des Brockhaus (1837) lesen wir den folgenden Eintrag über Arbeitshäuser (Hervorhebungen von mir):
Arbeitshäuser sind Anstalten, in welchen arbeitslose Menschen zu jeder Zeit gegen einen angemessenen Lohn oder gegen Verpflegung Beschäftigung finden. Da, wie schon das Sprichwort sagt, Müßiggang aller Laster Anfang ist, so haben von jeher solche Anstalten höchst vortheilhaft gewirkt. Vor der Unterstützung der Armen durch Almosen haben sie den großen Vorzug, daß sie nicht blos augenblickliche Armuth lindern, sondern dieselbe auch für die Zukunft abwenden, indem sie den Verarmten vor Müßiggang schützen und den der Arbeit bereits Entwöhnten wieder an Thätigkeit gewöhnen. Der Aufenthalt in solchen Anstalten ist entweder ein freiwilliger oder ein gezwungener, weshalb man sie in sogenannte freiwillige oder Armen- und in Strafarbeitshäuser oder Correctionsanstalten eintheilt. Wohleingerichtete Armenarbeitshäuser gewähren in der Regel den Armen ein gesundes Local und im Winter Heizung und Licht, ohne ihnen von ihrem Verdienste dafür Abzüge zu machen; Männer und Frauen arbeiten in gesonderten Zimmern und die Kinder, um der nöthigen Aufsicht willen, in der Nähe der Ältern. etc.
Und aus der sechsten Auflage von Meyers Konversationslexikon (1905) erfahren wir unter
anderem:
Nach dem Reichsstrafgesetzbuch steht das Arbeitshaus in engster Verbindung mit der Überweisung an die Landespolizeibehörde, einer Nebenstrafe, auf die nach § 361, Nr. 3–8, gegen Landstreicher, Bettler und gegen Frauenspersonen, die gewerbsmäßig Unzucht treiben, erkannt werden kann. Die Überweisung kann auch gegen denjenigen ausgesprochen werden, der sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang dergestalt hingibt, daß er in einen Zustand gerät, in dem zu seinem Unterhalt oder zum Unterhalte derjenigen, zu deren Ernährung er verpflichtet ist, durch Vermittelung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch genommen werden muß. Auch wer, wenn er aus öffentlichen Armenmitteln eine Unterstützung empfängt, sich aus Arbeitsscheu weigert, die ihm von der Behörde angewiesene, seinen Kräften angemessene Arbeit zu verrichten, und wer nach Verlust seines bisherigen Unterkommens binnen der ihm von der zuständigen Behörde bestimmten Frist sich kein anderweites Unterkommen verschafft hat und auch nicht nachweisen kann, daß er solches, der von ihm angewandten Bemühungen ungeachtet, nicht vermocht habe, kann durch Richterspruch der Landespolizeibehörde überwiesen werden. Letztere erhält dadurch (§ 362) die Befugnis, die verurteilte Person entweder bis zu 2 Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden
Einerseits fallen die Armen zusammen mit Spielern, Landstreichern, Prostituierten in eine Klasse von Leuten, die man bestraft, andererseits beansprucht man, sie zu ihrem eigenen Nutzen zu korrigieren . Die einzige relevante Ursache von Armut ist für die Vertreter solcher Maßnahmen das Laster bzw. eine Charakterschwäche, und nicht etwa auch eine Wirtschaftsordnung, die Armut produziert.
Ja, finstere Zeiten, mag man denken. Arbeitshäuser gab es in der BRD bis 1969. (In der amerikanischen Besatzungszone wurden sie vorübergehend abgeschafft, Adenauers BRD führte sie aber flächendeckend wieder ein.) Auch in der DDR gab es Arbeitshäuser für "Alkoholiker", "Asoziale" etc. (laut Wikipedia, dort mit Quellenangaben).
Also nicht so lange her, die finsteren Zeiten. Das seit den 90er Jahren in den USA praktizierte und in Deutschland etwa von Roland Koch vertretene Konzept workfare lässt sich so charakterisieren:
1. Es besteht eine Verpflichtung zur Teilnahme an dem Konzept Workfare. Eine Verweigerung zieht das Risiko der Verminderung oder Streichung von Sozialleistungen nach. Die Verpflichtung hat Auswirkungen auf die Rechte der Betroffenen. Es verdeutlicht die implizite Annahme, der Grund für Arbeitslosigkeit liege nicht primär in einem Fehlen an Arbeitsplätzen, sondern am Mangel an Motivation und Anstrengung bei den Betroffenen.
2. Der Schwerpunkt von Workfare liegt auf der Aufnahme von Arbeit und weniger auf Ausbildungs- und Weiterbildungsmaßnahmen oder sonstigen Formen der Aktivierung. Ob dabei als Ziel die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt oder der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit relevant ist, wird dabei zunächst offen gelassen.
3. Workfare ist entweder eine Bedingung zum Erhalt von Sozialleistungen oder aber stellt einen adäquaten Ersatz (z.B. durch eine Lohnzahlung) für diese bereit. Voraussetzung zur Teilnahme ist wie bei Sozialleistungen eine individuelle Bedürftigkeit der Betroffenen. (zit. nach wikipedia, dort mit Quellenangaben.)
Es ist häufig von "Aktivierung" die Rede, offensichtlich sind aber Bestrafung, Zwang und Einsparungen im Zentrum der Maßnahme. Und die zugrundeliegende Theorie von den Ursachen der Armut ist just dieselbe wie beim Arbeitshaus. ("Es verdeutlicht die implizite Annahme, der Grund für Arbeitslosigkeit liege nicht primär in einem Fehlen an Arbeitsplätzen, sondern am Mangel an Motivation und Anstrengung bei den Betroffenen.") Sind die Schikanen nur groß genug, muss jeder seine Arbeitskraft unter noch so schlechten Bedingungen verkaufen. Kein Lohn kann zu niedrig sein, keine Behandlung zu schlecht. Ein solches abgespecktes Sozialsystem will den Warencharakter des Menschen. Und der Gleichgewichtspreis dieser Ware für die jeweils Ärmsten ist die bloße Lebenserhaltung.
Und wie könnte man nun nicht an "Fördern und Fordern" denken, den Slogan hinter Hartz IV? Zwar geht Hartz IV nicht so weit wie "workfare", aber Maßnahmen/1-Euro-Jobs sind in den meisten Fällen kein Sprungbrett in den "ersten Arbeitsmarkt". (Ich habe die Absicht, in einem weitern Blog einfach nur absurde Geschichten von Maßnahmen zu sammeln, weil sich bei diesen Geschichten die Frage, inwiefern hier "gefördert" wird, erübrigt.) Ich sage ausdrücklich nicht, dass wir schon bei "workfare" angekommen sind, aber es wird ja derzeit daran gearbeitet, mehr Sanktionen und eine niedrigere Schwelle für Zumutbarkeit einer Arbeit einzuführen.
Der Schoß, der Arbeitshäuser gebar, ist fruchtbar noch. Vom Arbeitshaus, das übrigens auch die Nationalsozialisten ausgiebig "nutzten", wenden sich moderne Menschen mit Abscheu ab und bejahen dann doch überraschend oft Maßnahmen, die dasselbe, nur ohne Haus, bezwecken. Es gibt eine perspektivische Selbstüberschätzung, die eigene Zeit für so fortschrittlich zu halten, die der anderen Selbstüberschätzung, den eigenen Kulturraum für überlegen zu halten, ähnelt.