Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Montag, 31. Januar 2011

Huch, unser Freund ist ein Diktator

Hier erübrigt sich der Text. Alle westlichen Regierungen pflegen die Unterscheidung in "gute Diktaturen" (mit uns verbündet) und "böse Diktaturen" (uns feindlich gesonnen). Die "bösen Diktaturen" werden bei jeder Gelegenheit angeklagt, gemahnt, unter Druck gesetzt oder gelegentlich militärisch beseitigt. Die "guten Diktaturen" bekommen hingegen Waffen und logistische Unterstützung für die Aufrechterhaltung ihrer Macht.

Das alles funktioniert sehr gut, solange es funktioniert. Wenn dann allerdings eine "gute Diktatur" durch eine Revolution beseitigt wird, kommt üblicherweise ein uns feindlich gesonnenes, mithin "böses" Gebilde heraus. Selbst wenn das neue Gebilde (Islamische Republik Iran) bei allen Defiziten demokratischer als das vorhergehende (Kaiserreich Iran) ist, ist es doch sogleich "böser" als dieses.

Über Ägypten und Tunesien ist dieser Tage rein gar nichts Neues berichtet worden. Dass das ägyptische Regime durch Polizei und Militär herrscht, dass gefoltert wurde und wird, dass es bei Wahlen nichts zu wählen gibt, war bekannt. Die Frage, wo im nahen Osten die Bösen sitzen, provozierte aber stets die Antworten "Syrien" und "Iran". Das sich im Schrank befindliche Skelett darf unter keinen Umständen erwähnt werden. "Menschenrechte" sind in der politischen Praxis zur selektiven Rechtfertigungsmasche verkommen. Die Menschenrechte in Ägypten durften nicht interessieren, die im Iran dienen zur Kriegs- oder Putschvorbereitung.

Nun also auf einmal der Aufstand. Huch. Zunächst Botschaften aus Paris, Washington, London, die den befreundeten Diktatoren Rückendeckung gaben und hofften, dass alles bis auf etwelche Reformen beim Alten bliebe.

1. Beispiel: Am 11. Januar schlägt die französische Außenministerin in der Nationalversammlung vor, Ben Ali mit französischen Sicherheitskräften zur Hilfe zu kommen. Kurz darauf suchte Ben Ali bekanntlich das Weite. Nun bleibt Sarkozy nichts anderes übrig, als zu verkünden, Frankreich stünde an der Seite des tunesischen Volkes. (Sarkozy unterhielt bis dato sehr gute Beziehungen zu Ben Ali. Diktatur und Korruption waren bekannt.) Am 24. Januar ringt er sich zu einem schleimigen "mea culpa" durch, das so lautet:

Quand on est si proches, quand les destinées individuelles et collectives sont tellement imbriquées, on n'a pas toujours le recul nécessaire pour comprendre les sentiments de l'autre, bien mesurer ses frustrations, et sans doute ses angoisses, [...]
Derrière l'émancipation des femmes, l'effort d'éducation et de formation, le dynamisme économique, l'émergence d'une classe moyenne, il y avait une désespérance, une souffrance, un sentiment d'étouffer dont, il nous faut le reconnaître, nous n'avions pas pris la juste mesure. [...]
"Une ère nouvelle s'ouvre pour les relations entre la Tunisie et la France."
[...]
Sans doute avons-nous sous-estimé, nous la France, cette aspiration des nos amis tunisiens à la liberté.

Ist es nicht zauberschön, steindumm und tolldreist? "Le dynamisme economique" wurde also mit Fortschritt verwechselt, wie ja üblicherweise Kapitalismus mit Demokratie. (Fürs Protokoll: Jede Wirtschaftsform ist mit jeder Herrschaftsform kombinierbar. Die allerwenigsten Regierungen, ob nun eines 'kapitalistischen' oder eines 'kommunistischen' Landes, waren je demokratisch.) "Wir, Frankreich, haben das Streben unserer tunesischen Freunde nach Freiheit unterschätzt." Wir? Frankreich? Eine auf wirtschaftlichen Erfolg fixierte politische Elite ist nicht "Frankreich." Nun, mal gespannt wie harmonisch die "neue Ära der Beziehungen" zu "nos amis tunisiens" aussieht. Sollten die Tunesier eigentlich denken, dass Frankreich sie am A... lecken kann, werden sie es sich aus wirtschaftlichen Gründen vermutlich anders überlegen. Alles halb so schlimm.

2. Beispiel
Die Außenministerin der USA Clinton bezeichnete noch am 25. Januar Mubaraks Regierung als stabil. Sie versuche, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen. Ein paar Tage und Tote später erklärt sie dann, die ägyptische Regierung müsse in einen Reformdialog eintreten. Am 30. schließlich erklärt sie, Ägypten müsse einen geordneten Übergang zu einer wirklichen Demokratie vollziehen, wobei zum Kontrast noch erklärt wird, was keine wirkliche Demokratie wäre, nämlich so was wie der Iran. Im Klartext: Nach Jahrzehntelanger Unterstützung einer Diktatur wird der "Freiheit und Demokratie"-Slogan hervorgezogen und gleich schon wieder an die Durchsetzung "unserer" Vorstellungen verraten. Meisterlich.

3. Beispiel
David Cameron äußerte sich heute in der BBC "they go down the path of reform and not of repression [...] a proper orderly transition to a more democratic situation [...] to show the people of egypt that their aspirations are listened to [...] We should be encouraging friends and Egypt is a good friend, to make the right choice and not the wrong choice." (Eigenes Transkript, vermutlich mit kleinen Fehlern.) Wichtig also ist, wir halten fest, den Leuten das Gefühl zu geben, sie würden gehört.

4- Beispiel
Last, but nor least funny, Guido Westerwelle, zitiert nach ZEIT:
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat der ägyptischen Führung erstmals die Kürzung von Hilfen angedroht, falls sie keine demokratischen Reformen zulässt. "Für uns ist völlig klar, dass die demokratische Entwicklung eines Landes immer ein Kriterium der Gemeinsamkeit und der Zusammenarbeit ist", sagte Westerwelle in Köln. Die Gewährung von Bürger- und Menschenrechten sei auch für die Bundesregierung "ein Kriterium, mit anderen Ländern zusammenzuarbeiten oder aber die Zusammenarbeit zurückzuführen". Die EU-Außenminister würden am Montag in Brüssel beraten, welche Konsequenzen sie aus den jüngsten Ereignissen in Ägypten zögen.
Menschenrechte sind also bis Mitte Januar kein Problem im Umgang mit Ägypten, itzo schon. Wunderbar. Für uns ist völlig klar, dass ihr alle Steißgesichter seid, mag der Ägypter über uns denken.

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