sagte mein Tischnachbar.
Er meinte damit den Guttenberg, dessen ausgiebiges Abschreiben oder Abschreiben-lassen auf der Website 'guttenplag' dokumentiert ist. Da musste ich ihm widersprechen: der Adel sei noch nie gewesen, was er angeblich mal war. Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen hat laut SZ in den 70er Jahren seine Dissertation zu großen Teilen abgekupfert. Und was politische Tugenden angeht: In der vielbeschworenen Guttenberg-Verwandtschaft gab es nicht nur Widerstandskämpfer, sondern etwa auch den am Kapp-Putsch beteiligten Urgroßvater Georg Enoch. So ist es halt mit großen, alten, reichen Familien; und so wie das eine kein Grund ist, die späten Nachfahren zu tadeln, sollte das andere kein Grund sein, sie zu loben. Letzteres war aber seit Jahren der Fall, Zeitungsartikel und Fernsehdokumentationen bedienten die Sehnsucht nach den "alten Eliten." Man versuchte einem ererbten Reichtum und Titel auch noch ererbte Tugend, Klugheit und Ehrlichkeit und Unabhängigkeit zuzusprechen. Der treueste Verbündete des Freiherrn wurde die Bild-Zeitung. Der hat Charakter! Der sagt, was er denkt! Der is wer! Bismarck! Guttenberg!
Eine gewisse Unabhängigkeit von fremden Urteilen mag der Landadel, wie Fontane sich ihn wünschte, wirklich einmal gehabt haben, wenn auch vermischt mit durchschnittlich reaktionären Ansichten. Der alte Stechlin würde sich nicht anbiedern und sicher auch einem Schmutzblatt wie der Bild-Zeitung keine Interviews geben, noch mit seiner Gattin grinsend vor Kameras durchs Kriegsgebiet laufen.
Die angeblich alten Eliten benehmen sich genau wie anerkennungssüchtige Parvenus, sind also wohl welche. Renommieren mit Titel und Auftreten reicht nicht, es muss auch ein Doktorgrad her. Und es sollte natürlich auch eine ausgezeichnete Arbeit werden, selbst wenn es dafür intellektuell oder zeitlich nicht reichte. Die Arbeit bezeugt eine solche Dreistigkeit im Plagiieren, dass deren Autor doch von eher mäßiger Intelligenz sein muss. Fans der Schmalzlocke können sich nun aussuchen, ob Guttenberg der Autor ist oder sich die Arbeit schreiben ließ.
Die Unehrlichkeit seiner Äußerungen vor der Presse, die auf Ehrlichkeit machten, die Claqueure, die ihn zum Opfer von Neid und Parteigeist erklären, das ist alles ebenso eklig wie lustig. Es versteht sich von selbst, dass die Claqueure ihrerseits von reinem Parteigeist getrieben sind (wie die Strauß-Tochter Monika Hohlmeier bei Anne Will) , und dass sie vor lauter politischer Schläue oder Treue nicht sehen, wie sie sich vor anständigen Maßstäben um Kopf und Kragen reden. Solange allerdings die BILD-Zeitung (Wagner), die Welt (Broder) et al. eine antiintellektuelle Stimmung anheizen, werden sie dadurch womöglich beliebter. (Ob Broder bemerkt, in welchen Jahren die antiintellektuelle Trompete gebaut wurde?) Der gesunde Menschenverstand soll's dem Guttenberg nicht übelnehmen, dass er beschissen hat. Was ist schon ein Doktor! Das nun aber hat Guttenberg offenbar nicht gedacht, nur bis zu diesem Widerspruch kommen weder Broder noch Wagner noch leserbriefschreibende Guttenberg-Fans. Hätt er's nur gedacht: Was ist schon ein Doktor, ich geh lieber spazieren. Hat er aber nicht.
Mein Tischnachbar wollte nicht nachgeben. Der Adel sei nicht mehr, was er mal war, beharrte er. Früher hätte sich ein entehrter Freiherr, eine kurze Notiz zurücklassend, erschossen. Und jetzt stattdessen Gelaber. 'Mein Jott, du hast aber rückwärtsgewandte Sehnsüchte!' erwiderte ich, zahlte mein Bier und ging.
Man sollte sich keineswegs zu sehr freuen, wenn einer aus den falschen Gründen stürzt, der aus anderen Gründen zu stürzen verdient. Die Selbstdarstellungs- und Kriegs-Propaganda-Auftritte in Afghanistan sind das eigentliche Ärgernis des Politikers Guttenberg, nicht die in den Plagiaten deutlich werdenden Charaktermängel. Allerdings muss sich eine repräsentative Demokratie auch Urteile über den Charakter ihrer Repräsentanten bilden.
Wer zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet kann noch jede Ungerechtigkeit rechtfertigen und jedes Feindbild stützen. Ein Maß für unsere Freunde, ein anderes für unsere Feinde. Hier sollen einige Fälle von "zweierlei Maß" dokumentiert werden, ein Wasserträgerdienst an der Gerechtigkeit als wirksamer Idee, auf die sich sogar die verpflichten, die sich an ihr vergehen.
Emil Julius Gumbel
Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.
Dienstag, 22. Februar 2011
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