Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Donnerstag, 10. September 2009

Binders Haupt

The first images of alleged al-Qaeda mastermind Khalid Sheikh Mohammed at Guantanamo Bay have appeared on the internet.

meldet die BBC und lässt anschließend Jarret Brachman zu Wort kommen:
But the images have appeared in recent days on extremist websites, according to Jarret Brachman, former research director at the Combating Terrorism Center of the West Point US Military Academy. He said the images - which emerge on the eve of the eighth anniversary of the 9/11 attacks - could inspire extremists.
"What's problematic for me is it really humanises the guy," Mr Brachman told AP news agency.

Ja, man soll demnach seine Feinde dehumanisieren? Wenn das der Geist ist, in dem der so genannte "war on terror" geführt wird, ist er ja ganz so, wie sich die Karikatur die Terroristen vorstellt. Einen Verbrecher als Menschen zu bezeichnen und zu zeigen entschuldigt ja nicht sein Verbrechen. Hegel wählt in seiner polemischen Schrift "Wer denkt abstrakt?" eben dies Beispiel eines Mörders, der für ein abstraktes und schlechtes Denken nur ein Mörder ist. Die Hinrichtung des Mörders ist die Strafe für den Mord, sie bezieht sich auf den Mörder als Mörder. Ein nicht so armes und abstraktes Denken kann den Mörder zugleich noch als etwas anderes sehen.
Ich brauche für meinen Satz nur Beispiele anzuführen, von denen Jedermann zugestehen wird, daß sie ihn enthalten. Es wird also ein Mörder zur Richtstätte geführt. Dem gemeinen Volke ist er nichts weiter als ein Mörder. Damen machen vielleicht die Bemerkung, daß er ein kräftiger, schöner, interessanter Mann ist. Jenes Volk findet die Bemerkung entsetzlich: was, ein Mörder schön? wie kann [man] so schlechtdenkend sein und einen Mörder schön nennen; ihr seid auch wohl etwas nicht viel Besseres! Dies ist die Sittenverderbnis, die unter den vornehmen Leuten herrscht, setzt vielleicht der Priester hinzu, der den Grund der Dinge und die Herzen kennt.

Ein Menschenkenner sucht den Gang auf, den die Bildung des Verbrechers genommen, findet in seiner Geschichte schlechte Erziehung, schlechte Familienverhältnisse des Vaters und der Mutter, irgendeine ungeheure Härte bei einem leichteren Vergehen dieses Menschen, die ihn gegen die bürgerliche Ordnung erbitterte, eine erste Rückwirkung dagegen, die ihn daraus vertrieb und es ihm jetzt nur durch Verbrechen sich noch zu erhalten möglich machte. – Es kann wohl Leute geben, die, wenn sie solches hören, sagen werden: der will diesen Mörder entschuldigen! Erinnere ich mich doch, in meiner Jugend einen Bürgermeister klagen gehört [zu haben], daß es die Bücherschreiber zu weit treiben und Christentum und Rechtschaffenheit ganz auszurotten suchen; es habe einer eine Verteidigung des Selbstmordes geschrieben; schrecklich, gar zu schrecklich! – Es ergab sich aus weiterer Nachfrage, daß Werthers Leiden verstanden waren.

Dies heißt abstrakt gedacht, in dem Mörder nichts als dies Abstrakte, daß er ein Mörder ist, zu sehen und durch diese einfache Qualität alles übrige menschliche Wesen an ihm [zu] vertilgen. Ganz anders eine feine, empfindsame Leipziger Welt. Sie bestreute und beband das Rad und den Verbrecher, der darauf geflochten war, mit Blumenkränzen. – Dies ist aber wieder die entgegengesetzte Abstraktion. Die Christen mögen wohl Rosenkreuzerei oder vielmehr Kreuzroserei treiben, das Kreuz mit Rosen umwinden. Das Kreuz ist der längst geheiligte Galgen und Rad. Es hat seine einseitige Bedeutung, das Werkzeug entehrender Strafe zu sein, verloren und kennt im Gegenteil die Vorstellung des höchsten Schmerzes und der tiefsten Verwerfung, zusammen mit der freudigsten Wonne und göttlicher Ehre. Hingegen das Leipziger [Kreuz], mit Veilchen und Klatschrosen eingebunden, ist eine Kotzebuesche Versöhnung, eine Art liederlicher Verträglichkeit der Empfindsamkeit mit dem Schlechten.

Ganz anders hörte ich einst eine gemeine alte Frau, ein Spitalweib, die Abstraktion des Mörders töten und ihn zur Ehre lebendig machen. Das abgeschlagene Haupt war aufs Schaffot gelegt, und es war Sonnenschein; wie doch so schön, sagte sie, Gottes Gnadensonne Binders Haupt beglänzt! – Du bist nicht wert, daß dich die Sonne bescheint, sagt man zu einem Wicht, über den man sich erzürnt. Jene Frau sah, daß der Mörderkopf von der Sonne beschienen wurde und es also auch noch wert war. Sie erhob ihn von der Strafe des Schaffots in die Sonnengnade Gottes, brachte nicht durch ihre Veilchen und ihre empfindsame Eitelkeit die Versöhnung zustande, sondern sah in der höheren Sonne ihn zu Gnaden aufgenommen.

Alte, ihre Eier sind faul, sagt die Einkäuferin zur Hökersfrau. Was, entgegnet diese, meine Eier faul? Sie mag mir faul sein! Sie soll mir das von meinen Eiern sagen? Sie? Haben ihren Vater nicht die Läuse an der Landstraße aufgefressen, ist nicht ihre Mutter mit den Franzosen fortgelaufen und ihre Großmutter im Spital gestorben, – schaff sie sich für ihr Flitterhalstuch ein ganzes Hemd an; man weiß wohl, wo sie dies Halstuch und ihre Mützen her hat; wenn die Offiziere nicht wären, war jetzt manche nicht so geputzt, und wenn die gnädigen Frauen mehr auf ihre Haushaltung sähen, säße manche im Stockhause, – flick sie sich nur die Löcher in den Strümpfen! – Kurz, sie läßt keinen guten Faden an ihr. Sie denkt abstrakt und subsumiert sie nach Halstuch, Mütze, Hemd usf. wie nach den Fingern und anderen Partien, auch nach [dem] Vater und der ganzen Sippschaft, ganz allein unter das Verbrechen, daß sie die Eier faul gefunden hat; alles an ihr ist durch und durch mit diesen faulen Eiern gefärbt, dahingegen jene Offiziere, von denen die Hökersfrau sprach – wenn anders, wie sehr zu zweifeln, etwas daran ist –, ganz andere Dinge an ihr zu sehen bekommen mögen. [zitiert nach zeno.org]


Khalid Sheikh Mohammed sitzt in Guantanamo für seine Beteiligung an dem Anschlag, ein Mörder, in dem auch noch etwas anderes zu sehen nach Brachman gefährlich ist. George W. Bush muss, je nach Rechnung, Hunderttausende oder über eine Million Tote im Irak und Afghanistan verantworten, er ist nach der umgekehrten Abstraktion aber nur demokratisch gewählter Präsident. Geht's noch?

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