Aber dass ein Bayer nach Berlin gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt. Weder ethnisch noch religiös gehört der Bayer nach Berlin, ins protestantisch geprägte Preußen.
Der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seine frühere Reaktion auf Wulffs Rede bekräftigt. "Aber dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt." (Quelle: FAZ) Worin, kann man fragen, würde denn ein historischer Beleg dafür bestehen? Die Tatsache, dass Millionen von Muslimen seit zwei Generationen hier leben, genügt ihm anscheinend nicht. Beglaubigt wird Zugehörigkeit anscheinend nur durch Urgeschichte. In Friedrichs Äußerungen zeigt sich der rückständige Ungeist, der die BRD so lange an der lex sanguinis festhalten ließ.
Einige von Friedrichs früheren Äußerungen zu diesem Thema lauten "Dass der Islam Teil unserer Kultur ist, unterschreibe ich nicht.“ Friedrich sagte auch: „Um das klar zu sagen: Die Leitkultur in Deutschland ist die christlich-jüdisch-abendländische Kultur. Sie ist nicht die islamische und wird es auch nicht in Zukunft sein." Nun hat sich der Zentralrat der Juden in Deutschland kürzlich mit guten Gründen gegen diese Vereinnahmung gewehrt. Die meiste Zeit wurden die Juden Europas bekanntlich diskriminiert und verfolgt. In den Antisemitismus flossen ganz verschiedene Elemente ein, darunter auch das 'historische' Argument, sie seien auch nach Jahrhunderten 'orientalische Fremde'. Friedrichs Unsinn hat in einem liberalen, säkularen Rechtsstaat nichts zu suchen. Die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat das erfreulicherweise richtig gestellt. Der neue Innenminister gibt schon bei Amtsantritt einen Ton vor, der ihn für dieses Amt disqualifiziert, auch wenn die Klientel, die Sarrazin, Kelek et al. beklatscht, ihm zustimmen mag. Es handelt sich aber gar nicht um eine Meinung, sondern um Unsinn, der im Widerspruch zum umfassenden Anspruch der Verfassung steht. (Dennoch wird er wohl kaum vom Verfassungsschutz beobachtet werden.)
An dieser Stelle sei auf Patrick Bahners' Buch "Panikmacher" und die von Hilal Sezgin herausgegebene Aufsatzsammlung "Deutschland erfindet sich neu. Manifest der vielen." hingewiesen- Beide Bücher rücken die hässlichen Debatten "über" "den" "Islam" zurecht. Bahners analysiert den ressentimentgeladenen Diskurs, während in der Aufsatzsammlung MitbürgerInnen zu Wort kommen, die das eine gemeinsam haben, in der Debatte zum 'Objekt Moslem' erklärt zu werden. (Der als Antwort auf Sarrazins Buch gedachte etwas abgeschmackte Titel sollte niemanden abschrecken.) Es ist zu wünschen, dass sich diese Bücher ähnlich gut verkaufen wie Sarrazins Machwerk. Wer das Ressentiment bedient, hat aber allemal eine höhere Auflage als wer dagegen angeht. (Wie ja auch die, es sei immer wieder gesagt, schmierige und unwürdige Bild-Zeitung eine höhere Auflage hat als alle anderen überregionalen Tageszeitungen zusammen.)
Wer zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet kann noch jede Ungerechtigkeit rechtfertigen und jedes Feindbild stützen. Ein Maß für unsere Freunde, ein anderes für unsere Feinde. Hier sollen einige Fälle von "zweierlei Maß" dokumentiert werden, ein Wasserträgerdienst an der Gerechtigkeit als wirksamer Idee, auf die sich sogar die verpflichten, die sich an ihr vergehen.
Emil Julius Gumbel
Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.
Samstag, 5. März 2011
And now for something completely different...
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3 Kommentare:
Friedrich ist doch der Minister den sich Minderheiten immer gewünscht haben! Er ist ein Außenseiter, ein komischer Vogel ohne Fähigkeiten und mit Migrationshintergrund (Bayern) dazu. Toll, dass so jemand auch mal einen Job bekommen kann!
(doppelt ist zuviel^^)
Der Friedrich ist, ausländerfeindlich wie viele Sarrazin-Fans in Hamburg oder Berlin - ein Protestant. Die wenigsten im Norden wissen das. Ich leb im Norden und wußte es nicht. Ein bayerischer Protestant.
Der Protestantism hat den Kapitalismus wunderbar vorangebracht. Im heutigen "arm, aber sexy" (style-speak) Berlin ist wie überall der Protestantism nicht mehr so wirksam wie dereinst. Der Kapitalism schon. Die Nachfolger protestantischer Philister sind eher gecoachte Politiker, die in talkshows zur richtigen Zeit dummfrech grinsen können, ob Wowereit, wenn er SPD-Linke wie Schreiner früher derb angriff, Westerwelle oder Rösler, egal.
- Sündige Schäflein, Gott sieht euch!, und wohlgefällig seid ihr, wenn ihr schweinereich werdet, amen! All so rief der Protestantism.
- Aber bitte erfindet eure Sprache neu, denn harsche Worte hören wir nicht gern, amen. (Leut um Mitternacht abschieben merkt ja niemand, amen.)
Heute geht es eher so:
"Der Sarrazin kommt an? Klasse! Dann hau ich doch einen CSU-Spruch raus." Und zur Islamkonferenz, kurz später? Da hat er sich dann "neu erfunden". Da klang Friedrich "moderater", so herrlich neu erfunden, der Friedrich, klasse, neu erfinden, das zieht die Leut an.
Aber fürs Bierzelt wird er sich dann nochmal neu erfinden. Das wundert niemand, seit das Wort es so leicht macht. Nur beachten wird es niemand, weils halt der Friedrich ist, und nicht ein "Popstar". Das ist doch nicht schwer - Vaillant erfindet die Heizung auch immer neu, selbst die Gegner Sarrazins sehen Deutschland "sich neu erfinden" - ein selten dümmlicher Titel, weshalb u.a. leider auch wenige das allzu sehr nach schmeichelnder Werbesprache klingende Buch kaufen. Während der leider nicht Modefloskeln benutzende Sarrazin monatelang Platz 1 der geliebten "rankings" hatte. Vielleicht wär er mit "Rechtsdeutschland erfindet die Genetik neu" unbekannt geblieben? Weiß mans...
Es gibt viele Kritiker Sarrazins. Aber neben herausragenden wiss. Artikeln kein bekanntes, wirklich wirksames Buch gegen diesen abstrusen Unsinn. Der Titel des Gegenbuchs ist zu schleimig, kein Unterschied zur (neben tausenden Beispielen) jüngsten Bier-Werbung der "Fantastischen 4" ("wer sagt, daß man sich nicht neu erfinden kann" - also soll man Bier trinken. Ei allemool. Hicks, auf zum 1.Mai, neu erfinden! "Wer sagt, daß man nicht auf Toilette gehen kann" klänge vergleichsweise uncool. Nicht. Also lieber stylespeak. Selbst "Sarrazin muß oft auf die Toilette" würde sich wohl besser verkauft haben. Mir wärs recht, ein gutes Buch, millionenmal gelesen, gegen Unsinn.)
Schön an all dem jämmerlichen undurchschauten style-Gerede ist, daß es scheinbar alles ins Nichts zieht. Es bleibt damit nur genau so schlecht, wie es vor Sarrazin oder Friedrich längst war (abschieben nach Mitternacht, z.B.). Die neurechten, natürlich postmodernen Bolz und Sloterdijk und Schlöndorff jubeln Sarrazin zwar offen zu, gründen aber scheinbar doch keine erst angekündigte ultrarechte Partei der "Starintellektuellen" (der style-Plapperer also).
Ob der Protestant Friedrich in die neurechte Partei eingetreten wäre? Ich glaube nicht. Im Vergleich zur alles plattmachenden style-Speak-Diktatur, im Vergleich zum furchtbaren Sarrazin hat er wenig verändert. Und selbst Sarrazin hat bisher zum Glück weniger Gesetze oder Politik verändert als die style-speak, die jeden noch so wichtigen Widerstand schwierig macht, so unbeachtet das immer noch ist. Was wir immer hörn und sehn, merken wir einfach nicht mehr, oder plappern es eifrig selbst, und klingen dann wie die Bierwerbung der Fantastischen Vier. Das zu ändern, nachdem es mit Verspätung erstmal kapiert wäre, dürfte schwierig für uns alle werden. So spielen wir den Rechten in die Hände, wie man früher sagte.
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