Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Mittwoch, 13. Januar 2010

Die Politik wünscht sich Feldprediger

Reinhard Bingener (FAZ vom 13. Januar 2010) macht, um Margot Käßmann zu schelten, eine Unterscheidung zwischen "politischer Rede" und "religiöser Rede" auf. Über letztere sagt er unter anderem:

"Dieser rhetorische Akt, der auch eher subtil als geifernd vollzogen werden kann und der sich in der Verkündigung Jesu wie bei den Propheten des Alten Testaments findet, schafft im strengen Sinne erst eine Moral, weil er eine Norm aufrichtet, an der sich das moralisch Gute messen lässt."

Politische Rede sei was anderes und müsse irgendwie realpolitisch sein. Käßmann nun beruft sich auf eine Schrift, in der sich die Kirche von der Theorie des gerechten Krieges verabschiedet und von einem "gerechten Frieden" spricht. Bei Bingener klingt die hämische Frage mit, was solche Käßmanns denn gegen Al Qaida zu tun gedenken. (Nun, vielleicht beten, wenn man dran glaubt?) Bingeners Fazit: Schuster, bleib bei deinem Leisten, halte salbungsvolle Reden, aber wende sie ja nicht auf die Gegenwart an.
Im Wortlaut:

"Eigentlich sollte doch gelten: Die Unterscheidung von Prophetie und Politik sollte nicht erst von außen an eine evangelische Kirche herangetragen werden."


Bei den Propheten des Alten Testaments klingt das mitunter so (Amos 1)

" 1. Dies ist's, was Amos, der unter den Hirten zu Thekoa war, gesehen hat über Israel zur Zeit Usias, des Königs in Juda, und Jerobeams, des Sohnes Joas, des Königs Israels, zwei Jahre vor dem Erdbeben.

2. Und er sprach: Der Herr wird aus Zion brüllen und seine Stimme aus Jerusalem hören lassen, daß die Auen der Hirten jämmerlich stehen werden und der Karmel oben verdorren wird.

3. So spricht der Herr: Um drei und vier Frevel willen der Damasker will ich ihrer nicht schonen, darum daß sie Gilead mit eisernen Zacken gedroschen haben;

4. sondern ich will ein Feuer schicken in das Haus Hasaels, das soll die Paläste Benhadads verzehren.

5. Und ich will die Riegel zu Damaskus zerbrechen und die Einwohner auf dem Felde Aven samt dem, der das Zepter hält, aus dem Lusthause ausrotten, daß das Volk in Syrien soll gen Kir weggeführt werden, spricht der Herr. usw."


Ach ja, auch in Innenpolitik mischen sich derlei Propheten (Amos 8):

" 1. Der Herr zeigte mir ein Gesicht, und siehe, da stand ein Korb mit reifem Obst.

2. Und er sprach: Was siehst du, Amos? Ich aber antwortete: Einen Korb mit reifem Obst. Da sprach der Herr zu mir: Das Ende ist gekommen über mein Volk Israel; ich will ihm nichts mehr übersehen.

3. Und die Lieder in dem Palaste sollen in ein Heulen verkehrt werden zur selben Zeit, spricht der Herr; es werden viele Leichname liegen an allen Orten, die man in der Stille hinwerfen wird.

4. Hört dies, die ihr den Armen unterdrückt und die Elenden im Lande verderbt

5. und sprecht: "Wann will denn der Neumond ein Ende haben, daß wir Getreide verkaufen, und der Sabbat, daß wir Korn feilhaben mögen und das Maß verringern und den Preis steigern und die Waage fälschen,

6. auf daß wir die Armen um Geld und die Dürftigen um ein Paar Schuhe unter uns bringen und Spreu für Korn verkaufen? usw."


Wir bemerken, dass sehr wohl und ganz konkret von Politik die Rede ist, weil Prophetie nun einmal von der Welt handelt. Und zweitens ist die Rede nicht subtil, weder bei Amos noch bei den meisten anderen des Alten Testaments. Aber immerhin wird da Krieg verkündigt, also könnte so ein Prophet ja auch gelegentlich sagen, der Herr spreche so: Ich will verderben die paschtunischen Turbanträger in den Bergen um drei und vier Frevel willen.

Aber Käßmann würde sich auch nicht auf das Alte Testament stützen, um sich von der Lehre vom gerechten Krieg zu verabschieden, sondern wohl eher aufs Neue. Und da findet sich durchweg die Verdammung von Gewalt. Es ist wohl nicht nötig, die Bergpredigt abzudrucken, aber anscheinend leiden sich religiös gebende Bellizisten an schlechtem Gedächtnis. Matthäus 5:


"9. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.


38. Ihr habt gehört, daß da gesagt ist: "Auge um Auge, Zahn um Zahn."

39. Ich aber sage euch, daß ihr nicht widerstreben sollt dem Übel; sondern, so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den andern auch dar.


43. Ihr habt gehört, daß gesagt ist: "Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen."

44. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen,

45. auf daß ihr Kinder seid eures Vater im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte."


Aber kann man mit den Neuen Testament nicht doch Krieg rechtfertigen? Wie es die Päpste bekanntlich bei der Ausrufung der Kreuzzüge getan haben.


Matthäus 10

"
34. Ihr sollt nicht wähnen, daß ich gekommen sei, Frieden zu senden auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.

35. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu erregen gegen seinen Vater und die Tochter gegen ihre Mutter und die Schwiegertochter gegen ihre Schwiegermutter.

36. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.

37. Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.

38. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist mein nicht wert."


Von Krieg ist wohl nicht die Rede, sondern davon, dass Jesus die Religion über alle anderen Beziehungen stellt, insbesondere auch über familiäre. Vielleicht kann man aber die Trennung von Religion und Politik noch irgendwie rauspräparieren? (Markus 11)

"
14. Und sie kamen und sprachen zu ihm: Meister, wir wissen, daß du wahrhaftig bist und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen, sondern du lehrst den Weg Gottes recht. Ist's recht, daß man dem Kaiser Zins gebe, oder nicht? Sollen wir ihn geben oder nicht geben?

15. Er aber merkte ihre Heuchelei und sprach zu ihnen: Was versucht ihr mich? Bringet mir einen Groschen, daß ich ihn sehe.

16. Und sie brachten ihm. Da sprach er: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers!

17. Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! Und sie verwunderten sich über ihn.
"


Nein, auch das gelingt nicht. Man bekommt nur heraus, dass das religiöse Gebot nach Jesu Auffassung dem Zahlen von Steuern nicht im Wege steht.


Und warum nun diese ganzen Zitate, wo mir Gott doch wurscht ist? Weil ja Bingener so tut, als wär er Christ, und eine christliche Autorität gegen Frau Käßmann entfalten will und es immer lehrreich ist, jemanden bereits an den eigenen Maßstäben scheitern zu sehen. Man sieht, Bingener kann sich gar nicht auf das Evangelium berufen, allenfalls auf die Geschichte christlicher Institutionen, die oft patriotisch, bellizistisch, opportunistisch waren. Das institutionalisierte Christentum hat über die Jahrhunderte viel Mord und Totschlag gerechtfertigt oder angezettelt und dabei eine umständliche Exegetik bemüht, allein als Minderheitenströmung ist eine pazifistische Lesart nie ausgestorben, an welche Käßmann anknüpft. Dass dies 'christlicher' als die Apologie von Kriegen sei, darf auch ein Nichtchrist behaupten. - Ich will nach den Meldungen über Käßmanns Besuch bei Guttenberg hoffen, dass sie sich nicht gewissermaßen "einbetten" lässt und in den Schoß des üblichen Burgfriedens zurückkehrt, der für die Feldprediger des ersten Weltkriegs so schön und brechreizerregend von Karl Kraus dokumentiert wurde.

(Weltgericht II, S. 51, Frankfurt a. M. 1988) Pastor Philipps sprach: "Krieg ist eben die 'Ultima ratio' das letzte Mittel Gottes, die Völker durch Gewalt zu Raison zu bringen, wenn sie sich anders nicht mehr leiten und auf den gottgewollten Wegen führen lassen wollen. Kriege sind Gottesgerichte und Gottesurteile in der Weltgeschichte ... Darum ist es aber auch der Wille Gottes, daß die Völker im Kriege alle ihre Kräfte und Waffen, die er ihnen in die Hand gegeben hat, Gericht zu halten unter den Völkern, zur vollen Anwendung bringen sollen."


Diese wagemutige Auslegung und grässliche Homiletik erscheint heute als so absurd unchristlich wie sie war. Über Bingeners Kommentar wird dereinst gerade so zu urteilen sein. Das Christentum kriegsfähig zu machen war stets nur unter Aufgabe des Christentums möglich.


Wie viele von den als bella iusta deklarierten Kriegen der Vergangenheit sehen die Historiker heute noch so? Problem: Beide Seiten fanden ihre bella ja iusta. Der Versuch, noch den Zustand des krassesten Unrechts in die Form des Rechts zu bringen, hat die Spindoktoren der Jahrtausende erfreut und ist erst im Friedensgebot der UN völkerrechtlich überwunden. Aber indem man Kriege durch die UN legitimieren lässt, kriegt man sie doch wieder "gerecht". Die Legitimation durch den Sicherheitsrat ist jedoch in einem demokratischen Legtitimationsverständnis brüchig. Regelmäßig lehnt ja die Vollversammlung ab, was der Sicherheitsrat beschließt. Aber selbst wenn man noch diesen Mechanismus abnickt, ist die völkerrechtlichen Einschätzung des Afghanistan-Kriegs, der langsam auch so heißen darf, keineswegs so klar, wie es Bingener hinstellt. Die Einschätzung, der Krieg sei völkerrechtswidrig, lässt sich zumindest vertreten, und ebenso, dass in diesem Krieg Kriegsverbrechen auch "von unserer Seite" begangen werden. Zurücl also zu Frau Käßmann: Soll sie ein juristisches Gutachten einfordern, wenn sie ein christliches Friedensgebot auf diesen Krieg anwendet? Nee, moralische Reden sollen schön abstrakt und anwendungsfern bleiben, sonst werden sie "Politik".

Und so lernen wir aus Bingeners Tirade nichts über das Völkerrecht, nichts über das Christentum, jedoch etwas über das traditionelle Verhältnis von beiden: Das Christentum darf der Realpolitik nicht im Wege stehen. - Und mag sich Adenauer beim Wiederbewaffnen der Bundesrepublik auch für einen katholischen Christen gehalten haben, ist das Bewaffnen eines erstmals unbewaffneten Lands alles, nur nicht christlich, so dass die damalige CDU-Fraktion in der Hölle gut vertreten wäre, wenn es sie denn gäbe, die Hölle. - Es gibt sie nicht, es gibt nur irdische Approximationen, z.B. ein Land wie Afghanistan, wo seit dreißig Jahren Krieg herrscht, dank der Sowjetunion, dank der Mujaheddin, dank der Warlords, dank der USA, dank der Taliban, dank der NATO.

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