Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 12. Januar 2010

Nochmals Sarrazin

Nachdem Sarrazins nach Herkunft und sozialer Lage diskriminierende Äußerungen in Lettre in einer ersten Welle Bestürzung, in einer zweiten Bestätigung hervorriefen, kehrte Ruhe ein. Wenn die einen so sagen und die anderen so, ist im Grunde nichts geschehen. Die zweite Welle war darum bemüht, Sarrazin als Ehrenmann darzustellen, der bekanntlich kein Rassist sei, und der zwar dies und jenes gesagt, damit aber etwas anderes gemeint habe, was man "ja mal sagen dürfen müsse". Es sei 'halt' sympathisch, wenn einer rede (=schwadroniere?), wie ihm der Schnabel gewachsen sei, und so weiter. Zu Recht versteht unsere Gesellschaft beim Schwadronieren keinen Spaß, wenn's antisemitsch wird, zu Unrecht gibt es verhaltenen Beifall, wenn über Türken, Araber, Unterschichten schwadroniert wird. Sarrazins die Berliner nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen bewertende Tirade enthielt aber einiges, das durch noch so viel Auslegung nicht vom Rassismusvorwurf frei gesprochen werden kann. Wie war das noch: Unsere Einwanderer seien leider keine osteuropäischen Juden mit 15% höherem Intelligenzquotienten, sondern allenfalls Gemüse verkaufende bildungsferne Türken und Arabern & mithin ein Problem?

Es ist erfreulich, dass diese Einschätzung jetzt auch auf ein Gutachten verweisen kann, das von Gideon Botsch (Moses-Mendelssohn-Zentrum) im Auftrag der Spandauer SPD angefertigt wurde, und das eben zu dem Schluss kommt, das Interview enthalte rassistische Äußerungen. Eine Zusammenfassung findet sich in der SZ, leider wurde das ganze Gutachten meines Wissens (noch?) nicht veröffentlicht. Botsch verwendet die Rassismus-Definition von Albert Memmi:
Aus dem Gesagten ergibt sich, daß der Rassismus die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver biologischer Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers ist, mit der eine Aggression gerechtfertigt werden soll.

Verallgmeinernd und verabsolutierend urteilt Sarrazin über das verhalten ethnischer Gruppen, denen jedoch (Intelligenzquotient) teilweise minderwertige biologische Eigenschaften zugerechnet werden. Statt verbesserbare Mängel etwa unserer Schulen und unseres Umgangs miteinander zu suchen, wird auf Türken und Araber gezeigt, wodurch allein schon ihnen Schaden angetan wird, von dem Schaden der durch solche Diskurse gestützten Schikanen ganz abgesehen. (Waren Sie schon mal bei der Ausländerbehörde?) Einzig das letzte Bestimmungsstück der "Rechtfertigung einer Aggression" ließe noch Freiraum für Deutelei. Wer aber in den Debatten der letzten Jahre die Forderungen nach harten Strafen oder Abschiebung bei von Migranten begangenen Straftaten verfolgt hat, wird die Äußerungen Sarrazins durchaus in einem Kontext der Aggression sehen. (Wenn das Gutachten publiziert wird, wird man im einzelnen sehen, wie Botsch die Äußerungen unter die Rassismus-Bestimmungen subsumiert.)


Reaktionen? Die antiislamische Website "pi - politically incorrect" setzt "Gutachten" in Anführungszeichen, in den Kommentaren wird dann eingedroschen auf die Moslemverteidiger. Bei der großteils antisemitischen und auch sonst rassistischen Website "fact-fiction" klingt es ganz ähnlich, nur dass da zusätzlich noch über das angeblich "jüdische" Institut hergezogen wird. Man verlinkt von der antisemitischen Website auch gerne "pi" und antideutsche Seiten. Ob sich deren Betreiber der traurigen Allianzen mit Antisemiten bewusst sind, die sie mit ihrem Moslem-Bashing eingehen?

Verallgemeinernde Abwertungen von Gruppen brauchen wir nicht. Schlüssig ist allein, sowohl gegen Antisemitismus als auch gegen Xenophobie, Muslimophobie etc. zu sein.

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