Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Donnerstag, 27. September 2012

Posener leider auch gaga

Warum mir in der Finsternis der Berichterstattung der Tageszeitung Die Welt  gelegentlich bei Alan Poseners Texten ein Schimmer von Aufklärung entgegenzuleuchten schien, habe ich vergessen. Sein jüngster Text, auf den ich durch einen Artikel in der jungen Welt aufmerksam wurde, zitiert ganz ironiefrei Kipling's Gedicht The White Man's Burden, um es auf die undankbaren orientalischen Völker zu beziehen, die uns die Geschenke der Freiheit und der Zivilisation mit Hass und Gewalt vergelten, genauer den Undank derjenigen Libyer, die den amerikanischen Botschafter getötet haben, nachdem sie doch den USA ihre Befreiung von Gaddafi verdanken.

Unter den Geschenken, die wir, bzw. die USA bringen, finden sich aber auch Hochmut (s. Posener) und Gewalt (s. die Statistiken der zivilen Toten im Irak, in Afghanistan, in Libyen, in Pakistan durch Drohnen, etc.) und manches andere. Das zu erwähnen, ist billig, wäre man auch ein noch so strammer Anhänger unserer Kriege. Berichte über die noch andauernden Menschenrechtsverletzungen der libyschen Rebellen, denen das westliche Militär zum Sieg verholfen hat, liegen vor.  Man mag diesen Kriegseinsatz dennoch insgesamt für richtig halten, aber bitte nicht so tun, als sei alles edel-edel gewesen. 

Posener tut genau das, wäscht die Unsrigen ganz weiß und erklärt jene Völker zu undankbaren Barbaren.  Die Fähigkeit, Graustufen zu erkennen und darzustellen, geht ihm offenbar ab, was ich für eine Form von Geistesschwäche halte.

 Ich mag nicht verstehen, wie man den erbärmlichen Mohammed-Schmähfilm eines obskuren Produzenten als Grund für einen solchen Anschlag auf den Botschafter eines Landes nehmen kann - ebensowenig verstehen das die meisten Bewohner der muslimischen Welt. Anders steht es mit der Wut. Das Filmchen steht nun mal im Kontext kolonialistischer Arroganz à la Posener, des ewigen us (edel, demokratisch, zivilisiert, freiheitlich) und them (Barbaren mit den jeweils entgegengesetzten Attributen). Darüber darf man wütend sein. Glauben Sie bloß nicht, dass derlei nur Fundamentalisten und Fanatiker ärgert. Ich ließe mich auch nicht gerne als Kaffer bezeichnen.

Take up the White Man's burden--
Send forth the best ye breed--
Go bind your sons to exile
To serve your captives' need;
To wait in heavy harness,
On fluttered folk and wild--
Your new-caught, sullen peoples,
Half-devil and half-child.

 Es ist zwar seit geraumer Zeit nicht mehr schick, Antikolonialist zu sein. Wenn Posener dieser Artikel nicht um die Ohren fliegt, muss ich leider erkennen, dass es sogar wieder salonfähig ist, Kolonialist zu sein. Im übrigen war Kipling wenigstens ein guter Schriftsteller.

Samstag, 16. Juni 2012

Krieg für die Menschenrechte

Diese Propaganda-Formel ist seit den Bombardements in den Kriegen, die Ex-Jugoslawien verheert haben, geläufig. Die einzig Vernünftige Haltung, Krieg als die wirkliche ultima ratio anzusehen, die grundsätzlich eine große Zahl systematischer Menschenrechtsverletzungen mit sich bringt, wird in den die jeweiligen Kriegseinsätze rechtfertigenden Diskursen regelmäßig als Appeasement gegenüber dem Regime oder Despoten diskreditiert. Dabei fehlt selten einer, der explizit eine Analogie mit den Nazis zieht, und daraus die Notwendigkeit ableitet: Wir müssen etwas tun.

Dass die Nazi-Vergleiche in allen Fällen (Bosnien, Kosovo, Libyen) entweder die Nazis verniedlichen oder die jeweiligen Regimes grotesk überhöhen, muss kaum erklärt werden. Josef Fischer tingelt mit Reden zur Politik durch die Welt; es hat ihm offenbar ebensowenig geschadet, die Bombardements im Kosovo durch 'nie wieder Auschwitz' gerechtfertigt zu haben, wie die Tatsache, dass es weder das Massaker von Racak noch den Hufeisenplan gegeben hat, die entscheidend dafür waren, die öffentliche Meinung einem Bombardement gewogen zu machen. Auch wirft man weder ihm noch anderen vor, dass das Kosovo heute ein schlecht funktionierendes, korruptes, in allerlei Verbrechen verstricktes, seine Minderheiten maltraitierendes Gebilde ist, aus dem sich rettet, wer kann, ob Albaner, Serbe oder Rom. Eine Analyse der gegenwärtigen Menschenrechtslage in Libyen steht aus. Soviel aber ist klar, dass sich die dank Bombardements siegreichen Aufständischen während des Krieges Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen haben lassen, die denen des Regimes nicht nachstehen.

Was braucht man, um der Bevölkerung einen Krieg für die Menschenrechte schmackhaft zu machen? Zunächst natürlich eine dauernde Berieselung mit gleichlautenden Nachrichten, die eindeutig die Rolle der Bösen und der unschuldigen Opfer besetzen. Darüber hinaus braucht man, um denn wirklich mit dem Krieg anzufangen, einen Anlass. Der ist typischerweise ein Massaker, die große Greueltat, bei deren Anblick keiner, der ein Herz hat, noch vom Kriege abstehen kann. Überhaupt das Herz, aber davon ein ander mal.

Im Falle Syriens war nun viel vom Massaker von Hula die Rede. Über dieses Massaker wie über die Gesamtheit der Geschehnisse in Syrien schreibt die Mehrheit der Medien, indem sie sich fast ausschließlich auf Aussagen des syrischen Nationalrats stützt, einer Exilorganisation, für deren Repräsentativität außer ihrer extrem effizienten Pressearbeit nichts spricht. Allenfalls schrieben die seriösen Medien am Ende ihrer vollends einseitigen Artikel, dass die Regierung dies anders darstelle und sich keine Darstellung überprüfen lasse. Nachdem nun für manche vergangenen Kriege die Mechanismen, mit denen Spindoktoren und Werbeagenturen die öffentliche Meinung manipulieren, untersucht worden sind (etwa Beham/Becker über die Arbeit amerikanischer Werbeagenturen für Kriegsparteien in Exjugoslawien), muss man sich über die Naivität wundern, mit der viele Journalisten einem Akteur wie dem Syrischen Nationalrat begegnen. Es müsste doch die Regel sein, in Kriegen und Bürgerkriegen allen Parteien zu misstrauen. In dem großen Medientenor gab es allerdings Ausnahmen, die ihrerseits wenig Echo fanden.

Für die junge Welt berichtete Karin Leukefeld zum Teil anderes aus Syrien, doch gehört es zum guten Ton, diese auf ein linkes Leserspektrum beschränkte Zeitung nicht ernst zu nehmen. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 14. März 2012 war eine sehr differenzierte Analyse von Mona Sarkis zu lesen, die für bürgerliche Leser seit Monaten die erste Möglichkeit war, aus der Verwechslung des Syrischen Nationalrats mit der syrischen Opposition herauszufinden, doch löste dieser Artikel keinen grundsätzlichen Wandel in der Berichterstattung aus. Was misstrauisch stimmen hätte können, ist die vom Syrischen Nationalrat erhobene Interventionsforderung, also die Forderung nach einem ausgewachsenem Krieg. Wer glaubt, dass eine Mehrheit von Syrern das für gut heißt, nachdem Syrien Millionen von Kriegsflüchtlingen aus dem Libanon und dem Irak aufgenommen hat und die Schrecken des Krieges nicht nur als ferne Abstraktion kennt? Dabei vermute ich nach den Erfahrungen eines zweimonatigen Syrien-Aufenthalts, dass die allermeisten Syrer das Regime gerne loswären, wenn sich das ohne Krieg bewirken ließe. Etwas wie 'Freiheit oder den Tod' sagt sich sehr viel leichter, wenn man entweder im Exil sitzt oder bereits Kriegspartei ist.

Seit kurzem nun berichtet Rainer Hermann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einer Weise, die sich vom Schwarz-Weiß der letzten Monate erheblich unterscheidet. Speziell bringt er eine genaue Analyse der ihm zugänglichen Informationen und Zeugenaussagen zum Massaker von Hula, die es als sehr viel wahrscheinlicher erscheinen lässt, das Massaker bewaffneten Aufständischen "unter der Führung von Abdurrazaq Tlass und Yahya Yusuf" zuzuschreiben als der Regierung. Er zeichnet auch ein differenzierteres Bild der syrischen Opposition und der syrischen Gesellschaft, die einen allgemeinen Wunsch nach Intervention wenig plausibel erscheinen lässt. Wie groß Rainer Hermanns journalistische Tugend, sich nicht auf einseitige Quellen zu verlassen, ist, zeigt sich im Vergleich mit den meisten anderen.

Im übrigen mag es zu spät sein, der zivilen und an einer friedlichen Lösung interessierten syrischen Opposition die Daumen zu drücken. Es wurden und werden in der Zwischenzeit so viele Waffen ins Land gebracht, dass noch lange geschossen werden kann. Alle zivile Opposition ist unter solchen Umständen ohnmächtig und kann nur abwarten, wer den Krieg gewinnt. Die internationale Gemeinschaft scheint ohnehin mehr auf Intervention hinzuwirken als Friedenspläne zu unterstützen. Zu letzterem hätte das Unterbinden von Waffenlieferungen an jegliche Partei gehört. Ob das Regime diesen Krieg gewinnt oder verliert, die zivile Opposition gehört fast mit Sicherheit zu den Verlierern. Das aber geht im moralisierenden Gerede unter, BHL schläft gut nach dem Libyenkrieg, und Philipp Mißfelder (CDU) wird gut schlafen, wenn denn irgendwann Syrien zum failed state gebombt sein wird.

Pazifismus ist kein Appeasement. In Wahrheit werden die fortschriftlichen Kräfte einer Gesellschaft regelmäßig durch Kriege weit zurückgeworfen. Keiner der jüngsten Kriege hat etwas mit 'die Allierten besiegen Nazi-Deutschland' zu tun. Wer, wie Josef Fischer, Tony Blair, Nicolas Sarkozy so ein Bild zeichnet, lügt. Das Blut der von uns und der von uns unterstützten Seite Ermordeten schreit nicht weniger laut zum übrigens fühllosen Himmel.

Mittwoch, 8. Februar 2012

Was ist der syrische Nationalrat?

Um die Wahrheit zu sagen, ich habe keine Ahnung, und auch meine syrischen Bekannten steigen nicht durch. Er hat aber offenbar eine gute Werbeagentur, was noch nicht gegen ihn spricht, denn à la guerre comme à la guerre. Merkwürdiger ist dann schon, dass die Presse und die Internetpublikationen, die offenbar ebensowenig Informationen wie ich haben, so fest zu wissen glauben, dass es sich um die Guten handelt, nur weil Assad ein Böser ist.

Es mag aber komplizierter sein. Haitham Maleh, Mitglied des Exekutivkomitees des syrischen Nationalrats, gab dem Telegraph ein Interview, das heute (8.2.) veröffentlicht wurde. Darin sagt er unter anderem:

"Assad and his family will be killed in Syria, their next steps will be very bloody," he said. "Two months ago we offered him the option to leave us alone and go but instead he went for the blood of his people. The end for him will be that he is killed like Gaddafi."

So spricht der human rights activist. Es ist unklar, ob er diesen Satz bloß beschreibend sagt oder wünscht, dass es so kommen möge. Das wird im Folgenden klarer:

The 80-year old dissident rebuffed Russian attempts to broker talks with the regime to end spiralling violence. "Talks will not happen. How can we have dialogue with a criminal regime, we can't do it now," Mr Maleh, a founding member of the executive committee of the SNC, said. "The game is over. How can we talk with a person who has put a pistol to our heads. It is impossible to make dialogue with this person.

"Talks will not happen." Zumindest ist soviel sicher, dass Maleh lieber beliebig viele Tote riskiert, als einem Kompromiss zuzustimmen, der natürlich das Risiko birgt, dass sich das Regime wieder erholt - so wie ein zu Ende geführter Bürgerkrieg das Risiko birgt, dass keineswegs die Opposition gewinnt, sondern die bewaffneten Gruppen mit den besten Verbündeten. Aus Libyen erreichen uns Bilder von grinsenden Männern mit Maschinengewehren und die Nachricht von großen Kriegsverbrechen, die die libyschen Rebellen begangen haben und Verbrechen, die sie noch begehen. Die Stadt Tawergha haben sie in summarischer Bestrafung 'Dunkelhäutiger' für unterstellte Vergewaltigungen in eine Geisterstadt verwandelt. Et cetera. Die Gewalt ist also durch die Gewalt, unterstützt von Nato-Gewalt umgekommen, jetzt herrscht wieder die Gewalt. Zivilisten sind scharenweise dabei gestorben, obwohl es doch laut 'spin' allein um den Schutz von Zivilisten ging. Jetzt erst wieder kann man lesen, was die Rebellen getan haben, während des Krieges las es sich wie jetzt.

"Talks will not happen." Wunderbar, so ähnlich spricht möglicherweise Assad. Denn Leute wie Maleh "put a pistol to his head".

Was ist der Unterschied zwischen einem Bürgerkrieg und einer Revolution? (Ich bin sicher, es gibt einen.) Was ist ein Regimewechsel gegen Despoten wert, wenn sich die andere Seite auf Gewalt festlegt, statt auf Recht? "Assad wird sich vor Gericht verantworten müssen." wäre ja beispielsweise auch ein Satz gewesen.

Viele der syrischen Oppositionellen, die lange schon auf ein Ende dieses Regimes hoffen, setzen nun nolens volens auch Hoffnungen in den Syrischen Nationalrat. Sie werden, wie ich fürchte, missbraucht. Was ist eigentlich an dem russischen Einwand auszusetzen, dass eine UN-Resolution alle Seiten auffordern müsse, die Waffen niederzulegen?

Antwort: 1. Dass er nicht von uns kommt. 2. Dass "regime change" schon lange auf unserer Wunschliste steht, und was kümmern uns schließlich die dafür Sterbenden? Allenthalben wird von Russlands eigennützigen Motiven gesprochen, was zu guten Teilen stimmen mag, aber doch brechreizerregend selbstgefällig ist. Uns ginge es demnach nur um die Menschenrechte? Eine Gegenfrage sei allen Kriegstreibern gestellt: Was ist entwicklungsfähiger, Krieg oder Frieden?

Ja, kann man den aber mit solch einem Regime verhandeln? Durch Erwähnen etwa Hitlers wird klar, dass man nicht mit jedem Menschen verhandeln mag. Alle Maßstäbe wären aber zerbrochen, wenn man einen kontrollfixierten Despoten, der sicher viele Verbrechen auf sich geladen hat, mit dem König aller Massenmörder vergliche. Ja, wenn man einen friedlichen Übergang anstelle eines Bürgerkriegs bekommen könnte, dann wäre es gut zu verhandeln, auch mit Leuten, die man verabscheut.

Vielleicht gelingt Syrien eine Revolution. Wenn sich diejenigen Mitglieder des syrischen Nationalrats, die nach einer "Flugverbotszone" (obwohl weit und breit keine Flugzeuge verwendet werden) rufen, durchsetzen, wird Syrien,wie ich fürchte, um seine Revolution betrogen und stattdessen einen Bürgerkrieg haben, der irgendwen nach oben schwemmt. Kennen Sie viele Bürgerkriege, die ausgerechnet die Rechtschaffenen nach oben getragen haben?

Der syrische Nationalrat verbreitet nun auch die Meldung, die Iraner seien bei der Unterdrückung des Aufstands aktiv. Das klingt nun auch wieder sehr nach Werbeagentur. Denn wenn stimmt, was alle glauben, hat Syrien eine Nachhilfe in Sachen Militär, Polizei und Geheimdienst wohl kaum nötig.

Die fatale Entwicklung der UN vom Friedensgaranten ("ja, in Bosnien haben die Blauhelme versagt") zum Kriegslegitimierer lässt Freunden des Völkerrechts und des Friedens keine andere Wahl, als über Russland und China, unabhängig von deren Motiven, erleichtert zu sein.

Tawergha. Tawergha. Tawergha.

Haben Sie auch schon Artikel gelesen, die keinen Zweifel daran lassen, was das Richtige in Syrien ist und die dann schließen mit der Bemerkung, dass sich die Angaben der Opposition nicht überprüfen lassen? Nichts von dem hier gesagten lässt sich überprüfen. Nichts von dem, was sie sonst lesen, lässt sich überprüfen. In Syrien sagte vor zwei Jahren ein Bekannter: Ihr im Westen glaubt ja alles, was in den Zeitungen steht, wir hingegen glauben grundsätzlich nichts. Von Syrien lernen.

Samstag, 4. Februar 2012

Kriegführen leider schwer

Christoph Heinemann interviewte Wolfgang Ischinger, den Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz für den Deutschlandfunk. Das Interview wurde am 3. Februar ab 7:15 ausgestrahlt. Ich ziehe es vor, um diese Zeit zu schlafen, war aber leider wach und hörte leider Radio und vernahm um 7:24 das Folgende:

Heinemann: Herr Ischinger, Sie haben den Wahlkampf angesprochen. Mitt Romney hat sich geäußert, der republikanische Präsidentschaftskandidat hat sinngemäß gesagt - ich sage es jetzt in meinen Worten -, wie kann man nur so blöde sein, den Taliban, also dem Feind, den Abzugstermin mitzuteilen. Wieso wird so brüllend laut über diesen Termin nachgedacht?


Ischinger: Es ist der innenpolitische Druck bei uns allen, in Washington, in Berlin, in Paris - Paris schreitet jetzt munter voran. Natürlich ist das nicht die beste Form des Vorgehens, aber wir leben nun mal in Demokratien. Die Politik fordert - das ist jedenfalls der Eindruck in fast allen Hauptstädten -, die Politik fordert symbolische und tatsächliche Schritte hin zur Beendigung dieses Krieges. Dass es militärisch sicherlich besser wäre, den "Feind" im Unklaren, völlig im Unklaren darüber zu lassen, was die eigenen Pläne sind, das ist auch klar, das steht in jedem militärischen Lehrbuch. Aber in einer offenen, transparenten Demokratie können sie solche Dinge nicht geheim halten. Das macht das Kriegführen für Demokratien leider auch schwer.

Ja, das hat er wirklich gesagt. Das ganze Interview findet sich auf den Seiten des Deutschlandfunks hier. Der verdiente Diplomat, der die deutsche Außenpolitik, etwa in Bezug auf das Kosovo, leider mitgestaltet hat, war leider auch Mitarbeiter des UN-Generalsekretärs Kurt Waldheim, der bekanntlich leider auch einen Orden des Ustascha-Regimes sein eigen nannte. Ischinger redete im Interview vorher durchaus vorsichtig über den Umgang mit dem Iran, die Möglichkeit eines 'Containments' ohne Krieg. Er ist kein scharfer Hund, kein großer Kriegstreiber, und doch mag ich ihn nach diesem Satz nicht mehr als Gastprofessor und Mitglied zahlreicher 'Think tanks' die Weltpolitik mitgestalten sehen. Wenn es so wäre, dass die taktischen und strategischen Erfordernisse eines Krieges sich nicht mit Demokratie vertragen, wenn also das Kriegführen in Demokratien schwer wäre, dann würden Demokratien weniger Kriege führen. Leider aber gibt es zahlreiche Beispiele von Krieg führenden Demokratien, die sich über diese Schwierigkeit leider durch Verheimlichen oder durch Spindoktoren hinweggeholfen haben. Zum Schutz von Zivilisten wurden ja Zehntausende jüngst in Libyen abgemurkst, bei den demokratisch legitimierten Kriegen der letzten Jahrzehnte ging es immer um Freemanmoxy (Steve Bell), so dass gute Demokraten hinter den Kriegen standen und die Kriegsgegner am Schandpfahl. Ist der Afghanistan-Krieg wirklich nur unbeliebt in den USA, weil amerikanische Leichen zurückkommen, oder könnte es auch sein, dass ein disfunktionaler afghanischer Staat die glorreichen Versprechungen der Meisterdiplomaten nach Art Ischingers Lügen straft? Was sich in diesem "auch leider" verrät, ist die Perspektive, unter der die Empfindlichkeiten des Wahlvolks als technisches Problem erscheinen.

Wir können uns auch fragen, ob dieses technische Problem überhaupt besteht. Wenn man die Taliban länger im Ungewissen über den Abzug ließe, wäre dann die afghanische Regierung weniger schwach und weniger korrupt? Ist dort überhaupt militärisch etwas zu gewinnen oder zu verlieren? Reflektierte Menschen neigen zu Entscheidungsschwäche, die großen Berater und Entscheider können sich zu viel Nachdenken gar nicht leisten, das ist die Wahrheit.

Wer bewacht die Wächter? Unsere Diplomaten, unser Militär, unsere Inlandsgeheimdienste müssen zwangsläufig denken, dass manches Nützliche in Demokratien leider schwer sei. Und werden's dann wohl leider trotzdem tun.