Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Donnerstag, 10. September 2009

Frau Teflon

"Der Afghanistan-Einsatz ist unsere Reaktion auf den Terror. Er ist von dort gekommen und nicht umgekehrt."

erklärte Frau Merkel. Und deshalb sind die seit Anfang des Jahres durch Luftangriffe der NATO getöteten ca. 800 Zivilisten irgendwie auch Opfer der Terroristen vom 11. September. Dass Zivilisten bei den Tanklastzügen standen, scheint inzwischen zwar klar, aber Merkel wendet sich gegen "Vorverurteilungen". Das klingt vorsichtig, sachlich, ist aber nach Sachlage einfach nur ein Verzögern des Eingeständnisses, dass sehr wohl Zivilisten dran glauben mussten. Wichtig ist, die erste Empörung auszusitzen, später ist es dann keine Nachricht mehr.
"Wir trauern um jeden Menschen, der in Afghanistan unschuldig zu Tode kommt."

Ja, fein. Es kommen aber jede Wochen Zivilisten auch durch Nato-Einsätze um. Wir trauern demnach um die Leute, die wir umgebracht haben. Und deswegen sind unsere Soldaten zwar Töter, aber nie Mörder, gell? Die Erregbarkeitsschwelle ist aber inzwischen sehr hoch. Die Hohlheit von Merkels Worten wirft ihr niemand vor, gefährlich wäre es dagegen, etwas zu sagen. Dass sich Profillosigkeit auszahlt, liegt unter anderem an einem merkwürdig zahmen Journalismus. Na ja, einige der Phrasen werden's in die "Briefe an die Leser" der Zeitschrift "Titanic" schaffen. Soweit die kritische Öffentlichkeit.
Einen Tag später, als die zivilen Opfer noch weniger bezweifelt werden können, verspricht Merkel noch mehr Aufklärung und sagt wieder so einen typisch merkelschen Satz
„Mir ist es sehr wichtig, dass die Soldaten wissen, dass wir hinter ihnen stehen und sie unsere politische Unterstützung haben.“

Das ist ja aber auch das mindeste, wenn man sie hinschickt in einen Krieg, den man so zu nennen sich weigert. Ob die Soldaten auch bemerken, dass Merkel ihnen,indem sie ihnen "Rückendeckung" gibt, die Verantwortung zuweist? Wir, die Regierung haben keine Fehler gemacht, allenfalls habt ihr Fehler gemacht, ABER wir stehen hinter euch als eure Regierung. Verantwortlich seid natürlich ihr, nicht wir. Diese Teflon-Sätze sind ein wahres Wunder an Abwälzung und Nicht-Festlegung. Wie wär's denn mal so:
Wenn Zivilisten verbrutzelt wurden, ist in erster Linie die Regierung verantwortlich und nicht die Soldaten, die sie schickt. Wo gehobelt wird, fallen natürlich Späne, und aus der Luft lässt sich ein Zivilist nun mal schlecht von einem Kämpfer unterscheiden, das ist uns klar. Wir trauern natürlich nicht um diese ganzen wildfremden Toten, das sag ich nur so.

1 Kommentar:

Georg Fries hat gesagt…

Mir scheint an diesem hervorragenden Kommentar besonders wichtig, daß tatsächlich Merkel in ihrer ureigenen Manier jeweils die Pluspunkte sammelt, und Fehler, in der konservativen Politikersprache, "wegdelegiert". Das ist unglaublich, aber noch hat sie damit, wie es scheint, Erfolg. Erstaunlicherweise ist es Mehrheiten grad egal, ob es dabei um Menschen, die man umbringt, geht. Schon erstaunlich, Merkel-Fan Peter Hahne im ZDF nach diesem Unglück herumeiern zu sehen.... Er konnte nicht zugeben, daß die Linkspartei seit langem die Argumente hat, die Merkel nun langsam für sich "neu entdeckt", und wollte par tout Merkel loben. Wird Zeit, daß mehr Leute das durchschauen...