Emil Julius Gumbel

Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.

Samstag, 26. Juli 2008

Kollateralschaden, again

Nachdem britische Truppen in Afghanistan auf ein Fahrzeug geschossen haben, in dem sie "Aufständische" vermuteten, in dem sich aber hernach nur schwer verwundete gewöhnliche Zivilisten fanden, drücken alle Verantwortlichen ihr Bedauern aus. Verwerflich scheint nichts daran, dass nervöse Soldaten aus Angst vor Selbstmordanschlägen Zivilisten erschießen, solange sie es nicht absichtlich tun, während besagte Sehlbstmordanschläge, bei denen die Täter ihr Leben in die Waagschale legen um ihnen feindliche Soldaten zu erwischen, regelmäßig als feige und hinterhältig betitelt werden. Eine Sprache für die Herren und eine für die Knechte, ganz sicher. Die BBC berichtet weiter:


Troops have warned civilians to keep away from their convoys and checkpoints.

However, some Afghans, apparently unaware that they are seen as a threat, have failed to heed these warnings.


Apparently unaware that the road that leads from their village to the next village does no longer belong to them, but to the UK?

Wohlgemerkt, man versteht die nervösen Soldaten, die nach einer Woche mit mehreren Anschlägen lieber einmal zu viel als zu wenig schießen. Versteht man aber nicht auch diejenigen, die fremde Armeen bekämpfen, die Afghanistan den ersten Frieden nach zwanzig Jahren Krieg wieder zerbombt haben? Bzw. diejenigen, die jenen langen Bürgerkrieg gewonnen haben und es nicht recht einsehen, dass Europäer und Amerikaner in ihrem Bürgerkrieg mitkämpfen? Vergleichbare Fälle von zweierlei Maß sind bei allen Kriegen festzustelle. Krieg, staatlich sanktioniertes Töten, bedarf schon immer moralisierender Propaganda, und das vielleicht noch mehr, wenn es sich um demokratische Staaten handelt.

Natürlich gibt es in diesem Krieg PARTEIEN, die die Präsenz der westlichen Truppen begrüßen, denn diese sind selbst PARTEI. Es ist kein Polizeieinsatz gegen Banditen, sondern ein Kampf mit den Bürgerkriegsparteien, die verloren haben, gegen die Bürgerkriegsparteien, die gewonnen haben. Dass das Verbrechensregister etwa der ehemaligen Nordallianz dasjenige der so genannten Taliban womöglich noch übersteigt, kümmert nicht, man ist schließlich Partei mit universalistischer Rhetorik. In den Zeitungen steht auch oft: Ja, natürlich hätte man den Krieg nicht anfangen sollen, jetzt aber ist es besser zu bleiben. Natürlich wäre es besser gewesen, die Sowjetarmee wäre nicht einmarschiert, aber einmarschiert schien's der UdSSR besser, den Krieg auch zu gewinnen. Natürlich wäre es für die USA besser gewesen, sich keine Mujaheddin heranzuziehen, aber nachdem dies geschehen ist, ist es eben besser, diese durch neue Kriege zu bekämpfen usw.

Es wäre nicht das erste Beispiel, in dem die "Realisten" die Karre immer wieder in den Dreck fahren und jedesmal wieder die "Idealisten" beschimpfen, deren abstrakte Prinzipien ja nichts brächten. Pazifisten hätten auch das unsympathische Regime Afghanistans von außen durch Verträge bändigen können, während innere Veränderungen möglich gewesen wären, aber das sind ja immer Spinner, die Pazifisten.

Also im Klartext: Die britischen Soldaten haben auf afghanische Zivilisten geschossen. So etwas geschieht in Afghanistan jeden Tag. Das ist Unrecht, und es geschieht in der Folge von anderem
Unrecht.

Die Eroberung Afghanistans durch amerikanische und britische Truppen war durch keinen UN-Beschluss gedeckt. Später übernahmen dann die Vereinten Nationen ihre gewohnte Aufgabe, das bereits angerichtete Chaos mit aufzuräumen, und beaufragten die ISAF,
die Interimsregierung zu stützen. Die ISAF sollte also eine von einer Partei an die Macht gebrachte Partei stützen, was das Völkerrecht kaum weiterbringen dürfte.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

25.08.2008, junge welt
Doppelte Standards
Peking/London
Mit gebetsmühlenartig wiederholten Verweisen auf Menschenrechtsverletzungen, Zensur und Tibet beendeten die westlichen TV-Stationen ihre Übertragungen aus Peking. Die Pflicht gehörte zur Kür, hatten sich die Chinesen doch mit einer spektakulären Abschlußfeier von den Olympischen Spielen verabschiedet. Im »Vogelnest« genannten Prachtstadion stellte sich zudem London mit rotem Doppeldeckerbus und Fußballpromi David Beckham als Gastgeber der Spiele 2012 vor – zur Begeisterung der hiesigen Kommentatoren. Zuvor treffen sich Athleten aus aller Welt 2010 in Vancouver zu den Winterspielen.

Kein Wort der Kritik an Menschenrechtsverletzungen und Zensur Großbritanniens und Kanadas. Dabei sind beide Länder als Juniorpartner integraler Bestandteil der US-geführten Besatzungsregime in Afghanistan und im Irak. Die Nachrichtenagentur AP meldete just zur Stab­übergabe in Peking die Freilassung des 38jährigen Ahmed Nuri Rasiak aus dreimonatiger Militärhaft in Bagdad. Der Kameramann arbeitet seit 2003 für APTN und war Anfang Juni in seinem Haus in Tikrit festgenommen worden. Warum, ist bis heute unklar. Anfang Juli noch hatten die Besatzer angekündigt, Raziak werde aus »dringenden Sicherheitsgründen« für mindestens sechs weitere Monate im Gefängnis bleiben. Nun erklärten die US-Truppen, sie hätten festgestellt, daß von ihm keine Bedrohung ausgehe. Am 21. August war der Reuters-Kameramann Ali Al Maschhadani nach drei Wochen Haft freigelassen worden. Was ihm vorgeworfen wurde, wurde zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt. AP bilanzierte am Sonntag: »Seit dem US-Einmarsch im Irak 2003 haben die Streitkräfte immer wieder einheimische Journalisten festgenommen, die für internationale Medien wie AP, Reuters oder die BBC arbeiten. Im April wurde ein 2005 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter Fotograf der Nachrichtenagentur AP, Bilal Hussein, nach zwei Jahren in Haft freigelassen.«

Bleibt zu hoffen, daß spätestens die olympischen Spiele in Vancouver und London positiv auf die Besatzungsregime einwirken. (rg)

Anonym hat gesagt…

26. August 2008 Die Vereinten Nationen (UN) haben den Tod von 90 Zivilisten bei einem Angriff der von Amerika geführten Truppen in Afghanistan bestätigt. Die Ermittlungen auf der Grundlage von Augenzeugen-Berichten hätten überzeugende Beweise dafür geliefert, „dass etwa 90 Zivilisten getötet wurden, darunter 60 Kinder, 15 Frauen und 15 Männer“, sagte der UN-Sondergesandte für Afghanistan, Kai Eide, am Dienstag.

Nach den Erkenntnissen der UN-Ermittler haben die Kämpfe in der Ortschaft Nawabad mehrere Stunden gedauert. Dann habe es Luftangriffe gegeben; die Zerstörungen der Bombardements seien unübersehbar. Sieben bis acht Häuser seien völlig zerstört, andere schwer beschädigt worden. Dorfbewohner hätten die Zahl der Opfer, deren Namen und Geschlecht bestätigt. Eide verwies darauf, dass solche Aktionen das Vertrauen der Afghanen in die Bemühungen für den Aufbau eines gerechten und friedlichen Rechtsstaates untergraben.

Der afghanische Präsident Hamid Karzai hatte die Tötung der Zivilisten in der Provinz Herat scharf verurteilt. Das amerikanische Militär hatte erklärt, die Toten seien Taliban-Kämpfer. Afghanische Soldaten und Koalitionstruppen hätten einen Taliban-Führer in Herat gesucht, als sie von Aufständischen angegriffen worden seien. Daraufhin hätten die Soldaten zurückgeschossen und Luftunterstützung angefordert.
Unterdessen hat Präsident Hamid Karsai General Dschalandar Schah Behnam und den Kommandeur Abdul Dschabar wegen Nachlässigkeit und Zurückhaltung von Informationen über zivile Opfer bei Militäraktionen entlassen.

Anonym hat gesagt…

Aus der FAZ, 28.8.08:
Bei der Isaf heißt es, auch wenn die „Aktivität“(der "Aufstänischen") um ein Drittel dieses Jahr zugenommen habe – für die Ostprovinzen ist gar von einer Zunahme um 40 Prozent die Rede –, so sei das nicht allein darauf zurückzuführen, dass tatsächlich die Taliban aktiver würden. Vielmehr trete die Isaf durch zunehmende Präsenz, durch die sie die Autorität der Zentralregierung gegen Aufständische zu stärken hofft, „einfach mehr Leuten auf die Füße“, wie deutsche Offiziere sagen; oder, amerikanisch ausgedrückt: „Wenn du mehr Cowboys ins Indianerland schickst, bekommst du mehr Gefechte.“

Anonym hat gesagt…

FAZ, 28.8.08
"Einerseits nimmt die Zahl der Vorfälle eindeutig zu. Wurden in ganz Afghanistan seit Jahresbeginn etwa 1200 Explosionen von Sprengladungen gezählt, durch die 850 Menschen (Soldaten wie – vor allem – Zivilisten) getötet und mehr als 1900 verwundet wurden, waren es 2007 im gleichen Zeitraum 800 Anschläge mit gut 600 Toten und 1500 Verwundeten. 1060 der 1200 Anschläge dieses Jahr wurden im Süden und Osten verübt."

Nicht erwähnt wurden die Schätzungen von Human Rights Watch, nach denen 2006 4400 und 2007 8000 Menschen insgesamt in dem Krieg getötet wurden.
Die meisten der Opfer gingen demanch, stimmen diese Zahlen, auf das Konto der Besatzungstruppen, nämlich 2007 8000-600=7400.
600 von der Taliban Getötete machen sie für den FAZ-Autor Löwnstein zu "unangenehmen Gestalten". Stimmt!
Für mich aber ist die NATO, die 7400 Menschen auf ihrem Gewissen hat, eine noch unangenehmere Gestalt.