„In altmodischer britischer Manier möchte ich um Besonnenheit bitten, Die Nachrichten vom unmittelbar bevorstehenden Niedergang Pakistans sind vorschnell.“
In den westlichen Berichten über Pakistan wird das Land zur Karikatur, obwohl diese Berichte zutreffend von wirklichen Problemen dieses Landes sprechen. Der Fehler liegt eher in allem, über das nicht gesprochen wird, dem normalen Leben, das ja grundsätzlich keine Nachricht wert ist. Sobald ein Aspekt als bedrohlich wahrgenommen wird, überstrahlt dessen Beschreibung alles andere, ähnlich ist es ja mit dem Iran oder Syrien. In Aleppo war ich über die vielen bis auf einen Seeschlitz verschleierten Frauen erstaunt, ähnlich ging es Hanife in Karaschi. Und ähnlich bei ihm wie bei mir die Entdeckung, dass das nicht einfach als Resultat einer Unterwerfung verdammt werden kann, als ob sich die verschleierten Frauen nicht auch hätten entscheiden können. Es ist sehr leicht, zu behaupten, für derlei können man sich bei gesundem Verstand gar nicht entscheiden. Jakob Arjouni lässt seinen deutsch-türkischen Privatdetektiv Kayankaya an einer Stelle bemerken, dass Menschen, die von außerhalb Europas kommen, nie „Gründe“ haben, sondern eine „Kultur“. Ja, das ist wohl deren Kultur.
„So schien mir zum Beispiel bei meiner Rückkehr, als ob ein beträchtlicher Teil des Landes beschlossen hätte, sich unter schwarze Hijabs und Burkas zu flüchten. Sie scheuten nicht vor mir zurück, sondern hatten lediglich beschlossen, dass es cool sei, sich zu kleiden wie die Frauen aus der arabischen Wüste.
Die Burkafizierung der pakistanischen Frauen hatte schon Jahre zuvor begonnen. Als Besucher hatte ich immer angenommen, es handle sich um einen Anfall saisonaler Frömmigkeit. Ich bin in einem pakistanischen Dorf aufgewachsen, in dem die erste Burka in den Achtzigern als Zeichen von Unzüchtigkeit betrachtet wurde. Wer sich entschieden hatte, sein Gesicht zu verhüllen, war doch wohl ganz bestimmt abartig oder verbarg irgendeine neue Perversion, die aus irgendeiner großen Stadt gekommen war. Auch meine verstorbene Mutter dachte so.
Wenn ich nach meiner Rückkehr aus London am Strand von Karatschi spazieren ging, steigerte ich mich in selbstgerechten Zorn über diese jungen Frauen, die in schwarzen Burkas am Strand herumhingen, wo sie doch eigentlich in der Schule sein oder in irgendeiner Moschee für unser aller Seelenheil beten sollten. Dann aber sah ich genauer hin und stellte fest, dass viele mit einer Verabredung da waren. Einige knutschten sogar bei helligtem Tage mit bärtigen Männern herum. Wenn man von Kopf bis Fuß mit einer schwarzen Robe verhüllt ist, ist das schon ein Spektakel – eines, das die gerade richtige Mischung von Chance und Herausforderung bietet. Als meine Frau und ich vor ein paar Tagen am Strand spazieren gingen, entdeckten wir ein Paar, das sämtliche Möglichkeiten der Burka erkundete. Er lehnte sich an ein Motorrad, das arabische Meer umfloss ihre Füße.“
Wer, aus dem Westen kommend, keine Phase er Selbstgerechtigkeit durchmacht, ist vielleicht nicht ganz aufrichtig, wer aber in der Selbstgerechtigkeit verharrt, ist recht eigentlich dumm. Denn man muss bloß schauen, fragen und zuhören, um etwas weit Komplizierteres zu sehen als „von Patriarchat und religiösem Fundamentalismus unterdrückte Frauen“. In Syrien habe ich Männer und Frauen nach diesen Verschleierungen gefragt und erhielt übereinstimmend die Antwort, dass es sich unter anderem um eine Mode handelt, die sich ähnlich wie in Pakistan erst seit den 80er oder 90er Jahren verbreitet hat. Mir mag die Mode gerne bizarr vorkommen, das ermächtigt mich doch nicht, zu glauben, sie könnten gar keine Gründe haben. Die hiesigen Moden kommen mir ja oft nicht weniger bizarr vor, nur hatte ich mehr Zeit, mich nolens-volens dran zu gewöhnen.
Hanife bemerkt weiter, dass sich das Leben der meisten um praktische Fragen dreht, um die häufigen Stromausfälle in Karatschi, und lustigerweise um dasselbe auch in Aleppo. Die Bereitschaft, Vorurteile aufzugeben, sollte selbstverständlich sein für einen Journalisten. Aber es gibt so etwas wie Moral-Kartelle in Presse und „Blogosphäre“, die schnell bereit sind, mit Vorwürfen zu kommen, einer sei auf Multi-Kulti-Kuschelkurs, entschuldige Unrecht und Unterdrückung, und sei gerade dadurch hochmütig und kein Humanist, dass er in fremden Ländern auf die hiesigen Maßstäbe verzichte. Der Vorwurf enthält aber oft eine petitio principii. Prämisse: Die Burka ist nicht das Ergebnis von Freiheit, sondern von Zwang und Unterdrückung. Folgerung: Jegliches Verständnis für die Burka rechtfertigt demnach Zwang und Unterdrückung. Nur ist es eben nicht so einfach; die Rechthaber wird's nicht kümmern, dass ihre Prämisse nicht stimmt. Wer die Prämisse nicht teilt, ist halt nur auf Multi-Kulti-Kuschelkurs, etc.
(Hagen Rether: "Ja natürlich Kuschelkurs, was denn sonst?")
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