Chancenland
Legitimationslücke der deutschen Zuwanderungspolitik
Zuwanderungsgesellschaft
Parallelwelten
Zielvorgaben
Aufstiegschancen
Drittstaatsangehörige
Integrationsprojekte
Willkommenskultur
Begrüßungspakete
Migrationshintergrund
Die schillernde Seifenblasenwelt der Multi-Kulti-Gesellschaft ist geplatzt.
Elternaktivitäten
Konzepte zu einem Nationalen Aktionsplan mit verbindlichen Integrationspartnerschaften
Integrationsmaßnahmen
Integrationsangebote
Integrationsverträge
Integrationsleistungen
Doch wir sollten darüber nachdenken, einen zusätzlichen Turbo zu installieren.
feierliche Einbürgerungsfeiern
Bildungschancen
chancenorientierte Ingegration
Zuwanderungssteuerung
Stärkung des deutschen Auslandskulturwesens
Die Liste illustriert nichts, das man nicht schon wüsste, aber sie illustriert das Bekannte sehr schön. Von der Idee des liberalen Rechtsstaats, in dem alle, unabhängig von Geschlecht, Religion oder Herkunft dieselben Rechte und Pflichten haben, ist darin nichts mehr zu finden. Alles scheint ein großes gesellschaftliches und vor allem wirtschaftl iches Optimierungsproblem zu sein. "Ein moderne funktionierende Wirtschaft braucht Einwanderung qualifizierter Fachkräfte."
Schön und gut, gleichzeitig signalisiert die ganze Rede von der Integration, dass die Einwanderer, wie wir schon haben, eben nicht die rechten sind, solange sie sich nicht "integrieren." Damit ist aber gerade nicht das einzige gemeint, was ein liberaler Rechtsstaat verlangen kann, nämlich sich an die Gesetze zu halten, sondern sprachliche, kulturelle und ökonomische Verhaltensweisen. Der kleine Satz vom gescheiterten Multi-Kulti ist vermutlich einer Absprache der Regierungskoalition geschuldet, denn man hört ihn immer wieder aus dem Mund der Kanzlerin und diverser Minister. Damit "besetzt" die Regierung ein Thema, ohne auch nur klären zu müssen, was sie meint. - Merkel ließ etwa verlauten (FAZ, 4. November 2010) "Integration erfodert aber eine politische und gesellschaftliche Kraftanstrengung." Mein sei vorher fälschlicherweise davon ausgegangen, Integration laufe von selbst. Im selben FAZ-Artikel heißt es "Die Bundesregierung will mit dem nationalen Aktionsplan die Integration von in Deutschland lebenden Migranten überprüfbar machen." - Hinter all dem steht auch eine Drohgebärde gegen "Integrationsverweigerer"; das aber geschieht, um die Ressentiments mancher Wähler zu bedienen. Schuld ist nicht eine verfehlte Wirtschaftspolitik, schuld sind "die". (Das ist ja gemeint, wenn von einer verfehlten Integrationspolitik gesprochen wird.) Dass man damit die Idee eines liberalen Rechtsstaats beschädigt, stört anscheinend wenige, auf die man verzichten kann. Die Schuldzuweisung kommt allerdings mit dem Anspruch daher, man kümmere sich jetzt um die Lösung der Probleme und erzwinge zum Besten aller Beteiligten Integration. (Wenn Integration etwas derart herrisch und einseitig Gefordertes ist, muss jeder noch nicht ganz gebrochene Mensch, und wär er der Frommste und Sanfteste, antworten: Nein.) Wer seine Arbeit verliert, muss die Zumutung einer "Wiedereingliederungsvereinbarung" über sich ergehen lassen, Einwanderer müssen "Integrationsvereinbarungen" eingehen. Der Form nach verpflichten sich beide Seiten in diesen Vereinbarungen zu etwas, einen Zwang und eine Bevormundung spürt aber nur die schwächere Seite: Der Arbeitslose; der Einwanderer.
Die größer werdenden Schicht von Verarmten, die zwischen prekären Beschäftigungen, Arbeitslosigkeit und Maßnahmen wechseln, enthält viele Einwanderer, wie ja jede soziale Verschlechterung Einwanderer besonders trifft. Gesetzliche und wirtschaftliche Bedingungen haben diese Schicht hervorgebracht. Wenn die Ausländer nicht wären, gäbe es diese Schicht mit anderer Besetzung genauso. Von den "ethnischen Deutschen", die ihr angehören, kann man schlecht "Integration" einfordern. Integration oder deren Fehlen ist nicht die Ursache dieser Phänomene, nur dem einzelnen kann man es unter die Nase reiben, er wäre jetzt nicht arbeitslos, wenn er Ingenieur wäre. Wären aber alle Arbeitslosen Ingenieure, gäbe es auch nicht mehr zu produzieren.
Ein "Chancenland", soso, täte es nicht einfach ein Land, wo man seine Rechte in Anspruch nehmen kann? Dass unser Schulsystem viele um Chancen prellt, ist bekannt (OSZE, Pisa). Und ebenso prellt die Wirtschaft diejenigen um die Chance auf ein würdiges Leben, die das Reservoir für die Billigarbeit bilden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, Mindestlöhne, kostenlose Bildung, die Verabschiedung vom dreigliedrigen Schulsystem, derlei würde den jetzt zu Verlierern Gestempelten oder wenigstens deren Kindern "Chancen" geben. Aber von einem "Liberalen" ist ein Pochen auf die Rechte der Einzelnen im liberalen Rechtsstaat längst nicht mehr zu erwarten.
"Willkommenskultur" und "Begrüßungspakete" werden übrigens auch nicht viele brillante Köpfe nach Deutschland bringen. Dafür ist unsere Sprache zu wenig verbreitet und zu unwichtig, und dafür sind wir auch zu provinziell, so provinziell wie das oben exzerpierte Geschreibsel.
Eines noch: Das alles bedeutet nicht, dass der Staat oder die Gesellschaft "nichts zu leisten brauche" und "alles von selbst geschehe", was das Zusammenleben von Einheimischen und Einwanderern betrifft. Es sollte selbstverständlich sein, dass ein Land allen seinen Bewohnern "Chancen" gibt und nicht nimmt. In einem Land, in dem viele Menschen mit einer anderen Muttersprache leben, wäre ein zusätzlicher Unterricht in der Muttersprache eine gute Idee, da noch immer viel dafür spricht, dass so etwas die kognitive Entwicklung fördert und letztlich der Ausdrucksfähigkeit in beiden Sprachen zugute kommt. Dieser Unterricht wurde vielerorts abgeschafft, wenn es ihn gab. Im "Integrationsstreit" wurde er zum Zankapfel, da der muttersprachliche Unterricht von denen, die so herrisch nach Integration rufen, als Problem gesehen wurde: Die sollen gefälligst deutsch lernen. Vereinzelt wurden auch Studien zitiert, die in besonderen Fällen die Nützlichkeit des muttersprachlichen Unterrichts anzweifeln. Insgesamt spricht aber der überwiegende Teil der Studien für diese so genannte "Interdependenzhypothese", dass die muttersprachliche Förderung auch der Zweitsprache und allen anderen kognitiven Fähigkeiten zugute kommt. (s. etwa Helbig (Hrsg): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationale Handbuch, I. Berlin, New York 2001. S. 617 ff.) Was nun nicht sagen soll, dass ein schlecht gemachter muttersprachlicher Unterricht irgendwem nütze. Man erkennt an diesem kleinen Politikum sehr gut, dass es eben nicht um "Chancen" und "Integration" geht, sondern um Assimilation. Darum interessieren die Studien über die Bedeutung des muttersprachlichen Unterrichts auch nicht. Es kann doch nicht sein, dass einer ein besserer Deutscher wird, indem er besser türkisch lernt. Die Rheinland-Pfälzische CDU schlägt vor, den muttersprachlichen Unterricht abzuschaffen und Sprachtests für Kleinkinder einzuführen.
„Der Muttersprachliche Unterricht ist kein Instrument für den Bildungserfolg und hilft auch nicht dabei, dass die Kinder in unserer Gesellschaft erfolgreich ihren Platz finden“
sagt Bettina Dickes, die bildungspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion. Eine Begründung liefert sie nicht. Es kann ja, angesichts des Forschungsstands, auch keine Begründung geben.
p.s. Ich sitze öfters im Bus neben türkischen oder arabischen Jugendlichen, die zwischen ihrer jeweiligen Muttersprache und Deutsch hin- und herschalten. Im Gegensatz zu den beliebten Karikaturen a la "Hey, Alter..." höre ich immer wieder gewandte und originelle Formulierung, von der Komplexität des Hin- und Herschaltens ganz abgesehen. Brüderles Text ist langweiliger, schlechter formuliert und gedankenärmer als viele dieser Gespräche, so ist es nun einmal, da hat auch die Bildung nicht viel geholfen.
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