Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Montag, 31. August 2009

Wahlkampf - Zeit der Vergesslichkeit I

Die Sprüche auf den Plakaten stehen in so großem Widerspruch zu dem, was man weiß, dass man über die Dreistigkeit der Politiker verwundert wäre, wüsste man nicht, dass sie den Wahlkampf Werbeagenturen überlassen.

Frau Schavan etwa schaut mit einem an ein Lächeln gemahnenden Gesichtsausdruck von Plakaten, auf denen steht „Wir haben die Kraft für Bildung“. Merkwürdig sowieso die Formulierung von der „Kraft“ (und der Herrlichkeit, in Ewigkeit?), wo man doch einen guten Willen, gewisse Überzeugungen, Kenntnisse, Fähigkeiten, die Bereitschaft, Fehler zu korrigieren als politische Tugenden wünschen würde, nicht aber „Kraft“. Wie steht es aber mit der Bildungsbilanz der Ministerin Schavan, dem „Hochschulpaket“, den „Reformen“?

Dazu schrieb am 23 Juli 2009 Bernhard Kempen (Präs. d. dt. Hochschulverbands, Staats- und Völkerrechtler in Köln) in der FAZ:

"Licht und Schatten liegen bei all dem eng beieinander. Die beiden Hochschulpakte schreiben die Unterfinanzierung der Hochschulen lediglich fort. 5500 oder 6500 Euro, die in den Hochschulpakten jährlich für einen Studienplatz veranschlagt werden, bleiben unter den bisherigen Ausgaben der Hochschulen, die im Jahre 2005 immerhin 7180 Euro pro Studienplatz betrugen. Der vom Wissenschaftsrat auf über 30 Milliarden geschätzte Sanierungsstau ist so immens, dass die Baumittel aus dem Konjunkturpaket weitgehend verpuffen werden. Die Vorgabe des Dresdner Bildungsgipfels vom Oktober 2008, vom Jahr 2015 an zehn Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung zu investieren, erscheint auf absehbare Zeit nicht realisierbar. Es bleibt zwiespältig: Einerseits ist am Kernübel des deutschen Bildungssystems, seiner Unterfinanzierung, wenig geändert worden. Andererseits muss es hoffnungsvoll stimmen, dass Schavan nicht ohne berechtigten Stolz darauf verweisen kann, keine Bundesregierung habe in der Geschichte dieser Republik so viel Mittel in Forschung und Lehre investiert wie die noch amtierende. [...]

Schavans Augenmerk galt primär der außeruniversitären Forschung. Zwar pries die Bundesministerin in Interviews den Eigenwert von Bildung. Konkrete Bedeutung für ihre Handlungsweise hatten solche Aussagen aber nicht. Im Gegenteil: Oberste Richtschnur blieb die ökonomische Verwertbarkeit des Wissens. So wurde ein "Hightech-Strategie" ins Leben gerufen und die Forschungsförderung auf anwendungsorientierte, marktgängige und zukunftsweisende Bereiche konzentriert.

Bei Studienanfänger- wie Studienabschlussquoten blieb die Ministerin auf die Arithmetik der OECD-Statistiken fixiert. Qualitätabstriche an der universitären Ausbildung nahm sie zur Kenntnis. Als der Deutsche Hochschulverband nachweisen konnte, dass in der Dekade von 1995 bis 2005 rund 1500 Universitätsprofessuren ersatzlos gestrichen worden waren, verwies sie auf die vermeintliche Kompensation durch den Aufbau von Fachhochschulprofessuren. Hinweise, dass nur die Universitäten eine sich aus der Forschung ständig erneuernde Lehre bieten können, beeindruckten die Ministerin kaum. [...]

Viel zu weit ließ sie schließlich den Bologna-Zug in eine Sackgasse fahren. Während die Studienabbruchquoten stiegen und die Studienmobilität sank, kamen aus Berlin nur Jubelmeldungen und Durchhalteparolen. Schavan, die ehemalige Leiterin des Cusanus-Werkes, fand zunächst kein offenes Ohr für den Frust der Studierenden über das Bulimie-Lernen. Stattdessen folgte sie ihren politischen Reflexen und zeigte den Betroffenen fast bis zum Schluss die kalte Schulter. Es gab kein reflektierendes Wort über die Vereinbarkeit des christlichen Menschenbildes mit der zunehmenden ökonomischen Verzweckung des Studiums, keine Auseinandersetzung der studierten Philosophin mit der Sinnhaftigkeit von studentischen "workloads" mit 40-Stunden-Woche, keine Mahnung, den Bildungsauftrag der Universitäten nicht ihrem Ausbildungsauftrag (gänzlich) zu opfern.

[...]

... die eine gute Forschungsministerin, aber keine Bildungsministerin war."


Immerhin hat das frühere, freiere Studium auch unreflektierte Philosophie-Absolventinnen wie die Schavan hervorgebracht, war demnach so gut auch nicht. Andererseits sollte man die Begabung für ideologische Verblendung, die sich manchal, aber nicht immer, im Theologiestudium zeigt, nicht der damaligen Hochschule, sondern allein ihr, Schavan anrechnen.

Friedemann Vogel (Doktorand in Sprachwissenschaft, Heidelberg) schrieb in derselben Ausgabe der FAZ:

"Wer aus einem "bildungsfernen" Haushalt stammt, wagt immer seltener ein Studium: Zu groß sind die Ängste vor Überschuldung durch Studiengebühren bei einem "sozialen", bei 6,5 Prozent liegenden KfW-Kreditzins und den Risiken auf dem unsicheren Arbeitsmarkt.

[...]

Die Geförderten [Stipendien] kommen dem neuesten Bericht des Hochschul-Information-Systems (HIS) zufolge "überdurchschnittlich häufig aus hochschulnahen" und besserverdienenden Familien. [...]

Doch aus der chronischen unterfinanzierung der Bildungseinrichtungen entstehen noch schwerwiegende Probleme. Deutschlands Anteil der Bildungsausgaben an den Gesamtsausgaben des Staates beträgt laut OECD-Bericht 2008 knapp 10 Prozent (OECD-Durchschnitt: 13 Prozent), die Gesamtbildungsausgaben, gemessen an ihrem Anteil am Bruttoinlandsprodukt, sind sogar zurückgegangen (Bildungsfinanzbericht 2008).[...]

Die Studienpläne sind nicht einmal innerhalb eines Bundeslands kompatibel, was die Mobilität der Studierenden massiv beeinträchtigt. [...]

Die Bildungspolitiker bemerken davon nichts, verweisen stattdessen auf ihre Leuchttürme: Die Mittel der Exzellenzinitiative jedoch sind nicht nur befristet, sie kommen ausschließlich der Forschung zugute. Die Lernenden sehen durch die kurzlebige Finanzspritze keine Verbesserung ihrer Situation, eher eine Verschlechterung. Denn die Drittmittelanträge müssen von den bereits ausgelasteten Lehrenden geschrieben werden. Das kostet Zeit, die ihnen in der Lehre fehlt."



Es ist gut, sich in der Kritik nicht auf den Argumentationsstil der Bildungspolitiker einzulassen. Demnach wäre Bildung eine Invesition, deren Rendite ökonomisch zu messen wäre. Und trotzdem kann man "in diesen Zeiten" nicht (also nie) darauf verzichten, auf die wirtschaftliche Abhängigkeit eines hochentwickelten Landes von seinem Bildungssystem hinzuweisen. Das ist aber nicht alles, eine möglichst für alle Teile der Bevölkerung zugängliche übers Ausbilden hinausgehende Bildung wäre ein WERT, den der Wohlstand dieser Gesellschaft zu realisieren erlaubt. Tut sie es nicht, ist sie wohl barbarisch. Schavan ist faktisch eine Barbarin, es ist nicht gut, das unter schleimig-umständlichen Formulierungen zu verbergen. Sie ist damit in guter Gesellschaft. Das gefährliche an einer Argumentation a la Bildungsökonomen ist auch, dass diese auf ihrem Feld, selbst wenn sie unrecht haben, schwer zu schlagen sind. Es findet sich immer eine Studie, die beweisen wird, dass uns der Bachelor fit für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts macht o. ä. „Wir sind Barbaren und haben die Kraft...“, einen gehaltvollen und für eine Demokratie wichtigen Bildungsbegriff zu verraten und das Bildungssystem für eine wieder verstärkt so benannte Unterschicht abzuschotten.

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