Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Freitag, 7. August 2009

Sarkozy kann es nicht hinnehmen

Die Burka ist auf dem Territorium der französischen Republik nicht willkommen. [...] In unserem Land können wir es nicht hinnehmen, dass Frauen hinter einem Maschengitter gefangen sind, abgeschnitten von jedem sozialen Leben, jeder Identität beraubt.


sagte Nicolas Sarkozy im Juni. Dass Frankreich von Burkas überschwemmt würde, kann niemand behaupten. Mit solchen markigen Sätzen, die das Feindbild "Islam" betreffen, kann ein Politiker dennoch punkten, wie unsachlich er dabei auch wird ("Jeder Identität beraubt"?), und wieviel er auch verschweigt.

Wir können es nämlich hinnehmen, dass in "unserem Land" (Frankreich oder auch irgendein ein anderes europäisches Land) Hunderttausende bis Millionen von Migranten und Migrantinnen klandestin von schlecht bezahlter Arbeit leben, abgeschnitten vom sozialen Leben, weil "wir" ihnen die Legalisierung verweigern. Ist ja auch "notre pays" und nicht "le leur". Wir können es auch hinnehmen, dass unsere Kleidung von Asiatinnen für zwanzig Cent pro Stunde, achtzig Stunden pro Woche, genäht wird, die "jedes sozialen Lebens beraubt sind" vor lauter ungerecht bezahlter Arbeit. Aber das ist ja Öknomie, gelt, die Näherinnen sind zwar unterdrückte Frauen, aber nur als Näherin, nicht als Frau unterdrückt, gelt?

Der aufgeklärte Säkularismus, der "jeden nach seiner Facon" selig werden lässt, wird von den Sarkozys zugunsten eines Kulturkampfs fallen gelassen: Der Staat als Erzieher derjenigen, die die falschen Werte haben. Und das sind natürlich die Moslems, nicht Christen, Juden oder Buddhisten. Ob die jeweilige Trägerin einer Burka sich dazu entschieden hätte oder solches nur unter dem Druck patriarchaler Strukturen getan hätte, wäre für die Frage, ob eine Einmischung rechtens wäre, wichtig. "Niemand würde sich aber für eine Burka entscheiden" sagt der gesunde Menschenverstand, der flugs das eigene Urteil extrapoliert. Kürzlich sprach ich mit einer Professorin in Aleppo, gerade weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass eine sich in der Hitze freiwillig komplett bedeckt. (In Aleppo sieht man neben westlich gekleideten und sogar besonders aufgebrezelten Frauen alle Grade der Verschleierung bis hin zur totalen, die nur den Augenschlitz freilässt und noch die Haut der Hände mit schwarzen Handschuhen bedeckt.) Sie teilte mir nun mit, dass, während sie ihr Haar frei trägt und a la francaise gekleidet ist, ihre Schwestern sich für je verschiedene Grade der Verschleierung entschieden haben, dass es ihrem Urteil nach oft eine individuelle Entscheidung wäre. Außerdem teilte sie mir mit, dass vor dreißig Jahren praktisch keine total Verschleierten in Aleppo zu sehen waren, es sich um eine neue Entwicklung handle. Über deren Gründe stellte sie keine Mutmaßungen an. Es sind also nicht "noch" "rückständige" Familienstrukturen, sondern - zum Teil wenigstens - bewusste Rückwendungen auch der Frauen selbst.

Aber das kann doch nicht! Sie entschuldigen es auch noch! Schrecklich!

Aber man muss ja, um etwas als legitime Selbstbestimmung anzuerkennen, keineswegs die Motive nachvollziehen können. Mir ist ja vieles ein Rätsel, was meine Mitmenschen tun. Werde ich FKK verbieten wollen, weilich eher schamhaft bin? Verbieten wir doch nicht nur Habit von Nonnen und Mönchen, sondern die ganzen Orden. Kann man sich denn vorstellen, dass sich einer oder eine freiwillig für komplette sexuelle Enthaltsamkeit, Unterordnung unter eine strenge Hierarchie oder gar lebenslanges fast komplettes Schweigen entscheidet? Tun aber Leute. Es gibt Spielarten des Christentums und des Judentums, die Frauen ganz bestimmte Rollen zuweisen. Verbieten? Dagegen polemisieren? Wir können es nicht hinnehmen, dass Frauen und Männer sich Metalldinger durch die Haut schieben, so dass die intolerante Mehrheit gar nicht umhin kann, sich mit Schaudern abzuwenden und die solchermaßen gezeichneten zu isolieren. Oder?

Sarkozy ist natürlich gar kein Kämpfer für irgendwelche Werte, sondern ein Opportunist, der den dumpf seine Ressentiments bebrütenden Teil Frankreichs, dem entsprechenden Deutschlands nicht unähnlich, bedient. Durch Bevormundung und das Beschwören von Werten, die man gleichzeitig bricht, durch zweierlei Maß also, tut er den Werten nichts Gutes. Sie riechen dann immer mehr nach Imperialismus, nach Herrschaft, Ausbeutung und Krieg, und das haben sie nicht verdient.

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