Aber dass ein Bayer nach Berlin gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt. Weder ethnisch noch religiös gehört der Bayer nach Berlin, ins protestantisch geprägte Preußen.
Der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat bei seinem ersten öffentlichen Auftritt seine frühere Reaktion auf Wulffs Rede bekräftigt. "Aber dass der Islam zu Deutschland gehört, ist eine Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt." (Quelle: FAZ) Worin, kann man fragen, würde denn ein historischer Beleg dafür bestehen? Die Tatsache, dass Millionen von Muslimen seit zwei Generationen hier leben, genügt ihm anscheinend nicht. Beglaubigt wird Zugehörigkeit anscheinend nur durch Urgeschichte. In Friedrichs Äußerungen zeigt sich der rückständige Ungeist, der die BRD so lange an der lex sanguinis festhalten ließ.
Einige von Friedrichs früheren Äußerungen zu diesem Thema lauten "Dass der Islam Teil unserer Kultur ist, unterschreibe ich nicht.“ Friedrich sagte auch: „Um das klar zu sagen: Die Leitkultur in Deutschland ist die christlich-jüdisch-abendländische Kultur. Sie ist nicht die islamische und wird es auch nicht in Zukunft sein." Nun hat sich der Zentralrat der Juden in Deutschland kürzlich mit guten Gründen gegen diese Vereinnahmung gewehrt. Die meiste Zeit wurden die Juden Europas bekanntlich diskriminiert und verfolgt. In den Antisemitismus flossen ganz verschiedene Elemente ein, darunter auch das 'historische' Argument, sie seien auch nach Jahrhunderten 'orientalische Fremde'. Friedrichs Unsinn hat in einem liberalen, säkularen Rechtsstaat nichts zu suchen. Die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat das erfreulicherweise richtig gestellt. Der neue Innenminister gibt schon bei Amtsantritt einen Ton vor, der ihn für dieses Amt disqualifiziert, auch wenn die Klientel, die Sarrazin, Kelek et al. beklatscht, ihm zustimmen mag. Es handelt sich aber gar nicht um eine Meinung, sondern um Unsinn, der im Widerspruch zum umfassenden Anspruch der Verfassung steht. (Dennoch wird er wohl kaum vom Verfassungsschutz beobachtet werden.)
An dieser Stelle sei auf Patrick Bahners' Buch "Panikmacher" und die von Hilal Sezgin herausgegebene Aufsatzsammlung "Deutschland erfindet sich neu. Manifest der vielen." hingewiesen- Beide Bücher rücken die hässlichen Debatten "über" "den" "Islam" zurecht. Bahners analysiert den ressentimentgeladenen Diskurs, während in der Aufsatzsammlung MitbürgerInnen zu Wort kommen, die das eine gemeinsam haben, in der Debatte zum 'Objekt Moslem' erklärt zu werden. (Der als Antwort auf Sarrazins Buch gedachte etwas abgeschmackte Titel sollte niemanden abschrecken.) Es ist zu wünschen, dass sich diese Bücher ähnlich gut verkaufen wie Sarrazins Machwerk. Wer das Ressentiment bedient, hat aber allemal eine höhere Auflage als wer dagegen angeht. (Wie ja auch die, es sei immer wieder gesagt, schmierige und unwürdige Bild-Zeitung eine höhere Auflage hat als alle anderen überregionalen Tageszeitungen zusammen.)
Wer zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet kann noch jede Ungerechtigkeit rechtfertigen und jedes Feindbild stützen. Ein Maß für unsere Freunde, ein anderes für unsere Feinde. Hier sollen einige Fälle von "zweierlei Maß" dokumentiert werden, ein Wasserträgerdienst an der Gerechtigkeit als wirksamer Idee, auf die sich sogar die verpflichten, die sich an ihr vergehen.
Emil Julius Gumbel
Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.
Samstag, 5. März 2011
Mittwoch, 2. März 2011
Einer kommt, wenn einer geht
Zum letzten Beitrag bemerkte ein Anonymus, dass sich ja nichts verbessert noch ändert, wenn einer geht. Das ist wohl so, hier wird über Symptome geschrieben, auch über Krankheiten, ohne eine Kur zu kennen. Das Abtreten eines Verteidigungsministers ist denkbar unwichtig, aber es ist dennoch gut, wenn einer geht, der aus dem Krieg eine Show gemacht und uns belogen hat. Der Fall ist gerade deshalb geeignet, etwas zu verdeutlichen, weil er letztlich unwichtig und damit einer kühlen Analyse zugänglich ist.
Er zeigt, dass eine Demokratie der Wahrheit verpflichtete Medien und der Wahrheit verpflichtete Politiker braucht. Man trifft oft auf eine unangenehme Art der pessimistischen Apologie: es seien ja eh alle Politiker Lügner, also wieso jetzt den einen kritisieren? Dieser Satz ließ sich kurioserweise mit vorbehaltloser Zustimmung zu Guttenberg kombinieren und ist deswegen falsch, weil er so tut, als lögen wirklich alle und alle gleich viel. Die einen lügen aber mehr als andere, und manche sind vielleicht anständig und aufrichtig.
Es kann daher nicht schaden, die eine oder andere Lüge oder Ungerechtigkeit zu dokumentieren. Und ich könnte das nicht, wenn ich mir Gedanken machen müsste, wie aus einzelnen Stimmen am Ende vielleicht eine Veränderung wird. Es ist jedenfalls kein Naturgesetz, dass Leute der Bild-Zeitung glauben. Es hat auch nichts mit Bildung zu tun. Es gibt genügend viele Menschen jeden Standes, die verstehen, dass diese Zeitung lügt und verzerrt, wenn sie auch ebensowenig wie ich verstehen, warum sie es tut.
Blender und Manipulatoren zu überführen ist gut, auch wenn die nächsten bereits in der Schlange stehen.
Ich will den gestrigen Bemerkungen zu Guttenbergs Rücktrittsrede noch ein wenig rhetorische Analyse (mit Hilfe des Handbuchs der literarischen Rhetorik von H. Lausberg) nachreichen. Das Folgende ist also von lediglich philologischem Interesse.
--------------------------------------------
Guttenbergs Erklärung hält sich weitgehend an die Struktur einer Verteidigungsrede vor Gericht. Sie soll ihn von dem in den Medien und durch andere Politiker erhobenen Vorwurf, er habe in seiner Doktorarbeit betrogen und anschließend das Volk und das Parlament darüber belogen, freisprechen. Der zweite Vorwurf tritt auch in der Form auf, Guttenberg habe immer nur das zugegeben, was ihm bereits nachgewiesen worden war, und in jeder Stufe des Abstreitens versucht, damit davonzukommen. All dies ist anhand der dokumentierten Sachlage kaum zu bestreiten, aber er wendet sich an den Teil des Publikums, der sich darüber nicht kundig gemacht hat, als Richter.
Auf den Vorwurf "fecisti" reagiert er zunächst im status (de)finitionis, lässt sich aber auch auf die status der qualitas und translatio ein. Eine Verteidigung durch Abstreiten ("non feci") ist in diesem Fall nicht machbar.
Im status finitionis erklärt er "feci, sed non hoc", indem er "Fehler" zugibt, nicht aber Lüge und Betrug. Dies ist der wichtigste Teil auch seiner vergangenen Verteidigungen, da ein begangener Fehler keine moralische Verurteilung nach sich zieht. Das Zugeben eines Fehlers gilt darüber hinaus als ein gutes Charaktermerkmal, was das Wohlwollen des Publikums erregen soll (s.u. benevolum parare.)
Im status qualitatis werden die Motive und Gründe des Geschehenen zum Thema. Als Gründe seines ungekennzeichneten Abschreibens hat er in der Vergangenheit viel Arbeit und die Verantwortung als Familienvater genannt. In dieser Erklärung verzichtet er darauf. Er behandelt dafür die Motive der ihm vorgeworfenen Verzögerungstaktik, die allesamt ehrenvoll erscheinen: Er hänge 1. "mit Herzblut" an diesem verantwortungsvollen Amt, musste sich 2. für eine so wichtige Entscheidung Zeit lassen (Sorgfaltspflicht), 3. "die drei gefallenen Soldaten mit Würde zu Grabe zu tragen und nicht erneut ihr Gedenken durch Debatten über meine Person überlagern zu lassen" (Pietät, Dienstpflicht) und 4. "es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen" (Anstand, Pflicht). Die angegebenen Motive stellen ihm allesamt ein gutes charakterliches Zeugnis aus, setzen aber das vorangegangene "feci, sed non hoc" voraus. All die edlen Motive werden nämlich als Motiv für Lüge und Betrug untauglich.
Schließlich wird im status translationis die Rechtmäßigkeit des Verfahrens durch seine Kritiker bestritten. "Wenn allerdings, wie in den letzten Wochen geschehen, die öffentliche und mediale Betrachtungfast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zulasten der mir Anvertrauten statt. Unter umgekehrten Vorzeichen gilt Gleiches für den Umstand, dass wochenlang meine Maßnahmen bezüglich der „Gorch Fock“ die weltbewegenden Ereignisse in Nordafrika zu überlagern schienen." Darin erscheinen die medialen Ankläger als verantwortungslos, pietätslos und außer jeder Verhältnismäßigkeit. Damit wird ihnen die sittliche Befugnis zum Urteilen implizit abgesprochen. An einer zweiten Stelle der Erklärung vertieft er diese Anklagen, indem er feststellt "Es ist bekannt, dass die Mechanismen im politischen und medialen Geschäft zerstörerisch sein können. Wer sich für die Politik entscheidet, darf, wenn dem so ist, kein Mitleid erwarten. Und das würde ich auch nicht in Anspruch nehmen. Ich darf auch nicht den Respekt erwarten, mit dem Rücktrittsentscheidungen so häufig entgegen genommen werden." Neben dem expliziten Hinweis auf "zerstörerische Mechanismen" liegt hier eine ironia vor, indem er behauptet weder Mitleid noch Respekt erwarten zu können. Dem steht aber die Grundauffassung des Publikums entgegen, grundsätzlich habe jeder Anspruch auf Mitleid und Respekt. Die Äußerung ist demnach die indirekte Anklage, seine Verfolger seien mitleids- und respektlos, und damit erneut nicht in der Position, moralische Urteile über ihn zu fällen. (s. auch unten benevolum parare.)
Jenseits des Argumentierens legt die Rede großes Gewicht darauf, das Wohlwollen des Publikums zu erwerben: benevolum parare. Er lässt dabei keine der klassischen Suchformeln aus. Beim locus ab nostra persona geht es darum, sich selbst zu loben. Neben dem 'Zugeben von Fehlern' und den edlen Motiven seiner Verzögerungstaktik ist die halbe Rede mit Selbstlob gespickt. "Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens", "das ganze Herzblut", "allzu menschlicher Grund", "ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht" unterstreichen die Menschlichkeit des Redners (der kalten medialen Hetze gegenüberstehend). "Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Frau Bundeskanzlerin informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde und um meine Entlassung gebeten", er ist noch Herr der Entscheidungen. Eine besonders starke Dosis Eigenlob enthält der Satz " Der Grund liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann. Ich trage bis zur Stunde Verantwortung in einem fordernden Amt. Verantwortung, die möglichst ungeteilte Konzentration und fehlerfreie Arbeit verlangt - mit Blick auf die größte Bundeswehrreform in der Geschichte, die ich angestoßen habe, und mit Blick auf eine gestärkte Bundeswehr mit großartigen Truppen im Einsatz, die mir engstens ans Herz gewachsen sind." Darin werden das eigene Verantwortungsbewusstsein, das Arbeitsethos, die hohen Ansprüche und erneut die emotionale Menschlichkeit des Redners beschworen. "Nun wird es vielleicht heißen, der Guttenberg ist den Kräften der Politik nicht gewachsen. Das mag sein oder nicht sein. Wenn ich es aber nur wäre, indem ich meinen Charakter veränderte, dann müsste ich gerade deswegen handeln." Darin wird die Festigkeit seines Charakters gegenüber den (als respekt-, pietäts- und mitleidslos dargestellten) Kräften der Politik unterstrichen. Er schreibt sich die Fähigkeit, Fehler zuzugeben und sich zu entschuldigen, explizit zu: " Ich habe wie jeder andere auch zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen. Zu großen und kleinen im politischen Handeln, bis hin zum Schreiben meiner Doktorarbeit. Und mir war immer wichtig, diese vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen. Deswegen habe ich mich aufrichtig bei all jenen entschuldigt, die ich aufgrund meiner Fehler und Versäumnisse verletzt habe, und wiederhole dies auch ausdrücklich heute." Der locus "ab auditorum persona" besteht im Lob des Publikums. Dies wird in einer Dankesformel geleistet: "Ich danke von ganzem Herzen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung[,..] die mir bis heute den Rücken stärkten, als Bundesverteidigungsminister nicht zurückzutreten." Wichtig für den Erwerb der benevolentia ist die Abwesenheit von Arroganz. Die Rede ist in einem auffällig bescheideneren Stil gehalten als viele seiner früheren Äußerungen. Der locus ab adversatorium persona erregt Sympathie durch den Tadel der Gegenpartei. Wie oben bereits skizziert, stellt er seine Kritiker als mitleids-, pietäts- und respektlose Meute dar. (Er weiß übrigens, dass das auch dem in den ihm gewogenen Springer-Medien verbreiteten Bild entspricht, braucht es also diesem Publikum gegenüber nur anzureißen.)
Ich lasse es hierbei bewenden, obwohl ich noch längst nicht alle rhetorischen Kniffe der Rede aufgezeigt habe.
Die Intensität der Kommentare seiner Bild lesenden Anhänger bestätigt, dass die Berechnung der Rücktrittserklärung aufging. Die seriösen Medien (z.B. FAZ, SZ) stellen den Fall zwar in wünschenswerter Klarheit dar, ohne jedoch Guttenbergs Anhänger zu überzeugen, wenn sie sie denn überhaupt erreichen. Ein bei Äußerungen der Anhänger wiederkehrendes Argument ist die Berufung auf Umfragen, denenzufolge die Mehrheit der Deutschen ja Guttenberg glaube. Daher sei der auf Guttenberg ausgeübte Druck letztlich undemokratisch und falsch. Das Argument verwechselt Urteile der Mehrheit mit in Kenntnis der Sachlage gefällten Urteilen der Mehrheit. Der Habermassche Versuch, gültige Urteile auf Kommunikation und Mehrheitsentscheidungen zu gründen, stellt große Anforderungen an die Bedingungen der Kommunikation. Medien wie die Bild-Zeitung verletzen diese auf jeden Fall und viele Weisen.
Die antike Rhetorik versuchte meist, den Gegensatz des Ehrenhaften honestum und des Nützlichen utile zu überwinden. Nützlichkeit und Ehre sind aber unversöhnlich, es handelt sich hier um eine geschickte und dem Redner bei seinem Ziel-Publikum nützliche, aber verlogene Rede. Dies für die Akten, das Gedächtnis pflegt kurz zu sein.
Er zeigt, dass eine Demokratie der Wahrheit verpflichtete Medien und der Wahrheit verpflichtete Politiker braucht. Man trifft oft auf eine unangenehme Art der pessimistischen Apologie: es seien ja eh alle Politiker Lügner, also wieso jetzt den einen kritisieren? Dieser Satz ließ sich kurioserweise mit vorbehaltloser Zustimmung zu Guttenberg kombinieren und ist deswegen falsch, weil er so tut, als lögen wirklich alle und alle gleich viel. Die einen lügen aber mehr als andere, und manche sind vielleicht anständig und aufrichtig.
Es kann daher nicht schaden, die eine oder andere Lüge oder Ungerechtigkeit zu dokumentieren. Und ich könnte das nicht, wenn ich mir Gedanken machen müsste, wie aus einzelnen Stimmen am Ende vielleicht eine Veränderung wird. Es ist jedenfalls kein Naturgesetz, dass Leute der Bild-Zeitung glauben. Es hat auch nichts mit Bildung zu tun. Es gibt genügend viele Menschen jeden Standes, die verstehen, dass diese Zeitung lügt und verzerrt, wenn sie auch ebensowenig wie ich verstehen, warum sie es tut.
Blender und Manipulatoren zu überführen ist gut, auch wenn die nächsten bereits in der Schlange stehen.
Ich will den gestrigen Bemerkungen zu Guttenbergs Rücktrittsrede noch ein wenig rhetorische Analyse (mit Hilfe des Handbuchs der literarischen Rhetorik von H. Lausberg) nachreichen. Das Folgende ist also von lediglich philologischem Interesse.
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Guttenbergs Erklärung hält sich weitgehend an die Struktur einer Verteidigungsrede vor Gericht. Sie soll ihn von dem in den Medien und durch andere Politiker erhobenen Vorwurf, er habe in seiner Doktorarbeit betrogen und anschließend das Volk und das Parlament darüber belogen, freisprechen. Der zweite Vorwurf tritt auch in der Form auf, Guttenberg habe immer nur das zugegeben, was ihm bereits nachgewiesen worden war, und in jeder Stufe des Abstreitens versucht, damit davonzukommen. All dies ist anhand der dokumentierten Sachlage kaum zu bestreiten, aber er wendet sich an den Teil des Publikums, der sich darüber nicht kundig gemacht hat, als Richter.
Auf den Vorwurf "fecisti" reagiert er zunächst im status (de)finitionis, lässt sich aber auch auf die status der qualitas und translatio ein. Eine Verteidigung durch Abstreiten ("non feci") ist in diesem Fall nicht machbar.
Im status finitionis erklärt er "feci, sed non hoc", indem er "Fehler" zugibt, nicht aber Lüge und Betrug. Dies ist der wichtigste Teil auch seiner vergangenen Verteidigungen, da ein begangener Fehler keine moralische Verurteilung nach sich zieht. Das Zugeben eines Fehlers gilt darüber hinaus als ein gutes Charaktermerkmal, was das Wohlwollen des Publikums erregen soll (s.u. benevolum parare.)
Im status qualitatis werden die Motive und Gründe des Geschehenen zum Thema. Als Gründe seines ungekennzeichneten Abschreibens hat er in der Vergangenheit viel Arbeit und die Verantwortung als Familienvater genannt. In dieser Erklärung verzichtet er darauf. Er behandelt dafür die Motive der ihm vorgeworfenen Verzögerungstaktik, die allesamt ehrenvoll erscheinen: Er hänge 1. "mit Herzblut" an diesem verantwortungsvollen Amt, musste sich 2. für eine so wichtige Entscheidung Zeit lassen (Sorgfaltspflicht), 3. "die drei gefallenen Soldaten mit Würde zu Grabe zu tragen und nicht erneut ihr Gedenken durch Debatten über meine Person überlagern zu lassen" (Pietät, Dienstpflicht) und 4. "es gehört sich, ein weitgehend bestelltes Haus zu hinterlassen" (Anstand, Pflicht). Die angegebenen Motive stellen ihm allesamt ein gutes charakterliches Zeugnis aus, setzen aber das vorangegangene "feci, sed non hoc" voraus. All die edlen Motive werden nämlich als Motiv für Lüge und Betrug untauglich.
Schließlich wird im status translationis die Rechtmäßigkeit des Verfahrens durch seine Kritiker bestritten. "Wenn allerdings, wie in den letzten Wochen geschehen, die öffentliche und mediale Betrachtungfast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zulasten der mir Anvertrauten statt. Unter umgekehrten Vorzeichen gilt Gleiches für den Umstand, dass wochenlang meine Maßnahmen bezüglich der „Gorch Fock“ die weltbewegenden Ereignisse in Nordafrika zu überlagern schienen." Darin erscheinen die medialen Ankläger als verantwortungslos, pietätslos und außer jeder Verhältnismäßigkeit. Damit wird ihnen die sittliche Befugnis zum Urteilen implizit abgesprochen. An einer zweiten Stelle der Erklärung vertieft er diese Anklagen, indem er feststellt "Es ist bekannt, dass die Mechanismen im politischen und medialen Geschäft zerstörerisch sein können. Wer sich für die Politik entscheidet, darf, wenn dem so ist, kein Mitleid erwarten. Und das würde ich auch nicht in Anspruch nehmen. Ich darf auch nicht den Respekt erwarten, mit dem Rücktrittsentscheidungen so häufig entgegen genommen werden." Neben dem expliziten Hinweis auf "zerstörerische Mechanismen" liegt hier eine ironia vor, indem er behauptet weder Mitleid noch Respekt erwarten zu können. Dem steht aber die Grundauffassung des Publikums entgegen, grundsätzlich habe jeder Anspruch auf Mitleid und Respekt. Die Äußerung ist demnach die indirekte Anklage, seine Verfolger seien mitleids- und respektlos, und damit erneut nicht in der Position, moralische Urteile über ihn zu fällen. (s. auch unten benevolum parare.)
Jenseits des Argumentierens legt die Rede großes Gewicht darauf, das Wohlwollen des Publikums zu erwerben: benevolum parare. Er lässt dabei keine der klassischen Suchformeln aus. Beim locus ab nostra persona geht es darum, sich selbst zu loben. Neben dem 'Zugeben von Fehlern' und den edlen Motiven seiner Verzögerungstaktik ist die halbe Rede mit Selbstlob gespickt. "Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens", "das ganze Herzblut", "allzu menschlicher Grund", "ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht" unterstreichen die Menschlichkeit des Redners (der kalten medialen Hetze gegenüberstehend). "Ich habe in einem sehr freundschaftlichen Gespräch die Frau Bundeskanzlerin informiert, dass ich mich von meinen politischen Ämtern zurückziehen werde und um meine Entlassung gebeten", er ist noch Herr der Entscheidungen. Eine besonders starke Dosis Eigenlob enthält der Satz " Der Grund liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann. Ich trage bis zur Stunde Verantwortung in einem fordernden Amt. Verantwortung, die möglichst ungeteilte Konzentration und fehlerfreie Arbeit verlangt - mit Blick auf die größte Bundeswehrreform in der Geschichte, die ich angestoßen habe, und mit Blick auf eine gestärkte Bundeswehr mit großartigen Truppen im Einsatz, die mir engstens ans Herz gewachsen sind." Darin werden das eigene Verantwortungsbewusstsein, das Arbeitsethos, die hohen Ansprüche und erneut die emotionale Menschlichkeit des Redners beschworen. "Nun wird es vielleicht heißen, der Guttenberg ist den Kräften der Politik nicht gewachsen. Das mag sein oder nicht sein. Wenn ich es aber nur wäre, indem ich meinen Charakter veränderte, dann müsste ich gerade deswegen handeln." Darin wird die Festigkeit seines Charakters gegenüber den (als respekt-, pietäts- und mitleidslos dargestellten) Kräften der Politik unterstrichen. Er schreibt sich die Fähigkeit, Fehler zuzugeben und sich zu entschuldigen, explizit zu: " Ich habe wie jeder andere auch zu meinen Schwächen und Fehlern zu stehen. Zu großen und kleinen im politischen Handeln, bis hin zum Schreiben meiner Doktorarbeit. Und mir war immer wichtig, diese vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen. Deswegen habe ich mich aufrichtig bei all jenen entschuldigt, die ich aufgrund meiner Fehler und Versäumnisse verletzt habe, und wiederhole dies auch ausdrücklich heute." Der locus "ab auditorum persona" besteht im Lob des Publikums. Dies wird in einer Dankesformel geleistet: "Ich danke von ganzem Herzen der großen Mehrheit der deutschen Bevölkerung[,..] die mir bis heute den Rücken stärkten, als Bundesverteidigungsminister nicht zurückzutreten." Wichtig für den Erwerb der benevolentia ist die Abwesenheit von Arroganz. Die Rede ist in einem auffällig bescheideneren Stil gehalten als viele seiner früheren Äußerungen. Der locus ab adversatorium persona erregt Sympathie durch den Tadel der Gegenpartei. Wie oben bereits skizziert, stellt er seine Kritiker als mitleids-, pietäts- und respektlose Meute dar. (Er weiß übrigens, dass das auch dem in den ihm gewogenen Springer-Medien verbreiteten Bild entspricht, braucht es also diesem Publikum gegenüber nur anzureißen.)
Ich lasse es hierbei bewenden, obwohl ich noch längst nicht alle rhetorischen Kniffe der Rede aufgezeigt habe.
Die Intensität der Kommentare seiner Bild lesenden Anhänger bestätigt, dass die Berechnung der Rücktrittserklärung aufging. Die seriösen Medien (z.B. FAZ, SZ) stellen den Fall zwar in wünschenswerter Klarheit dar, ohne jedoch Guttenbergs Anhänger zu überzeugen, wenn sie sie denn überhaupt erreichen. Ein bei Äußerungen der Anhänger wiederkehrendes Argument ist die Berufung auf Umfragen, denenzufolge die Mehrheit der Deutschen ja Guttenberg glaube. Daher sei der auf Guttenberg ausgeübte Druck letztlich undemokratisch und falsch. Das Argument verwechselt Urteile der Mehrheit mit in Kenntnis der Sachlage gefällten Urteilen der Mehrheit. Der Habermassche Versuch, gültige Urteile auf Kommunikation und Mehrheitsentscheidungen zu gründen, stellt große Anforderungen an die Bedingungen der Kommunikation. Medien wie die Bild-Zeitung verletzen diese auf jeden Fall und viele Weisen.
Die antike Rhetorik versuchte meist, den Gegensatz des Ehrenhaften honestum und des Nützlichen utile zu überwinden. Nützlichkeit und Ehre sind aber unversöhnlich, es handelt sich hier um eine geschickte und dem Redner bei seinem Ziel-Publikum nützliche, aber verlogene Rede. Dies für die Akten, das Gedächtnis pflegt kurz zu sein.
Dienstag, 1. März 2011
Klein Zaches ist von uns gegangen
Es waren aber nicht die Zauberhaare, die ihm eine Fee verliehen hat, sondern die Bild-Zeitung, die das Urteil etabliert, es handle sich um den fähigsten Mann im Reich. Klein Zaches ist zurückgetreten. Im Folgenden zitiere ich seine Rücktrittsrede nach FAZ:
Lies und staune: Er lobt sich für die eigenen höchsten Ansprüche, zugleich für sein Verantwortungsbewusstsein, gibt aber gleichzeitig weder Betrug noch Lüge zu. Der Mann bereitet sein Comeback vor.
Er schämt sich nicht, die 'toten Soldaten' rhetorisch zu verwursten und -wenden: zur Relativierung des eigenen Fehlers und zur Anklage der Medien. Wie wäre es übrigens um Klein Zaches bestellt, wenn die Medien sich mehr um die Toten gekümmert hätten, die toten Soldaten und die mit deutscher Hilfe getöteten Zivilisten, in einem Krieg, der beim besten Willen nicht als Verteidigung der Bundesrepublik gelten kann? Mit einem Verteidigungsminister, der ohne Bescheid zu wissen, das Bombardement in Kundus rechtfertigt, und später dann Schneiderhahn abserviert, der ihn falsch informiert habe, was dieser bis heute bestreitet. An Klein Zaches bleibt nichts hängen.
Es geht so weiter in der Erklärung. Er hat nicht etwa deshalb solange mit dem Rücktritt gewartet, zunächst alles abgestritten und dann allmählich mehr, wenn auch nicht das Entscheidende zugegeben, weil er hoffte, damit durchzukommen, sondern, na? was sonst?, wegen der 'toten Soldaten' und um sein 'Haus zu bestellen', und
Er gibt als 'allzu menschlichen Grund' etwas zu, was letztlich doch wieder eine Tugend ist. Und so weiter ad nauseam. Es gibt aber doch weiter viele Kommentare im Netz, jetzt habe der linke Mob (o.ä.) unseren fähigsten Politiker aus dem Amt gehetzt. Die Fee/die Bild wirkt wahre Wunder in Fehldarstellung der Wirklichkeit. Mit dem ihr eigenen typographischen Rhythmus kommt ein Tittenbild, ein Interview mit Sarrazin, ein Tittenbild, eine Leugnung des anthropogenen Klimawandels, ein Tittenbild, ein Artikel über angebliche Sozialschmarotzer. Wer setzt die Themen und Ziele der Springer-Medien? Medien, die sich nicht der Wahrheit verpflichtet fühlen, sind eine Gefahr für jede Demokratie, da aus einer verlogenen Darstellung der Welt anschließend manipulierte Urteile werden. Das hier Beklagte hat übrigens nichts mit Links und Rechts zu tun: In der 'causa Guttenberg' waren sich FAZ und Süddeutsche in ihrem Ekel über die Darstellung der Bild-Zeitung einig. Die wiederum machte gegen die Klugscheißer, Sesselfurzer, Korinthenkacker, Bildungsbürger, Schnösel mobil. Ich möchte aber bezweifeln, dass sie viele Schreinermeister damit erreicht, die mit erschlichenen Meisterbriefen durchaus nichts anzufangen wissen, und auch mein Vater, ein alter Bauer, mag keine Betrüger in hohen Ämtern.
Klein Zaches, genannt Zinnober, wird wiederkommen, sieht ganz so aus.
Es ist der schmerzlichste Schritt meines Lebens. Und ich gehe nicht alleine wegen meiner so fehlerhaften Doktorarbeit, wiewohl ich verstehe, dass dies für große Teile der Wissenschaft ein Anlass wäre. Der Grund liegt im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann.
Lies und staune: Er lobt sich für die eigenen höchsten Ansprüche, zugleich für sein Verantwortungsbewusstsein, gibt aber gleichzeitig weder Betrug noch Lüge zu. Der Mann bereitet sein Comeback vor.
Wenn allerdings, wie in den letzten Wochen geschehen, die öffentliche und mediale Betrachtung fast ausschließlich auf die Person Guttenberg und seine Dissertation statt beispielsweise auf den Tod und die Verwundung von 13 Soldaten abzielt, so findet eine dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zulasten der mir Anvertrauten statt.
Er schämt sich nicht, die 'toten Soldaten' rhetorisch zu verwursten und -wenden: zur Relativierung des eigenen Fehlers und zur Anklage der Medien. Wie wäre es übrigens um Klein Zaches bestellt, wenn die Medien sich mehr um die Toten gekümmert hätten, die toten Soldaten und die mit deutscher Hilfe getöteten Zivilisten, in einem Krieg, der beim besten Willen nicht als Verteidigung der Bundesrepublik gelten kann? Mit einem Verteidigungsminister, der ohne Bescheid zu wissen, das Bombardement in Kundus rechtfertigt, und später dann Schneiderhahn abserviert, der ihn falsch informiert habe, was dieser bis heute bestreitet. An Klein Zaches bleibt nichts hängen.
Es geht so weiter in der Erklärung. Er hat nicht etwa deshalb solange mit dem Rücktritt gewartet, zunächst alles abgestritten und dann allmählich mehr, wenn auch nicht das Entscheidende zugegeben, weil er hoffte, damit durchzukommen, sondern, na? was sonst?, wegen der 'toten Soldaten' und um sein 'Haus zu bestellen', und
Zunächst ein möglicherweise für manche unbefriedigender, aber allzu menschlicher Grund. Wohl niemand wird leicht, geschweige denn leichtfertig, das Amt aufgebenwollen, an dem das ganze Herzblut hängt. Ein Amt, das Verantwortung für viele Menschen und deren Leben beinhaltet.
Er gibt als 'allzu menschlichen Grund' etwas zu, was letztlich doch wieder eine Tugend ist. Und so weiter ad nauseam. Es gibt aber doch weiter viele Kommentare im Netz, jetzt habe der linke Mob (o.ä.) unseren fähigsten Politiker aus dem Amt gehetzt. Die Fee/die Bild wirkt wahre Wunder in Fehldarstellung der Wirklichkeit. Mit dem ihr eigenen typographischen Rhythmus kommt ein Tittenbild, ein Interview mit Sarrazin, ein Tittenbild, eine Leugnung des anthropogenen Klimawandels, ein Tittenbild, ein Artikel über angebliche Sozialschmarotzer. Wer setzt die Themen und Ziele der Springer-Medien? Medien, die sich nicht der Wahrheit verpflichtet fühlen, sind eine Gefahr für jede Demokratie, da aus einer verlogenen Darstellung der Welt anschließend manipulierte Urteile werden. Das hier Beklagte hat übrigens nichts mit Links und Rechts zu tun: In der 'causa Guttenberg' waren sich FAZ und Süddeutsche in ihrem Ekel über die Darstellung der Bild-Zeitung einig. Die wiederum machte gegen die Klugscheißer, Sesselfurzer, Korinthenkacker, Bildungsbürger, Schnösel mobil. Ich möchte aber bezweifeln, dass sie viele Schreinermeister damit erreicht, die mit erschlichenen Meisterbriefen durchaus nichts anzufangen wissen, und auch mein Vater, ein alter Bauer, mag keine Betrüger in hohen Ämtern.
Klein Zaches, genannt Zinnober, wird wiederkommen, sieht ganz so aus.
(E. T. A. Hoffmann: Klein Zaches, genannt Zinnober, zitiert nach Projekt Gutenberg)
Der Minister begab sich mit dem Kleinen zum Fürsten. Zinnober zog das Memoire, das ihm der Minister gegeben, aus der Tasche und fing an zulesen. Da es damit aber nun gar nicht recht gehen wollte und er nur lauter unverständliches Zeug murrte und schnurrte, nahm ihm der
Minister das Papier aus den Händen und las selbst. Der Fürst schien ganz entzückt, er gab seinen Beifall zu erkennen, ein Mal über das andere rufend: "Schön - gut gesagt - herrlich - treffend!" -
Sowie der Minister geendet, schritt der Fürst geradezu los auf den kleinen Zinnober, hob ihn in die Höhe, drückte ihn an seine Brust, gerade dahin, wo ihm (dem Fürsten) der große Stern des grüngefleckten Tigers saß, und stammelte und schluchzte, während ihm häufige Tränen aus den Augen flossen: "Nein! - solch ein Mann - solch ein Talent!- solcher Eifer - solche Liebe - es ist zu viel - zu viel!" Dann gefaßter: "Zinnober! - ich erhebe Sie hiermit zu meinem Minister! - Bleiben Sie dem Vaterlande hold und treu, bleiben Sie ein wackrer Diener der Barsanuphe, von denen Sie geehrt - geliebt werden." Und nun sich mit verdrüßlichem Blick zum Minister wendend: "Ich bemerke, lieber Baron von Mondschein, daß seit einiger Zeit Ihre Kräfte
nachlassen. Ruhe auf Ihren Gütern wird Ihnen heilbringend sein! - Leben Sie wohl!" -
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