Zum letzten Beitrag bemerkte ein Anonymus, dass sich ja nichts verbessert noch ändert, wenn einer geht. Das ist wohl so, hier wird über Symptome geschrieben, auch über Krankheiten, ohne eine Kur zu kennen. Das Abtreten eines Verteidigungsministers ist denkbar unwichtig, aber es ist dennoch gut, wenn einer geht, der aus dem Krieg eine Show gemacht und uns belogen hat. Der Fall ist gerade deshalb geeignet, etwas zu verdeutlichen, weil er letztlich unwichtig und damit einer kühlen Analyse zugänglich ist.
Er zeigt, dass eine Demokratie der Wahrheit verpflichtete Medien und der Wahrheit verpflichtete Politiker braucht. Man trifft oft auf eine unangenehme Art der pessimistischen Apologie: es seien ja eh alle Politiker Lügner, also wieso jetzt den einen kritisieren? Dieser Satz ließ sich kurioserweise mit vorbehaltloser Zustimmung zu Guttenberg kombinieren und ist deswegen falsch, weil er so tut, als lögen wirklich alle und alle gleich viel. Die einen lügen aber mehr als andere, und manche sind vielleicht anständig und aufrichtig.
Es kann daher nicht schaden, die eine oder andere Lüge oder Ungerechtigkeit zu dokumentieren. Und ich könnte das nicht, wenn ich mir Gedanken machen müsste, wie aus einzelnen Stimmen am Ende vielleicht eine Veränderung wird. Es ist jedenfalls kein Naturgesetz, dass Leute der Bild-Zeitung glauben. Es hat auch nichts mit Bildung zu tun. Es gibt genügend viele Menschen jeden Standes, die verstehen, dass diese Zeitung lügt und verzerrt, wenn sie auch ebensowenig wie ich verstehen, warum sie es tut.
Blender und Manipulatoren zu überführen ist gut, auch wenn die nächsten bereits in der Schlange stehen.
Ich will den gestrigen Bemerkungen zu Guttenbergs Rücktrittsrede noch ein wenig rhetorische Analyse (mit Hilfe des Handbuchs der literarischen Rhetorik von H. Lausberg) nachreichen. Das Folgende ist also von lediglich philologischem Interesse.
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Guttenbergs Erklärung hält sich weitgehend an die Struktur einer Verteidigungsrede vor Gericht. Sie soll ihn von dem in den Medien und durch andere Politiker erhobenen Vorwurf, er habe in seiner Doktorarbeit betrogen und anschließend das Volk und das Parlament darüber belogen, freisprechen. Der zweite Vorwurf tritt auch in der Form auf, Guttenberg habe immer nur das zugegeben, was ihm bereits nachgewiesen worden war, und in jeder Stufe des Abstreitens versucht, damit davonzukommen. All dies ist anhand der dokumentierten Sachlage kaum zu bestreiten, aber er wendet sich an den Teil des Publikums, der sich darüber nicht kundig gemacht hat, als Richter.
Auf den Vorwurf "fecisti" reagiert er zunächst im status (de)finitionis, lässt sich aber auch auf die status der qualitas und translatio ein. Eine Verteidigung durch Abstreiten ("non feci") ist in diesem Fall nicht machbar.
Im status finitionis erklärt er "feci, sed non hoc", indem er "Fehler" zugibt, nicht aber Lüge und Betrug. Dies ist der wichtigste Teil auch seiner vergangenen Verteidigungen, da ein begangener Fehler keine moralische Verurteilung nach sich zieht. Das Zugeben eines Fehlers gilt darüber hinaus als ein gutes Charaktermerkmal, was das Wohlwollen des Publikums erregen soll (s.u. benevolum parare.)
Im status qualitatis werden die Motive und Gründe des Geschehenen zum Thema. Als Gründe seines ungekennzeichneten Abschreibens hat er in der Vergangenheit viel Arbeit und die Verantwortung als Familienvater genannt. In dieser Erklärung verzichtet er darauf. Er behandelt dafür die Motive der ihm vorgeworfenen Verzögerungstaktik, die allesamt ehrenvoll erscheinen: Er hänge 1. "mit Herzblut" an diesem verantwortungsvollen Amt, musste sich 2. für eine so wichtige Entscheidung Zeit lassen (Sorgfaltspflicht), 3. "die drei gefallenen Soldaten mit Würde zu Grabe zu tragen und nicht erneut ihr Gedenken durch Debatten über meine Person überlagern zu lassen" (Pietät, Dienstpflicht) und 4. "es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen" (Anstand, Pflicht). Die angegebenen Motive stellen ihm allesamt ein gutes charakterliches Zeugnis aus, setzen aber das vorangegangene "feci, sed non hoc" voraus. All die edlen Motive werden nämlich als Motiv für Lüge und Betrug untauglich.
Schließlich wird im status translationis die Rechtmäßigkeit des Verfahrens durch seine Kritiker bestritten. "Wenn allerdings, wie in den letzten Wochen geschehen, die öffentliche und mediale Betrachtungfast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zulasten der mir Anvertrauten statt. Unter umgekehrten Vorzeichen gilt Gleiches für den Umstand, dass wochenlang meine Maßnahmen bezüglich der „Gorch Fock“ die weltbewegenden Ereignisse in Nordafrika zu überlagern schienen." Darin erscheinen die medialen Ankläger als verantwortungslos, pietätslos und außer jeder Verhältnismäßigkeit. Damit wird ihnen die sittliche Befugnis zum Urteilen implizit abgesprochen. An einer zweiten Stelle der Erklärung vertieft er diese Anklagen, indem er feststellt "Es ist bekannt, dass die Mechanismen im politischen und medialen Geschäft zerstörerisch sein können. Wer sich für die Politik entscheidet, darf, wenn dem so ist, kein Mitleid erwarten. Und das würde ich auch nicht in Anspruch nehmen. Ich darf auch nicht den Respekt erwarten, mit dem Rücktrittsentscheidungen so häufig entgegen genommen werden." Neben dem expliziten Hinweis auf "zerstörerische Mechanismen" liegt hier eine ironia vor, indem er behauptet weder Mitleid noch Respekt erwarten zu können. Dem steht aber die Grundauffassung des Publikums entgegen, grundsätzlich habe jeder Anspruch auf Mitleid und Respekt. Die Äußerung ist demnach die indirekte Anklage, seine Verfolger seien mitleids- und respektlos, und damit erneut nicht in der Position, moralische Urteile über ihn zu fällen. (s. auch unten benevolum parare.)
Jenseits des Argumentierens legt die Rede großes Gewicht darauf, das Wohlwollen des Publikums zu erwerben: benevolum parare. Er lässt dabei keine der klassischen Suchformeln aus. Beim locus ab nostra persona geht es darum, sich selbst zu loben. Neben dem 'Zugeben von Fehlern' und den edlen Motiven seiner Verzögerungstaktik ist die halbe Rede mit Selbstlob gespickt. "Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens", "das ganze Herzblut", "allzu menschlicher Grund", "ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht" unterstreichen die Menschlichkeit des Redners (der kalten medialen Hetze gegenüberstehend). "Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Frau Bundeskanzlerin informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde und um meine Entlassung gebeten", er ist noch Herr der Entscheidungen. Eine besonders starke Dosis Eigenlob enthält der Satz " Der Grund liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann. Ich trage bis zur Stunde Verantwortung in einem fordernden Amt. Verantwortung, die möglichst ungeteilte Konzentration und fehlerfreie Arbeit verlangt - mit Blick auf die größte Bundeswehrreform in der Geschichte, die ich angestoßen habe, und mit Blick auf eine gestärkte Bundeswehr mit großartigen Truppen im Einsatz, die mir engstens ans Herz gewachsen sind." Darin werden das eigene Verantwortungsbewusstsein, das Arbeitsethos, die hohen Ansprüche und erneut die emotionale Menschlichkeit des Redners beschworen. "Nun wird es vielleicht heißen, der Guttenberg ist den Kräften der Politik nicht gewachsen. Das mag sein oder nicht sein. Wenn ich es aber nur wäre, indem ich meinen Charakter veränderte, dann müsste ich gerade deswegen handeln." Darin wird die Festigkeit seines Charakters gegenüber den (als respekt-, pietäts- und mitleidslos dargestellten) Kräften der Politik unterstrichen. Er schreibt sich die Fähigkeit, Fehler zuzugeben und sich zu entschuldigen, explizit zu: " Ich habe wie jeder andere auch zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen. Zu großen und kleinen im politischen Handeln, bis hin zum Schreiben meiner Doktorarbeit. Und mir war immer wichtig, diese vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen. Deswegen habe ich mich aufrichtig bei all jenen entschuldigt, die ich aufgrund meiner Fehler und Versäumnisse verletzt habe, und wiederhole dies auch ausdrücklich heute." Der locus "ab auditorum persona" besteht im Lob des Publikums. Dies wird in einer Dankesformel geleistet: "Ich danke von ganzem Herzen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung[,..] die mir bis heute den Rücken stärkten, als Bundesverteidigungsminister nicht zurückzutreten." Wichtig für den Erwerb der benevolentia ist die Abwesenheit von Arroganz. Die Rede ist in einem auffällig bescheideneren Stil gehalten als viele seiner früheren Äußerungen. Der locus ab adversatorium persona erregt Sympathie durch den Tadel der Gegenpartei. Wie oben bereits skizziert, stellt er seine Kritiker als mitleids-, pietäts- und respektlose Meute dar. (Er weiß übrigens, dass das auch dem in den ihm gewogenen Springer-Medien verbreiteten Bild entspricht, braucht es also diesem Publikum gegenüber nur anzureißen.)
Ich lasse es hierbei bewenden, obwohl ich noch längst nicht alle rhetorischen Kniffe der Rede aufgezeigt habe.
Die Intensität der Kommentare seiner Bild lesenden Anhänger bestätigt, dass die Berechnung der Rücktrittserklärung aufging. Die seriösen Medien (z.B. FAZ, SZ) stellen den Fall zwar in wünschenswerter Klarheit dar, ohne jedoch Guttenbergs Anhänger zu überzeugen, wenn sie sie denn überhaupt erreichen. Ein bei Äußerungen der Anhänger wiederkehrendes Argument ist die Berufung auf Umfragen, denenzufolge die Mehrheit der Deutschen ja Guttenberg glaube. Daher sei der auf Guttenberg ausgeübte Druck letztlich undemokratisch und falsch. Das Argument verwechselt Urteile der Mehrheit mit in Kenntnis der Sachlage gefällten Urteilen der Mehrheit. Der Habermassche Versuch, gültige Urteile auf Kommunikation und Mehrheitsentscheidungen zu gründen, stellt große Anforderungen an die Bedingungen der Kommunikation. Medien wie die Bild-Zeitung verletzen diese auf jeden Fall und viele Weisen.
Die antike Rhetorik versuchte meist, den Gegensatz des Ehrenhaften honestum und des Nützlichen utile zu überwinden. Nützlichkeit und Ehre sind aber unversöhnlich, es handelt sich hier um eine geschickte und dem Redner bei seinem Ziel-Publikum nützliche, aber verlogene Rede. Dies für die Akten, das Gedächtnis pflegt kurz zu sein.
Wer zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet kann noch jede Ungerechtigkeit rechtfertigen und jedes Feindbild stützen. Ein Maß für unsere Freunde, ein anderes für unsere Feinde. Hier sollen einige Fälle von "zweierlei Maß" dokumentiert werden, ein Wasserträgerdienst an der Gerechtigkeit als wirksamer Idee, auf die sich sogar die verpflichten, die sich an ihr vergehen.
Emil Julius Gumbel
Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.
1 Kommentar:
Fürchterlich fand ich an den Reaktionen der Leute, die ja allesamt die zu Guttenbergsche Taktik miterlebt hatten, zweierlei. Der immer einseitige 3sat und BR-Fernsehmann Markwort (Fakten, Fakten, Fakten - auch so ein Hohn) wetterte in seiner talgshow, das alles wäre ein ehrabschneidendes Komplott. Der Linken, der "Sozis" natürlich. Sapperlot, das ist ja eine "steile Theorie". Ich hörte dann einige Leute genau das nachsagen - "der im Fernsehen hats doch auch gesagt!"
Dann gab es einige live-Schaltungen zu Universitäten, und aus der jeweils kleinen Gruppe sprachen sich 80-90% der Studierenden klar FÜR zu Guttenberg aus. Das sei ein Kavaliersdelikt, was sie jetzt alle mit ihm hätten, er hätte doch seine "Arbeit so gut gemacht" (nie kam dazu eine Nachfrage von den ARD-ReporterInnen). Es mag auch ein Reflex sein, wenn in vielen, vielen anderen Generationen Studierende kritischer gegenüber der Macht waren, ja. Aber ob das nicht besser war, wenn es sich mit Tatsachen verband, als das heutige "ist mir doch egal"?
Wie bei fast allem dürfte der Fall bald vergessen sein, und zu Guttenberg, tatsächlich mit Unterstützung vieler Menschen, auch der ehedem widerständigen Studierenden in großer Mehrheit, wird, so er mag, zurückkehren. Manche wollen wirklich eine Art König, den man anbeten kann.
Habermas stellt wirklich hohe Forderungen. Seine "Theorie des kommunikativen Handelns" erschien allerdings um 1981, wenn ich mich richtig erinnere. Und auch wenn es BILD damals schon gab - die mediale Dauererregung im 2-4-Wochen-Rhythmus waren damals genausowenig vorherzusehen wie es die postmoderne "ist mir doch egal, hauptsache es iss cool"-Indifferenz war. Es gab vor Einführung der Privatsender in Deutschland, und vor facebook-Zeiten und ähnlichen Phänomenen im Internet weniger Herdentrieb, nach schrecklichen Jahrzehnten vorher. Man soll facebook et al. gar nicht über Gebühr schlechtmachen - es ist ein feines Medium, sich z.B. auf den Tahrir-Platz zu verabreden, weil man sich, z.B. arbeitslos, nicht mehr wie früher mit Gleichgesinnten TRIFFT. Aber daß unsere gelangweilten Medienmacher sich eine "generation facebook" aus den Fingern saugen, verrät halt, wie die 500 000 und mehr "wir wollen zu Guttenberg-back"-Anhänger bei facebook auch, daß es einen klaffend großen Unterschied von Ägypten zu westlich postmodernen Ländern gibt. In Ägypten herrscht große Not, und mit oder ohne facebook wäre ein Aufstand gekommen - schön, daß facebook da helfen konnte. In unseren Breiten herrscht coolness und Langeweile, und man meint, sehr wichtig zu sein, wenn man die Lage der Menschen vergißt, aber Nebensächlichkeiten wie die Art, wie sie sich verabreden, unendlich aufbläst.
Wenns nach facebooks Mehrheiten geht, wird zu Guttenberg schon sehr bald zurück sein, und alle werden jubilieren. Ich finde es gut, da Habermas zu erwähnen. Aber vor allem wärs wichtig, rauszufinden, wie man in Zukunft die Kommunikation der Vereinzelten wieder stärkt - statt alles an hype und coolness und welche coolen Medien immer zu verlieren. Facebook und zu Guttenberg - das paßt prima zusammen. Grade deshalb wäre jemand, der Thesen von Habermas etwas schöner ausdrücken könnte, und Antworten hätte, wie die heutigen hype-Medien Demokratie verhindern, und was wir trotzdem tun können.
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