe könnte man die Entscheidung des Stiftungsrats "kühn" nennen, weil nämlich die Reaktion eines mode- und eventorientierten Feuilletons "voraussehbar" war. Eine Literaturkritik, die nach zeitgemäßen Themen ruft, ist leider nur ein Wurmfortsatz des Spektakels, das die Literatur zwar immer begleitet hat, aber "vergeht wie die Spreu im Wind." Wirklich kühn ist jedoch ein Preis für einen Autor, den Bildungshuber aus Prinzip nicht ablehnen können, auch wenn sie ihn nicht lesen, nicht. Verdient hat er ihn nicht weniger als die anderen Preisträger und mehr als manche.

Donnerstag, 5. November 2009

Menschenrechte einerseits und andererseits

Einerseits wurde der Kosovo-Krieg als humanitäre Intervention deklariert. Die Dringlichkeit der Intervention wurde durch (mindestens) zwei Lügen gestützt, nämlich das Massaker von Racak und den Hufeisenplan, die es beide nicht gegeben hat. Es wurden erfundene Opferzahlen durch die Medien gejagt, um jeden Gegner des Kriegs als einen zynischen Appeaser dastehen zu lassen. Die meisten Todesfälle, auch bei den Albanern, gab es aber erst nach Beginn der Luftangriffe. Die "humanitäre Notlage" begründete nicht etwa einen humanitären Einsatz, sondern einen militärischen, das behauptete man aus Bosnien gelernt zu haben. Wie man Menschen im Kosovo hilft und die Lage deeskaliert, indem man Luftangriffe auf Belgrad fliegt, bleibt ein Rätsel. Trotz aller Ungereimtheiten gilt den neuen bellizistischen Grünen, der SPD, der CDU, Blairs Labour Party und der NATO der Einsatz als Musterbeispiel eines aus humanitären Gründen geführten Krieges, der die "Handlungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft" bezeugt.

Nehmen wir das einmal an, versuchen wir, zu glauben, dass das Gebot "zu helfen" zivile "Kollateralschäden", den Bruch des Völkerrechts und die Eroberung eines Gebiets als Protektorat rechtfertigt. Dann müsste aber noch viel zwingender sein, bedrohte Menschen als Flüchtlinge aufzunehmen. Den Verfolgten zu helfen, ohne Kollateralschäden in Kauf zu nehmen und irgendwas kaputtzubomben, das sollte von denen, die den Krieg gerechtfertigt haben, selbstverständlich anerkannt werden.

Andererseits...

Tja, als der Krieg vorbei war, begann man mit der Abschiebung der Kosovo-Albaner. Freilich, man verlängerte Duldungen und setzte die Abschiebung aus, aber abgeschoben wurde letztendlich doch, obwohl die Kosovo-Albaner nicht viel haben, in das sie zurückkehren könnten. Ein kaputtes Haus vielleicht in einem maroden Land. Für die Albaner Bomben werfen, das ist anscheinend recht, aber sie willkommen heissen, never ever.


Die Roma aus dem Kosovo hat man bisher "geduldet", mehr nicht. Dazu eine Mitteilung des Flüchtlingsrats Niedersachsen
In Folge des Krieges leben die Minderheiten in klar
abgegrenzten Gebieten oder Enklaven. Armut
und Diskriminierung gehören nach wie vor zum
Alltag. Die Arbeitslosigkeit für Roma liegt bei über
90 Prozent. Hinzu kommt der Ausschluss vom
sozialen Sicherungssystem und von ärztlicher
Behandlung. Von einem "Leben in Sicherheit und
Würde" – dieser Terminus wurde in den ersten
internationalen Abkommen zur Befriedung des
Kosovo verankert – kann keine Rede sein, und es
gibt keine Anzeichen, dass sich die Lage der
Roma in naher Zukunft verbessern wird. Im März
2004 wurden erneut mehrere Tausend Roma zur
Flucht gezwungen, als im Kosovo eine neue
Welle ethnischer Gewalt ausbrach. Bis heute
werden Roma im Kosovo ausgegrenzt und
diskriminiert (siehe hierzu u.a. den Bericht des
Menschenrechts-beauftragten der Europäischen
Kommission, Thomas Hammarberg, aus März
2009). Erst vor wenigen Wochen kam es im
Osten Kosovos erneut zu Ausschreitungen, bei
denen mehrere Roma verletzt wurden.
Etwa 23.000 der geflüchteten Roma leben
heute in Deutschland – nur mit einer Duldung.
Bis November 2008 hat die UN-Verwaltung in
Kosovo (UNMIK) Abschiebungen von Roma und
Serben in den Kosovo verhindert. Nun hat sich die
neue kosovarische Regierung unter politischem
Druck aus Deutschland und anderen europäischen
Staaten in einem "Rücknahme-Abkommen"
bereit erklärt, auch Roma-Flüchtlinge wieder
aufzunehmen.
Es ist zu befürchten, dass diese Zusage von
deutscher Seite genutzt werden wird, um alle
geduldeten Roma zu deportieren.
Das Abschiebungsabkommen betrifft auch
Menschen, die mehr als zehn Jahre in
Deutschland leben, darunter Kinder, die hier
geboren sind, und die außer Romanes nur
deutsch sprechen.