Am Sonntag, den 23. Februar wurde um 13:06 das Gesetz "Über die Grundlagen der staatlichen Sprachenpolitik" aufgehoben, das jeder Sprache in den Regionen, in denen sie Muttersprache von mindestens 10 Prozent der Bevölkerung ist, den Status einer Regionalsprache gab, die auch in der Verwaltung, vor Gerichten, etc. verwendet werden kann. Nach dem Beschluss dieses Gesetzes im September vergangenen Jahres brach eine große Kampagne der ukrainischen Nationalisten gegen das Gesetz an. Jetzt also haben sie vorläufig gewonnen, da Ukrainisch wieder die einzige zulässige Verwaltungssprache in der ganzen Ukraine ist.
So much for 'Demokraten gegen Despoten'. Vor Jahren, als ich nach der orangenen Revolution mit dem Fahrrad quer durch die Ukraine fuhr, unterhielt ich mich mit jungen Ukrainern in Katerstimmung. Ich kann mich an Sergeij erinnern, der für die Proteste nach Kiew gefahren war und kurz an allgemeine Verbesserung der Verhältnisse geglaubt hatte und mit einem Austausch der maßgeblichen Oligarchen aufgewacht war. Ich kann mich übrigens nicht erinnern, ob seine Muttersprache Russisch oder Ukrainisch war. Er jedenfalls hatte Öl- und Gasexploration in der Ukraine studiert, dann aber nur eine Stelle in Sibirien gefunden. Er fuhr jeweils für ein bis zwei Monate nach Sibirien und verbrachte dann einen in Burshtyn. In gleicher Weise im Westen Arbeit zu suchen wäre kaum möglich gewesen, da Visen schwer zu bekommen waren und sind. -- Man beachte die feinen Unterschiede einer europäisch-amerikanischen Rhetorik, die immer wieder beschwört, die Ukraine zähle irgendwie zum Westen oder zu Europa, aber um Himmels Willen keine ukrainischen Arbeiter auf dem europäischen Markt haben will. Es geht den Geopolitikern offenbar nicht um die Ukrainer, sondern um die Ukraine. Den meisten Ukrainern ist mit dem Austausch von Kleptokraten oder etwas mehr oder weniger Nationalismus natürlich nicht gedient, wäre diese Veränderung auch noch so schön verpackt in
Silberpapier, Freedom-Gedöns und Marschmusik; sie würden nur gerne unter würdigen Umständen arbeiten und leben.
Die auf zerrütteten Verhältnissen parasitierenden nationalistischen und rassistischen Ideologien bleiben widerlich, auch wenn man die Mechanismen erkennt, die sie begünstigen. Ich kann mich an ukranische (übrigens auch polnische, litauische) Nationalisten erinnern, die erklärten, sie seien Europäer, im Gegensatz zu denen, den Russen, den Asiaten. Und erinnern kann ich mich auch an Gedenktafeln, die die Taten von Nazikollaborateuren priesen, zwischen Lwiw, Lwow, Lwów, Lemberg und der Grenze zu Rumänien.
Die westliche Berichterstattung war von einer so unreflektierten Einseitigkeit, dass, da Verschwörungstheorien mir nicht einleuchten, nur Dummheit, Eitelkeit und mangelnde Sprachkenntnisse als Erklärung dienen können. Gemischt natürlich mit Relikten eines Weltbilds des Kalten Krieges. Die Dummheit besteht nicht darin, Janukowitsch aus diesen oder jenen Gründen abzulehnen, sondern in der Befürwortung von Janukowitschs Gegnern. Vor wenigen Tagen haben zeitgleich das ZDF und die FAZ eine Erwiderung auf den zumindest bei einem Teil der 'Majdan'-Bewegung nachweisbaren Antisemitismus (Swoboda, Rechter Sektor) veröffentlicht. Das mit dem Antisemitismus sei ja viel besser geworden in den letzten Jahren, so die Bilanz. Antirussisch ist ja sowieso in Ordnung, und der Antisemitismus anscheinend in einem gewissen Ausmaß bei Gruppen, die einem genehm sind, auch.
Nun wird das Gesetz über die Sprachenpolitik, das unter Janukowitsch beschlossen wurde, vom Parlament für ungültig erklärt. Der Entwurf für ein Nachfolgegesetz soll ausgerechnet von Swoboda ausgehandelt werden. Europa beklatscht munter die Opposition, während diese ein der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen zumindest halbwechs konformes Gesetz kippt. Seltsam, wirr, dumm. Wer hat nun in der Vergangenheit wie zu besagtem Gesetz Stellung genommen? Nun, neben einem Großteil der Gruppen, die die Proteste angeführt haben etwa auch ThinkTanks wie "Freedom House":
Thus Ukraine suffered a decline for a second year due to the politically motivated imprisonment of opposition leaders, flawed legislative elections, and a new law favoring the Russian-speaking portion of the population (Freedom in the World 2013).Wer steht dahinter? Die Frage muss man stellen, da die Aussage mehrfach falsch ist: Offensichtlich verstößt es gegen so ziemlich alle Ideen von Freiheit etc., der Muttersprache der nahezu halben Bevölkerung eines Landes keinen verfassungsmäßigen Status zu geben. Darüber hinaus wird die 'Russian-speaking population' keineswegs bevorzugt, indem man ihnen Rechte gibt, die die ukrainischsprachige Bevölkerung selbstverständlich genießt. Nur vor einem Verständnis, das Russland in der Rolle des Bösewichts und die russischsprachigen Bevölkerung in der Rolle des Handlangers sieht, kann so ein Satz einen Sinn haben. -- Hinter Freedom House stehen unter anderem die Regierung der USA und George Soros als Geldgeber.
Zurück zur Fahrradtour, die mich anschließen durch Moldavien, nach Transnistrien und zurück in die Ukraine führte. Im Falle Moldaviens hat die 'internationale Gemeinschaft' des Westens ebenso die Nationalisten zur Diskriminierung des russischsprachigen Landesteils beglückwünscht, der sich darauf selbständig machte. Bis heute wird Transnistrien vom Westen nicht anerkannt, Moldavien sehr wohl, dabei war Chișinăus Sprachpolitik in krassem Widerspruch zu den Werten, die der Westen angeblich hochhält und gerade nach "unseren" angeblichen Kriterien die Sezession von Transnistrien nur zu verständlich.
Es bleibt festzuhalten, dass, wer Werte nur eben so, wo sie nützlich sind, als Propagandainstrument verwendet, sonst aber nicht beachtet, keine Werte hat. "Kiev is free!" Ja, passt schon.