Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Dienstag, 28. Oktober 2008

Heftys Gewissen

Georg Paul Hefty schreibt über
"Das persönlichste öffentliche Gut" in der FAZ vom 28. 10. 2008

„Das Gewissen ist das Persönlichste, was ein Mensch hat. Zugleich ist es aber auch ein öffentliches Gut.“ „Doch grenzenlos frei kann das Gewissen im Verständnis der Verfassung nicht sein, sonst ergäbe der vorgeschriebene Wortlaut für den Amtseid des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers und der Bundesminister keinen besonderen Sinn: Seine 'Pflichten gewissenhaft (zu) erfüllen' ist aus der Sicht des Staates nur dann vertrauenerweckend, wenn sich das Gewissen des Amtsinhabers nicht allzu sehr von dem unterscheidet, was gemeinhin als Gewissenskonsens gilt, und zwar in inhaltlicher und methodischer Hinsicht gleichermaßen.“ Auch wenn Hefty selbst nicht ganz versteht, was er mit der methodischen Hinsicht des Gewissens meint, wollen wir nicht kleinlich sein und etwas aus dem Satz lernen. Wenn, nur mal angenommen, eine nationalsozialistische Regierung mit großem arischem Gewissensrückhalt beim Volk beschließt, die Juden auszurotten, und Gesetze wie Verfassung ändert, dann hat der Bundespräsident fein mitzumachen und nicht etwa aus dem Gewissenskonsens auszuscheren. Nein, das war nicht gemeint? Sondern es war ein garantiert freiheitlich-demokratisches und keineswegs nationalsozialistisches Gewissen gemeint, Konsens hin oder her. Hefty geht es ja eher umgekehrt um das Verhindern des falschen Gewissens. „Das Grundgesetz setzt somit voraus, dass kein Amtsträger mit seinem Gewissen einer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung feindlichen Ideologie dient. Daraus folgt zwingend die Frage, wie denn die persönlichen Gewissen in einer pluralistischen Gesellschaft gebildet sind.“ Ja, zum Beispiel werden Gewissen durch die Kommentare in der FAZ gebildet, die von unseren Truppen oder denen unserer Vebündeter getötete Zivilisten - ohne mit der Wimper des Gewissens zu zucken - als Kollateralschäden bezeichnen (28. 10.) oder gar erklären, dass, wo gehobelt werde, nun einmal Späne fallen. Außerdem braucht man nur eine x-beliebige Zeitung zu lesen, um festzustellen, dass in den afrikanischen Bürgerkriegen die Qualitätsgewehre von Heckler & Koch sehr beliebt sind und Konzerne, die große Gewinne machen, dennoch gerne Personal entlassen, um anderswo Leute mit Hungerlöhnen anstellen zu können. All das nach FAZ-Leitline keine Stolpersteine für's Gewissen, so dass ein gehaltvoller Gewissensbegriff voraussetzt, die Kinderchen weder von der FAZ noch von der Welt viel mitkriegen zu lassen.

So war es aber anscheinend auch nicht gemeint, sondern er meint das christlich geprägte Gewissen. „In der ehemaligen DDR sind viele Menschen in einem Atheismus aufgewachsen, der nicht einfach kirchenfern oder -feindlich im aufgeklärten Sinne war, sondern barbarische Züge trug, wie die Unterdrückung der Menschenrechte und die Rechtfertigung leninistischer Morde zeigen. Auch in der alten Bundesrepublik verlor die tradierte Gewissensbildung an Kraft, sonst gäbe es heute keine Neonazis, die ihre Augen und Ohren vor den sittlichen Lehren der Vergangenheit verschließen.“ Zu denen ja gehört, dass die bis dato noch bestehende christliche Prägung bekanntlich 1870/71, zwei Weltkriege und den Holocaust verhindert hat, sowie dass die 'deutschen Christen', auch wenn das allen peinlich sein mag, in der Mehrheit waren.

Dass mit einem wirklich christlichen Gewissen keiner dieser Kriege stattgefunden hätte, die Bundesrepublik sich nicht ganz flink aus Bündnisgründen wieder bewaffnet hätte, die Bundeswehr jetzt nicht in Afghanistan stünde, dafür viel mehr in Entwicklungshilfe flösse, und Hire and Fire, Billiglohn und Ausbeutung nicht vorkämen, glaube ich allerdings auch. Wirkliche Christen würde man in gefährliche Nähe zu Terroristen stellen müssen.

„Diese Mängel kann nur der Staat beheben. Sein klassisches Instrument ist dazu die Schule.“ „Hat erst einmal ein junger Mensch sein Gewissen nach der Maxime ausgerichtet, dass alles 'gut' ist, was ihm Vorteile verschafft, dann wird es für die Gemeinschaft schwierig.“ Gut gesagt, ihr alten Klassenkämpfer von der FAZ habt ja auch immer gegen den widerlichen Eigennutz des wirtschaftlichen Handelns gewettert! Die Schule soll also weniger Wissen und mehr Werte vermitteln, und zwar abendländisch-christliche, auch wenn in deren Namen schon so ziemlich alles angerichtet wurde: Armer Mann, ganz verwirrt, nix gelernt in der Schule außer Werte, schlimme Sache.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

eine interessante Stellungnahme zu diesem Artikel...
Ich hatte den Artikel von Georg Paul Hefty heute in einer Deutsch-Klausur (13.Klasse) zur textgebundenen Erörterung vorliegen.
Und ich muss sagen, dass sie wohl über all der Kritik an der FAZ den Blick auf das Wesentliche des Artikels, gewissermaßen auf dessen Hauptintention, verloren haben. Hefty geht es nicht um eine, wie auch immer geartete Form des Gewissens, sondern um die neu zu fördernde und neu zu belebende Gewissensbildung in unserer Gesellschaft. Haben Sie schon mal die Zeitungen und Meldungen nach Wörtern wie "gewissenlos" "frei von gewissen" oder ähnlichem durchsucht? Dann wüßten Sie nämlich wie nötig der Appell zur Gewissensbildung ist! Und der Schluss von Hefty, dass die Schule hier einspringen müsse, ist durchaus beachtenswert und in meinen Augen auch richtig. Denn, wie Hefty auch richtig schreibt, sind die bisherigen Instanzen Kirche und Elternhaus dazu nicht mehr in der Lage. Dies hat verschiedentliche Gründe, die jetzt wohl zu weit führen würden, aber nichtdestotrotz ist es immer mehr Aufgabe der Schulen geworden, Werte und Normen zu vermitteln und damit ein Gewissen zu bilden. Warum bestärkt man also die Schule nicht in der Aufgabe, die ihr zwar in den bisherigen (aber eh schon realitätsfremden) Kultusplänen und Gedankenspielen der Politiker nicht vorkommt, aber schon lange Gegenstand ist, nämlich eben dieses Gewissen auszubilden?!! Da bei den G8-Reformen eh Verbesserungsbedarf besteht, wieso nicht gleich eine Neuausrichtung bzw. Schwerpunkt-Setzung auf die Vermittlung von Normen und Werten?
Denn wer soll es sonst machen?!? Ach ja: Wissensvermittlung ist ab einem gewissen Grad Sache der Uni, und der in der Schule vermittelte Stoff ist spätestens ab Klasse 10/11 zum Großteil "für den Mülleimer" (oder wissen Sie noch, wie man den Abstand zwischen einer Ebene und einer Geraden im Vektorraum berechnet? Oder den Winkel zwischen beiden? - Nein? Im Abi sollte mans schon wissen ;-)

Also...ich finde Sie werden mit ihrem Kommentar der Qualität des Artikels nicht ganz gerecht...

btw: Ihre Kommentare zu "wirklichen Christen" bedürfen dringstens einer Grundlage und Rechtfertigung...Ist ein "wirklicher Christ" etwa gleich ein Fanatiker, so wie Sie es sehen, indem Sie ihn in die Nähe von Terroristen rücken? Oder ist ein "wirklicher Christ" nicht viel mehr ein Mensch der Nächstenliebe lebt und andere Meinungen/Religionen achtet und respektiert ?!
MfG
Thomas Leitermann
(Falls Sie Lust haben zu antworten: wmmr-rockz at web punkt de