Diese Propaganda-Formel ist seit den Bombardements in den Kriegen, die Ex-Jugoslawien verheert haben, geläufig. Die einzig Vernünftige Haltung, Krieg als die wirkliche ultima ratio anzusehen, die grundsätzlich eine große Zahl systematischer Menschenrechtsverletzungen mit sich bringt, wird in den die jeweiligen Kriegseinsätze rechtfertigenden Diskursen regelmäßig als Appeasement gegenüber dem Regime oder Despoten diskreditiert. Dabei fehlt selten einer, der explizit eine Analogie mit den Nazis zieht, und daraus die
Notwendigkeit ableitet: Wir müssen etwas tun.
Dass die Nazi-Vergleiche in allen Fällen (Bosnien, Kosovo, Libyen) entweder die Nazis verniedlichen oder die jeweiligen Regimes grotesk überhöhen, muss kaum erklärt werden. Josef Fischer tingelt mit Reden zur Politik durch die Welt; es hat ihm offenbar ebensowenig geschadet, die Bombardements im Kosovo durch 'nie wieder Auschwitz' gerechtfertigt zu haben, wie die Tatsache, dass es weder das Massaker von Racak noch den Hufeisenplan gegeben hat, die entscheidend dafür waren, die öffentliche Meinung einem Bombardement gewogen zu machen. Auch wirft man weder ihm noch anderen vor, dass das Kosovo heute ein schlecht funktionierendes, korruptes, in allerlei Verbrechen verstricktes, seine Minderheiten maltraitierendes Gebilde ist, aus dem sich rettet, wer kann, ob Albaner, Serbe oder Rom. Eine Analyse der gegenwärtigen Menschenrechtslage in Libyen steht aus. Soviel aber ist klar, dass sich die dank Bombardements siegreichen Aufständischen während des Krieges Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen haben lassen, die denen des Regimes nicht nachstehen.
Was braucht man, um der Bevölkerung einen Krieg für die Menschenrechte schmackhaft zu machen? Zunächst natürlich eine dauernde Berieselung mit gleichlautenden Nachrichten, die eindeutig die Rolle der Bösen und der unschuldigen Opfer besetzen. Darüber hinaus braucht man, um denn wirklich mit dem Krieg anzufangen, einen Anlass. Der ist typischerweise ein Massaker, die große Greueltat, bei deren Anblick keiner, der ein Herz hat, noch vom Kriege abstehen kann. Überhaupt das Herz, aber davon ein ander mal.
Im Falle Syriens war nun viel vom Massaker von Hula die Rede. Über dieses Massaker wie über die Gesamtheit der Geschehnisse in Syrien schreibt die Mehrheit der Medien, indem sie sich fast ausschließlich auf Aussagen des syrischen Nationalrats stützt, einer Exilorganisation, für deren Repräsentativität außer ihrer extrem effizienten Pressearbeit nichts spricht. Allenfalls schrieben die seriösen Medien am Ende ihrer vollends einseitigen Artikel, dass die Regierung dies anders darstelle und sich keine Darstellung überprüfen lasse. Nachdem nun für manche vergangenen Kriege die Mechanismen, mit denen Spindoktoren und Werbeagenturen die öffentliche Meinung manipulieren, untersucht worden sind (etwa Beham/Becker über die Arbeit amerikanischer Werbeagenturen für Kriegsparteien in Exjugoslawien), muss man sich über die Naivität wundern, mit der viele Journalisten einem Akteur wie dem Syrischen Nationalrat begegnen. Es müsste doch die Regel sein, in Kriegen und Bürgerkriegen allen Parteien zu misstrauen. In dem großen Medientenor gab es allerdings Ausnahmen, die ihrerseits wenig Echo fanden.
Für die junge Welt berichtete Karin Leukefeld zum Teil anderes aus Syrien, doch gehört es zum guten Ton, diese auf ein linkes Leserspektrum beschränkte Zeitung nicht ernst zu nehmen. In der Neuen Zürcher Zeitung vom 14. März 2012 war eine sehr differenzierte Analyse von Mona Sarkis zu lesen, die für bürgerliche Leser seit Monaten die erste Möglichkeit war, aus der Verwechslung des Syrischen Nationalrats mit der syrischen Opposition herauszufinden, doch löste dieser Artikel keinen grundsätzlichen Wandel in der Berichterstattung aus. Was misstrauisch stimmen hätte können, ist die vom Syrischen Nationalrat erhobene Interventionsforderung, also die Forderung nach einem ausgewachsenem Krieg. Wer glaubt, dass eine Mehrheit von Syrern das für gut heißt, nachdem Syrien Millionen von Kriegsflüchtlingen aus dem Libanon und dem Irak aufgenommen hat und die Schrecken des Krieges nicht nur als ferne Abstraktion kennt? Dabei vermute ich nach den Erfahrungen eines zweimonatigen Syrien-Aufenthalts, dass die allermeisten Syrer das Regime gerne loswären, wenn sich das ohne Krieg bewirken ließe. Etwas wie 'Freiheit oder den Tod' sagt sich sehr viel leichter, wenn man entweder im Exil sitzt oder bereits Kriegspartei ist.
Seit kurzem nun berichtet Rainer Hermann in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einer Weise, die sich vom Schwarz-Weiß der letzten Monate erheblich unterscheidet. Speziell bringt er eine genaue Analyse der ihm zugänglichen Informationen und Zeugenaussagen zum Massaker von Hula, die es als sehr viel wahrscheinlicher erscheinen lässt, das Massaker bewaffneten Aufständischen "unter der Führung von Abdurrazaq Tlass und Yahya Yusuf" zuzuschreiben als der Regierung. Er zeichnet auch ein differenzierteres Bild der syrischen Opposition und der syrischen Gesellschaft, die einen allgemeinen Wunsch nach Intervention wenig plausibel erscheinen lässt. Wie groß Rainer Hermanns journalistische Tugend, sich nicht auf einseitige Quellen zu verlassen, ist, zeigt sich im Vergleich mit den meisten anderen.
Im übrigen mag es zu spät sein, der zivilen und an einer friedlichen Lösung interessierten syrischen Opposition die Daumen zu drücken. Es wurden und werden in der Zwischenzeit so viele Waffen ins Land gebracht, dass noch lange geschossen werden kann. Alle zivile Opposition ist unter solchen Umständen ohnmächtig und kann nur abwarten, wer den Krieg gewinnt. Die internationale Gemeinschaft scheint ohnehin mehr auf Intervention hinzuwirken als Friedenspläne zu unterstützen. Zu letzterem hätte das Unterbinden von Waffenlieferungen an jegliche Partei gehört. Ob das Regime diesen Krieg gewinnt oder verliert, die zivile Opposition gehört fast mit Sicherheit zu den Verlierern. Das aber geht im moralisierenden Gerede unter, BHL schläft gut nach dem Libyenkrieg, und Philipp Mißfelder (CDU) wird gut schlafen, wenn denn irgendwann Syrien zum failed state gebombt sein wird.
Pazifismus ist kein Appeasement. In Wahrheit werden die fortschriftlichen Kräfte einer Gesellschaft regelmäßig durch Kriege weit zurückgeworfen. Keiner der jüngsten Kriege hat etwas mit 'die Allierten besiegen Nazi-Deutschland' zu tun. Wer, wie Josef Fischer, Tony Blair, Nicolas Sarkozy so ein Bild zeichnet, lügt. Das Blut der von uns und der von uns unterstützten Seite Ermordeten schreit nicht weniger laut zum übrigens fühllosen Himmel.
Wer zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet kann noch jede Ungerechtigkeit rechtfertigen und jedes Feindbild stützen. Ein Maß für unsere Freunde, ein anderes für unsere Feinde. Hier sollen einige Fälle von "zweierlei Maß" dokumentiert werden, ein Wasserträgerdienst an der Gerechtigkeit als wirksamer Idee, auf die sich sogar die verpflichten, die sich an ihr vergehen.
Emil Julius Gumbel
Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.
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