Zum Verhalten der Links-Partei bei der Wahl des Bundespräsidenten schreibt er (in der SZ vom 1. 7. 2010)
Das parteipolitische Kalkül, das hinter der Nominierung von Joachim Gauck fürs Amt des Bundespräsidenten natürlich stand, ist in glänzender Weise aufgegangen, und zwar in beide Richtungen: Die Einheit im Regierungslager wurde durch das brillante Manöver von Grünen und Sozialdemokraten nachdrücklich in Gefahr gebracht; und die Linkspartei wurde für die Augen jedenfalls der urbaneren Teile der gesamtdeutschen Gesellschaft ihrer konzeptionellen Nichtigkeit überführt.
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Diesen Eindruck hat Gregor Gysi durch seinen denkwürdigen Auftritt am Mittwoch vor dem dritten Wahlgang im Reichstag befestigt, als er den grünen Abgeordneten Werner Schulz, einen DDR-Bürgerrechtler, der sich einen kritischen Einwurf zur Enthaltung der Linken erlaubt hatte, vor laufenden Kameras auf eine so autoritär höhnende Weise abfertigte, dass die ohnehin locker sitzende Maske demagogisch plappernder Bonhomie minutenlang abfiel.
Wenn Sie sich aber eine Videoaufname der Pressekonferenz ansehen, werden Sie einen recht höhnischen Herrn Schulz und einen eher ironischen Herrn Gysi hören. Außerdem scheint sich der bürgerliche Kompass Seibts dahingehend umgepolt zu haben, dass es auf einmal recht und fein und höflich ist, jemandem ins Wort zu fallen, dagegen ein Affront, darauf hinzuweisen, dass in einer Pressekonferenz nun einmal der rede, der sie gebe, und nicht ein anderer. Und zwar ein Politiker einer anderen Partei, der recht offenbar Punkte machen will.
Kurzum, hier hat leider ein Ressentiment die ansonsten ganz verlässliche Urteilskraft getrübt. Schwamm drüber, aber 's ist schon ein ziemlicher Stuss, was Sie da geschrieben haben. Sehen wir aber weiter, was denn nun an Gauck einerseits und Grünen, die die Linke abwatschen, andererseits, so gut ist.
So lässt sich Gauck in vielen Zügen ebenso gut als linker Bürger beschreiben wie als Konservativer. Die Impulse, die seiner Popularität so zugutekommen, sind heute sogar am ehesten bei den Grünen zu finden, die längst zu einer bürgerlichen Partei geworden sind und - nicht zuletzt in Südwestdeutschland - das Erbe des lokalen, in Vereinen und für konkrete Anliegen engagierten klassischen Honoratiorenliberalismus angetreten haben.
Dieser links-konservativ-bürgerliche Grünenliberalismus ist stark bildungsbürgerlich geprägt, und er passt auch zu jenen Schichten, die in gentrifizierten Stadtquartieren wie dem Prenzlauer Berg in Berlin oder Haidhausen in München modernisierte Familienwerte wiederentdecken, dort die Kirchen mit jungen Leuten füllen und auf nichts so kritisch blicken wie die Schulpolitik in ihrem jeweiligen Bundesland.
Kurzum, Seibt wünscht sich schwarz-grün, und nimmt's mit der Vokabel links nicht so genau. Man kann natürlich in gewissem Sinn konservativ und links sein. Das ist Gauck, obwohl er sich selbst vor der Wahl so bezeichnet hat, gerade nicht. Er betonte nämlich immer wieder, ihm ginge es um Freiheit und Demokratie, wobei er sich teils mehr, teils weniger von Sozialpolitik distanzierte. Er sprach über Unzufriedenheit in den neuen Bundesländern (s. etwa hier), als ob es da nur oder vor allem verbogene Mentalität und nicht eine tatsächliche ökonomische und soziale Misere gäbe. Die Rede zeugt von Ignoranz und einem gewissen Zynismus eines Wendegewinners gegenüber Millionen, die ihre Arbeit verloren haben, und gegenüber zahllosen Familien, die sich anschließend in die Arbeitsmarkt-Diaspora zerstreuten. (Gehn' Se mal nach Glauchau und erforschen sie die Stimmung. Dort träumen die Leute nicht von Dikatur, sondern davon, dass es Arbeit gibt und junge Leute. Welcher Hochmut, den Leuten eine Predigt (Pfaffe!) über Freiheit und Demokratie zu halten, als wüssten sie es nicht zu würdigen,
und dabei zu unterschlagen, dass die Bundesrepublik mit durchaus vermeidbaren wirtschaftlichen Entscheidungen an vielen Bewohnern der neuen Bundesländer ein Unrecht begangen hat.)
Fazit: Dass SPD und Grüne sich aus (von Seibt bewundertem) Kalkül für einen so gut wie gar nicht linken Kandidaten entschieden, der den Linken mit Gründen ebensowenig wählbar schien wie Wulff, wird nun den Linken zum Vorwurf gemacht. Hätten die anderen nicht auch Luc Joachimsen wählen können? Mir scheint durchaus, dass die Nachwelt finden wird können, sie habe weniger Stuss geredet als Gauck oder Wulff. Und wenn nun der Kandidat Gauck durchgekommen wäre, dann wäre das ein 'politischer Sieg' von rot-rot-grün ohne jeden Inhalt gewesen. Es geht aber (bei Punktemachern a la Schulz) längst nur noch ums Siegen. Wenn die SPD den Spitzensteuersatz senkt und die Solidarität mit den Arbeitslosen wie keine CDU-Regierung beschädigt, haben sich die 'Linken' zu freuen, denn die Schlipse sind schließlich rot.
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