(siehe Georgien hat angefangen)
Die BBC macht doch immer wieder lobenswerte Sachen, zum Beispiel diese Dokumentation zum Krieg in Süd-Ossetien, Anfang August: What really happened in South Ossetia?
Der Beitrag versucht den Verbrechen aller Seiten nachzugehen.
"Whatever the rights and wrongs, that does not justify that one country invades another"
sagt der britische Außenminister David Miliband. Bekanntlich wurden der Irak und Afghanistan mit britischer Beteiligung angegriffen, "whatever the rights and wrongs". Außerdem sagt er ständig "tit for tat", und schleimt mit dieser symmetrischen Formulierung die Frage zu, ob womöglich "unser" Verbündeter die Hauptverantwortung tragen könnte. Wenn nun, wie die Dokumentation suggeriert, Georgien Süd-Ossetien in einem an zivilen Opfern reichen Angriff annektieren wollte, was sollte Russland als Garantiemacht tun? Russland hat Georgien nämlich nicht erobert, wohl aber militärische Anlagen zerstört und sich anschließend zurückgezogen. Es gibt offenbar gar keine Maßstäbe, New Labour's Britain kann auch keine Maßstäbe wünschen, denen es selbst nicht genügen würde. Die BBC hat leider keine anderen NATO-Außenminister gefragt, aber ich erinnere mich von Steinmeier usw. an ähnlich parteiischen Schleim.
Was man von unseren demokratisch gewählten Außenministern halten darf, die auch dann NATO-Schulterschluss mit Georgien üben, wenn dieses gerade Verbrechen begangen hat? Die Muster des kalten Krieges, in denen nicht die Wahrheit sondern die Blockzugehörigkeit über die Beurteilung von was auch immer entscheidet, sind offenbar intakt.
Wer zweierlei Maß auf einerlei Gegenstände anwendet kann noch jede Ungerechtigkeit rechtfertigen und jedes Feindbild stützen. Ein Maß für unsere Freunde, ein anderes für unsere Feinde. Hier sollen einige Fälle von "zweierlei Maß" dokumentiert werden, ein Wasserträgerdienst an der Gerechtigkeit als wirksamer Idee, auf die sich sogar die verpflichten, die sich an ihr vergehen.
Emil Julius Gumbel
Der Heidelberger Mathematiker Emil Julius Gumbel veröffentlichte 1924 die Schrift "Vier Jahre politischer Mord", in der nachgewiesen wurde, dass weitaus mehr Linke von Rechten ermordet wurden als umgekehrt, dass aber die Linken zu weitaus höheren Strafen verurteilt wurden als die Rechten: Die deutsche Justiz hatte zweierlei Maß. Gumbels Schrift änderte daran leider nichts, ihm selbst wurde schließlich auf Betreiben nationalsozialistischer Studenten die Lehrerlaubnis entzogen, er ging ins Exil. Dennoch ist der Nachweis von Ungerechtigkeit kein bloßer Kommentar zur Geschichte, sondern kann hin und wieder etwas ändern, und wäre es nur, weil ein Ungerechter ungern als solcher dasteht.
Sonntag, 16. November 2008
Es wäre gut, gut zu sein
Doch lieber lassen sich die meisten Menschen einen gewitzten Halunken nennen als einen anständigen Dummkopf. Des einen schämen sie sich, aber mit dem anderen geben sie an.
Der Historiker Stefan Rebenich zitiert in der SZ vom 15. November Thukydides und analysiert die Gegenwart ebenso wie Thukydides' Athen als kompetitive Gesellschaft, in der jeweils nur der eigene Erfolg zählt. Rebenich erwähnt auch, dass ein gut gestaltetes Gemeinwesen mit entsprechenden Normen gegen die Herrschaft des Eigennutzes schützen kann. Auch diejenigen, die in der Geschichte nur den Eigennutz am Werk sehen wollen, werden kaum jemals auf Rechte und Gesetze verzichten wollen. Mögen sie dann auch sagen, diese seien letztlich durch den vermittelten Eigenutz entstanden: Wo es ein Recht gibt, gibt es eben nicht nur Eigennutz.
Das Thukydides-Zitat passt unter anderem zu den intellektuellen Gefechten der letzten fünfzehn Jahre, in denen viele, die etwas Anständiges in der Öffentlichkeit vertraten, früher oder später mit der Vokabel "Gutmensch" und der Unterstellung, sie seien dumm und naiv, lächerlich gemacht wurden.
Ist nicht offenbar Gutes Schlechtem, Aufrichtiges Unaufrichtigem und Gemeinnütziges Eigennützigem vorzuziehen? "Gutmensch","Authentizitätswahn" und dergleichen Vokabeln suggerieren das Gegenteil.
Liest man sich die Feuilletons durch, muss man zu dem Schluss kommen, dass es ehrrühriger ist, Bono zu sein als Waffenhändler oder der Krieg führende George W. Bush.
Dieses Ergebnis, das letztlich auch die, die es herbeigeführt haben, absurd finden müssen, ist wieder eine voraussehbare Folge des Wettbewerbs auf eingeschränktem Gebiet: Der Feuilletonist muss sich durch irgendwas hervortun, durch "Originalität" seiner Thesen. Besonders originell ist stets das Unvernünftige. Trotzdem ist Originalität nicht ausreichend, unter deren Schein muss man etwas sagen, das viele denken oder zumindest als Ressentiment in sich tragen.
"Gutmensch" war so eine Vokabel. Alle, denen "die Ökos" und Menschenrechtler und moralische Reden auf die Nerven gingen, begrüßten die mit diesem Wort gemeinte Verunglimpfung. Dabei ist der moralische Standpunkt unvermeidlich, und kaum einer derjenigen, die wieder einen Moralisten fertiggemacht haben, würde sich ausdrücklich zum Gegenteil bekennen wollen und etwa gutheißen, dass ein Achtel der Menschheit hungert. Es geht ja auch nur um eine Hackordung, nicht
mehr um ein Gespräch über das Richtige und das Falsche. Bono muss man einfach blöd finden, auch wenn man nichts von dem, was er unterstützt, wirklich falsch findet.
Aristides wurde bekanntlich ostrazisiert, und die Legende will, dass er selbst einen der Athener, der für seine Verbannung stimmte, nach den Gründen fragte und "Weil sie ihn alle den Gerechten nennen." zur Antwort erhielt. Vielleicht nickt manch einer verständnisvoll angesichts dieser Begründung und gesteht damit ein, selbst unter der antiken wie modernen Krankheit zu leiden, die eigene Laune mit dem Guten zu verwechseln: Wenn einer "nervt", braucht man nicht mehr zu fragen, ob er womöglich verdient, "Gerechter" zu heißen.
In den letzten Jahrzehnten haben die Geisteswissenschaften eine antike Debatte wieder aufgeführt, nämlich die, ob es im Leben um die Wahrheit und das Gute oder aber um rhetorisches
Rechtbehalten und ums Gewinnen gehe. Um die Laune gegenüber der Wahrheit ins Recht zu setzen, haben einige besonders Laute die Positionen der Sophisten oder zumindest der platonischen Karikatur der Sophisten sich zu eigen gemacht. Außerhalb der Philosophie umarmte man Derridas und Foucaults Lehre vor allem deshalb, weil sie den als beklemmend und konservativ empfundenen Anspruch auf die Wahrheit, die Vernunft und das Gute in Zweifel zogen und die Grenze zwischen "Recht haben" und "Recht behalten" verwischten.
Das berechtigte skeptische Element dieser Philosophien konnte man begrüßen, weil die Geschichte der Vernunft so voller Irrtümer ist, und auch deshalb, weil der Glaube an eine positive Vernunft es sich mitunter zu leicht gemachthat (-wie auch Platons Sokrates den Sophisten Gorgias allzu leicht in die Pfanne haut-). Dieses skeptische Element verlor sich leider sehr bald in einem umgekehrten Dogmatismus, der Gorgias immer Recht gegen Sokrates gibt, dem Rhetoriker gegen den Moralisten, dem Handel mit Schein gegen den Versuch, die Wahrheit herauszubekommen.
Während die Skepsis ja dazu hätte führen können, bisher Ausgeschlossenes zum Wort kommen zu lassen. (die vielbeschworene "Vielfalt"), ging es den so gar nicht skeptischen Neo-Sophisten um ein umgekehrtes Ausschlussverfahren. Es reichte nicht, den Begriff der Authentizität zu problematisieren, nein es musste umgekehrt sein: Authentisches doof - Unauthentisches gut. Dieser Dogmatismus gipfelte dann in sagenhaft dummen Kommentaren ehemals linksliberaler oder linker Tageszeitungen anlässlich einer vor den Kameras bloß gespielten und vorbereiteten Empörung im Bundesrat. (Man erinnert sich vielleicht.) Wer sich darüber empöre, laboriere an, na?, "Authentizitätswahn". Natürlich schauspielern doch alle, Politiker und wir auch, hahaha.
Schenkelklopfend über der eigenen Pointe übersahen die Autoren, dass eine parlamentarische repräsentative Demokratie darauf beruht, den Deputierten trauen zu können: Es gibt ja kein imperatives Mandat. "Spin" bedroht das Wesen einer solchen Demokratie. Soweit kam die Reflexion, im eigenen Lachen erstickt, allerdings nicht mehr. Es blieb dabei: Echte Empörung ist doof, gespielte Empörung legitim.
Dieser anti-moralische Dogmatismus wird, da er bloße Mode ist und das Kampfmittel einer kleinen ehrgeizigen Gruppe war, die nun auch langsam alt wird, ziemlich sicher wieder vergehen, allein schon, weil die nächste ehrgeizige Gruppe ja etwas zum Totbeißen haben möchte. Es braucht niemand zu fürchten, dass dann das Reicht der Vernunft anbricht, es wird halt die nächste Mode sein.
Jenseits dieses ganzen Gehampels messen ja fast alle sich und andere an moralischen Maßstäben (für Leser der Titanic: "Luhmanns Mantel"), und die meisten müssenauch manchmal erkennen, sich in den Maßstäben selbst geirrt zu haben. Die Dialektik, das Gute zu wollen und immer mal zu zweifeln, was das ist, ist aus dem gewöhnlichen Umgang mit der Moral nicht wegzudenken. Ein Gemisch aus Theoriebrocken, das diese Dialektik zu denken verbietet und sich nur auf die "antimoralische" Seite schlägt, ist recht eigentlich für dumme Leute, die gerne die meisten anderen für dumm halten.
Es ist nicht dumm, anständig sein zu wollen. Und es ist nicht ehrrührig, ein anständiger Dummkopf zu sein oder ein anständiger Schlaukopf. Ein gewitzter Halunke zu sein, ist durchaus ehrrührig. Ob aber diejenigen, die noch immer mit der "Gutmenschen"-Vokabel um sich schlagen, nicht am Ende sogar unanständige Dummköpfe sind, darüber würde die Geschichtsschreibung urteilen, wenn sie nicht selbst immer wieder von Moden bestimmt wäre. Selten nur in allen Zeiten findet sich ein Thukydides, den man auch noch lesen mag, wenn alle Moden längst vergangen sind.
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